Klinische Ökonomik

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Im Jahre 1989 publizierte John M. Eisenberg in der medizinischen Fachzeitschrift JAMA einen Artikel zur ökonomischen Analyse klinischer Behandlungen unter dem Titel: Clinical Economics- A Guide to the Economic Analysis of Clinical Practise.[1] Mit diesem Artikel sollte die monetäre Betrachtung von Kosten und Nutzen im klinischen Alltag beschrieben werden.

Klinische Ökonomik nach Franz Porzsolt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Andere Facetten der „Klinischen Ökonomik“ hat der Arzt, Onkologe und Versorgungsforscher Franz Porzsolt in zahlreichen Beiträgen beschrieben.[2][3][4][5][6] Er sieht die „Klinische Ökonomik“ als Abwägung ob das, was die Patienten in Kauf zu nehmen haben, durch den Nutzen der Gesundheitsleistungen aufgewogen wird. Das Konzept der „Klinischen Ökonomik“ wurde von Franz Porzsolt 1994 erstmals namentlich erwähnt und geprägt.[7] Ausschlaggebend waren laut eigenen Angaben Erfahrungen, die er sowohl im Rahmen seiner klinischen Tätigkeit in Deutschland als auch in Kanada gesammelt hatte.[8]

Einer seiner Lehrer am Ontario Cancer Institute in Toronto war der Arzt David Osoba, ein international bekannter Vordenker der Lebensqualitätsforschung, der den Namen „Clinical Economics“ zur Beschreibung des neuen Arbeitsgebiets vorgeschlagen hat.[9][10] Zusammen mit weiteren Experten, u. a. Arthur R. Williams und Robert M. Kaplan, wurden seither zur „Klinischen Ökonomik“ 3 Lehrbücher veröffentlicht.[11][12][13] Der überwiegende Teil der mehr als 550 Publikationen von Franz Porzsolt befasst sich mit dem Gebiet der „Klinischen Ökonomik“[14][15] Demnach verfolgt die Gruppe von Franz Porzsolt das Ziel, die nicht-monetäre Bewertung von Gesundheitsleistungen aus der Perspektive der Medizin unter dem Namen „Klinische Ökonomik“ (Clinical Economics) zu beschreiben. Die monetäre Bewertung von Gesundheitsleistungen erfolgt bereits aus der Perspektive der Wirtschaftswissenschaften durch das traditionelle Fach der Gesundheitsökonomie (Health Economy). Die „Klinische Ökonomik“ nach Franz Porzsolt ist ein Querschnittsfach aus dem Bereich der Gesundheitswissenschaften. Methoden und Fähigkeiten der Medizin werden in der „Klinischen Ökonomik“ mit den Werkzeugen der klinischen Epidemiologie, Ökonomie, Psychologie, der Kommunikationswissenschaften sowie der Ethik verbunden.[16] Die „Klinische Ökonomik“ verfolgt das Ziel aus den beiden Perspektiven, d. h. aus der des individuellen Patienten und der der Gesellschaft, die bestmögliche Gesundheit bei geringstmöglichen Belastungen für die jeweiligen Betroffenen zu erreichen.[16] Bestandteil jeder kompletten ökonomischen Analyse ist es, die Kosten bzw. den Aufwand mit dem Nutzen bzw. den Ergebnissen von verschiedenen Handlungsmöglichkeiten einander gegenüberzustellen.[17] Die „Klinischen Ökonomik“ orientiert sich an der Annahme, dass die Gesellschaft einen systematischen Nachweis des Nutzens medizinischer Maßnahmen von Ärzten fordert.[18]

„Der vierteilige Leitsatz der Klinischen Ökonomik

(1) Wir stützen Entscheidungen nicht auf einzelne Kriterien, z. B. ‚externe Evidenz‘, sondern auf interne Wertvorstellungen. (2) Da diese internen Wertvorstellungen durch externe Information geprägt sind, sollte die Information, z. B. die ‚externe Evidenz‘, valide sein. (3) Information ist valide, wenn gezeigt ist, wie häufig die durch die Information vermittelten Ziele nicht nur angestrebt, sondern auch tatsächlich erreicht wurden. (4) Um sinnvolle Entscheidungen anhand interner Wertvorstellungen treffen zu können, sollten deshalb die Ziele der Information klar definiert, die Methoden klar beschrieben und die Ergebnisse vollständig berichtet sein.“[19]

Wissenschaftliche Schwerpunkte und Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Fußabdruck der Klinischen Ökonomik lässt sich durch Beiträge zu fünf Themen beschreiben:

  • Berichte zu Übertherapien sind für Ärzte und Wissenschaftler nicht einfach, aber für Patienten wertvoll[20][21]
  • Die Sicherheitsschleife beschreibt den Zusammenhang zwischen objektivem Risiko, der Kommunikation, der subjektiven Wahrnehmung des objektiven Risikos (Begriff: „Gefühlte Sicherheit“), der Entscheidungsfindung und des Effekts der Entscheidung auf die Veränderung des objektiven Ausgangsrisikos[22][23][24]
  • Der Terminologiekonflikt zwischen „Efficacy“ und „Effectiveness“ in der Gesundheitsversorgung und seine Folgen[25][26][27][28]
  • Entwicklung der Methode zum Nachweis der „Real Word Effectiveness“ und deren Integration in eine dreidimensionale Strategie zum Nachweis des „Proof of Principle“, der „Real World Effectiveness“ und des „Value“,[29][30][31][32]
  • Kritik am fehlenden Disput der Wissenschaft zum Management einer Pandemie und das strategische Konzept für künftige Pandemien[33]

Von 1992 bis 2011 bestand die „Klinische Ökonomik“ als Arbeitsgruppe verschiedener Abteilungen am Universitätsklinikum Ulm.[34] Seit dem Jahr 2013 wird das „Institute of Clinical Economics“ als gemeinnütziger e. V. geführt.[35]

Abgrenzung zur Gesundheitsökonomie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die „Klinische Ökonomik“ versucht multiprofessionell und interdisziplinär klinische Sachverhalte zu ergründen. Hierzu verwendet sie Konzepte und Methoden aus Nachbardisziplinen mit dem Ziel, unterschiedliche Perspektiven in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Durch diese multi-dimensionalen Betrachtungen sollen neuer Wert generiert und Konflikte vermieden werden.[36] Beispiele hierfür sind die Rationalisierungen, die nahezu immer durch die Optimierung des Verhältnisses von „intangiblen Kosten und Nutzen“ ersetzt werden können und damit gesellschaftliche Konflikte vermeiden.[36]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. John M. Eisenberg: Clinical Economics – A Guide to the Economic Analysis of Clinical Practices. Hrsg.: Jama Nework. 24. November 1989, doi:10.1001/jama.1989.03430200123038 (englisch).
  2. Franz Porzsolt rüttelt an den Grundfesten und Glaubenssätzen. gesundheitsindustrie-bw.de; abgerufen am 8. März 2021
  3. Ulmer Wissenschaftler berät Atomenergie-Behörde. augsburger-allgemeine.de; abgerufen am 8. März 2021
  4. Franz Porzsolt. researchgate.net; abgerufen am 8. März 2021,
  5. porzsolt f. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov; abgerufen am 8. März 2021
  6. Klinischer Ökonom, Querdenker und Arzt: Deutscher IQ-Preis für Prof. Franz Porzsolt. uni-ulm.de; abgerufen am 8. März 2021
  7. Franz Porzsolt: Klinische Ökonomik – Eine Forderung der Gesellschaft an die Ärzte. In: Münch. med. Wschr., 1994,136, S. 221–225
  8. Franz Porzsolt (Hrsg.): Grundlagen der klinischen Ökonomik. 1. Auflage. PVS, 2011, S. 15–17 (pvs.de [PDF]).
  9. Franz Porzsolt (Hrsg.): Grundlagen der klinischen Ökonomik. 1. Auflage. PVS, 2011, S. 16 (pvs.de [PDF]).
  10. Honouring Dr. David Osoba. ctg.queensu.ca; abgerufen am 8. März 2021
  11. Franz Porzsolt, Arthur R. Williams, Robert M. Kaplan: Klinische Ökonomik. Ecomed Verlag, 2005.
  12. Franz Porzsolt, Robert M. Kaplan (Hrsg.): Optimizing Health: Improving the Value of Health Care Delivery. Springerverlag, 2006.
  13. Franz Porzsolt (Hrsg.): Grundlagen der klinischen Ökonomik. 1. Auflage. PVS, 2011 (pvs.de [PDF]).
  14. List of publications Franz PorzsoltMD PhD (as of 2021/03). (PDF; 237 kB) clinical-economics.com; abgerufen am 8. März 2021
  15. List of publications Franz PorzsoltMD PhD (2016/10). (PDF; 187 kB) clinical-economics.com; abgerufen am 8. März 2021
  16. a b Franz Porzsolt (Hrsg.): Grundlagen der klinischen Ökonomik. 1. Auflage. PVS, 2011, S. 18 (pvs.de [PDF]).
  17. Porzsolt F (1996) Klinische Ökonomik. Eine wachsende Forderung der Gesellschaft an die Ärzte. Zeitschr f d ges Versicherungsw 44:695–705
  18. Porzsolt F (1996) Klinische Ökonomik. Eine wachsende Forderung der Gesellschaft an die Ärzte. Zeitschr f d ges Versicherungsw 44:695–705
  19. Franz Porzsolt (Hrsg.): Grundlagen der klinischen Ökonomik. 1. Auflage. PVS, 2011, S. 5 (pvs.de [PDF]).
  20. F. Porzsolt, W. Schreml, L. Buchelt, G. Meuret, S. Mende, P. Strigl, M. Redenbacher, D. Klumpp, M. Schmelz, R. Knöchelmann, V. Hiemeyer, K. Fleischer, ED. Kreuser, R. Leichtle, C. Popp, R. Kloiber: Konzept zur Behandlung metastasierender Mammakarzinome außerhalb von Universitätskliniken: Beschreibung der Methode und Prüfung der Effizienz. In: Onkologie, 1987, 10, S. 367–373
  21. F. Porzsolt, G. Meuret, ED. Kreuser, S. Mende, L. Buchelt, P. Strigl, M. Redenbacher, F. Klumpp, M. Schmelz, R. Knöchelmann, V. Hiemeyer, K. Fleischer, W. Gaus, R. Leichtle, C. Popp, R. Kloiber, W. Schreml: Compliance of physicians and pa-tients with a consensus protocol for treatment of advanced breast cancer. In: J. Cancer Res. Clin. Oncol., 1989, 115, S. 564–570.
  22. F. Porzsolt: Safety means perception of risk. In: J Med Safety, 2016, Oct, S. 18–24. ISSN 1349-5232
  23. F. Porzsolt: Clinical Economics – It is about Values not about Money. In: Brazil J Medicine Human Health, 2016,4 (3). doi:10.17267/2317-3386bjmhh.v4i3.1052
  24. F. Porzsolt, G. Pfuhl, RM. Kaplan, M. Eisemann: Covid-19 pandemic lessons: Uncritical communication of test results can induce more harm than benefit and raises questions on standardized quality criteria for communication and liability. medRxiv 2020.11.20.20235424; doi:10.1101/2020.11.20.20235424
  25. F. Porzsolt, F. Wiedemann, K. Schmaling, RM. Kaplan: The risk of imprecise terminology: incongruent results of clinical recommendations in clinical trials and incongruent recommendations in clinical guidelines. (Suppl 1) A17-A18; doi:10.1136/bmjebm 2019;24.
  26. K. Schmaling, RM. Kaplan, F. Porzsolt: Efficacy and effectiveness studies of depression are not well-differentiated in the literature: a systematic review. In: BMJ Evid Based Med., 2020 Mar 18. doi:10.1136/bmjebm-2020-111337.
  27. F. Porzsolt, F. Wiedemann, M. Phlippen, C. Weiss, M. Weiss, K. Schmaling, RM. Kaplan: The terminology conflict on efficacy and effectiveness in healthcare. In: J Comp Eff Res., 2020 Dec, 9(17), S. 1171–1178. doi:10.2217/cer-2020-0149. Epub 2020 Dec 14. PMID 33314965.
  28. F. Wiedemann, F. Porzsolt: The Terminology Conflict on Efficacy and Effectiveness in Clinical Trials on Health-Related Quality of Life. Research Square. 2021. doi:10.21203/rs.3.rs-148872/v1
  29. F. Porzsolt, E. Pöppel: Kommentar: Zur Diskussion über das drohende Ende der randomisierten kontrollierten Studien – es geht ans Eingemachte. In: DMW, 2000, 125(45), S. A14.
  30. F. Porzsolt, NG. Rocha, Toledo-Arruda AC, TG. Thomaz, C. Moraes, Bessa-Guerra TR, Leão M, A. Migowski, AR. Araujo de Silva, C. Weiss: Efficacy and Effectiveness Trials Have Different Goals, Use Different Tools, and Generate Different Messages. In: Pragmatic and Observational Research, 2015,6, S. 47–54. doi:10.2147/POR.S89946
  31. F. Porzsolt, Weiss Ch, M. Weiss, AG. Müller, SI. Becker, M. Eisemann, RM. Kaplan: Versorgungsforschung braucht dreidímensionale Standards zur Beschreibung von Gesundheitsleistungen [Health services research needs three-dimensional standards for description of health services]. In: Monitor Versorgungsforschung, 2019, 04, S. 53–60. doi:10.24945/MVF.04.19.1866-0533.2163
  32. F. Porzsolt, F. Wiedemann, M. Phlippen, C. Weiss, M. Weiss, K. Schmaling, RM. Kaplan: The terminology conflict on efficacy and effectiveness in healthcare. In: J Comp Eff Res., 2020 Dec, 9(17), S. 1171–1178. doi:10.2217/cer-2020-0149. Epub 2020 Dec 14. PMID 33314965.
  33. Franz Porzsolt, Philipp Legrum, Rupert Krömer, Susanne I. Becker, Manfred Weiss. The Covid-19 Pandemic: A Conflict of Communication? Research Square updated Feb 26, 2021
  34. Franz Porzsolt (Hrsg.): Grundlagen der klinischen Ökonomik. 1. Auflage. PVS, 2011, S. 226 (pvs.de [PDF]).
  35. Institute of Clinical Economics e. V. clinical-economics.com; abgerufen am 8. März 2021
  36. a b F. Porzsolt, M. Weiss u. a.: Klinische Ökonomik – Ein Plädoyer für die Ergänzung der medizinischen Lehre und Spezialisierung. In: DMW - Deutsche Medizinische Wochenschrift. 135, 2010, S. 2257, doi:10.1055/s-0030-1267509.