Leerübertragung

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Als Leerübertragung bezeichnet man in den Rechtswissenschaften den Verkauf oder die Lizenzierung einer immaterialgüterrechtlichen Rechtsposition, die sich später als nicht existent herausstellt, weil die Schutzvoraussetzungen materiell nie erfüllt waren.[1]

Beispiel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der immaterialgüterrechtliche Schutz ist mitunter von Bedingungen abhängig, deren Erfüllung sich vor Abschluss eines Lizenzvertrags nicht mit Bestimmtheit feststellen lässt. Ein Beispiel ist der urheberrechtliche Werkschutz: Er wird – völlig unabhängig vom Willen des Urhebers – unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere dem Erreichen der so genannten Schöpfungshöhe gewährt.[2] Ob an einem Erzeugnis ein urheberrechtlicher Schutz entsteht, entscheidet sich also nicht durch Parteidisposition, sondern durch den (Real)akt des Schöpfungvorgangs selbst.[3]

Will nun etwa der Möbelproduzent M ein vom Urheber U entworfenes Möbelstück fertigen und an seine Kunden vertreiben, so besteht für beide Parteien eine gewisse Unsicherheit über den Urheberrechtsschutz des Möbelstücks. Geht M davon aus, dass das Möbelstück urheberrechtlichem Schutz unterliegt, wird er versuchen, sich von U die für seine beabsichtigte Verwertung erforderlichen Nutzungsrechte einräumen zu lassen. In einem Lizenzvertrag legen M und U sodann fest, welche Nutzungshandlungen dem M erlaubt und welche Vergütung er im Gegenzug an U zu entrichten hat. Da sich der urheberrechtliche Schutz des Möbelstücks aber nicht nach dem Parteiwillen richtet, besteht die Möglichkeit, dass das Möbelstück – anders als von M angenommen – in Wahrheit gar nicht geschützt ist. U hätte dann in Wahrheit also auch gar keine Nutzungsrechte einräumen können. Im Beispielfall kann die Erkenntnis der Schutzunfähigkeit etwa am Ende eines nach jahrelanger Nutzung entschiedenen Gerichtsverfahrens stehen. Einen solchen Fall der Lizenzerteilung bezeichnet man als Leerübertragung: Im Lizenzvertrag werden tatsächlich keine Rechte eingeräumt, weil solche Rechte tatsächlich gar nicht bestehen – das scheinbar eingeräumte Rechteportefeuille stellt sich also als tatsächlich „leer“ heraus.

Rechtslage in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erscheinungsformen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Patentrecht kann sich eine Leerübertragung daraus ergeben, dass ein Patentinhaber eine Patentlizenz an einen Dritten vergibt, das erteilte Patent danach jedoch durch Widerruf auf Einspruch (§ 21 PatG) oder durch Nichtigerklärung (§ 22 PatG) erlischt. In beiden Fällen gelten die Wirkungen des Patents und seiner Anmeldung ab Eintritt der Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses bzw. Nichtigkeitsurteils als von Anfang an (ex tunc) nicht eingetreten, das heißt, sie entfallen rückwirkend und mit Wirkung gegen jedermann.[4] Bei einem nur ex nunc wirkenden Erlöschen des Patents (etwa infolge Verzichts oder nicht rechtzeitiger Zahlung der Jahresgebühr[5]) würde man demgegenüber nicht von einer Leerübertragung sprechen, weil das Recht in diesen Fällen sehr wohl originär bestanden hat.[6] In Patentlizenzverträgen werden zur Verringerung der Erlöschungsgefahr oftmals Nichtangriffsabreden getroffen, die es zumindest dem Lizenznehmer verbieten, das Patent durch Nichtigkeitsklage anzugreifen.[7] Derartige Vereinbarungen sind jedoch oftmals kartellrechtlich problematisch und werden bei Kauf- und Lizenzverträgen regelmäßig als unzulässig und unwirksam zu werten sein.[8]

Wird eine Markeneintragung infolge Nichtigkeit, also aufgrund absoluter oder relativer Schutzhindernisse (§§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 MarkenG), gelöscht, so kommt dieser Löschung Rückwirkung zu (§ 52 Abs. 2 MarkenG); die konstitutiven Wirkungen der Markeneintragung gelten als von Anfang an nicht eingetreten.[9] Dadurch kann auch im Markenrecht eine Leerübertragung zustande kommen.[10] Keine Ex-tunc-, sondern grundsätzlich lediglich Ex-nunc-Wirkung entfaltet hingegen die Löschung der Marke wegen Verfalls (§ 52 Abs. 1 MarkenG) – hier fehlt es entsprechend an der originären Schutzlosigkeit.[11]

Ein urheberrechtlicher Lizenzvertrag kann sich als Einräumung eines bloßen Schein(nutzungs)rechts herausstellen, wenn sich der Gegenstand als nicht urheberrechtlich schutzfähig erweist.[12] Anders als bei den Registerrechten bedarf es im Urheberrecht als materiellem Schutzrecht keiner Regelung zur Rückwirkung; es versteht sich nach deutschem Recht aus der Natur des Urheberrechts, dass die Schutzanforderungen nicht erst ab einem bestimmten Zeitpunkt „wegfallen“ können.[13] Ähnlich stellt sich die Sachlage grundsätzlich auch im Bereich der verwandten Schutzrechte dar; selbst dort, wo der Schutz wie im Fall von Datenbanken (§§ 81a ff. UrhG) sui generis gewährt wird, handelt es sich dem Wesen nach um unbestimmte Rechtsbegriffe, sodass der leistungsschutzrechtliche Schutzstatus hier gleichfalls in vielen Fällen nicht gänzlich klar sein wird.[14]

Rechtsfolgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Allgemein[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung (2002) beurteilte der Bundesgerichtshof – wie auch schon das Reichsgericht – Lizenzverträge, deren zugrunde liegende Rechtsposition nachträglich ex tunc wegfällt, nicht als nichtig gemäß § 306 BGB a.F.[15] Da ein Lizenzvertrag ein „gewagtes Geschäft“ sei, treffe den Lizenzgeber eine Haftung für den zukünftigen Bestand des Schutzrechts im Zweifel nicht; schließlich könne nur in sehr wenigen Fällen mit Sicherheit von der Existenz der Rechtsposition ausgegangen werden.[16] Die diesbezügliche Rechtsprechung wurde neben dem Patentrecht auch auf „ungeprüfte“ Registerrechte wie das Gebrauchs- und Geschmacksmusterrecht übertragen.[17] Uneinheitlich ist demgegenüber die Rechtsprechung zu Rechtskäufen.[18]

Seit der Schuldrechtsmodernisierung ist ausdrücklich geregelt, dass ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag wirksam bleibt (§ 311a Abs. 1 BGB). Nach Ansicht weiter Teile der Literatur hat sich die Problematik der lizenzrechtlichen Leerübertragung damit entschärft;[19] sie werten Leerübertragungen in der Regel als Fälle anfänglicher Unmöglichkeit, mit der Konsequenz, dass der Lizenzgeber nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit wird, der Lizenzvertrag an sich aber wirksam bleibt.

Urheberrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lizenzverträge über Scheinnutzungsrechte an materiell nicht urheberrechtsfähigen Gegenständen werden wie oben dargestellt in Rechtsprechung und Literatur nach §§ 275 Abs. 1, 311a Abs. 1 BGB beurteilt.[20] Der Lizenzgeber kann grundsätzlich die vereinbarte Vergütung beanspruchen, solange der Lizenzvertrag besteht und er dem Lizenznehmer eine wirtschaftliche Vorzugsstellung verschafft;[21] Der Bundesgerichtshof bejaht eine solche Vorzugsstellung etwa dann, wenn der Lizenznehmer mit dem Lizenzvertrag weniger darauf zielt, eine Rechtsposition zu erwerben, als vielmehr, den Lizenzgegenstand faktisch nutzen zu dürfen; die Lizenz beseitigt insoweit eine ansonsten bestehende Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit der eigenen (erlaubnisfreien) Nutzung.[22] Im Einzelnen ist dies durch Auslegung der auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärungen zu bestimmen.[23] Dem Lizenznehmer verbleibt lediglich die Möglichkeit, sich mit Wirkung ex nunc vom Lizenzvertrag zu lösen. Dies erfolgt regelmäßig durch Rücktritt (§ 323 BGB), wobei eine vorherige Fristsetzung entbehrlich ist (§ 326 Abs. 5 BGB).[24] Enthält der Lizenzvertrag dauerschuldrechtliche Elemente, kommt statt des Rücktritts eine außerordentliche Kündigung in Betracht.[25] War dem Lizenzgeber die fehlende Schutzfähigkeit bekannt oder hätte er sie kennen müssen, ist er gegebenenfalls schadens- bzw. aufwendungsersatzpflichtig (§§ 311a Abs. 2, 284 BGB).[26]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Claus Ahrens: Leistungsstörungen. In: Christian Berger und Sebastian Wündisch (Hrsg.): Urhebervertragsrecht. 2. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2015, ISBN 978-3-8487-0580-1, S. 151–179.
  • Jan F. Hoffmann: Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht. In: Zeitschrift für Geistiges Eigentum. Band 6, Nr. 1, 2014, S. 1–47, doi:10.1628/186723714X14016951400190.
  • Albert Preu: Der Einfluß der Nichtigkeit oder Nichterteilung von Patenten auf Lizenzverträge. In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Band 76, Nr. 10, 1974, S. 623–636.
  • Patrick Zurth: Vertragspflichten. In: Eva I. Obergfell und Ronny Hauck (Hrsg.): Lizenzvertragsrecht. De Gruyter, Berlin 2016, ISBN 978-3-11-034256-7, S. 95–115.

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 1.
  2. Für Deutschland siehe dazu etwa § 2 UrhG, vgl. statt vieler nur Schulze in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 5. Aufl. 2015, § 2 Rn. 245 ff. Teilweise müssen zusätzlich bestimmte Formalitäten erfüllt werden (nicht so aber im Geltungsbereich der Revidierten Berner Übereinkunft, Art. 5 Abs. 2 RBÜ), werden generell nur bestimmte Werkarten geschützt (wie zum Beispiel schon im Statute of Anne und noch heute im britischen Urheberrecht, Abschnitt 1(1)(a) CDPA, vgl. Laddie/Prescott/Vitoria, The Modern Law of Copyright and Designs, Bd. 1, 4. Aufl. 2011, § 3.21) oder müssen Schöpfungen bestimmten Sittennormen genügen (dazu Alexandra Sims, The denial of copyright protection on public policy grounds, in: European Intellectual Property Review, 30, Nr. 5, 2008, S. 189–198 mit Nachweisen aus der Gesetzgebung und Rechtsprechung).
  3. Vgl. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 8. Aufl. 2017, Rn. 252; Patry, Patry on Copyright, Stand: 3/2016, § 1:1.
  4. Keukenschrijver in Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 8. Aufl. 2016, §§ 20 Rn. 6, 21 Rn. 125 ff.
  5. Vgl. Keukenschrijver in Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 7. Aufl. 2013, § 20 Rn. 6.
  6. Vgl. Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 3.
  7. Vgl. Rogge/Kober-Dehm in Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 22 Rn. 39 ff.; Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 34 f.
  8. Dazu näher Keukenschrijver in Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 8. Aufl. 2016, § 81 Rn. 87; Rogge/Kober-Dehm in Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 22 Rn. 42.
  9. Vgl. Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, § 52 Rn. 1, 12; Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2009, § 52 Rn. 7.
  10. Vgl. Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 3.
  11. Vgl. Kopacek in Kur/von Bomhard/Albrecht, BeckOK MarkenR, Stand: 1. Februar 2016, § 52 Rn. 1; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl. 2010, § 52 Rn. 5. Siehe aber einschränkend § 52 Abs. 1 S. 2 MarkenG.
  12. Vgl. Schricker/Loewenheim in dies., Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 31 Rn. 29; Ahrens in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 3 Rn. 5; Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 3.
  13. Siehe dazu auch das obige Beispiel.
  14. Vgl. Scholz in Mestmäcker/Schulze, Urheberrecht, Stand: 55. AL 2011, § 31 Rn. 20; Ahrens in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 3 Rn. 8.
  15. Ausführlich zur umfangreichen Rechtsprechung Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 4–6.
  16. Vgl. so etwa schon BGH, Urteil vom 12. April 1957, I ZR 1/56 = GRUR 1957, 595, 596 – Verwandlungstisch für das Patentrecht. Dazu kritisch Maximilian Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 3-16-147975-0, S. 197 ff.; Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 18 f.
  17. Vgl. illustrativ BGH, Urteil vom 28. September 1976, X ZR 22/75 = GRUR 1977, 107, 108 – Werbespiegel; BGH, Urteil vom 13. Juli 1977, I ZR 102/75 = GRUR 1978, 308, 308 – Speisekartenwerbung.
  18. Vgl. Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 6.
  19. Vgl. etwa Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 31 ff. Rn. 124 f. Dazu kritisch und mit weiteren Nachweisen zur Lehrmeinung Hoffmann, Die so genannte „Leerübertragung“ im Immaterialgüterrecht, 2014, op. cit., S. 7.
  20. Vgl. Scholz in Mestmäcker/Schulze, Urheberrecht, Stand: 55. AL 2011, § 31 Rn. 20; Ahrens in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 3 Rn. 9; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 8. Aufl. 2017, Rn. 1072; Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 4. Aufl. 2014, Vor §§ 31 ff. Rn. 124; J. B. Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 12. Aufl. 2018, Vor §§ 31 ff. UrhG Rn. 171, 174.
  21. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012, I ZR 162/09 = BGHZ 192, 285 = GRUR 2012, 910 – Delcantos Hits, Rn. 17.
  22. Vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012, I ZR 162/09 = BGHZ 192, 285 = GRUR 2012, 910 – Delcantos Hits, Rn. 18.
  23. Vgl. Scholz in Mestmäcker/Schulze, Urheberrecht, Stand: 55. AL 2011, § 31 Rn. 21.
  24. Vgl. Ahrens in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 3 Rn. 12; Scholz in Mestmäcker/Schulze, Urheberrecht, Stand: 55. AL 2011, § 31 Rn. 23.
  25. Vgl. Ahrens in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 3 Rn. 14.
  26. Vgl. J. B. Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 12. Aufl. 2018, Vor §§ 31 ff. UrhG Rn. 173; Ahrens in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 3 Rn. 10; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 8. Aufl. 2017, Rn. 1072.