Lore Segal

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Lore Segal (geboren als Lore Groszmann 9. März 1928 in Wien) ist eine US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin, Professorin und Autorin.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lore Groszmann wuchs behütet in der Josefstädterstraße 81–83 im achten Bezirk in Wien auf. Ihr Vater Ignatz Groszmann arbeitete von 1923 bis 1938 als Chefbuchhalter bei der Bank Kux, Bloch & Co. Die Mutter Franziska studierte von 1920 bis 1922 an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Klavier und war nach Lores Geburt Hausfrau und Mutter. Lore besuchte die Volksschulen in der Pfeil-, Lerchen- und Albertgasse und wurde als ausgezeichnete Schülerin beschrieben.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs verlor der Vater seinen Arbeitsplatz und die Familie wurde von der Gestapo aus ihrer Wohnung in der Josefstädterstraße geworfen. Sie zogen nach Fischamend um. Nach brutalen antisemitischen Übergriffen und Plünderungen wohnte Lore bei ihrer Freundin Ditta am Hernalser Gürtel und besuchte in der Währinger Straße 43 die „Judenschule“.

Lore Groszmann gehörte zu denjenigen Kindern, die zwischen Dezember 1938 und dem 1. September 1939 nach Großbritannien einreisen und so der Judenvernichtung im vom Deutschland eroberten Europa entgehen konnten. Der Begriff „Kindertransport“ ist auch in der Englischen Sprache mit dieser Hilfsaktion verbunden. Die Eltern Ignatz (Igo) und Franziska (Franzi) Groszmann verabschiedeten ihre zu dem Zeitpunkt zehnjährige Tochter am 10. Dezember 1938 am Wiener Westbahnhof. Auf diesem ersten Kindertransport reisten 500 Kinder nach Großbritannien. Viele Jahrzehnte später beschrieb sie iden Abend vor ihrer Abreise nach England: „Alle Cousins und Tanten kamen, um sich von mir zu verabschieden, darunter auch diese eine Tante, die Zwillinge hatte. Sie war sehr böse auf meine Eltern, weil sie es geschafft hatten, mich auf den Transport zu bringen, während sie mit ihren Zwillingen gescheitert war. [...] Dann kam der Augenblick, an dem mein Vater mich zwischen seine Knie nahm und sagte: Wenn du nun nach England kommst, musst du mit allen Engländern, die du triffst, sprechen und sie bitten, deine Mutter und mich und deine Großeltern heraus zu bekommen. Es dauerte nicht lange und ich hatte eine ganze Liste von Leuten, denen ich, eine Zehnjährige, versprach, sie vor Hitler zu retten.“

Lore kam bei einer Pflegefamilie in Liverpool unter. Sie verfasste in dieser Zeit unzählige Briefe und einen 36-seitigen Aufsatz, in dem sie ihre Fluchterlebnisse dokumentierte und der mithilfe der älteren Tochter der Pflegefamilie ins Englische übersetzt wurde. Lore lernte innerhalb von sechs Wochen Englisch und wurde Anfang 1939 Klassenbeste in der jüdischen Schule in Liverpool.

Über viele Umwege konnte erwirkt werden, dass auch ihre Eltern Wien entfliehen und in Südengland einen Posten als „married couple“ antreten konnten. Am Ende des Schuljahres zog Lore in die Kleinstadt Tonbridge in Kent, um in der Nähe der Eltern zu sein. Nach Kriegsausbruch wurde Igo Groszmann als „feindlicher Ausländer“ auf der Isle of Man interniert. Da Geflüchtete aus dem Dritten Reich nicht mehr in Küstennähe leben durften, zogen Lore und ihre Mutter nach Guildford. Als Gymnasiastin begann Lore Groszmann eigene Geschichten zu verfassen. Nach seiner Entlassung aus dem Internierungslager starb Igo Groszmann am 12. Juni 1944 im Alter von 49 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Die Mehrzahl ihrer Verwandten und deren Angehörigen wurde in der NS-Diktatur ermordet, ein kleiner Teil der Familie, u. a. auch ihre Großeltern, Josef und Rosa Stern, konnte in die Dominikanische Republik emigrieren.

Groszmann studierte am Bedford College der University of London und machte dort 1948 ihren Abschluss in Englischer Literatur. Sie lebte während des Studiums gemeinsam mit ihrer Mutter in einer Pension im Stadtteil Swiss Cottage, im Norden Londons. Die Mutter reiste 1947 in die Dominikanische Republik, um ihren Vater zu pflegen. Nach Abschluss ihres Studiums 1949 reiste Lore Groszmann ebenfalls in die Dominikanische Republik, wo sie zunächst als Zigarettenverkäuferin in einem Hotel, später als Englischlehrerin arbeitete. Nach dem Tod des Großvaters am 13. Februar 1950 wanderte Lore Groszmann gemeinsam mit ihrer Mutter, Großmutter sowie ihrem Onkel Paul Stern mithilfe eines Affidavits nach New York aus.

Von da an war ihre Familiensprache Englisch. Sie arbeitete als Sekretärin und begann Erzählungen zu schreiben. Die englische Schriftstellerin Jan Struther kommentierte Groszmanns Kurzgeschichten mit den Worten: „But that damn girl can write!“ 1961 heiratete sie David Segal, der als Lektor beim Verlag Knopf arbeitete, sie bekamen zwei Kinder, Beatrice (1962) und Jacob (1964). Die Familie wohnte auf der Upper West Side in Manhattan. David Segal starb 1970 im Alter von 41 Jahren an einem Herzinfarkt. Franziska Groszmann unterstützte ihre Tochter bei der Kinderbetreuung.

1968 bis 1978 war Lore Segal Professorin für Englisch an der Columbia University, später in Princeton, am Sarah Lawrence College und an der Ohio State University, an der sie 1996 emeritiert wurde.

Als Schriftstellerin wurde Lore Segal ab 1961 bekannt, als der „New Yorker“ ihren späteren Roman „Other People`s Houses“ (1964) in Serienform veröffentlichte. 36 Jahre später erschien das Buch, das mit starken autobiographischen Zügen Lores Fluchtgeschichte thematisiert, in deutscher Sprache unter dem Titel „Wo andere Leute wohnen“ (Picus Verlag, 2000). Ihr Roman „Her First American“ löste in den USA ein großes Medienecho aus. Carolyn Kizer, Rezensentin der „New York Times“ schrieb: „Lore Segal ist vielleicht näher dran als jede andere, den großen amerikanischen Roman zu schreiben.“[1]

Segal arbeitete auch als Autorin, Kommentatorin, Übersetzerin und Schriftstellerin von Kinderbüchern. Sie erhielt den Guggenheim-Preis. Ihre Rezensionen wurden in der New York Times veröffentlicht; ihre Essays im New Yorker. Ihre Erzählung The Reverse Bug gehörte zu den „Best American Short Stories“ und wurde 1989 mit dem Prize Stories 1990 – The O. Henry Award ausgezeichnet.

Segal spielte neben ihrer Mutter Franzi Groszmann 2000 in dem Film von Mark Jonathan Harris Kindertransport – In eine fremde Welt mit, der mit dem Oscar 2000 als beste Dokumentation ausgezeichnet wurde. Ihre Mutter Franzi Groszmann war die letzte Überlebende der Eltern, die hinter dem Kindertransport standen; sie verstarb 2005 100-jährig in Manhattan.

Lore Segal lebt in Manhattan und ist auch im hohen Alter als Schriftstellerin tätig.[2]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1988 spielte Segal in dem Film Crossing Delancey mit, mit einem Golden Globe ausgezeichnet wurde. 1996 spielte Segal in dem Dokumentarfilm My Knees Were Jumping: Remembering the Kindertransports. Der Film wurde mit einem Preis bei den Sundance Film Festival ausgezeichnet.

2006 wurde sie in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.[3]

Ihr Werk Shakespeare's Kitchen aus dem Jahr 2007, wurde im Jahr 2008 in der Kategorie Belletristik des Pulitzer-Preises nominiert.

2018 erhielt sie den Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil.

2023 wurde sie in die American Academy of Arts and Letters gewählt.[4]

Das Wiener Bezirksmuseum Josefstadt zeigt 2024/2025 eine Ausstellung über Lore Segal.

Werke (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Other People's Houses (1964)
    • Wo andere Leute wohnen. Übersetzung Sabine Illmer. Autobiographie 1938–1945. Picus, Wien 2003, ISBN 3-426-62089-8
  • Lucinella (1976)
  • Her first American (1985)
  • Shakespeare's Kitchen (2007)
  • Half The Kingdom (2013)
  • Ladies’ Lunch and Other Stories (2023)
  • mit Maurice Sendak: Märchen der Brüder Grimm. Diogenes 2000, ISBN 3-257-00866-X
  • Die dünne Schicht Geborgenheit : Short Stories. Übersetzung Ursula C. Sturm. Picus, Wien 2004, ISBN 3-85452-481-1

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Paul Pinchas Maurer: Lore Segal: Heimat und Fremde: das Leben und Schreiben einer österreichisch-amerikanischen Schriftstellerin, Jerusalem, 2020. ISBN 978-965-92856-0-0
  • Segal, Lore, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,2. Saur, München 1983, S. 1069
  • Hannah Spannring: Lore Segal – Ein translatorisches Porträt im Kontext Exil, Frank & Timme, Berlin 2022, ISBN 978-3-7329-0901-8

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Die Schriftstellerin Lore Segal. In: Wienmuseum. Abgerufen am 9. März 2024 (deutsch).
  2. Von Wien nach New York: Die Schriftstellerin Lore Segal. In: Der Standard. Abgerufen am 9. März 2024 (österreichisches Deutsch).
  3. Lore Segal. In: American Academy of Arts & Sciences. Abgerufen am 31. Mai 2023.
  4. 2023 Newly Elected Members. In: American Academy of Arts and Letters. Abgerufen am 31. Mai 2023.