Lynchmord von Ramallah

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Der Begriff Lynchmord von Ramallah steht für die Ermordung der israelischen Reservisten Vadim Nurzhitz und Yossi Avrahami durch einen palästinensischen Mob, die sich am 12. Oktober 2000 in der palästinensisch kontrollierten Stadt Ramallah im Westjordanland ereignete. Die Grausamkeit des Vorfalls, welcher von Mediaset, einem italienischen Fernsehteam, gefilmt wurde, sorgte international für Entsetzen.[1][2] Der Vorfall ereignete sich zu Beginn der Zweiten Intifada und führte zur Verschärfung der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis.[3][4]

Hergang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Am 12. Oktober 2000 wurden die beiden Reservisten, die als Fahrer tätig waren, von Polizisten der palästinensischen Autonomiebehörde festgenommen, nachdem sie auf einer Straße offenbar falsch abgebogen und versehentlich nach Ramallah gefahren waren. Sie wurden zunächst in die naheliegende Polizeistation gebracht und dort verhört. Währenddessen verbreitete sich in Ramallah das Gerücht, dass die festgenommenen Israelis Undercover-Agenten der israelischen Armee seien. Eine aufgebrachte Menge von mehr als 1000 Männern zog daraufhin vor die Polizeiwache. Nach Augenzeugenberichten versuchten einige Sicherheitskräfte, die Menge zurückzuhalten. Schließlich stürmten etwa ein Dutzend mit Messern und Metallstangen bewaffnete Männer das Polizeirevier, wo sie auf die Soldaten einstachen, einschlugen, ihnen die Augen und innere Organe herausrissen. Ein Polizist beteiligte sich an dem Mord.[5] Nach kurzer Zeit trat einer der Mörder ans Fenster der Polizeistation und zeigte der draußen stehenden Menge seine blutverschmierten Hände, welche ihm zujubelte. Ein am Tatort anwesendes italienisches Fernsehteam konnte filmen, wie der leblose Körper eines der beiden Soldaten aus dem Fenster des Polizeireviers geworfen wurde und eine Gruppe von draußen stehenden Männern sofort weiter auf den Toten einschlugen und eintraten.[6] Der Körper des anderen Soldaten wurde angezündet und durch die Straßen geschleift. Ein am Tatort anwesender britischer Fotograf versuchte nach eigenen Angaben, die Geschehnisse zu fotografieren. Dabei bedrohten ihn einige der Männer und zerschlugen seine Kamera. In seinem Bericht schrieb er wenige Tage später:[7]

„Dies war das Schlimmste, was ich je gesehen habe, und ich habe vom Kongo, Kosovo und vielen anderen schlimmen Orten berichtet. [...] Ich weiß, sie [die Palästinenser] sind nicht alle wie jene und ich bin eine sehr vergebungsbereite Person, aber dies werde ich nie vergessen. Es war ein Mord der barbarischsten Art. Wenn ich darüber nachsinne, sehe ich den Kopf des Mannes, alles zerschmettert. Ich weiß, ich werde bis zum Ende meines Lebens Alpträume haben.“

Mark Seager, Fotograf. The Sunday Telegraph, 15. Oktober 2000.

Während der Vorkommnisse versuchte die palästinensische Polizei, Journalisten Filmaufnahmen und Fotos von dem Übergriff abzunehmen.[8] Die Leichen der beiden Soldaten wurden nach einigen Stunden an einem Kontrollposten der israelischen Armee abgegeben.

Reaktion Israels[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Vorfall schockierte die israelische Öffentlichkeit und schwächte vor allem unter linksgerichteten Israelis das Vertrauen in den Friedensprozess.[9] Ministerpräsident Ehud Barak bezeichnete den Übergriff als „sehr schwerwiegend“ und sagte alle Termine ab. Ein Regierungssprecher machte die palästinensische Autonomiebehörde für den Übergriff verantwortlich. Kurz darauf beschossen israelische Kampfhubschrauber Ziele der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland und dem Gazastreifen, unter anderem zwei Polizeistationen, ein militärisches Hauptquartier, eine Radiostation und Gebäude nahe Jassir Arafats Regierungssitz.[4] Nach palästinensischen Angaben wurden dabei 27 Menschen verletzt.[8] Wenige Tage später nahmen israelische Einheiten mehrere Palästinenser fest, die unter Verdacht standen, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein.[10]

Reaktion der palästinensischen Autonomiebehörde[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine palästinensische Erklärung bezeichnete den Übergriff als „bedauernswert“, aber „verursacht durch israelisches Verhalten und die Verbrechen der Siedler“. Israel wurde vorgeworfen, durch seine Vergeltungsschläge den Palästinensern den „Krieg erklärt“ zu haben. Zudem wurde erneut die Vermutung geäußert, bei den getöteten Soldaten habe es sich um Undercover-Einheiten gehandelt. Gegen Abend erklärte Palästinenserpräsident Jassir Arafat: „Wir sind stark. Nichts wird unseren Marsch auf Jerusalem als Hauptstadt des palästinensischen Staates aufhalten.“[8]

Strafverfolgung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach seinem Amtsantritt wies der israelische Premierminister Ariel Scharon die israelischen Sicherheitsdienste an, die Lynchmörder zu finden und zu verhaften. Israel hat die Verantwortlichen daraufhin ausfindig gemacht:

  • Aziz Salha wurde im Jahr 2001 verhaftet. Er gab zu, einer derjenigen gewesen zu sein, die in die Polizeistation eingebrochen waren. Als er sah, dass seine Hände mit dem Blut des Soldaten beschmiert waren, ging er zum Fenster und zeigte der Menge unten stolz seine blutverschmierten Hände und ließ sich dabei fotografieren.[11] 2004 wurde er von einem israelischen Gericht wegen des Mordes an Nurzhitz zu lebenslanger Haft verurteilt.[12] Im Oktober 2011 wurde er im Rahmen des Gefangenenaustauschs gegen Gilad Shalit freigelassen.[13]
  • Muhammad Howara, ein militanter Tanzim, wurde 2001 verhaftet. Er gab zu, in eine Polizeistation eingebrochen zu sein und einen der Soldaten niedergestochen zu haben.[14]
  • Ziad Hamdada, ein Fatah-Tanzim-Aktivist, der die Leiche eines israelischen Reservisten angezündet hatte, wurde 2002 verhaftet. Er hatte ebenfalls an anderen Anschlägen auf israelische Streitkräfte teilgenommen und diese geplant.[14]
  • Mohamed Abu Ida, ein ehemaliges Mitglied der palästinensischen Polizei in Ramallah, wurde 2005 vom Shin Bet verhaftet. Im Laufe der Ermittlungen gab er zu, die beiden israelischen Soldaten zur Polizeistation in Ramallah geführt zu haben und sich danach den anderen Randalierern angeschlossen zu haben.[15]
  • Wisam Radi, ein palästinensischer Polizist, wurde von israelischen Sicherheitskräften verhaftet und 2005 vor einem Militärgericht angeklagt, Yosef Avrahami getötet und die Leiche von Vadim Nurzhitz misshandelt zu haben. Im Jahr 2010 wurde er vom Vorwurf des Mordes an Avrahami freigesprochen, weil ein entscheidendes Beweisstück vor Gericht nicht zugelassen wurde. Er wurde jedoch wegen der Verstümmelung der Leiche von Nurzhitz zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Berufungsgericht hob später die Entscheidung auf, ihn nicht wegen Mordes zu verurteilen, nachdem die Militärstaatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatte.[16]
  • Haiman Zabam, ein Tansim-Agent, wurde am 26. September 2007 von israelischen Fallschirmjägern verhaftet. Er hatte weitere Anschläge auf Israel geplant.[17]
  • Marwan Ibrahim Tawfik Maadi und Yasser Ibrahim Mohammed Khatab, zwei Hamas-Mitglieder, wurden vom Shin Bet und der israelischen Polizei bei der Zerschlagung eines Hamas-Netzwerks in Ramallah und in der Region Mateh Benjamin festgenommen. Während des Verhörs gestanden sie ihre Beteiligung an dem Lynchmord und im August 2012 wurden sie vor einem Militärgericht angeklagt.[16][18]

Weblink[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. BBC News | MIDDLE EAST | Lynch mob's brutal attack. In: news.bbc.co.uk. 13. Oktober 2000, abgerufen am 24. Februar 2024.
  2. ZDF-Reporter: Mob in Ramallah zog brennende Leiche über die Straße (Memento vom 1. Dezember 2016 im Internet Archive) RP online 12. Oktober 2000
  3. Der Krieg rückt näher. In: Die Zeit. Abgerufen am 14. Februar 2022.
  4. a b Anna-Patricia Kahn: Auge um Auge, Wahn um Wahn. In: Focus. Abgerufen am 14. Februar 2022 (zuletzt bearbeitet am 13.11.2013).
  5. Redaktion: Former PA Cop Convicted in Lynch of IDF Reservists. In: Haaretz. 27. August 2003, abgerufen am 14. Februar 2022.
  6. sauerkraut28: palestines lynch israelis- the ramallah lynch auf YouTube, 20. Juni 2010, abgerufen am 25. Februar 2024 (Youtube – Filmaufnahmen des Lynchmordes von Ramallah auf dem israelischen Sender Channel 2; Laufzeit: min).
  7. @1@2Vorlage:Toter Link/www.highbeam.comwww.highbeam.com/doc/1P2-19211003.html (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Februar 2020. Suche in Webarchiven) The Sunday Telegraph - 15. Oktober 2000
  8. a b c Alain Philips: A day of rage, revenge and bloodshed. In: The Daily Telegraph. 13. Oktober 2000, abgerufen am 14. Februar 2022.
  9. @1@2Vorlage:Toter Link/www.independent.co.uk (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Februar 2024. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  10. Wegen Lynchmorden: Israel nimmt verdächtigte Palästinenser fest. In: Spiegel Online. 18. Oktober 2000, abgerufen am 10. Juni 2018.
  11. Alan Philips: Lynch mob suspects held by Israelis. In: The Telegraph. 26. Juni 2001, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).
  12. Palestinian man gets life sentence for killing Israeli soldier. In: ABC News. 23. November 2004, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).
  13. Chaim Levinson: Shalit Deal to Set Free Perpetrators of 2000 Lynching of IDF Reservists. In: Haaretz. 16. Oktober 2011, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).
  14. a b Arrest of Fatah Tanzim Terrorists from Ramallah. In: Israel Ministry of Foreign Affairs. 22. April 2002, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).
  15. Efrat Weiss: Ramallah lynch suspect arrested. In: ynet news. 3. August 2005, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).
  16. a b Chaim Levinson: IDF Court Convicts Palestinian of Lynching Israeli Soldier in 2000. In: Haaretz. 10. August 2012, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).
  17. Yaakov Katz: Israel waits on US, EU to launch probe. In: The Jerusalem Post. 13. Juni 2010, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).
  18. Yoav Zitun: 2 Ramallah lynch perpetrators arrested. In: ynet news. 8. September 2012, abgerufen am 7. April 2024 (englisch).