Massilia (Schiff)

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Massilia
Massilia um 1930 in Bordeaux
Massilia um 1930 in Bordeaux
Schiffsdaten
Flagge Frankreich Frankreich
Schiffstyp Passagierschiff
Rufzeichen FOTN[1]
Heimathafen Bordeaux
Reederei Compagnie de Navigation Sud-Atlantique
Bauwerft Forges et Chantiers de la Méditerranée, La Seyne-sur-Mer
Baunummer 1061
Stapellauf 30. April 1914
Indienststellung 8. Oktober 1920
Verbleib 22. August 1944 versenkt
Schiffsmaße und Besatzung
Länge 182,90 m (Lüa)
Breite 19,50 m
Tiefgang (max.) 8,08 m
Vermessung 15.363 BRT, 6.151 NRT
 
Besatzung 410
Maschinenanlage
Maschine 4 × Dreifach-Expansionsmaschinen + Abdampf-Turbinen
Maschinen­leistung 26000 PSi
Höchst­geschwindigkeit 20,0 kn (37 km/h)
Propeller 4
Transportkapazitäten
Tragfähigkeit 6150 tdw
Zugelassene Passagierzahl 1.000

Die Massilia war ein französisches Passagierschiff der Compagnie de Navigation Sud-Atlantique, das 1914 vom Stapel lief. Bekannt wurde sie dadurch, dass sie während der militärischen Niederlage 1940 politische Persönlichkeiten in die Gebiete Französisch-Nordafrikas transportierte. Sie wurde 1944 von der deutschen Wehrmacht versenkt.[2]

Das Schiff[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Massilia wurde bei der Werft Forges et Chantiers de la Méditerranée 1914 in La Seyne-sur-Mer als Schwesterschiff der Lutetia und der Gallia gebaut. Nach dem Stapellauf 1914 wurde der Bau durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen und erst im September 1920 fertiggestellt. Nach der Ablieferung am 8. Oktober startete sie am 30. Oktober zur Jungfernfahrt an die Ostküste Südamerikas.[3]

Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde sie von der Compagnie de Navigation Sud-Atlantique auf der Südatlantiklinie (Bordeaux – Lissabon – Rio de Janeiro – Santos – Montevideo – Buenos Aires) eingesetzt.[4]

Rolle in der Exilbewegung in Spanien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Schiff ist in der Geschichte des republikanischen Exils Spaniens bekannt, da es zahlreichen intellektuellen und künstlerischen Persönlichkeiten des antifranquistischen Regimes wie der Schriftstellerin Elena Fortún[5] und dem Maler Manuel Ángeles Ortiz[6] die Ausreise nach Südamerika ermöglichte. Die Reise begann am 19. Oktober 1939 im Hafen von La Pallice in La Rochelle und endete am 5. November 1939 in Buenos Aires.[7]

Nach Beginn des Krieges wurde die Massilia im April 1940 als Truppentransporter eingesetzt.[3]

Sommer 1940[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Passagierliste 1
Passagierliste 2

Am 17. Juni 1940 spaltete sich die Regierung Reynaud, die sich nach Bordeaux zurückgezogen hatte, in einer Sitzung des Ministerrats. Auf der einen Seite standen Reynauds Anhänger, die eine Fortsetzung des Kampfes außerhalb des Mutterlandes befürworteten und auf der anderen Seite die Befürworter eines Waffenstillstands, vertreten durch Philippe Pétain. Reynaud wurde überstimmt und durch Pétain an der Spitze einer neuen Regierung ersetzt.

Die Idee, Regierungsmitglieder und Parlamentarier nach Nordafrika zu schicken, wurde jedoch nicht aufgegeben. Der Präsident der Republik, Albert Lebrun, war beispielsweise der Ansicht, dass „die Regierung bei freien Verhandlungen (über einen Waffenstillstand) immer den Vorteil haben wird, sich außerhalb der Reichweite der feindlichen Truppen zu befinden“.[8] Am Ende bestiegen am 21. Juni 1940 allerdings nur wenige Politiker die Massilia nach Casablanca, darunter 27 Parlamentarier.

Die Abreise 1940 wurde von Édouard Barthe[9] organisiert. Möglicherweise hätten sich mehr Freiwillige gefunden, wenn die Information früher bekannt geworden wäre und Pétain nicht allen ausreisenden Regierungsmitgliedern verboten hätte, die Stadt zu verlassen.

Die bekanntesten Passagiere waren:

Andere Abgeordnete wie der ehemalige Ministerpräsident Édouard Herriot oder Louis Marin entschieden sich kurzfristig dafür, nicht an Bord zu gehen.

Die Massilia, die im Hafen von Verdon unterhalb von Bordeaux lag, blieb zunächst einen Tag lang blockiert, da die Hafenarbeiter aus Feindseligkeit gegen die Abgeordneten streikten. Sie lief erst am 21. Juni 1940 aus, vier Tage nach der Bildung der Regierung Pétain und einen Tag vor der Unterzeichnung des Waffenstillstands.

An Bord des Schiffes befanden sich 100 Zivilisten, der Rest der 500 Passagiere waren Soldaten und Seeleute. In der damals herrschenden antiparlamentarischen Stimmung wurde die unerwartete Ankunft besonders negativ aufgenommen. Pfiffe und Beschimpfungen der Besatzung empfingen die als „Drückeberger“ verdächtigten. Die Unzufriedenen waren wenig empfänglich für das Argument, dass eine Regierung unter dem Druck des Feindes keine ruhigen Entscheidungen treffen könne. Das Schiff traf erst drei Tage später, am 24. Juni, in Casablanca ein, da einige Abgeordnete Zuflucht in England suchen wollten und das Schiff auf See auf die Genehmigung des britischen Konsuls warten musste, die nicht erteilt wurde.

Bei ihrer Ankunft wurden sie am Kai von einer feindseligen Menschenmenge erwartet und die Passagiere wurden vom Generalresidenten Noguès zu ihrem Schutz in einem großen Hotel in Casablanca untergebracht. Für den Politiker Raymond Forni war dies allerdings die Folge eines Gegenbefehls von Admiral Darlan.[30] Die Offiziere, die als mobilisiert galten, Pierre Mendès France, Pierre Viénot, Alex Wiltzer und Jean Zay, wurden von den neuen Machthabern am 31. August 1940 in Casablanca verhaftet, ins Mutterland zurückgebracht und wegen „Fahnenflucht vor dem Feind“ vor das Militärgericht von Clermont-Ferrand gestellt. Drei von ihnen wurden am 4. Oktober 1940 zu Gefängnisstrafen und zehn Jahren Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.

Am 18. Juli 1940, sieben Tage nach der Abstimmung über die Vollmachten für Marschall Pétain, durften die übrigen 23 Parlamentarier nach Frankreich zurückkehren. Die an Bord befindlichen Parlamentarier gehörten fast ausnahmslos der Linken oder der linken Mitte an und waren daher bei den Debatten und der Abstimmung nicht anwesend. Einige von ihnen, wie Édouard Daladier und Georges Mandel, wurden vom Vichy-Regime für die Niederlage verantwortlich gemacht und zusammen mit anderen Offizieren, wie General Maurice Gamelin, 1942 im Prozess von Riom vor Gericht gestellt. Die Urteile wurden 1946 aufgehoben.

Die Massilia diente anschließend als Truppentransporter des Vichy-Regimes zwischen Frankreich und Nordafrika.[4] Nach der Rückkehr wurde die Massilia in Marseille aufgelegt, Im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1940 führte sie eine Repatriierungsfahrt nach Liverpool und zurück durch und wurde anschließend erneut aufgelegt. Auf Grundlage des Laval-Kaufmann-Abkommen übernahmen die Deutschen am 22. November 1942 das Schiff. Ab Februar 1944 nutzten sie es als stationäres Lazarettschiff.[1] Am 22. August 1944 wurde die Massilia von den Deutschen in Marseille als Blockschiff versenkt, um den Hafen zu versperren.[4] Nach dem Krieg wurde das Wrack gehoben und verschrottet.[3]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Arnold Kludas: Die großen Passagierschiffe der Welt. Eine Dokumentation. Band II: 1913–1923. Stalling Verlag; Oldenburg, Hamburg 1973, ISBN 3-7979-1832-1.
  • Reinhart Schmelzkopf: Fremde Schiffe in deutscher Hand 1939–1945. Strandgut-Verlag, Cuxhaven 2004, DNB 972151001.
  • Christiane Rimbaud: L’Affaire du Massilia – été 1940 (= Histoire). Éditions du Seuil, 1984, ISBN 978-2-02-006764-5.
  • L’invasion 1940. Éditions Tallandier, 1978.

Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Juin 1940 : le piège du « Massilia », Virginie Linhart, 2011[31]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Massilia (ship, 1914) – Sammlung von Bildern und Videos

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b alle technischen Angaben aus: Schmelzkopf: Fremde Schiffe in deutscher Hand 1939–1945, S. 148f.
  2. Rimbaud 1984
  3. a b c Kludas: Die großen Passagierschiffe der Welt. Eine Dokumentation. Band II: 1913–1923, S. 20
  4. a b c Massilia, paquebot de la Compagnie de navigation Sud-Atlantique. In: Maitres du vent. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  5. Elena Fortún. In: Leer. Abgerufen am 13. März 2024 (spanisch).
  6. Manuel Ángeles Ortiz. In: Biografías y Vidas. Abgerufen am 13. März 2024 (spanisch).
  7. Buenos Aires conmemora la llegada de los exiliados españoles en el Massilia. In: LARegion international. 6. November 2009, abgerufen am 13. März 2024 (spanisch).
  8. L’invasion, 1978
  9. Edouard Barthe. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  10. Marcel, Louis, Charles Brout. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  11. César, Sampiero, Auguste, Napoléon, Jérôme Campinchi. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  12. Angaben zu Hélène Campinchi in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  13. Gabriel, Emile Delattre. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  14. Joseph, Paul, Emile, Marie Denais. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  15. Galandou Diouf. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  16. Marius, Casimir Dubois dit Marius-Dubois. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  17. André, Adolphe, François Dupont. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  18. Léandre Dupré. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  19. Jean-Marie Guastavino. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  20. Georges Lévy-Alphandéry. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  21. Camille, Antoine Perfetti. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  22. Bernard Quénault de la Groudière. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  23. Angaben zu Alexandra Roubé-Jansky in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  24. Angaben zu Antoinette Sasse in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
  25. Jammy Schmidt. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  26. Jean-Marie Thomas. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  27. Marie Tony-Révillon. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  28. Pierre Viénot. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  29. Alex Wiltzer. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 13. März 2024 (französisch).
  30. Rede von Raymond Forni auf dem internationalen Kolloquium in der Nationalversammlung „Le 18 juin, combats et commémorations“ (Der 18. Juni, Kämpfe und Gedenkfeiern), 22. Juni 2000.
  31. Massilia bei IMDb