Neolithisierung Europas

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Neolithisierung Europas

Als Neolithisierung Europas (von altgriechisch νέος neos „neu, jung“ und λίθος lithos „Stein“) wird die Verbreitung des Ackerbaus und der Viehhaltung seit Beginn des Neolithikums (Jungsteinzeit) bezeichnet. Der Ursprung dieser neuen Lebensweise liegt im fruchtbaren Halbmond und begann sich von hier aus innerhalb vergleichsweise sehr kurzer Zeiträume nach Europa auszudehnen. Dies und ähnlich rasante Entwicklungen (Verbesserung der Werkzeugtechnologien; Explosion der Populationsdichte; Emigrationen) inspirierten Gordon Childe zur Bildung des Begriffes der Neolithischen Revolution.

Ursachen der Neolithisierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Viele Autoren sehen die drastischen Klimaveränderungen am Ende der letzten Eiszeit als Auslöser für den Beginn von Ackerbau und Viehzucht im Vorderen Orient (Fruchtbarer Halbmond). Demnach kam es dort während des milden Alleröd-Interstadials zu Umweltbedingungen, die die weitere Ausbreitung der menschlichen Spezies erheblich begünstigten: die Gazellenherden vermehrten sich stark in den üppig gedeihenden Graslandschaften und in der Folge auch die menschliche Bevölkerung. Aufgrund des permanent ausreichenden Nahrungsangebotes waren die Jäger und Sammler nicht mehr gezwungen, regelmäßig ihren Wohnsitz zu wechseln, sodass einige Gruppen zur Sesshaftigkeit wechselten. Dies führte im Laufe der Zeit zur Überjagung der Wildbestände. Das reichliche Vorkommen wilder Getreidearten bot jedoch die Möglichkeit, die sesshafte Lebensweise nicht wieder aufgeben zu müssen, sodass sie sich über Generationen festigen konnte.[1] Dieser Schritt ist noch keine Landwirtschaft, sondern bedingt vom Anlegen großer Vorräte an Wildgetreide zur Überbrückung der kalten Jahreszeiten.

Höhlenzeichnung von Les Dogues, etwa 6100–5600 v. Chr. Eine 11 (?) Mann starke Gruppe von Kämpfern (links) im Konflikt mit einer anderen Partei (rechts), die 18 Kämpfer umfasst.

Ursprung und Ausbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Wurzeln der Neolithisierung Europas liegen im Fruchtbaren Halbmond. Der Ackerbau verbreitete sich von dort aus in alle Richtungen, in denen geeignete Böden zur Verfügung standen:

Der Verlauf der Neolithisierung, die im Wesentlichen aus dem jeweils regionalen Wechsel von der ursprünglich aneignenden Wirtschaft zur agrikulturell produzierenden Wirtschaftsweise besteht, ist nicht abschließend geklärt. Nicht nur vollzog sich dieser Prozess über Jahrtausende laufender Aus- bzw. Einwanderungsbewegungen unter immer wieder anderen Umweltverhältnissen (lokal spezifische Ressourcen, Klima), sondern meist auch anhand gegenseitiger Beeinflussung wenn nicht Verdrängung der bis dato etablierten Kulturen, Genome, Sprachen, Mythen, Kosmogonien.

Merkmale der Neolithisierung Europas[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Entwicklung von Keramik ist eines der Merkmale der Neolithisierung

Kennzeichen des Neolithikums ist die Vorratshaltung mit dem Gebrauch von Keramik sowie die Bildung erster politischer Organisationen, die Errichtung von Megalith-Anlagen wie ursprünglich jener bei Göbekli Tepe, Sesshaftwerdung, der Anbau geeigneter Pflanzen und die Nutztierhaltung. Auch die seit Jahrhunderttausenden beherrschte Technik des Herstellens von Steinwerkzeug erreichte während des Neolithikums einen neuen Höhepunkt.

Im Wesentlichen wurde Europa auf zwei Routen neolithisiert: die Donau aufwärts und über das westliche Mittelmeer. Für Mitteleuropa gilt schon lange die Kolonisation durch einwandernde Bandkeramiker als gesichert. Bandkeramik ist von der Ukraine bis ins Pariser Becken verbreitet, vor allem fruchtbare Lössböden wurden von dieser Agrarkultur besiedelt. In einem ersten Schritt breitet sie sich etwa 5600 bis 5400 v. Chr. von Westungarn bis ins Rhein-Main-Gebiet aus, in einem zweiten bis ins Pariser Becken, aber auch weit nach Osten.

Ob sich die ausbreitenden, auf bäuerlicher Arbeit beruhenden Kulturen nach und nach aus denen einheimischer Jäger und Sammler entwickelten (sog. Akkulturation) oder durch einwandernde Kolonisten entstanden, ist archäologisch nur in seltenen Fällen auszumachen. Zvelebil etwa entwickelte zu diesem Zweck (Datum: 2000) sieben unterschiedliche Modelle, die von einer klaren Verdrängung einheimischer Jäger und Sammler durch Zuwanderer bis hin zur kulturellen Anpassung der ursprünglichen Bevölkerung reichen.[2] Untersuchungen an genetischem Material neolithischer Herkunft ergaben freilich, dass die beiden Extreme des Modells in der Realität kaum feststellbar sind: Selbst für den Fall, dass männliche Jägergruppen vollständig verdrängt worden wären, dürften sich mindestens einige ihrer Frauen samt der in Obhut befindlichen Kinder den verantwortlichen Neuankömmlingen angeschlossen und entsprechend genetische Spuren hinterlassen haben. Insofern geht die aktuelle Forschung immer von einer gemischten Zuwanderung aus: sowohl durch größere Gruppen als auch Einzelpersonen, wobei sich regional deutliche Unterschiede ergaben.[3]

Ob die bandkeramische Besiedlung Mitteleuropas durch Zuwanderer oder Akkulturation entstand, wurde in jüngster Zeit anhand genetischer Untersuchungen zu bestimmen versucht.[4] Sicher war bisher nur, dass alle Rinder der Gegenwart Europas aus Anatolien stammen, also keine Nachkommen gezähmter europäischer Auerochsen sind. Seit den genetischen Untersuchungen der Forschungsgruppe um Barbara Bramanti von der Universität Mainz zeichnet sich scheinbar ab, dass Viehzucht und Ackerbau im Neolithikum von Einwanderern aus dem Karpatenbecken vor etwa 7500 Jahren nach Mitteleuropa mitgebracht wurden, da weder das Genmaterial des Saatgetreides noch das der domestizierten Tiere den mitteleuropäischen Wildformen entstammt. So scheinen diese genetischen Analysen den Nachweis erbracht zu haben, dass die neolithische Bevölkerung nicht aus den Nachfahren der einst ansässig gewesenen eiszeitlichen Jäger und Sammler bestand. Allerdings lässt das Genom der in Mitteleuropa heimisch gewordenen Nutzpflanzen und -tiere keine Rückschlüsse darauf zu, ob hier nicht Jäger zuerst Saat- wie Viehbestände mancher der ankommenden Bauern übernahmen und dann deren Kultur, um sich noch später mit ihnen zu vermischten, wie es das Genom der anschließenden Bevölkerung des Neolithikums nahelegt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich auch die Menschen der seitdem etablierten Bauernkulturen keineswegs unbeeinflusst zur heutigen Bevölkerung Europas vermehrten, vielmehr wurde sie der Genetik nach insbesondere männlicherseits fast vollständig verdrängt. Wohin dieser Teil der damaligen Bevölkerung verschwand, ist ungeklärt (genetische Marker dafür wurden noch nicht gefunden),[5] aber es gibt deutliche genetische Signale, dass die aus den Steppen des Ostens äußerst erfolgreich einfallende Reiterkultur der Jamnaja sie weitgehend ersetzte.

Schon ca. 2 bis 3 tausend Jahre früher, nämlich seit 5900/5800 v. Chr., wurden die Küsten des westlichen Mittelmeers von Bauern besiedelt. Von hier aus erreichten bestimmte Kulturpflanzen und -merkmale auch die Gebiete nördlich der Alpen. In welchem Zusammenhang frühe Ackerbauspuren im Alpenvorland stehen, die bereits um 6900 v. Chr. nachweisbar sind, ist für nicht wenige Archäologen rätselhaft, da die sicher fassbaren neolithischen Kulturen damals noch auf den Orient und das östliche Mittelmeer beschränkt waren. Läge von dieser Seite her kein Einfluss vor, ließe sich demnach der Fall eines unabhängigen Ereignisses der Art konstatieren, dass ursprüngliche Gruppen von Jägern und Sammlern von sich aus die Kulturtechnik der Landwirtschaft entwickelten und – zumindest in den Kontexten der großvolumigen Speicherung gesammelter Erträge – auch zur Sesshaftigkeit gewechselt wären. Gleiches ist annehmbar für die nachgewiesene Neolithisierungen weit entfernter Weltgegegenden, so in bestimmten Gebieten Chinas sowie Mittelamerikas.

In der nordeuropäischen Tiefebene, in Skandinavien und auf den Britischen Inseln begann sich die Neolithisierung erst nach 4500 v. Chr. durchzusetzen; ihr Höhepunkt um 1300 v. Chr. wurde mit der letzten und beeindruckendsten der ungefähr 7 Bauversionen des Megalithmonuments von Stonehenge erreicht. Unter Umständen entwickelte diese Kultur während dieser Zeit eigenständig die Herstellung von Bronze (s. die naheliegende Zinnmine Cornwalls), trug insofern also ggf. selbst zum Ausklang des Neolithikums in Europa bei.

Nordafrika[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Archäologische Belege deuten darauf, dass der Übergang vom Jagen und Sammeln zur Landwirtschaft im Nordwesten Afrikas vor etwa 7.400 Jahren stattfand. Die Landwirtschaft wurde durch neolithische Einwanderer aus Europa (Spanien) eingeführt. Als Forscher Genome menschlicher Überreste, die in Marokko und im Nordwesten Afrikas geborgen wurden, analysierten, stellten sie fest, dass die lokale Jäger- und Sammlerpopulation seit mindestens 8.000 Jahren isoliert war. Die Forscher entdeckten eine genetische Abstammung im Zusammenhang mit europäischen Bauern, die auf etwa 5.500 v. Chr. datiert wird. Die beiden Gruppen lebten mindestens ein Jahrtausend Seite an Seite. 4.300 v. Chr. kamen dann Nomaden aus der Levante in die Region.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Pablo Arias: The origins of the Neolithic along the Atlantic coast of continental Europe: a survey In: Journal of World Prehistory. Band 13, Nr. 4, 1999, S. 403–464 (PDF).
  • Detlef Gronenborn, Jörg Petrasch (Hrsg.): Die Neolithisierung Mitteleuropas. Verlag Schnell + Steiner, Regensburg 2010, ISBN 978-3-7954-2424-4.
  • Eszter Bánffy: The 6th Millennium BC boundary in western Transdanubia and its role in the Central European Neolithic transition (the Szentgyörgyvölgy-Pityerdomb settlement). Varia Arch. Hungarica. Band 15. Budapest 2004, ISBN 963-7391-85-1.
  • Marion Benz: Die Neolithisierung im Vorderen Orient. Ex oriente, Berlin 2000, ISBN 3-9804241-6-2.
  • Detlef Gronenborn: Überlegungen zur Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschaft in Mitteleuropa – Versuch einer kulturhistorischen Interpretation ältestbandkeramischer Silexinventare. In: Praehistorische Zeitschrift 69. Berlin 1994, ISSN 0079-4848, S. 135–151.
  • Ian Hodder: The Domestication of Europe. Blackwell, Oxford 1990, ISBN 0-631-17769-8.
  • Silviane Scharl: Die Neolithisierung Europas. Ausgewählte Modelle und Hypothesen. Marie Leidorf, Rahden Westf 2004, ISBN 3-89646-072-2.
  • Wolf-Dieter Steinmetz: Die Bedeutung Südosteuropas für die Neolithisierung in Mitteleuropa In: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte Bd. 52/1983 Lax Hildesheim
  • Andreas Tillmann: Kontinuität oder Diskontinuität? Zur Frage einer bandkeramischen Landnahme im südlichen Mitteleuropa. In: Archäologische Informationen 16. Bonn 1993, ISSN 0341-2873, S. 157–187.
  • Brigitte Volkhausen: Ethnographische Parallelen und Vergleiche zum Prozess der Neolithisierung. P. Lang, Frankfurt/M. 1994, ISBN 3-631-47112-2.
  • Hans-Peter Uerpmann: Von Wildbeutern zu Ackerbauern – Die Neolithische Revolution der menschlichen Subsistenz. (PDF; 1,3 MB) In: Mitteilungen der Gesellschaft für Urgeschichte 16. 2007, S. 55–74, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. September 2011;.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Marion Benz: Die Neolithisierung im Vorderen Orient. Ex oriente, Zweite, kaum veränderte Auflage, Berlin 2008. ISBN 3-9804241-6-2. pdf-Version, S. 13, 25–27, 63, 105–110, 136, 146.
  2. M. Zvelebil: The social context of the agricultural transition in Europe. In: C. Renfrew, K. Boyle (Hrsg.): Archaeogenetics: DNA and the population prehistory of Europe. 2000. S. 57–59.
  3. Martin Richards: The Neolithic transition in Europe: archaeological models and genetic evidence. (PDF; 148 kB) In: Documenta Praehistorica 30. 1. Januar 2003, S. 159–167, abgerufen am 14. Januar 2020 (englisch).
  4. Anthropologie: Bauern waren sexy. In: Focus Online. 19. Januar 2010, abgerufen am 14. Januar 2020.
  5. Andrea Naica-Loebell: Die ersten europäischen Bauern waren Migranten. In: telepolis. 5. September 2009, abgerufen am 5. September 2009.
    B. Bramanti u. a.: Genetic Discontinuity Between Local Hunter-Gatherers and Central Europe’s First Farmers. In: Science. Band 326, Nr. 5949, 2. Oktober 2009, S. 137–140, doi:10.1126/science.1176869, PMID 19729620.
  6. Simões, L.G., Günther, T., Martínez-Sánchez, R.M. et al.: Northwest African Neolithic initiated by migrants from Iberia and Levant. In: Nature. Nr. 618, 2023, S. 550–556, doi:10.1038/s41586-023-06166-6.