Null hoch null

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Null hoch null (00) ist in der Mathematik nicht eindeutig bestimmt. Die Frage, ob und auf welche Weise dem Ausdruck ein eindeutiger Wert zugeordnet werden kann, hat die Mathematiker spätestens seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigt.

Mögliche Definitionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt zwei naheliegende Werte, die man zuweisen könnte:

  • , weil für beliebige ,
  • , weil für beliebige .

In weiten Teilen der Mathematik setzt man , denn dann funktionieren viele Formeln auch für die Grenzfälle 0, die man sonst ausschließen oder speziell behandeln müsste, siehe zum Beispiel unten die Ausführungen zur binomischen Formel. Es gibt aber auch moderne Analysislehrbücher[1], die die Potenz (in dieser Form) ausdrücklich undefiniert lassen. Die Frage nach einem Beweis für stellt sich nicht, denn die üblichen Definitionen für versagen für . Es sind praktische Erwägungen, die eine Definition nahelegen.

Null hoch null als Grenzwert[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Graph der Funktion für und unter besonderem Augenmerk auf die Umgebung von , in welcher (senkrechten) Geraden die Fläche endet. Die far­bi­gen Kurven zeigen ver­schie­den­e Annäherun­gen an (0;0) mit ver­schie­de­nen Grenzwerten für . Rot dargestellt ist u. a. die Gerade entsprechend sowie der Strahl für .

Die nebenstehende Abbildung veranschaulicht in ihrer 3D-Darstellung des Graphen die Funktion . Für konvergiert die Fläche auf eine senkrechte Halbgerade. Dies bedeutet, dass beliebige Werte durch geeignete Wahl von Näherungspunkten an den Ursprung (rote Linien) erreicht werden können. So ist z. B.

  1. ,
  2. ,

  3.   mit , und ,
  4. und
  5. .

Die Beispiele zeigen, dass die Funktion an der Stelle divergiert, denn ein Grenzwert von der Art  existiert offensichtlich nicht.

Ein Ausdruck, der unter dem Zeichen des Grenzwertes steht und der sich nicht auf Grund von Grenzwertsätzen und Stetigkeitseigenschaften berechnen lässt, heißt unbestimmter Ausdruck. Beispiele sind sowie . Letzterer Ausdruck entsteht bei Berechnungen von Potenzen, deren Basis und Exponent gleichzeitig gegen geht, und kann nicht bestimmt werden, wenn es keine Beziehung zwischen den beiden gibt.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis Anfang des 19. Jahrhunderts haben Mathematiker anscheinend gesetzt, ohne diese Festlegung genauer zu hinterfragen. Augustin-Louis Cauchy listete allerdings gemeinsam mit anderen Ausdrücken wie in einer Tabelle von unbestimmten Ausdrücken.[2] 1833 veröffentlichte Guillaume Libri eine Arbeit,[3] in der er wenig überzeugende Argumente für präsentierte, die in der Folge kontrovers diskutiert wurden. Zur Verteidigung von Libri veröffentlichte August Ferdinand Möbius einen Beweis seines Lehrers Johann Friedrich Pfaff, der im Wesentlichen zeigte, dass  gilt, und einen angeblichen Beweis für  , falls  gelten, lieferte.[4] Die Korrektheit dieses Beweises wurde durch das Gegenbeispiel und rasch widerlegt.

Donald E. Knuth erwähnte 1992 im American Mathematical Monthly die Geschichte der Kontroverse und lehnte die Schlussfolgerung entschieden ab, dass undefiniert gelassen wird.[5] Wenn man den Wert 1 für die Potenz nicht voraussetzt, verlangen viele mathematische Aussagen wie zum Beispiel der binomische Satz

eine Sonderbehandlung[6] für die Fälle (am Index ) oder (am Index ) oder (bei ).

Ebenso kommt die Potenz in Potenzreihen wie beispielsweise für die Exponentialfunktion

für am Index oder in der Summenformel für die geometrische Reihe

für am Index vor. Auch hier hilft die Konvention .

Die angeführten Anwendungsfälle der Potenz sind (wie außerordentlich viele ähnliche andere) Aussagen über Polynome, Multinome oder Potenzreihen, bei denen der Exponent des Terms konstant 0 ist und die Basis – eher ausnahmsweise – den Wert 0 annehmen kann. In allen diesen Fällen sind die vorkommenden Terme stetige Summanden oder Faktoren, die für invertierbares den Wert 1 haben, deren Wert dann auch für die Lücke mühelos (und ganz im Sinn von ) als 1 stetig ergänzt werden kann.

Donald Knuth differenziert jedoch und schreibt: “Cauchy had good reason to consider as an undefined limiting form” (deutsch etwa: Cauchy hatte guten Grund, als unbestimmten Limes-Ausdruck zu betrachten), wobei er unter der limiting form Grenzprozesse der Form versteht, bei denen sich sowohl die Basis wie der Exponent für ein gewisses der 0 beliebig nähern.

Mit dieser Maßgabe von Knuth sind die einfachen Fälle der Absolutglieder in Polynomen und Potenzreihen unmittelbar und pauschal gelöst, ohne dass es zu einem Konflikt mit einer detaillierten Betrachtung komplizierterer Grenzprozesse käme.

Mengenlehre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Mengenlehre wird eine Potenz zweier Mengen als Menge aller Funktionen von nach definiert, das heißt als Menge von Mengen geordneter Paare , sodass es zu jedem genau ein gibt mit . Bezeichnet man mit die Mächtigkeit von , so gilt (für endliche Mengen, aber auch darüber hinaus), was die Potenzschreibweise für Mengen rechtfertigt.[7] Nun gibt es genau eine auf der leeren Menge definierte Funktion, das heißt Menge von Paaren mit obiger Eigenschaft, nämlich . Daher gilt , was auch für richtig bleibt.

Die natürlichen Zahlen werden in der Mengenlehre rekursiv wie folgt definiert (siehe von Neumanns Modell der natürlichen Zahlen):

Demnach gilt in der Mengenlehre:

.

Das ist ein Beweis für in der Kardinalzahlarithmetik. Das hilft in der obigen Diskussion nicht weiter, denn dort haben wir es mit reellen Zahlen tun.

Datenverarbeitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Programmiersprache C liefert die Potenzfunktion pow() aus der Funktionsblibliothek math.h für pow(0,0) den Wert 1.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. erarb. von Günther Reinelt. Unter Mitw. von Carsten Kreutz: Lambacher Schweizer – Mathematik für die Fachhochschulreife / [Hauptbd.]. Gesamtband. 1. Auflage. Klett-Schulbuchverl, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-12-732691-8.
  2. Augustin-Louis Cauchy: Analyse algébrique. Die Tabelle mit den unbestimmten Ausdrücken ist auf Seite 69.
  3. Guillaume Libri: Mémoire sur les fonctions discontinues. In: Journal für die reine und angewandte Mathematik, 10, 1833, S. 303–316.
  4. August Ferdinand Möbius: Beweis der Gleichung , nach J. F. Pfaff. In: Journal für die reine und angewandte Mathematik, 12, 1834, S. 134–136.
  5. Donald E. Knuth: Two notes on notation. In: American Mathematical Monthly. Vol. 99, No. 5, Mai 1992, S. 403–422; Preprint (PDF; 1,9 MB) auf der Website der Mathematical Association of America; arxiv:math/9205211. Die Geschichte der Kontroverse ist auf Seite 6 des Preprints zu finden.
  6. Man kann es – mit letztlich demselben Ergebnis – auch andersherum sehen: Die Schreibweise ist eine „Kurzform“ von , die keinen Exponenten 0 enthält. Dabei ist vereinbart, dass der Wert einer Potenz als 1 zu nehmen ist, wenn ihr Exponent durch eine Konstellation der Laufvariablen 0 wird.
    Und man kommt mit der Grenzwertbetrachtung für festes und variables zum selben Ergebnis.
  7. Thomas Jech: Set Theory. Springer-Verlag, 2003, ISBN 3-540-44085-2, S. 28, Gleichungen (3.3)