Orphenadrin

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Strukturformel
Strukturformel von Orphenadrin
Strukturformel ohne Stereochemie
Allgemeines
Freiname Orphenadrin
Andere Namen
  • N,N-Dimethyl-2-[(2-methylphenyl)-phenyl-methoxy]-ethanamin (IUPAC)
  • (RS)-N,N-Dimethyl-2-[(2-methylphenyl)-phenyl-methoxy]-ethanamin
  • (±)-N,N-Dimethyl-2-[(2-methylphenyl)-phenyl-methoxy]-ethanamin
  • 2-Methyldiphenhydramin
  • Orphenadrinum (Latein)
Summenformel
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer 201-509-2
ECHA-InfoCard 100.001.372
PubChem 4601
ChemSpider 4440
DrugBank DB01173
Wikidata Q3292273
Arzneistoffangaben
ATC-Code
Wirkstoffklasse
Wirkmechanismus
Eigenschaften
Molare Masse
  • 269,38 g·mol−1
  • 305,84 g·mol−1 (Hydrochlorid)
  • 461,50 g·mol−1 (Citrat)
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt
pKS-Wert

8,91[3]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[5]

Citrat

Achtung

H- und P-Sätze H: 302​‐​351
P: 201​‐​301+312+330​‐​308+313[5]
Toxikologische Daten

Hydrochlorid:

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Orphenadrin ist ein zentral wirksamer Arzneistoff, der die Skelettmuskulatur entspannt und damit zu den Muskelrelaxanzien zählt.

Orphenadrin gehört zur Klasse der H1-Antihistaminika und ist chemisch verwandt mit Diphenhydramin. Es wird angewendet zur symptomatischen Behandlung schmerzhafter Verspannungen der Skelettmuskulatur.[7]

Gewinnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Orphenadrin kann durch Reaktion von 2-Methylbenzhydrylchlorid mit Dimethylaminoethanol gewonnen werden.[8]

Synthese von Orphenadrin nach US2567351
Synthese von Orphenadrin nach US2567351

Stereochemie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Orphenadrin enthält ein Stereozentrum und besteht aus zwei Enantiomeren. Hierbei handelt es sich um ein Racemat, also ein 1:1-Gemisch der (R)- und der (S)-Form:[9]

Enantiomere von Orphenadrin

(R)-Orphenadrin

(S)-Orphenadrin

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

George Rieveschl leitete ein Forschungsprogramm für Antihistamine an der University of Cincinnati. 1943 synthetisierte Fred Huber, einer seiner Studenten, Diphenhydramin. Parke-Davis lizenzierte das Patent von George Rieveschl und stellte ihn ab 1947 als Forschungsleiter ein, wo er an der Entwicklung von Orphenadrin arbeitete.[10]

Vor Amantadin und neueren Medikamenten wurde Orphenadrin in der Behandlung der Parkinson-Krankheit eingesetzt.[11]

Pharmakologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wirkungsmechanismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Orphenadrin führt durch die spezifische Blockierung des Förderzentrums in der Formatio reticularis tegmenti, bei gleichzeitigem Fehlen einer Blockierung des Hemmzentrums, zur Entspannung des pathologisch erhöhten Muskeltonus. Der normale Muskeltonus und die normale Beweglichkeit werden nicht beeinflusst. Die durch Muskelverspannung hervorgerufenen Schmerzen und die nachfolgende reflektorische Minderdurchblutung des Muskelgewebes werden durch Orphenadrin schnell beseitigt. Neben der skelettmuskelrelaxierenden Wirkung besitzt Orphenadrin geringe antihistaminische und lokalanästhetische sowie milde parasympathikolytische (anticholinerge) Eigenschaften, die sich beim Kaninchen in einer Hemmung der Speichelsekretion bemerkbar machen. Dieser Effekt ist jedoch 350-fach schwächer als bei Atropin. In Bezug auf eine mydriatische Aktivität wirkt Orphenadrin 250-fach geringer.

Pharmakokinetik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Oral wird Orphenadrin aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert. 2 Stunden nach der Applikation werden maximale Plasmaspiegel erreicht. Die Wirkung der Reinsubstanz hält 4–6 Stunden an. Bei längerer Gabe stellen sich höhere Plasmaspiegel ein, die dem 2–3 fachen einer Einzeldosis entsprechen. Nach intravenöser Applikation wird das Maximum bereits 2 Minuten nach der Injektion festgestellt. Verteilungsstudien zeigen, dass 90–95 % der Substanz an Plasmaeiweiß gebunden wird. Die Substanz wird weitgehend metabolisiert und vorwiegend über die Niere ausgeschieden.[12] Aktive Metaboliten sind N-Demethylorphenadrin und N,N-Didemethylorphenadrin.[13]

Die Bioverfügbarkeit beträgt zwischen 80 und 90 %. Die Plasmahalbwertszeit beträgt zwischen 13 und 20 Stunden.[14]

Gegenanzeigen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei Myasthenia gravis und von Kindern unter 16 Jahren sollte Orphenadrin nicht eingenommen werden. Patienten mit einem Engwinkelglaukom oder Prostatabeschwerden sollten auf Orphenadrin verzichten, da es diese verstärkt. Auch bei Tachykardie oder Megacolon ist Vorsicht geboten. Es ist nicht bekannt, ob Orphenadrin in die Muttermilch übergeht, daher darf es in der Stillzeit nur nach strenger Abwägung angewendet werden.[12][15][16]

Nebenwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige der Nebenwirkungen des Orphenadrins sind auf dessen anticholinerge Wirkung zurückzuführen.[17]

Häufig

Müdigkeit, Schwindel, Sehstörungen, Übelkeit, Brechreiz.[12]

Gelegentlich

Euphorie, Nervosität, Angst, Schlafstörungen, Verwirrtheit, Depression, emotionale Labilität, Kopfschmerzen, Muskelzittern, Schluck- und Sprachstörungen, Beeinträchtigung des Denkvermögens, Appetit- und Geschmacksstörungen, trockene Augen, Rhinitis, Brustschmerzen, Bauchschmerzen, Mundtrockenheit, Obstipation, Diarrhö, Exanthem, Harnverhalt, Harninkontinenz, Unbehagen, Beinschwäche.[12]

Wechselwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Amantadin, Chinidin, MAO-Hemmer und trizyklische Antidepressiva können die anticholinerge Wirkung verstärken. Die Antiparkinsonwirkung von L-Dopa kann durch Orphenadrin verstärkt werden. Gleichzeitige Einnahme von Chlorpromazin erhöht die Gefahr einer Hypothermie.[12] Weitere Wechselwirkungen von Orphenadrincitrat werden mit Dextropropoxyphen und Thyroxin beschrieben.[15]

Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Orphenadrin wird häufig mit Paracetamol und Diclofenac kombiniert. Seltener mit Celecoxib oder Mefenaminsäure[18]

Monopräparate
Norflex (D), Disipal (I)
Kombinationspräparate
  • mit Diclofenac: Neodolpasse (A, CZ)
  • mit Paracetamol: Norgesic (A)

Orphenadrinhaltige Arzneimittel unterliegen in Deutschland und Österreich der Verschreibungspflicht.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Orphenadrin-Hydrochlorid: CAS-Nummer: 341-69-5, EG-Nummer: 206-435-4, ECHA-InfoCard: 100.005.851, PubChem: 9568, ChemSpider: 9193, DrugBank: DBSALT001021, Wikidata: Q27129640.
  2. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Orphenadrin-Citrat: CAS-Nummer: 4682-36-4, EG-Nummer: 225-137-5, ECHA-InfoCard: 100.022.851, PubChem: 83823, ChemSpider: 19620, DrugBank: DBSALT000400, Wikidata: Q27107584.
  3. a b Eintrag zu Orphenadrine in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM), abgerufen am 19. Juli 2021. (Seite nicht mehr abrufbar)
  4. Eintrag zu Orphenadrin. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 19. Juli 2021.
  5. a b Datenblatt Orphenadrine citrate salt bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 19. Juli 2021 (PDF).
  6. a b c d e f Axel Kleemann, Jürgen Engel, Bernd Kutscher und Dieter Reichert: Pharmaceutical Substances. 4. Auflage. 2 Bände, Thieme-Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 1-58890-031-2; seit 2003 online mit halbjährlichen Ergänzungen und Aktualisierungen.
  7. Übersicht über Zulassung von Muskelrelaxantien beim KVS-Sachsen (PDF) abgerufen im Februar 2016
  8. Kleemann, Engel, Kutscher, Reichert: Pharmaceutical Substances, 4. Auflage, Thieme-Verlag Stuttgart 2000, Seite 1504. ISBN 978-1-58890-031-9.
  9. Rote Liste Service GmbH (Hrsg.): Rote Liste 2017 – Arzneimittelverzeichnis für Deutschland (einschließlich EU-Zulassungen und bestimmter Medizinprodukte). Rote Liste Service GmbH, Frankfurt/Main, 2017, Aufl. 57, ISBN 978-3-946057-10-9, S. 207.
  10. Walter Sneader. Drug Discovery: A History. John Wiley & Sons, 2005 ISBN 978-0-471-89979-2. S. 405.
  11. Ivan Donaldson, C. David Marsden, Susanne Schneider. Marsden's Book of Movement Disorders. Oxford University Press, 2012. ISBN 978-0-19-261911-2. Seite 281.
  12. a b c d e Norflex bei medikament.de
  13. Eintrag zu Orphenadrine in der DrugBank der University of Alberta, abgerufen am 18. November 2019.
  14. J. J. M. Labout, C. T. Thijssen u. a.: Difference between single and multiple dose pharmacokinetics of orphenadrine hydrochloride in man. In: European Journal of Clinical Pharmacology. 21, 1982, S. 343, doi:10.1007/BF00637624.
  15. a b Neodolpasse bei diagnosia, abgerufen am 15. Februar 2016.
  16. Orphenadrine Citrate Extended release label Version vom Oktober 1998.
  17. Torsten Kratz, Albert Diefenbacher: Psychopharmakotherapie im Alter. Vermeidung von Arzneimittelinteraktionen und Polypharmazie. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 116, Heft 29 f. (22. Juli) 2019, S. 508–517, S. 511.
  18. Drugs.com International: Orphenadrin