Parlaments- und Präsidentschaftswahl in Guatemala 2023

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Die Parlaments- und der erste Teil der Präsidentschaftswahl in Guatemala fanden am 25. Juni, die Stichwahl um die Präsidentschaft am 20. August 2023 statt.

Ausgangslage[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Guatemala endete 1996 ein 36 Jahre andauernder Bürgerkrieg. Die Aufarbeitung der Verbrechen kommt nicht voran.[1] Noch immer ist Gewalt ein großes Problem im Land. Nach Angaben der UNO leben 60 % der mehr als 17 Millionen Guatemalteken in Armut, wovon speziell die indigene Bevölkerungsmehrheit betroffen ist.[2]

Während der Amtszeit von Giammattei kam es zu einer Aushöhlung demokratischer Institutionen, so wurden missliebige Richter abgesetzt und kritische Journalisten eingeschüchtert.[3] Gleichzeitig lenkten die politisch einflussreichen pentekostal-fundamentalistischen Freikirchen die politische Debatte weg von Themen wie sozialer Gerechtigkeit, dem Bildungssystem und der Gesundheitspolitik hin zu gesellschaftspolitischen Themen wie Homo-Ehe und Abtreibung.[4] Mehrere aussichtsreiche Kandidaten wurden vor der Wahl ausgeschlossen, darunter die linkssozialistische Thelma Cabrera, der Sozialdemokrat Roberto Arzú und der Populist Carlos Pineda.[5][6] Zury Ríos, die als Tochter des verstorbenen Diktators Efrain Ríos Montt verfassungsgemäß nicht hätte antreten dürfen, wurde jedoch zugelassen.

Erster Wahlgang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sandra Torres
Cesar Bernardo Arévalo de León

Neben der Präsidentschaftswahl fand zugleich die Parlamentswahl statt.[7] Dem amtierenden Präsidenten Alejandro Giammattei war es verfassungsrechtlich untersagt, für eine zweite Amtszeit von vier Jahren zu kandidieren.

Im ersten Wahlgang erhielt Sandra Torres Casanova, Frau des verstorbenen Expräsidenten Álvaro Colom, von der Partei Unidad Nacional de la Esperanza, 15 Prozent der Stimmen. Bernardo Arévalo, Sohn des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, Juan José Arévalo, von der links-sozialdemokratischen Partei Movimiento Semilla kam mit 11,8 Prozent auf die zweithöchste Stimmenanzahl. Vor der Wahl hatte die Partei in Umfragen bei unter zwei Prozent gelegen.[8] Es war damit gerechnet worden, dass sich Kandidaten aus dem konservativen bis rechtspopulistischen Spektrum durchsetzen, wie beispielsweise Zury Ríos, die in den Umfragen weit vorne lag, aber nur auf Platz sechs kam.

Stichwahl[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da kein Präsidentschaftskandidat mehr als 50 % der Stimmen erhielt, wurde am 20. August 2023 ein zweiter Wahlgang zwischen den beiden Erstplatzierten angesetzt.[9][10]

Arévalo vertrat gesellschaftlich liberale und sozialdemokratische Positionen. Während zuvor Sandra Torres als letzte aussichtsreiche Kandidatin der politischen Linken gehandelt wurde, änderte sie nach der Wahl ihre politische Ausrichtung und versuchte nun, mit gesellschaftlich rechtskonservationen Positionen (gegen Abtreibung, christlich-traditionelle Familienwerte) Stimmen des rechten und des evangelikalen Lagers einzufangen. Während sie während der Wahlen 2011, 2015 und 2019 noch selbst vom Establishment bekämpft wurde, galt sie inzwischen als gut integriert in die alten Eliten.

Gemäß dem vorläufigen amtlichen Endergebnis nach der Auszählung von 100 % der Stimmen erhielt Arévalo de León ca. 58 % und Torres Casanova ca. 37 % der ca. 4,2 Millionen abgegebenen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von ca. 45 %.[11]

Manipulationsversuche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während des Wahlkampfes zur Stichwahl gab es massive Versuche, den Wahlprozess zu untergraben. Am 12. Juli 2023 erklärte Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras die Semilla-Partei aufgrund angeblicher Fälle falscher Unterschriften zur Gründung der Partei für aufgelöst und Arévalos Kandidatur für ungültig. Allerdings legt Artikel 92 des Gesetzes über Wahlen und politische Parteien fest, dass eine Partei nach der Einberufung einer Wahl und bis zu ihrer Durchführung nicht suspendiert werden darf. Der Entschluss der Generalstaatsanwältin wurde einen Tag später vom Verfassungsgericht aufgehoben, dennoch wurde das Büro der Semilla-Partei von der Polizei durchsucht. Die Wahlkommission beantragte eine Untersuchung, inwieweit die Exekutive versuchte, demokratische Prinzipien auszuhebeln.[12][13][14][15][16]

Von Seiten rechtsgerichteter Akteure, aber auch der Gegenkandidatin Torres, wurde nun ein regelrechter Hass gegen Arévalo geschürt. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, er wolle die Religionsfreiheit zugunsten einer LGBT-Ideologie abschaffen und sei eine „Marionette“ ausländischer Regierungen.[17]

Auch nach der Wahl gab es Versuche seitens des Ministerio Público (MP) und der Fiscalía Especial Contra la Impunidad (FECI), die Wahl annullieren zu lassen. Am 8. Dezember 2023 gab ein Staatsanwalt bekannt, gegen die Semilla-Partei wegen „Korruption“ sowie gegen das Oberste Wahltribunal (TSE) wegen „Illegalitäten“ zu ermitteln. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, Handelsvertretungen sowie unterlegene Parteien forderten MP und FECI auf, den demokratischen Prozess nicht länger zu untergraben und das Wahlergebnis zu respektieren.[18]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Guatemala wählt im Schatten der Korruption. In: Deutsche Welle. 16. Juni 2019, abgerufen am 15. August 2019.
  2. Giammattei gewinnt Präsidentenwahl in Guatemala. In: Der Spiegel. 12. August 2019, abgerufen am 15. August 2019.
  3. Gatti Daniel: La ira en las entrañas del odio. In: Brecha. (spanisch).
  4. In Guatemala, elections against a background of authoritarian drift. In: Globe Echo. 25. Juni 2023, abgerufen am 25. Juni 2023 (englisch).
  5. Qué responde Roberto Arzú del partido Podemos a la propuesta de alianza „salvadora“ que lanzó Manuel Villacorta, de Vos. In: Prensa Libre. 18. Mai 2023; (spanisch).
  6. Guatemalan court keeps presidential frontrunner Pineda off ballot. In: Yahoo Entertainment. 26. Mai 2023, abgerufen am 31. Mai 2023 (englisch).
  7. Fears for Guatemala's democracy after court excludes a top party from election. In Reuters. 13. Juli 2023, abgerufen am 21. August 2023 (englisch).
  8. Paukenschlag in Guatemala: Linker Kandidat in der Stichwahl für die Präsidentschaft. In: amerika21.de, 27. Juni 2023.
  9. Marcos González Díaz: Elecciones en Guatemala: quiénes son Sandra Torres y Bernardo Arévalo, la eterna candidata y el aspirante sorpresa que se disputarán la presidencia. In: BBC News Mundo. 26. Juli 2023, abgerufen am 21. August 2023 (spanisch).
  10. Anne Demmer, Jenny Mügel: Außenseiter erreicht überraschend Stichwahl. In: tagesschau.de. 26. Juni 2023, abgerufen am 17. Juli 2023.
  11. Resultados Electorales Preliminares 2023. In: segundaeleccion.trep.gt. Abgerufen am 22. August 2023 (spanisch).
  12. Amplio y unificado rechazo del sector privado contra intento de suspensión de Semilla. In: Soy502. 13. Juli 2023, abgerufen am 13. Juli 2023 (spanisch).
  13. Juzgado ordena la suspensión de la personalidad jurídica del Movimiento Semilla. In: Prensa Libre. 12. Juli 2023, abgerufen am 12. Juli 2023 (spanisch).
  14. Sofia Menchu: Guatemala top court reverses ban on anti-graft presidential candidate In: Reuters, 13. Juli 2023. Abgerufen am 14. Juli 2023 (englisch). 
  15. Juez Fredy Orellana da vía libre para gestionar retiro de inmunidad al registrador de ciudadanos por incumplir con suspender al Movimiento Semilla. In: Prensa Libre. 18. Juli 2023, abgerufen am 20. Juli 2023 (spanisch).
  16. Sandra Weiss: Ein David namens Bernie. In Guatemala gewinnt Bernardo Arévalo die Präsidentschaftswahl. Doch damit ist er noch nicht am Ziel – denn die korrupte Elite ist mächtig. In: ipg-journal. FES, 24. August 2023, abgerufen am 27. August 2023.
  17. Guatemala court intervenes in presidential race and poses grave threat to democracy with far-reaching implications – Robert Lansing Institute. In: lansinginstitute.org. 5. Juli 2023, abgerufen am 11. Juli 2023 (englisch).
  18. Cacif asegura que Bernardo Arévalo debe tomar posesión el 14 de enero y más instituciones piden que resultados „deben respetarse“. In: Prensa Libre, 8. Dezember 2023 (spanisch).