Pickelporno

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Pickelporno, Videostill

Pickelporno ist eine Audio-Video-Installation der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist aus dem Jahr 1992.

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Füsse einer Frau in eleganten Schuhen balancieren über einen Gitterboden, eine weibliche Stimme singt «Mein kleiner Junge/Jetzt komm ich heim/Sei dann mein». Die Kamera zeigt einen Mann von hinten. Als er sich umdreht, sieht man, dass er Asiate ist. Die beiden begrüssen sich auf traditionelle östliche Weise. Nun ändert sich der Stil des Videos:[1] Der Mann gibt der Frau eine Blume, diese wird auf ein frisch bezogenes Bett gelegt. Die beiden liebkosen einander. Auf experimentelle Weise wird nun die körperliche Annäherung und Vereinigung des Paares umgesetzt:[2] Augen, Zehen, Brüste und Schamhaare nehmen riesige Dimensionen an. Immer wieder tauchen farbenfrohe Blumen auf, unterbrochen von extremen Nahaufnahmen, die sogar Fingerrillen deutlich zeigen. Derartige Close-ups von intimen Körperregionen wechseln sich mit Naturaufnahmen und psychedelischen Bildern ab:[1] Wolken und Steine sind zu sehen, Vögel gleiten über die Körper. Die Bewegungen wirken wie unter Wasser, es ist auch ein Wassergeräusch zu hören. Eine Qualle erscheint, nach und nach tauchen immer mehr Elemente einer Unterwasserwelt auf. Die Musik wird schneller, ein Stöhnen ist zu hören.

Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Video wurde mit der Betacam-SP-Technik gedreht.[3] Rist setzt in diesem zwölfminütigen Video aus dem Jahr 1992 ein Fischaugenobjektiv und Editiertechniken der digitalen Nachbearbeitung dazu ein, das Publikum menschliche Haut, Haare und Körperhöhlen erleben zu lassen.[2] Die starke Farbigkeit und ungewohnte Blickwinkel sowie eine intensive Farbigkeit tragen dazu bei, körperliche Erregung sichtbar zu machen.[1] Rist äusserte, sie habe diese sogenannte Lippenstiftkamera mit sehr kleiner Linse benutzt, weil sie ihr ermöglicht habe, der Haut sehr nahe zu kommen, ohne Schatten zu erzeugen. Die Kamera sei für Überwachungen gebaut worden und zeichne sich durch den sehr weiten Winkel und grosse Schärfe in der Tiefe aus.[4]

Der Experimentalfilm wurde mit der Musik von Peter Bräker, Pipilotti Rist und Les Reines Prochaines gedreht.[5] Der Ton vereinnahmt die Zuschauenden immer mehr, er verführt sie mit Seufzern, Atemgeräuschen und Murmeln und steigert die Intimität des Seherlebnisses.[2] Die Filmmusik lässt das Geschehen auf einen Höhepunkt zulaufen.[1]

Produziert wurde das Video von Pipilotti Rist und videoladen Zürich.[5]

Kunstgeschichtliche Einordnung und Deutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gezeigt wird ein rauschhaftes Aufheben der Körpergrenzen der beiden Figuren in stellenweise kaleidoskopischer Optik, fernab von mechanischer Sexualität und der üblichen Polarisierung der Geschlechter.[6] Rist betonte, in diesem Video seien Kamera und Körper auf einer Höhe: Die Kamera mache den Körper nicht zum Objekt. Sie habe keinen vorher festgelegten, dauerhaften Standplatz, sondern sei Teil des Geschehens.[7] Fluidität wird spätestens in diesem Video zu einem künstlerischen Grundprinzip in Rists Schaffen.[2]

Durch die in der Postproduktion eingefügte Fluidität werde, so Laura Leuzzi, verhindert, dass der Körper zum Objekt wird. Rist vermeide hier wie schon in I'm Not the Girl Who Misses Much (1986) die Fetischisierung des weiblichen Körpers.[8]

Der Titel spielt auf den fundamentalen Unterschied zur Mainstreampornographie an: Bei Rist ist die Frau selbstbestimmte Herrscherin über ihre Sexualität und ihren Genuss, den sie mit ihrem Partner teilt.[9] Rist äusserte, sie sei davon ausgegangen, dass Frauen beim Sex stärker an den Gefühlen und Gedanken des Anderen interessiert seien als an dem von aussen beobachtbaren Ablauf. Sex sei immer dann interessanter, wenn man selbst beteiligt sei. Daher habe sie einen «Pornofilm von innen» schaffen wollen.[10] Pickelporno sei, so Rist, ihre einzige Arbeit, die sich als der Versuch beschreiben liesse, erotische Bilder zu erzeugen.[11]

Kunstgeschichtliche Referenzen lassen sich laut Juliana Engbert in diesem Video an mehreren Stellen finden: In einer Szene ist ein kleiner Globus auf dem Venushügel der Darstellerin zu sehen, möglicherweise eine Anspielung auf Gustave Courbets Gemälde Der Ursprung der Welt.[2] Der Darsteller werde mehrmals in grüner Unterhose gezeigt, die als moderne Vision des Feigenblattes gelesen werden könne. Die im Video allgegenwärtigen Naturelemente, Früchte und Blüten seien keine Ersatzsymbole für erotische Körperzonen, sondern verschmelzen und interagieren mit diesen in einer paradiesähnlichen Welt.[2] Gezeigt werde, so Mangini, die inhärente Verbindung zwischen dem weiblichen Körper und Vorgängen in der Natur.[12] Kunst- und Kulturgeschichte werden also nicht einfach zitiert, sondern ironisch gebrochen, um das andere Verständnis vom weiblichen Körper vor diesem Hintergrund zeigen zu können. Andreas Schlaegel sieht in der Eingangssequenz des Videos einen Bezug zu Erotik-Thrillern der späten 1980er-Jahre.[6]

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Pickelporno lief 1992 auf dem Locarno Film Festival.[13]

Das Video wurde nicht nur im Rahmen von Ausstellungen, sondern auch im nächtlichen Experimentalfilmprogramm des Schweizer Fernsehens gezeigt.[9] Massimiliano Gioni äusserte in einem Interview mit Pipilotti Rist, Pickelporno und Sip My Ocean hätten auch ausserhalb des Kunstbereichs Aufmerksamkeit erregt.[9]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Pickelporno. Abgerufen am 25. Mai 2023.
  2. a b c d e f Juliana Engberg: A Bee Flew in the Window… In: Massimiliano Gioni, Margot Norton: Pipilotti Rist. Pixel Forest. Phaidon Press, London / New York 2016, S. 15–48, 22.
  3. Pipilotti Rist. Pickelporno. 1992. ZKM. Abgerufen am 25. Mai 2023.
  4. Massimiliano Gioni: Body Elektric: An Interview with Pipilotti Rist. In: Massimiliano Gioni, Margot Norton: Pipilotti Rist. Pixel Forest. Phaidon Press, London / New York 2016, S. 49–76, 65.
  5. a b Pickelporno. Abgerufen am 24. Mai 2023.
  6. a b Pickelporno. Julia Stoschek Foundation, abgerufen am 24. Mai 2023.
  7. Massimiliano Gioni: Body Elektric: An Interview with Pipilotti Rist. In: Massimiliano Gioni, Margot Norton: Pipilotti Rist. Pixel Forest. Phaidon Press, London / New York 2016, S. 49–76, 66.
  8. Laura Leuzzi: Representation and Identity in contemporary Women Artists' video. In: Arts. Band 12, Nr. 2, 2023, ISSN 2076-0752, S. 42, doi:10.3390/arts12020042.
  9. a b c Massimiliano Gioni: Body Elektric: An Interview with Pipilotti Rist. In: Massimiliano Gioni, Margot Norton: Pipilotti Rist. Pixel Forest. Phaidon Press, London / New York 2016, S. 49–76, 63.
  10. Massimiliano Gioni: Body Elektric: An Interview with Pipilotti Rist. In: Massimiliano Gioni, Margot Norton: Pipilotti Rist. Pixel Forest. Phaidon Press, London / New York 2016, S. 49–76, 64/65.
  11. Pipilotti Rist: Isabel Parkes im Gespräch mit Pipilotti Rist. In: Isabel Parkes (Hrsg.): So let the artists do it. Gespräche mit zehn Künstlerinnen und Künstlern aus der Sammlung Hoffmann und mit Erika Hoffmann-Koenige. Distanz Verlag, 2021, ISBN 978-3-95476-432-7, S. 95.
  12. Elizabeth Mangini: Pipilotti’s Pickle: Making Meaning From the Feminine Position. In: PAJ. A Journal of Performance and Art. Band 23, Nummer 2, Mai 2001, S. 1–9, 2.
  13. Pickelporno. In: mubi.com. Abgerufen am 24. Mai 2023.