Präsidentschaftswahl in Polen 1922 (9. Dezember)

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Die erste Präsidentschaftswahl in Polen fand am 9. Dezember 1922 in Warschau statt. Die Nationalversammlung wählte Gabriel Narutowicz zum ersten Präsidenten der Republik Polen.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die am 17. März 1921 verabschiedete „Märzverfassung“ bestimmte die Einführung des Staatspräsidentenamtes, das hauptsächlich über repräsentative Befugnisse verfügte.[1] Damit beabsichtigten die konservativen Parteien und Politiker, die Kompetenzen des Staatsoberhaupts zu beschneiden, da sie damit rechneten, dass der über große Autorität verfügende Józef Piłsudski bei einer Präsidentschaftswahl für seine Kandidatur die erforderliche Mehrheit zusammenbringen würde. Nachdem die Parlamentswahlen am 5. und 12. November 1922, nach der Stabilisierung der internationalen Lage stattgefunden hatten, wurde der Samstag, der 9. Dezember 1922 als das Datum des Zusammentreffens der Nationalversammlung, festgelegt. Diese setzte sich aus den Abgeordneten des Sejm und der Senatoren zusammen. Überraschend gab am 4. Dezember Józef Piłsudski bekannt, dass er nicht an der Wahl teilnehmen werde. Somit wurden die Parlamentsfraktionen gezwungen, binnen weniger Tage aussichtsreiche Kandidaten zu bestimmen.

Die Wahl[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kandidaten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Folgende Kandidaten wurden durch die Fraktionen in der Nationalversammlung zur Wahl vorgeschlagen:

Die Abstimmungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter dem Vorsitz des Sejmmarschalls Maciej Rataj begann die Nationalversammlung am frühen Nachmittag ihre erste Sitzung. Gewählt wurde in einer geheimen Wahl, durch Wahlzetteleinwurf.

Warschau, 9. Dezember 1922
Wahlgang Kandidat Stimmenzahl % Partei
1. Wahlgang, 14:10 Uhr Jan Baudouin de Courtenay 103 19,04 % Nationale Minderheiten
Ignacy Daszyński 49 9,06 % PPS
Gabriel Narutowicz 62 11,46 % PSL „Befreiung“
Stanisław Wojciechowski 105 19,41 % PSL „Piast“
Maurycy Zamoyski 222 41,04 % ChZJN
2. Wahlgang, 15:30 Uhr Jan Baudouin de Courtenay 10 1,84 % Nationale Minderheiten
Ignacy Daszyński 1 0,18 % PPS
Gabriel Narutowicz 151 27,81 % PSL „Befreiung“
Stanisław Wojciechowski 153 28,18 % PSL „Piast“
Maurycy Zamoyski 228 41,99 % ChZJN
Ungültige Stimmen 4
3. Wahlgang, 16:50 Uhr Jan Baudouin de Courtenay 5 0,92 % Nationale Minderheiten
Gabriel Narutowicz 158 29,21 % PSL „Befreiung“
Stanisław Wojciechowski 150 27,73 % PSL „Piast“
Maurycy Zamoyski 228 42,14 % ChZJN
4. Wahlgang, 17:45 Uhr Gabriel Narutowicz 171 31,67 % PSL „Befreiung“
Stanisław Wojciechowski 145 26,85 % PSL „Piast“
Maurycy Zamoyski 224 41,48 % ChZJN
5. Wahlgang, 19:15 Uhr Gabriel Narutowicz 289 56,01 % PSL „Befreiung“
Maurycy Zamoyski 227 43,9 % ChZJN
Ungültige Stimmen 25
Damit wurde Gabriel Narutowicz zum ersten Präsidenten der Republik Polen gewählt.[2]

Gefragt durch den Vorsitzenden Rataj bejahte Narutowicz die Frage, ob er die Wahl annehme. Aufgrund der späten Tageszeit wurde die Nationalversammlung für die Vereidigung auf den folgenden Montag, den 11. Dezember vertagt.

Nach der Wahl[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die rechten Kräfte wurden durch die Wahl Narutowiczs überrascht, da die Abgeordneten der als Koalitionspartner erwünschten Polnischen Bauernpartei „Piast“ offensichtlich den Kandidaten der verfeindeten Bauernpartei „Befreiung“ unterstützt hatten. Noch am Abend des 9. Dezembers fing mit Straßenmärschen und -ausschreitungen eine Protestaktion der Rechten an. Unterstützung fand sie in einer Hetzkampagne der nationalistischen Presse, in der der auch mit den Stimmen der nationalen Minderheiten gewählte Präsident unter anderem als „jüdischer Bastard“ beschimpft wurde.

Am 11. Dezember versuchten die Demonstranten die Ankunft Narutowiczs zur zweiten Sitzung der Nationalversammlung zu verhindern, was jedoch nicht gelang, obgleich der Präsident-Elekt mit Schneebällen beworfen wurde und es versucht wurde, ihn mit Stöcken zu schlagen. Narutowicz, den die Rechten des Atheismus bezichtigten, hat einen christlich bekräftigten Amtseid abgelegt. Drei Tage darauf, am 14. Dezember, hat er im Schloss Belvedere die Befugnisse des Staatsoberhaupts feierlich vom ausscheidenden Staatschef Józef Piłsudski übernommen.[2]

Die nächste Wahl des Staatspräsidenten musste bereits elf Tage nach der ersten Wahl, am 20. Dezember 1922 stattfinden, da Narutowicz nach einem Schusswaffenattentat des fanatischen Nationalisten Eligiusz Niewiadomski am 16. Dezember seinen Verletzungen erlag.

Fußnoten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ustawa z dnia 17 marca 1921 r. - Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej. In: Dziennik Ustaw auf der Website des ISAP. Kanzlei des Sejm, 17. März 1921, abgerufen am 9. Dezember 2012 (polnisch, PDF-Datei s. Tekst ogłoszony).
  2. a b Protokuł przekazania władzy przez Naczelnika Państwa Józefa Piłsudskiego Prezydentowi Rzeczypospolitej Gabrjelowi Narutowiczowi. In: Dziennik Ustaw auf der Website des ISAP. Kanzlei des Sejm, 15. Dezember 1921, abgerufen am 9. Dezember 2012 (polnisch, PDF-Datei s. Tekst ogłoszony).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Daria Nałęcz, Tomasz Nałęcz: Gabriel Narutowicz, prezydent Rzeczypospolitej 14 XII–16 XII 1922. In: Andrzej Chojnowski, Piotr Wróbel (Hrsg.): Prezydenci i premierzy Drugiej Rzeczypospolitej. Zakład Narodowy imienia Ossolińskich, Wydawnictwo, Breslau, Warschau, Krakau 1992, ISBN 83-04-03854-4, S. 36–48.