Ramiefaser

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Ramiefaser
Fasertyp

Naturfaser

Farbe

weiß

Eigenschaften
Faserlänge 60–260 mm[1]
Faserdurchmesser 16–125 µm[2]
Dichte 1,50 g/cm3[1]
Zugfestigkeit 500 MPa[3]
Spezifische Zugfestigkeit 40–70 cN/tex (trocken)[1]
Elastizitätsmodul 44 GPa (trocken)[3]
Bruchdehnung 2 %[3]
Feuchtigkeitsaufnahme 12–17 %[2]

Die Ramiefaser (Kurzzeichen:RA) oder Chinaleinen und Grasleinen, auch Chinesische Nessel oder Chinagras,[4] wird aus dem Bastteil des Stängels der Pflanze Ramie (Boehmeria nivea) gewonnen. Diese Naturfaser gehört somit zur Gruppe der Bastfasern.[5]

Entwicklung und Aufbau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Fasern machen bis zu 15 % der Pflanze aus und sind 40 bis 350 Millimeter lang und 40 bis 50 Mikrometer stark. Faserbündel können eine Länge von bis zu zwei Metern erreichen. Ramiefasern gehören damit zu den längsten und festesten pflanzlichen Fasern überhaupt.[6]

Die Ramiefaser hat einen Kristallinitätsgrad von 44 bis 47 %.[7] Cellulose liegt in Naturfasern teilweise in geordneter, „kristalliner“, Struktur vor und teilweise in „ungeordneter“ Struktur. Das Verhältnis zwischen kristalliner und nichtkristalliner Cellulose, der Kristallinitätsgrad, hat großen Einfluss auf die Eigenschaften der Faser, z. B. führt ein höherer Kristallinitätsgrad zu einer geringeren Feuchtigkeitsaufnahme der Fasern.[8]

Die Faser ist besonders weiß, vergleichbar mit gebleichter Baumwolle, und hat einen seidenartigen Glanz, der den von Leinen übertrifft. Mit Baumwolle und Leinen hat die Ramiefaser jedoch auch die geringe Elastizität und Knitteranfälligkeit gemein.

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als reine Faser ergibt Ramie leichte, seidige Gewebe, die Leinen ähneln. Haupteinsatzgebiet ist der Gebrauch als Textilfaser. Wegen seiner geringen Widerstandsfähigkeit und Elastizität wird Ramiefaser jedoch meist als Beimischung zu anderen Textilfasern verwendet. Dabei erhöht es den Glanz und die Stärke von Baumwollfasern und verringert das Schrumpfen der Wollfaser.[9] Ihr Einsatz in diesem Bereich der Wollmischungen ist jedoch eher als exotisch anzusehen.

Neben textilen Verwendungen gibt es auch Ansätze, die Ramiefaser in Verbundwerkstoffen einzusetzen. An der Cornell University wurde ein bio-basierter Kunststoff entwickelt der aus Ramiefasern und Sojaprotein besteht. Aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften wie z. B. seiner guten Wärme- und Schallisolation könnte dieser Verbundwerkstoff in Innenräumen von Autos und Zügen, in Computern und in Verpackungen und anderen Konsumgütern eingesetzt werden.[10]

Aufbereitung und Verarbeitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die Aufbereitung von Ramie werden zunächst die Rindenteile, in denen sich die Fasern befinden, von den Holzbestandteilen getrennt (Entrinden oder Dekortieren). Die entrindeten Baststreifen werden getrocknet und werden teilweise als „Chinagras“ vermarktet.[11][2] Diese enthalten noch einen recht hohen Anteil von 30 bis 35 % an pektinartigem, gummiähnlichem Belag und Parenchymgewebe. Dieses ist größtenteils wasserunlöslich und muss entfernt werden, bevor die Faser zu feinem Garn versponnen werden kann. Dieser gummiähnliche Belag besteht hauptsächlich aus Xylanen und Arabanen, die zu den Hemicellulosen gehören.[2]

Das Entfernen dieses Belages, die Degummierung, kann daher nicht über eine bakterielle Röste erfolgen, sondern erfordert ein Auskochen in einer Lauge. Die so gewonnenen Fasern bestehen aus fast reiner Cellulose, sind gleichmäßig, glänzend, glatt, stark hygroskop und sehr nassfest.[6] Um zu einer weißen Faser zu gelangen, muss die degummierte Faser nochmals gebleicht werden.

Ramiefasern werden nass versponnen und zeichnen sich durch eine mit 393 bis 1050 MPa sehr hohe Zugfähigkeit aus. Dichte und Absorptionsfähigkeit der groben Faser (25 bis 30 Mikrometer) ähneln der von Leinen.

Wirtschaftliche Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Obwohl die Ramiefaser als äußerst hochwertig gilt, kann sie aufgrund ihrer relativ aufwändigen Verarbeitung, die nach wie vor nicht vollständig automatisierbar ist, auf dem Textilmarkt bisher nicht preislich mit anderen Naturfasern wie Baumwolle, Wolle oder Leinen konkurrieren.[12] Mitte des 19. Jahrhunderts erlangte die Ramiefaser im Zuge der sich in Europa entwickelnden Fasernesselindustrie gewisse Bedeutung, wurde dann aber schnell von der Baumwolle und synthetischen Fasern verdrängt.[6]

Kulturelle Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Qualität der Ramie-Stoffe hat dazu geführt, dass die Fertigungsverfahren zweimal als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt wurden:

Die „Japanischen Ramie-Stoffe“ sind seit 2009 enthalten.[13] Die Produktion auf der Hauptinsel Honshū nimmt ein ganzes Jahr in Anspruch, da nach der Aussaat im Frühjahr, der Ernte im Herbst und der Aufbereitung im Winter die spätwinterliche Kombination von Sonne und Schnee zum Bleichen der Fasern genutzt wird, bevor sie gewebt werden. 2011 folgte das „Weben von Mosi (feine Ramiefasern) in der Hansan-Region“ von Südkorea.[14] Beiden Stoffen ist eine luftige Struktur gemein, die die Stoffe für leichte Sommerkleidung prädestiniert.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Thomas Gries, Dieter Veit, Burkhardt Wulfhorst: Textile Fertigungsverfahren – Eine Einführung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Carl Hanser Verlag, München 2014, ISBN 978-3-446-44057-9, S. 43.
  2. a b c d R. R. Franck: Overview. In: R. R. Franck (Hrsg.): Bast and other plant fibres. Cambridge / Boca Raton, 2005, ISBN 1855736845 / ISBN 0849325978.
  3. a b c W.D. Brouwer: Natural fibre composites in structural components: Alternative applications for sisal?. UNO Food and Agriculture Organization.
  4. Anton Schenek: Naturfaser-Lexikon. Deutscher Fachverlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-87150-638-9, S. 159.
  5. Kim L. Pickering (Hrsg.): „Properties and performance of natural-fibre composites“, Woodhead Publishing Limited, Cambridge, 2008, ISBN 978-1-84569-267-4.
  6. a b c G. Holzmann, M. Wangelin: Natürliche und pflanzliche Baustoffe: Rohstoff – Bauphysik – Konstruktion. Vieweg+Teubner, Wiesbaden, 2009, ISBN 978-3-8351-0153-1, S. 197–198.
  7. H.-P. Fink und S. Fischer: Celluloseverarbeitung – umweltfreundliche Technologien auf dem Vormarsch. Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in der Schule 54, 2005, Nr. 7, S. 18–25.
  8. S. Kalia, B. S. Kaith, I. Kaur: Pretreatment of natural fibers and their application as reinforcing material in polymer composites: A review. Polymer Engineering and Science 49(7), S. 1253–1272, ISSN 1548-2634.
  9. Natural Fibres: Ramie. In: International Year of Natural Fibres 2009 der FAO.
  10. A. N. Netravali: "Green" Composites from Cellulose Fabrics & Soy Protein Resin. National Textile Center Research Briefs, Juni 2002, pdf.
  11. F. Denninger, E. Giese: Mode- und Textillexikon, Band 1, A–K. Deutscher Fachverlag, Frankfurt am Main, 2006, ISBN 3-87150-848-9.
  12. R. Koslowski, M. Rawluk, J. Barriga-Bedoya: Ramie. In: Robert Franck (Hrsg.): Bast and other plant fibres. Cambridge / Boca Raton, 2005, ISBN 1-85573-684-5, S. 207–227 / ISBN 0-8493-2597-8.
  13. Ojiya-chijimi, Echigo-jofu: techniques of making ramie fabric in Uonuma region, Niigata Prefecture. UNESCO Intangible Cultural Heritage, 2009, abgerufen am 26. Dezember 2023 (englisch).
  14. Weaving of Mosi (fine ramie) in the Hansan region. UNESCO Intangible Cultural Heritage, 2011, abgerufen am 20. Januar 2024 (englisch).