Redjeve

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Redjeve (lat.: Consul oder Coniurati oder zu deutsch: Ratgeber) ist die altfriesische Bezeichnung für einen Rechtsprecher oder Richter im Mittelalter. Die Redjeven bilden die Spitze der autonomen Landesgemeinden im mittelalterlichen Friesland. Zu ihren Aufgaben gehörten die Vertretung der Landesgemeinde bei Handelsverträgen, die Führung des Aufgebots einer Gemeinde bei der Landesverteidigung sowie die Landfriedenswahrung und die Rechtsprechung.[1]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits im 12. und 13. Jahrhundert hatten sich die "Freien Friesen", so die Selbstbezeichnung, in autonomen genossenschaftsähnlichen Landesgemeinden organisiert, in denen prinzipiell jedes Mitglied gleichberechtigt war. Die öffentlichen Ämter der Richter wurden durch jährliche Wahlen bestimmt. Das Wahlrecht war aber vom Grundbesitz abhängig. In den meisten Fällen rekrutierten sich daher die Redjeven aus der großbäuerlichen Schicht.[2]

Ursprünglich gab es in den Landesgemeinden Frieslands sog. Asega, die die Funktion des Richters wahrnahmen und vom jeweiligen Grundherren eines Gebiets, vermutlich nach einer Vorauswahl durch die Landesgemeinde, bestimmt wurden.[3] Ein Asega musste sich bei Amtsantritt auf die Einhaltung des Gesetzes verpflichten, welches in Form von Küren festgehalten wurde. Ein Beispiel einer friesischen Gesetzessammlung stellt das Asegabuch dar.

Aus den Erfordernissen des Deichbaus und der Verteidigung gegen die Wikinger entstand eine genossenschaftliche Organisationsstruktur der Landesgemeinden. Die Redjeven besaßen zwar die Macht in den Gemeinden, wurden aber nur auf ein Jahr gewählt, um zu verhindern, dass eine großbäuerliche Sippe zu mächtig wurde. Außerdem gab es verschiedene Gesetze, die verhindern sollten, dass ein Redjeve seine Macht als Richter missbraucht. Die Strafen reichten bis hin zu einer Zerstörung des Privathauses eines Redjeven.[4]

Die Redjeven gelten als Vorläufer der späteren ostfriesischen hovetlinge, also der Häuptlinge: Im späten 13. Jahrhundert und bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts führte eine Vielzahl von Krisen (Hungersnöte, Sturmfluten, mangelnder Absatzmarkt für Waren, Seuchen) zu einem Verlust der öffentlichen Ordnung, die Macht der Richter verfestigte sich und das ostfriesische Häuptlingswesen begann Gestalt anzunehmen: Die Häuptlinge begannen ihre Autorität nicht mehr vom Willen ihrer Untergebenen abzuleiten, sondern als Besitz ihrer jeweiligen Dynastie zu verstehen.[5] Die genossenschaftliche Idee ging dabei verloren.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gesine Martha Agena: Eine Studie über die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Verhältnisse des Norderlandes im 13. und 14. Jahrhundert unter vergleichender Heranziehung des Rüstringer-, Astringer-, Harlinger-, Brokmer- und Emsigerlandes, Norden 1962.
  • Hajo van Lengen: Die Friesische Freiheit des Mittelalters. Leben und Legende, Aurich 2003. - ISBN 3932206304
  • Hajo van Lengen: Bauernfreiheit und Häuptlingsherrlichkeit im Mittelalter, in: Karl-Ernst Behre / Hajo van Lengen (Hg.): Ostfriesland. Geschichte und Gestalt einer Kulturlandschaft, Aurich 1995, S. 113–134.
  • Karl von Richthofen: Untersuchungen zur friesischen Rechtsgeschichte II,1, Berlin 1882.
  • Heinrich Schmidt / Ernst Schubert: Geschichte Ostfrieslands im Mittelalter, in: Ernst Schubert (Hg.): Geschichte Niedersachsens, Bd. 2, Teil 1: Politik, Verfassung, Wirtschaft vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 36), Hannover 1997, S. 907–1033. ISBN 3-7752-5900-7
  • Heinrich Schmidt: Adel und Bauern im friesischen Mittelalter, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 45 (1973), S. 45–95.
  • Heinrich Schmidt: Politische Geschichte Ostfrieslands (Ostfriesland im Schutze des Deiches; Band 5), Pewsum 1975.
  • Heinrich Schmidt: Zum Aufstieg der hochmittelalterlichen Landesgemeinden im östlichen Friesland. In: ders.: Ostfriesland und Oldenburg: Gesammelte Beiträge zur norddeutschen Landesgeschichte. Aurich 2008, S. 311–328.
  • Gerhard Teschke: Studien zur Sozial- und Verfassungsgeschichte Frieslands im Hoch- und Spätmittelalter (Abhandlungen zur Geschichte Ostfrieslands, Bd. 42), Aurich 1966.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Heinrich Schmidt / Ernst Schubert: Geschichte Ostfrieslands im Mittelalter, in: Ernst Schubert (Hg.): Geschichte Niedersachsens, Bd. 2, Teil 1: Politik, Verfassung, Wirtschaft vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 36), Hannover 1997, S. 907–1033.
  2. Heinrich Schmidt: Adel und Bauern im friesischen Mittelalter, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 45 (1973), S. 45–95.
  3. Heinrich Schmidt, Politische Geschichte Ostfrieslands (Ostfriesland im Schutze des Deiches 5), Pewsum 1975, S. 22ff.
  4. Heinrich Schmidt, Zum Aufstieg der hochmittelalterlichen Landesgemeinden im östlichen Friesland, in: ders., Ostfriesland und Oldenburg: Gesammelte Beiträge zur norddeutschen Landesgeschichte, Aurich 2008, S. 311–328.
  5. Hajo van Lengen: Bauernfreiheit und Häuptlingsherrlichkeit im Mittelalter, in: Karl-Ernst Behre / Hajo van Lengen (Hg.): Ostfriesland. Geschichte und Gestalt einer Kulturlandschaft, Aurich 1995, S. 113–134, S. 124ff.