Rodulfus Tortarius

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Rodulfus Tortarius (* um 1063 in Gien; † nach 1122), in unterschiedlichen Quellen auch Raoul Tortaire, Raoul of Tourtier, Raoul de La Tourte, Raoul le Tourtier, Radulphus Tortarius, Rudolphus Tortarius, Radulphus Flaviacensis genannt, war ein gebildeter Benediktinermönch und Dichter der Abtei Fleury-sur-Loire. Er ist zu unterscheiden vom Gouverneur Raoul Tourte, der um 945 in der Normandie lebte.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rodulfus Tortarius wurde gegen 1063 in Gien an der Loire, in der Diözese Auxerre, geboren.[1] Über seine Familie ist lediglich bekannt, dass er fünf Brüder hatte, von denen zwei früh bei einer Fehde verstarben, zwei weitere später.[2]

Rodulfus studierte Literatur- und Sprachwissenschaft, Grammatik und Logik, ehe er in den Konvent von Fleury eintrat und diesen durch sein Können bereicherte. Er betätigte sich dort als Historiker und Kirchenrechtler.[3] Dass Rodulfus bei seinem Abt hohes Ansehen genoss, erkennt man an dem Umstand, dass er als Missionär in wichtigen Angelegenheiten herangezogen wurde.[4]

Wie Rodulfus zu seinem rätselhaften Beinamen Tortarius kam, ist ungeklärt.[5]

Rodolfus war mit Bischof Galon von Paris, 1104–1116, persönlich bekannt, wie man einem dem Bischof gewidmeten Gedicht über Boëmundus von Antiochien entnimmt.

Zwischen 1110 und 1115 unternahm er eine Reise in die Normandie, vor allem in die Städte Caen und Bayeux. Vermutlich beschritt er auch zu einem bestimmten Zeitpunkt in seinem Leben den Jakobspilgerweg nach Santiago de Compostela.

Die genauen Todesumstände und das Todesdatum Rodulfus' sind nicht bekannt. Zumindest weiß man, dass Rodulfus aus dem vollen Leben gerissen wurde[6] und nicht vor 1122 verstarb.[7]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zum literarischen Vermächtnis des Rodulfus Tortarius zählen neben seinem Briefcorpus[8] auch eine Hymne, ein Wunderbuch und ein Martyrologium. Hier die Werke im Einzelnen:

  • De memorabilibus (dichterische Bearbeitung der Memorabilien des Valerius Maximus)
  • Epistelae XII (in Vers- und Reimform)
  • Passio Beati Mauri (Leidensgeschichte des Heiligen Maurus)
  • Hymnus in honore Beati Mauri (Hymne zu Ehren des heiligen Maurus)
  • Miracula Sancti Benedicti (Wunderbuch des Heiligen Benedikt)

Bei vier weiteren Stücken ist die Urheberschaft zweifelhaft.[9]

  • Epitaph für Peter Abaelard
  • Elogium Petri
  • Elogium Cluniacum
  • De ovo (Gedicht)

Manuskripte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gedichte: MS Vat. Reginensis 1357, 12. Jhd.[10]
  • Wunder des Heiligen Benedikt: Vat. Reg. 302 und Aurel. Bibl. 323.
  • Passio und Hymne: MS Paris BN lat. 12606, MS Vat. Reg. 592.
  • Passio und Wunderbuch in Auszügen: MS Orléans, BM 490.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • J. Mabillon: Annales Ordinis Sancti Benedicti, Paris 1739, Bd. 6, S. 383f.
  • Charles Clémencet: Raoul Tortaire, moine de Fleuri, in: Histoire littéraire de la France, Bd. 12, Paris, 1865–1981.
  • J. P. Migne: Patrologia Latina, Bd. 160, Rodulfus Tortarius, Paris, 1854.
  • E. de Certain, Raoul Tortaire, in: Bibliothèque de l’École des Chartes 16 (serie 4, Bd. 1), Paris, 1855, S. 489–521.
  • E. de Certain: Raoul Tortaire, in Miracula sancti Benedicti, Paris, 1858, S. 21–23.
  • E. de Certain: Les miracles de Saint-Benoît, Paris 1858.
  • M. B. Ogle, D. M. Schullian: Rodulfi Tortarii Carmina editors, Rom, 1933.
  • F. Bar: Les épîtres latines de Raoul le Tourtier; etude de sources. La Legende d'Ami et Amile, Paris, 1937.
  • B. Grémont, A. Vidier: L’historiographie à Saint-Benoit sur Loire et les miracles de Saint-Benoit, Paris, 1965.

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Alles, was über Rudolfus’ Leben bekannt ist, stammt aus dem frühmittelalterlichen Codex seiner Werke, Reginensis 1357, der heute im Vatikan aufbewahrt wird. Brief 11 erwähnt seinen Geburtsort. Das Geburtsjahr erschließt sich aus Brief 7, da Rodulfus zum Zeitpunkt seiner Abfassung 45 Jahre alt war. Wenn dieser Brief aus dem Todesjahr König Philipps I. stammt, wie von E. de Certain behauptet, so muss Rodulfus im Jahr 1063 geboren sein.
  2. Deshalb konnte er in seinen späten Tagen seinen Brief 11 nur noch an einen am Leben gebliebenen Bruder richten.
  3. Epigramm des Francus Beatus, das dem Vatikanischen Manuskript voransteht: „Rudolf, dessen Lieder du in diesem Corpus vorfindest, Leser, war Zierde und Stütze dieses Klosters. Von Jugend auf von der Sprachwissenschaft durchdrungen, gab schließlich dieses Studium zusammen mit dem weltlichen Leben auf: Von diesem Zeitpunkt an war er ein Experte für das Heilige Gesetz und die Geschichtsschreibung ...“
  4. Laut einer Passage aus Brief 4.
  5. Er findet sich in den Briefen 1-4 seiner Sammlung. J. Mabillon und die Autoren der Histoire littéraire vermuteten, dass Rudolfs Beiname aus dem lat. Toponym Torta, fr. la Torte, entstanden sei. Über die vielen Übersetzungsvarianten siehe oben.
  6. Hugo von Sainte-Marie erwähnt in seinem literarischen Vorwort der Wundergeschichten des Heiligen Benedikt: "Nun hatte aber dieses Werk Herr Rudolf, unser verehrter Mitbruder, bereits begonnen, doch dann wurde er von Tod dahingerafft..." Siehe E. de Certain: Les miracles de Saint-Benoît, 1858, S. 357.
  7. Nach dem Beginn des Abbatiats von Petrus Venerabilis in Cluny, dem Rodulfus als frisch gewählten Kluniazenserabt in Brief 10 noch die Reverenz erwiesen hatte.
  8. Die Manuskriptgeschichte von MS Vat. Reginensis 1357 ist bewegt: Nach einem ca. vierhundertjährigen Dornröschenschlaf in der Bibliothek von Fleury gelangte der Codex im 16. Jahrhundert in die Hände des Liebhabers Pierre Daniel aus Orléans, anlässlich der Zerstörung der Klosterbibliothek im Jahre 1562 durch die Hugenotten. Nach ihm ging er auf Paul Petau und Jacques Bongars aus Paris, dann 1614 auf Alexander Petau, 30 Jahre später auf Königin Christina von Schweden, nach deren Tod im Jahr 1690 auf Papst Alexander VIII. über, der ihn in den Archiven des Vatikan verwahren ließ.
  9. Diese Werke hatte noch J. Mabillon als echt anerkannt, wenngleich ihr Abfassungszeitraum, im ersteren Fall nach 1142, sich kaum mit den oben stehenden biographischen Eckdaten vereinbaren lassen. Möglicherweise besteht bezüglich des Verfassers eine Verwechslung mit einem gewissen Rudolf von Cluny.
  10. Die Pergamenthandschrift, deren Einband die frühere Nummer 1640 trägt, umfasst 181 Folios, welche von mindestens 2 Kopisten des 12. Jahrhunderts in karolingischer Minuskel einspaltig beschrieben wurden, mit rubrizierten Titeln und Initialen auf jeder zweiten Linie. Die Schriftzüge, die jeglichen gotischen Einfluss vermissen lassen, schließen a priori die Möglichkeit aus, dass das Manuskript in einem späteren Jahrhundert entstand. Somit wird der Codex, der die gesammelten Werke des Dichters enthält, unmittelbar nach seinem Tod im Skriptorium von Fleury angefertigt worden sein.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Das Gedicht: Ad syncopum (online)
  • Auszüge der Wunder des Heiligen Benedikt im Latein und Französisch (online)