Rotationszahl

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Die Rotationszahl ist eine Invariante von Selbstabbildungen des Kreises, die erstmals von Henri Poincaré 1885 in seinen Arbeiten zur Himmelsmechanik untersucht wurde. Homöomorphismen von Kreisen kommen dort als Poincaré-Abbildungen (return maps) 2-dimensionaler Flüsse vor und die Rotationszahl der Poincaré-Abbildung liefert Informationen über das Langzeitverhalten des 2-dimensionalen Flusses.

Überlagerung des Kreises durch die Zahlengerade . Jede stetige Abbildung kann zu einer stetigen Abbildung mit für alle hochgehoben werden.

Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es sei ein orientierungserhaltender Homöomorphismus des Kreises (vgl. Kreisgruppe). Dann gibt es eine Hochhebung von zu einem Homöomorphismus der Zahlengerade mit

für jede reelle Zahl und jede ganze Zahl .

Die Rotationszahl von ist mit Hilfe der Iteration von definiert als:

.

Henri Poincaré bewies, dass der Grenzwert existiert und nicht von der Wahl des Startpunktes abhängt.

Die Hochhebung ist nur modulo ganzzahliger Verschiebungen eindeutig definiert, deshalb ist die Rotationszahl ein wohldefiniertes Element aus . Anschaulich misst sie den durchschnittlichen Drehwinkel entlang des Orbits von .

Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Drehungen des Kreises
  • Wenn die Drehung um den Winkel ist, dann ist .
  • Wenn mindestens einen Fixpunkt hat, dann ist . Wenn keine Fixpunkte hat, dann ist .
  • ist rational genau dann, wenn einen periodischen Punkt hat. Wenn eine rationale Zahl ist, dann haben alle periodischen Punkte die Periode .

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die Rotationszahl ist invariant unter Konjugation: wenn ein Homöomorphismus ist, dann ist .
  • Die Rotationszahl hängt stetig von ab, d. h. wenn eine Folge gleichmäßig gegen konvergiert, dann konvergiert gegen .

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Klassifikationssatz von Poincaré: Wenn irrational ist, dann gibt es einen monotone, stetige Abbildung mit
,
wobei die Drehung um den Winkel bezeichnet. ist ein Homöomorphismus genau dann, wenn die Wirkung von unter Iteration transitiv ist. Beispiele nichttransitiver Homöomorphismen mit irrationaler Rotationszahl wurden von Denjoy konstruiert.
  • Wenn rational und orientierungserhaltend ist, dann gibt es zwei mögliche Typen periodischer Orbiten:
    • Wenn genau einen periodischen Orbit hat, dann ist jeder andere Punkt unter heteroklin zu zwei Punkten auf dem periodischen Orbit.
    • Wenn mehrere periodische Orbiten hat, dann ist jeder andere Punkt unter heteroklin zu zwei Punkten auf unterschiedlichen periodischen Orbiten.

Verallgemeinerungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es gibt verschiedene Verallgemeinerungen der Rotationszahl, die sich (einschließlich Poincarés klassischer Definition) alle in den folgenden Ansatz einordnen lassen.

Es sei eine lokalkompakte topologische Gruppe und eine beschränkte -wertige Borel-Kohomologieklasse[1]. Es sei . Weil die Einschränkung der entsprechenden reell-wertigen Kohomologieklasse auf die Untergruppe verschwindet, gibt es wegen der exakten Sequenz

einen eindeutigen stetigen Homomorphismus im Urbild von . Die Rotationszahl von wird dann definiert als[2]

.
  • Für und die Euler-Klasse erhält man die klassische Rotationszahl.[3]
  • Für und das Bild von unter erhält man die symplektische Rotationszahl.[4]
  • Für die Automorphismengruppen symmetrischer Gebiete vom Tubentyp erhält man die Clerc-Koufany-Rotationszahl.[5]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Katok, Anatole; Hasselblatt, Boris: Introduction to the modern theory of dynamical systems. With a supplementary chapter by Katok and Leonardo Mendoza. Encyclopedia of Mathematics and its Applications, 54. Cambridge University Press, Cambridge, 1995. ISBN 0-521-34187-6 (Kapitel 11)
  • Aranson, S. Kh.; Belitsky, G. R.; Zhuzhoma, E. V.: Introduction to the qualitative theory of dynamical systems on surfaces. Translated from the Russian manuscript by H. H. McFaden. Translations of Mathematical Monographs, 153. American Mathematical Society, Providence, RI, 1996. ISBN 0-8218-0369-7
  • Herman, Michael-Robert: Sur la conjugaison différentiable des difféomorphismes du cercle à des rotations. Inst. Hautes Études Sci. Publ. Math. No. 49 (1979), 5–233. doi:10.1007/BF02684798

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. ist die Kohomologie der -Invarianten des Komplexes der beschränkten Borel-messbaren Abbildungen
  2. Burger, Marc; Iozzi, Alessandra; Wienhard, Anna: Surface group representations with maximal Toledo invariant. Ann. of Math. (2) 172 (2010), no. 1, 517–566. pdf (Kapitel 7)
  3. Ghys, Étienne: Groupes d'homéomorphismes du cercle et cohomologie bornée. The Lefschetz centennial conference, Part III (Mexico City, 1984), 81–106, Contemp. Math., 58, III, Amer. Math. Soc., Providence, RI, 1987.
  4. Barge, J.; Ghys, É.: Cocycles d'Euler et de Maslov. Math. Ann. 294 (1992), no. 2, 235–265. pdf
  5. Clerc, Jean-Louis; Koufany, Khalid: Primitive du cocycle de Maslov généralisé. Math. Ann. 337 (2007), no. 1, 91–138. pdf