Schweinerock

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Jimi Jamison (links) und Frankie Sullivan (rechts) von der Band Survivor beim Sweden Rock Festival 2013

Schweinerock ist ein Sammelbegriff für verschiedene Stilrichtungen von Rockmusik. Gleichzeitig ist es ein abwertender Ausdruck für künstlerisch wenig anspruchsvolle Rockmusik. Obwohl sich der Begriff nicht scharf abgrenzen lässt, bestehen doch einige Gemeinsamkeiten der als Schweinerock bezeichneten Musik. Sowohl Kulturwissenschaften als auch Musikjournalismus verwenden die Bezeichnung Schweinerock, wobei je nach Verwendung entweder ein historisches Phänomen der 1970er und 1980er Jahre gemeint ist, oder aber ein pompöser und primitiver Klang der Musik.

Definition als zeitlicher Abschnitt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Musikgeschichte und Kulturwissenschaften bezeichnen als Schweinerock eine Stilrichtung der Rockmusik, die vor allem in den 1970er und 1980er Jahren populär war. Schweinerock zeichnet sich hierbei vor allem durch die Massentauglichkeit aus. Bei der als Schweinerock bezeichneten Musik ging es darum, Rockmusik mit weniger anstößigem Klang und weniger anstößigen Inhalten zu produzieren. Der Musikproduzent Andreas Herbig beschrieb Schweinerock als „Bizeps-Rock“, „Gummihosen-Metal“ oder „Stadtfest-Faust-Hoch-Dreck“ und nannte als prominentes Beispiel den Song Eye of the Tiger der Band Survivor.[1] Andreas Kühn bezeichnete Schweinerock als das Phänomen, gegen welches sich Punk abgrenzen wollte. Kühn nennt den Schweinerock der 1970er Jahre „selbstgefällig“.[2] Demnach sähe ein Gegsatzpaar von Schweinerock zu Punk so aus, dass Punk essenziell subversiv sei und Schweinerock essenziell affirmativ. Auch sieht Kühn den Schweinerock als eine Weiterentwicklung von Progressive Rock.[2] Das Lied More Than a Feeling (1976) der Gruppe Boston ist ein Beispiel für den Schweinerock der 1970er Jahre. Eva Briegel von der Band Juli nennt Schweinerock als Negativbeispiel, gegen das es sich abzugrenzen galt.[3]

Die Bezeichnung Schweinerock wurde in letzter Zeit vor allem verwendet, um zu beschreiben, wie aktuelle Musik auf bestimmte Phasen der Musikgeschichte zurückgreift. Schweinerock gilt als historische Referenz. Aram Linzel bezeichnet Schweinerock eine Stilrichtung der 1980er Jahre, die rückblickend zwar negativ bewertet wird, dennoch als Inspiration für aktuelle Popmusik dient.[4] Frank Schäfer nennt Schweinerock als Rückbezug für die Musik der Jahrtausendwende.[5]

Definition als Klang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seltener wird der Ausdruck Schweinerock verwendet, um einen bestimmten musikalischen Klang zu bezeichnen. Auch in diesem Fall geht es darum, dass die Musik einerseits eingängig und radiotauglich klingt, andererseits aber alle Elemente von Rockmusik aufweist: E-Gitarren, hart gespieltes Schlagzeug, extrovertierter Gesang. Manchmal wird die Bezeichnung Schweinerock auch für bestimmte Bands aus Skandinavien verwendet. Beispiele hierfür sind die Bands Gluecifer, The Hellacopters und Turbonegro.[6] Anders als beim Schweinerock der 1970er und 1980er Jahre wird hier kein scharfer Kontrast zum Punk gezogen. Auf rein klanglicher Ebene bestehen sogar Ähnlichkeiten zum Punk. Mitunter werden im Schweinerock sogar Elemente des Punk übernommen.[6] Von der Musikpresse wird die Bezeichnung Schweinerock sehr frei verwendet. So wurde unter anderem folgenden Acts ein Schweinerock-Sound unterstellt: John Coffey,[7] Stefan Weber,[8] The Carburetors,[9] Mount Kimbie,[10] Morrissey[11] oder auch Lady Gaga.[12]

In anderen Medien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Popliteratur spielt Schweinerock vor allem im Werk von Thorsten Nagelschmidt eine Rolle. Der Musiker und Autor veröffentlichte 2018 das Buch Abfall der Herzen. Darin wird an mehreren Stellen auf Schweinerock als eine bestimmte Szene- oder Gruppenzugehörigkeit verwiesen.[13][14] Auch Nagelschmidt bringt Schweinerock und Skandinavien miteinander in Verbindung.[15] Der Ausdruck Schweinerock wird auch von Nagelschmidt als abwertende Bezeichnung verwendet.[16]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Udo Lindenberg, Thomas Hüetlin: Udo. 1. Auflage. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018, ISBN 978-3-462-05077-6 (worldcat.org [abgerufen am 7. April 2024]): „Für diese Schändung durch Sound, diesen Frevel am Pop-Heiligen hatte [Andreas] Herbig Ausdrücke, die er ausspuckte wie lästige Insekten. ‚Schweinerock‘ nannte er diesen Klang. Oder ‚Bizeps-Rock‘ oder ‚Gummihosen-Metal‘, oder ‚Stadtfest-Faust-Hoch-Dreck‘. Songs, die klangen wie ‚Eye of the Tiger‘ von der US-Stumpf-Band Survivor.“
  2. a b Andreas Kühn: Anti-Rock – Avantgarde und Pop im rockfreien Raum (= Kulturwissenschaft. Nr. 45). Lit, Berlin Münster 2013, ISBN 978-3-643-12388-6, S. 150 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 7. April 2024]): „Wie unterschieden sich denn überhaupt, fragt Simon Reynolds, die Lederjacken und der Teenage-Kult der Ramones von den 1950er Jahre Rip-offs wie etwa ‚Grease‘ oder ‚Happy Days‘, die zu dieser Zeit den amerikanischen Mainstream bestimmten? Natürlich waren sie angetreten, um mit ihrem Tempo und ihrem Minimalismus dem selbstgefälligen Progressive- und Schweinerock der mittleren 1970er Jahre den Marsch zu blasen – und das dauerte genau zwei Alben lang.“
  3. »Schweinerock ist schrecklich«. In: Der Spiegel. 10. Oktober 2004, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 7. April 2024]): „Die Radiostationen suchen doch händeringend nach deutschen Acts, die sie spielen können. Die meisten Bands spielen aber diesen schrecklichen Achtziger-Jahre-Schweinerock, den ich fürchterlich finde.“
  4. Aram Linzel: Hypnagogic Pop. In: Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Nadja Geer, Thomas Hecken, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hrsg.): POP – Kultur und Kritik. Band 1, Nr. 1. Transcript, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8394-2153-6, S. 69: „Während der Vergewisserungs-Retro für klare Verhältnisse sorgt, destabilisiert Hypnagogic Pop unser Geschichtsbild. Seine Protagonisten arbeiten an den Peripherien von Pop, entdecken Obsoletes und veredeln es zu neuer und bisher ungehörter Musik. In lange Zeit abjekten und unhippen Musiken wie New Age oder 80er-Schweinerock machen sie ungehobene Potenziale und ungelebte Möglichkeiten aus.“
  5. Frank Schäfer: Notes on Metal. In: Frank Schäfer, Eugen Eugner (Hrsg.): Heavy Metal – Geschichten, Bands und Platten (= Reclam-Bibliothek. Band 1737). Reclam, Leipzig 2001, ISBN 3-379-01737-X, S. 33 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): „Anfang des neuen Jahrtausends hatte die Spirale der Musikhistorie wieder einmal eine Drehung gemacht. Plötzlich war Ironie ‚over‘ – und der vormals anachronistische Schweinerock sehr, sehr charttauglich. Die härtere Spielart zumal. Und so musste man ihr nur einen neuen Namen geben, um sie vom Ruch des Ewiggestrigen zu befreien.“
  6. a b Gluecifer. 23. Januar 2020, abgerufen am 7. April 2024: „Um die Jahrtausendwende gehörten Gluecifer aus Oslo zu den berühmt-berüchtigten ‚Schweinerock‘-Bands aus Skandinavien. Die Musikpresse hatte diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung erfunden und hypte die dazugehörigen Bands zu den Rettern des Rock'n'Roll hoch. Das passte Gluecifer ganz gut ins Konzept, denn sie bezeichneten sich selbst ohnehin schon als ‚Kings of Rock‘. Ähnlich wie die Hellacopters aus Schweden und ihre Landsleute von Turbonegro mischten Gluecifer aus Garagenrock-, Punk- und Rock'n'Roll-Elementen eine unwiderstehliche und catchy Mischung zusammen.“
  7. Alex Schlage: Review von Bright Companions. In: Ox-Fanzine #103. 24. Oktober 2011, abgerufen am 17. Februar 2013.
  8. Doris Knecht: Alles Gute, Stefan Weber. (Memento vom 7. April 2008 im Internet Archive) In: Die Zeit, 8. November 2006.
  9. Michael Edele: Nach der Dimmu Borgir-Kollabo nun wieder Schweinerock. Laut.de, abgerufen am 17. Februar 2011.
  10. Aram Lintzel: Mount Kimbie / James Blake. In: Spex — Magazin für Popkultur. Archive.org Internet Archive, 28. Mai 2012, abgerufen am 13. April 2024.
  11. Jan Kühnemund: Warme Worte für Schweinerock. In: Die Zeit. 16. Februar 2009, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 7. April 2024]): „Offenbar mag sich die deutsche Musikpresse nicht so recht mit Herrn Morrissey anlegen. Zu hoch achten viele sein frühes Werk mit den Smiths, da wird ihm nun auch der Schweinerock verziehen – und ein Album so lange gehört, bis man eben ein paar warme Worte dafür findet.“
  12. Andreas Borcholte: Lady Gaga stellt im Berliner Berghain ihr neues Album ‚Artpop‘ vor. In: Der Spiegel. 25. Oktober 2013, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 13. April 2024]).
  13. Thorsten Nagelschmidt: Der Abfall der Herzen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-10-490628-7, S. 135: „Jungs und Mädchen in zeltartigen T-Shirts von Nirvana, NOFX oder Rage against the Machine, [..] dazwischen Grüppchen von Jugendlichen mit eindeutiger Szenezugehörigkeit: schmächtige Emokids mit Lippenpiercings, Haarspangen und Stoffmützen voller Buttons, feiste Schweinerockjünger mit vor Pomade glänzenden Trieflocken und buschigen Koteletten, Dosenbierpunker mit herunterhängenden Schlapp-Iros.“
  14. Nagelschmidt, ebd., S. 218: „Ivo schaute sich gerade die neuesten Konzertfotos von André an, die der mir schon auf der Rückfahrt gezeigt hatte. Fettige lange Haare, in die Luft gestreckte Gitarrenhälse, Füße auf Monitorboxen, alles sehr schweinerocklastig.“
  15. Nagelschmidt, ebd., S. 147: „‚ALLES GUTE NACHTRÄGLICH!‘, brüllte er gegen den skandinavischen Schweinerock an, der aus den billigen Boxen schepperte.“
  16. Nagelschmidt, ebd., S. 411: „Helena verschwand wutentbrannt in der Küche, worauf Ivo die Musik noch ein bisschen lauter drehte. Schweinerock. Immer dieser Schweinerock.“