Schwer-in-Ordnung-Ausweis

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Der Original-Schwerinordnungausweis der Erfinderin

Der Schwer-in-Ordnung-Ausweis (oder Schwerinordnungausweis) ist eine von deutschen Behörden in verschiedenen Bundesländern ausgegebene Ausweishülle, die auf Wunsch oder Antrag zusätzlich zum Schwerbehindertenausweis erhältlich ist.

Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Idee für die Ausweishülle hatte 2017 die damals 14-jährige Schülerin Hannah Kiesbye aus Pinneberg, die mit dem Down-Syndrom lebt und die sich durch die Bezeichnung ihres Schwerbehindertenausweises diskriminiert fühlte. Sie veröffentlichte dazu einen literarischen Text in der Herbst-Ausgabe 2017 des Magazins „KIDS Aktuell“ des Hamburger Vereins KIDS Hamburg e. V. – Kontakt- und Informationszentrum Down-Syndrom, der sich für Menschen mit Down-Syndrom einsetzt.[1] In dem Text deutete sie die vorhandene Bezeichnung in die aus ihrer Sicht positivere Variante „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ um und präsentierte eine Fotografie einer entsprechend beschrifteten Ausweishülle, die sie gemeinsam mit einer Lehrerin erstellt hatte.[1][2]

Nachdem zunächst ein Twitter-Nutzer die Idee der Jugendlichen und ihren Text in einem Tweet aufgriff,[3] fand die Umbenennungsidee in sozialen Netzwerken viel positive Resonanz und erhielt in der Folge große Aufmerksamkeit. Bundesweit berichteten darüber zahlreiche Print- und Online-Medien, Rundfunk- und Fernsehsender.[4]

Ein behinderter Junge beantragte daraufhin beim Hamburger Versorgungsamt einen eigenen Schwer-in-Ordnung-Ausweis. Die Hamburger Sozialsenatorin Melanie Leonhard sagte ihm die Ausstellung des Schwer-in-Ordnung-Ausweises zu, wobei sie noch offen ließ, in welcher Form dies erfolgen sollte.[2][5][6] Die Umsetzung erfolgte im Dezember 2017 in Form einer bedruckten Ausweishülle, die Schwerbehinderte auf Wunsch kostenlos vom Versorgungsamt Hamburg erhalten können.[7]

Im Januar 2018 teilte die rheinland-pfälzische Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler mit, dass auch hier der Schwer-in-Ordnung-Ausweis beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung beantragt werden kann und umgehend kostenfrei ausgehändigt wird. Dabei handelt es sich um eine Ausweishülle, die den Schriftzug „Schwerbehindertenausweis“ mit dem Wort „Schwerinordnungausweis“ überdeckt.[8][9]

In Niedersachsen gibt es seit März 2018 eine gleichartige Ausweishülle.[10] Die Hülle kann wahlweise mit der Aufschrift „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ oder „Meine Teilhabe“ beim Sozialministerium angefordert werden und wird kostenfrei ausgegeben.

In Berlin kann seit April 2018 eine entsprechende Hülle formlos beim Versorgungsamt des Landesamtes für Gesundheit und Soziales angefordert werden.[11]

Auch in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern[12], Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein[13] und Thüringen[14] werden auf Antrag Ausweishüllen mit dem Aufdruck „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ ausgegeben.

Bis Januar 2019 gaben die Sozialbehörden laut Recherche des NDR bundesweit fast 10.000 Ausweishüllen auf Antrag aus.[15]

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ besteht aus einer Plastikhülle, die in einigen Bundesländern auf Wunsch bzw. besonderen Antrag kostenfrei an Schwerbehinderte abgegeben und in die der vorhandene Schwerbehindertenausweis hineingesteckt wird. Es handelt sich in dieser Form zwar um kein amtliches Dokument und auch keinen Verwaltungsakt, dennoch erreichte diese behördliche Maßnahme großes Medienecho und wurde bundesweit bekannt.[9]

Der eigentliche Schwerbehindertenausweis, dessen Gestaltung durch die Schwerbehindertenausweisverordnung bundeseinheitlich geregelt ist, wird in seiner Form und in seiner Beschreibung weiterhin ausgegeben und benötigt.[16] Zudem wird er durch den „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ – bei dem es sich ja nur um eine Ausweishülle handelt – nicht verändert.[17]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, sagte im November 2017 in einem Interview auf Spiegel Online: „Das Schwer-in-Ordnung-Sein braucht man bei Menschen mit Behinderungen nicht besonders hervor[zu]heben. Besser wäre es, das Dokument umzubenennen in Teilhabeausweis oder Inklusionsausweis.“ Des Weiteren ist Bentele der Meinung, dass „[…] es besser [wäre], Tatsachen zu benennen, ohne sie zu bewerten.“[18]

Politische Konsequenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im April 2018 beantragte die Fraktion der FDP im Bundestag unter Bezugnahme auf die Diskussion um den Schwer-in-Ordnung-Ausweis, den Schwerbehindertenausweis in Teilhabeausweis umzubenennen. Der Antrag wurde im Parlament beraten[19] und zur weiteren Ausarbeitung an die Ausschüsse überwiesen.[20] Im Ausschuss für Arbeit und Soziales wurde der Antrag später abgelehnt.[21] Mehrere Parteien erklärten zwar ihre grundsätzliche Sympathie für den Antrag, mahnten jedoch an, dass eine solche Namensänderung nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden werden sollte.

Am 1. Oktober 2020 zeichnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die 17-jährige Hannah Kiesbye, die die Idee für den Schwer-in-Ordnung-Ausweis hatte, mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland aus.[22][23]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Hannah Kiesbye: Schwer-in-Ordnung-Ausweis. In: KIDS Aktuell – Magazin zum Down-Syndrom. Nr. 36 – Herbst 2017. KIDS Hamburg e. V. – Kontakt- und Informationszentrum Down-Syndrom, Hamburg, S. 16–17 (online auf kidshamburg.de [PDF; 5,8 MB; abgerufen am 6. Februar 2018]).
  2. a b Schwer-in-Ordnung-Ausweis. Nachrichten heute plus bei ZDFinfo. In: zdf.de. 22. November 2017, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 3. Januar 2018; abgerufen am 6. Februar 2018 (mit Video, 2 Minuten).
  3. Marvin Ronsdorf: Marvin Ronsdorf auf Twitter. In: twitter.com. 20. Oktober 2017, abgerufen am 6. Februar 2018: „Hannah hat aus ihrem Schwerbehindertenausweis einen Schwer-in-Ordnung-Ausweis gemacht und darüber geschrieben. Du bist klasse, Hannah!“
  4. Daniel Wüstenberg: Schwerbehindert? Schwer in Ordnung! 14-Jährige stellt da mal was klar. In: Neon. 25. Oktober 2017 (online auf stern.de [abgerufen am 6. Februar 2018]).
  5. Behörde stellt „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ aus. In: ndr.de. 15. November 2017, abgerufen am 6. Februar 2018 (Bericht über einen Hörfunkbeitrag in der Sendereihe Treffpunkt Hamburg bei NDR 90,3 vom 14. November 2017).
  6. (ate/dpa): Statt des Behindertenausweises: Kind mit Down-Syndrom erfindet „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“. In: rp-online.de. 16. November 2017, abgerufen am 6. Februar 2018.
  7. Dorit Koch: Hamburg: „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“ soll bundesweit Schule machen. In: welt.de. 18. Dezember 2017, abgerufen am 6. Februar 2018.
  8. (mz/tis): Tolle Geste: Rheinland-Pfalz führt „Schwer-in-Ordnung“-Ausweis ein. In: mz-web.de. 2. Januar 2018, abgerufen am 6. Februar 2018.
  9. a b SWR Aktuell Rheinland-Pfalz: Neues „Dokument“ in Rheinland-Pfalz: Jetzt gibts den Schwerinordnungausweis (Memento vom 5. Januar 2018 im Internet Archive)
  10. Schwer-in-Ordnung-Ausweis macht Furore. In: dpa. 6. März 2018, abgerufen am 23. März 2018 (Bericht über die Pressekonferenz zur Vorstellung des Ausweises in Niedersachsen).
  11. Pressemitteilung der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. 23. April 2018, abgerufen am 23. April 2018.
  12. Schwer-In-Ordnung-Ausweishüllen ab sofort auch in Mecklenburg-Vorpommern erhältlich. Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 21. Juni 2018, abgerufen am 23. September 2018.
  13. Immer mehr sind schwer in Ordnung
  14. Neue Ausweishülle „Schwer in Ordnung“ für den Behindertenausweis, eisenachonline.de, aufgerufen am 10. Oktober 2019
  15. Hannah Böhme: Hannahs „Schwer in Ordnung“-Ausweis ist der Renner. In: ndr.de. 26. Januar 2019, abgerufen am 26. Januar 2019.
  16. Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) – Muster 5. In: gesetze-im-internet.de. Abgerufen am 6. Februar 2018 (Fundstelle: BGBl. I 2012, 1277).
  17. (ott mit dpa): Statt „Schwerbehindertenausweis“: Was halten Sie vom „Schwer in Ordnung“-Ausweis? In: welt.de. 16. November 2017, abgerufen am 6. Februar 2018.
  18. Heike Klovert: Hamburgs „Schwer-in-Ordnung-Ausweis“: „Den könnte man allen Menschen ausstellen“. In: Spiegel Online. 16. November 2017, abgerufen am 6. Februar 2018.
  19. Beratung des Bundestags, 28. Sitzung 2018. In: Mediathek des Deutschen Bundestages. 26. April 2018, abgerufen am 29. April 2018.
  20. Claudia Heine: Wir stehen ganz am Anfang. In: Das Parlament. 29. April 2018, abgerufen am 29. April 2018.
  21. Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten: "Vorerst kein Teilhabeausweis". In: Heute im Bundestag. 27. Juni 2018, abgerufen am 22. September 2018.
  22. Ordensverleihung „Vereint und füreinander da“. Der Bundespräsident, abgerufen am 2. Oktober 2020.
  23. Bundesverdienstkreuz für Halstenbekerin Hannah Kiesbye. In: ndr.de. 1. Oktober 2020, abgerufen am 2. Oktober 2020.