Sinaloa-Kartell

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Logo des Sinaloa-Kartells
Gebiete, die vom Sinaloa-Kartell beherrscht werden (Gelb) Stand Oktober 2020

Als Sinaloa-Kartell (spanisch Cártel de Sinaloa) bekannt ist die mexikanische Verbrecherorganisation, die Geschäften im Drogenhandel, der Geldwäsche und dem Menschenhandel nachgeht. Das Kartell hat seine Basis in Culiacán, Sinaloa, agiert aber in mehr als 20 mexikanischen Bundesstaaten. Das Kartell ist auch unter den Bezeichnungen Guzmán-Loera-Organisation und Pazifik-Kartell bekannt. Das Kartell wurde auch „Federación“ genannt. Diese „Federación“ löste sich aber mit der Abspaltung der Gebrüder Beltrán Leyva vom Sinaloa-Kartell auf.

Stand 2022 wird die Organisation von Söhnen und früheren Geschäftspartnern des einstigen Kartellchefs Joaquín Guzmán (auch El Chapo genannt) geführt.[1]

Die United States Intelligence Community bezeichnete 2010 das Sinaloa-Kartell als „die mächtigste Organisation im Drogenhandel weltweit“.[2] Laut dem United States Attorney General ist das Sinaloa-Kartell verantwortlich für den Import und den Vertrieb von über 200 Tonnen Kokain zwischen 1990 und 2008.[3]

Zu Beginn der 2010er Jahre gewann das Verbrechersyndikat aus Sinaloa zunehmend an Einfluss und galt bis zur Verhaftung von El Chapo im Jahr 2016 eindeutig als das mächtigste unter den mexikanischen Kartellen. Spätestens seit 2018 wird insbesondere das Cártel de Jalisco Nueva Generación mindestens als ähnlich stark betrachtet.[4][5][6]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vom Sinaloa-Kartell dominierte Bundesstaaten 2008 (violett)

Der Drogenhandel in Mexiko professionalisierte sich im Laufe der 1980er Jahre. Während früher überwiegend kolumbianische Kartelle, wie das Cali-Kartell und das Medellín-Kartell, dafür sorgten, dass Kokain, Marihuana und Heroin in die USA gelangten, begann sich in den 1980er Jahren ein Kartell mit seiner Basis in Guadalajara, Jalisco, zu bilden. Der ehemalige Polizeibeamte Miguel Ángel Félix Gallardo gründete gemeinsam mit seinen Partnern Ernesto Fonseca Carrillo und Rafael Caro Quintero das Guadalajara-Kartell, welches in seiner Hochblüte in den 1980ern den gesamten Kokainhandel in Mexiko beherrschte.[7]

Gallardo entwickelte Mitte der 1980er ein neues Vertriebsmodell für Kokain, verzichtete dadurch aber auf große Teile seiner Macht. Er unterteilte sein Einflussgebiet in sechs neue Bezirke:

Region Zuständiger Drogenboss
Guadalajara Miguel Ángel Félix Gallardo
Sinaloa El Chapo (nach dessen Festnahme Ismael Zambada García (El Mayo))
Tijuana Arellano-Felix-Brüder
Ciudad Juárez Amado Carrillo Fuentes
Sonora Miguel Caro Quintero
Tamaulipas Juan Garcia Abrego

Zu diesem Zeitpunkt war das Guadalajara-Kartell das wohl einflussreichste und mächtigste Drogenkartell in der Geschichte Mexikos.[7] Doch nachdem Miguel Angel Felix Gallardo 1989 verhaftet wurde, entbrannten Kompetenzstreitigkeiten. Da sich jeder der fünf verbliebenen Drogenbosse erhöhten Einfluss sichern wollte, zerbrach letztlich die Federación und es entstanden mehrere kleine Gruppierungen, die stellenweise bis heute existieren: Sinaloa-Kartell, Golf-Kartell, Tijuana-Kartell, Juárez-Kartell.

Anfang der 1990er entwickelte sich dann das Sinaloa-Kartell trotz zahlreicher Gefechte mit den verfeindeten Kartellen zum einflussreichsten Kartell Mexikos.[7] Dies änderte sich, als die Kämpfe intensiver wurden. Besonders die Schmuggelroute über Tijuana nach Kalifornien wurde heftig umkämpft. Es kam vermehrt zu Auseinandersetzungen mit den Arellano-Felix-Brüdern vom Tijuana-Kartell. So entging El Chapo oft nur knapp Attentaten, die auf das Tijuana-Kartell zurückzuführen waren.[8] Immer seltener hielt er sich über längere Zeit an ein und demselben Ort auf. Er nutzte überwiegend Hotelzimmer, blieb oft nur zwei Nächte, um nicht gefunden zu werden. Seine Flucht endete 1993 in Guatemala, wo er gefangen genommen und anschließend in das Hochsicherheitsgefängnis Puente Grande in Jalisco gebracht wurde.[9]

Infolgedessen war das Sinaloa-Kartell sichtlich geschwächt, auch wenn El Chapo die Geschicke aus der Gefängniszelle fortführen konnte. Nach seinem legendären Ausbruch 2001 fand das Sinaloa-Kartell zu alter Stärke zurück. Besonders während der Amtszeit von Staatspräsident Felipe Calderón (2006–2012) wuchs die Macht des Kartells stark an. Anfang 2011 wurde es wieder als stärkstes Kartell Mexikos bezeichnet.[10] Während andere Kartelle, besonders das Golf-Kartell und die Los Zetas, brutale Auseinandersetzungen mit den mexikanischen Streitkräften hatten, blieb das Kartell aus Sinaloa weitestgehend verschont. Dies führte zur Vermutung einer geheimen Zusammenarbeitsvereinbarung zwischen Präsident Felipe Calderón und den Führern des Sinaloa-Kartells.[7] Auch der US-amerikanischen Drug Enforcement Administration wurde eine Kooperation mit dem Kartell unterstellt.[11]

Das Sinaloa-Kartell soll im Jahr 2010 in etlichen lateinamerikanischen Staaten aktiv gewesen sein. Es soll auf die Unterstützung von mexikanischen Behörden auf kommunaler, regionaler und Bundesebene zählen können.[12]

Am 30. Juli 2010 wurde Ignacio „Nacho“ Coronel, einer der drei Anführer des Kartells, von mexikanischen Militärangehörigen getötet. Es war der größte Erfolg der mexikanischen Armee im Kampf gegen das Sinaloa-Kartell seit Beginn des Drogenkrieges.[13]

Am 25. September 2010 wurde mit Margarito Soto Reyes der mutmaßliche Nachfolger von Ignacio Coronel von der Polizei verhaftet.[14]

Am 26. Mai 2011 lieferten sich Angehörige des Sinaloa-Kartells, laut Regierungsangaben, in Ruiz auf der Hauptstraße von Tepic nach Mazatlán mit Mitgliedern der Zetas ein einstündiges Feuergefecht aus fahrenden Autos heraus, bei dem 29 Personen, teilweise mit Kampfanzügen und Schutzwesten bekleidet, getötet wurden. Die Polizei konfiszierte 14 Fahrzeuge, darunter zwei gepanzerte, und zusätzlich Gewehre, Munition und Handgranaten.[15]

Am 22. Februar 2014 wurde El Chapo (Guzmán) verhaftet.[16] Als Nachfolger galt nun sein langjähriger Vertrauter Ismael „El Mayo“ Zambada.[17] Eine Woche nach der Festnahme Guzmáns demonstrierten mehrere Tausend Anhänger landesweit für die Freilassung des ehemaligen Anführers des Sinaloa-Kartells.[18] Am 11. Juli 2015 brach El Chapo jedoch zum zweiten Mal aus dem Gefängnis aus.[19] Nach sechsmonatiger Flucht wurde er am 8. Januar 2016 von mexikanischen Marineinfanteristen in Los Mochis, zusammen mit seinem Sicherheitschef, Jorge Iván Gastélum Ávila (alias „El Cholo“), verhaftet[20] und am 19. Januar 2017 an die USA überstellt.[21]

Als mutmaßlicher neuer Kartellführer und Nachfolger El Chapos etablierte sich in einem Machtkampf 2016/17 zunächst Dámaso López Núñez, genannt „El Licenciado“ („Der Akademiker“), ein langjähriger Weggefährte und Berater El Chapos, der im Mai 2017 vom mexikanischen Militär festgenommen wurde. Einige Sicherheitsexperten vermuten, er stecke hinter der Entführung der Söhne von El Chapo im August 2016 und sei mit dem Kartell Jalisco Nueva Generación (CJNG) verbündet, um sich gegen das Lager der Familie Guzmán durchzusetzen, das ihn nicht akzeptierte. Bereits seit 2015 soll das Kartell zwischen Anhängern und Gegnern der Familie El Chapos gespalten sein. Seit Jahresbeginn bis Mai 2017 forderten Auseinandersetzungen zwischen der Fraktion von El Licenciado und seinem Sohn „Mini Lic“ auf der einen und dem Bruder und den Söhnen von El Chapo auf der anderen Seite vor allem an der Pazifikküste Mexikos über 140 Menschenleben.[22][23]

Bis zu acht Prozent der Mitglieder des Kartells sind (Stand März 2021) laut der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft Frauen.[24]

Am 6. Januar 2023 wurde nach 6-monatiger Überwachung Ovidio Guzman (32), ein Sohn von Joaquin „El Chapo“ Guzman in Culiacán, Hauptstadt von Sinaloa, festgenommen. Bei stundenlangen Schießereien wurden 29 Menschen, darunter 10 Soldaten, getötet.[25]

Netzwerk und Organisation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Sinaloa Kartell ist nicht nur in Mexiko gut organisiert, sondern kooperiert in Südamerika, speziell in Kolumbien und Ecuador mit dortigen Kartellen. Nachweisen konnte Interpol auch Zellen in Argentinien und Australien; insgesamt in 40 Ländern. In Mexiko ist das Kartell in ungefähr der Hälfte der 32 mexikanischen Bundesstaaten vertreten.[26] In den USA hat das Drogenkartell Niederlassungen in mutmaßlich 76 Großstädten, berichtete im 2009 das National Drug Intelligence Center. Chicago gelte als eine Art „Hauptfiliale“, da die Drogen von Mexiko direkt an das Südwestufer des Michigansees geflogen und von dort aus mit Lastern verteilt werden.

Laut einer Studie von 2023 sind die Kartelle inkl. des Sinaloa Kartells mit insgesamt etwa 175.000 Mitglieder zusammengenommen der fünftgrößte Arbeitgeber Mexikos. Pro Woche würden um die 350 neue Mitglieder rekrutiert.[27] Die strikten Strukturen innerhalb der Organisation tragen laut inhaftierten ehemaligen Mitgliedern dazu bei, dass das Kartell effizient weitergeführt werden kann, auch wenn führende Figuren im Gefängnis sitzen.[28]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Sinaloa-Kartell – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jens Glüsing: (S+) »Die Leichen liegen nicht tiefer als einen halben Meter« - Wie Eltern in Mexiko nach ihren ermordeten Kindern suchen. In: Der Spiegel. 24. Juli 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 24. Juli 2022]).
  2. U.S. Intelligence Says Sinaloa Cartel Has Won Battle for Ciudad Juarez Drug Routes, In: CNSNews.com, 9. April 2010
  3. US charges 10 accused Mexican drug cartel leaders. In: Reuters. 20. August 2009 (reuters.com [abgerufen am 25. Juli 2022]).
  4. US-Bericht: Sinaloa wird Mexikos mächtigstes Drogenkartell, In: Spiegel online, 6. Januar 2011
  5. Neue Rangordnung bei Mexikos Drogenkartellen: Auf "El Chapo" folgt "El Mencho", In: Spiegel online, 22. Oktober 2018
  6. "El Mencho" – Mexikos brutaler Drogenboss ist nicht zu fassen, In: Web.de, 28. Juli 2020
  7. a b c d Narcoland: The Mexican Drug Lords And Their Godfathers, Anabel Hernandez, ISBN 978-1-78168-073-5.
  8. Narcoland: The Mexican Drug Lords And Their Godfathers, Anabel Hernandez, ISBN 978-1-78168-073-5, S. 35 ff.
  9. El Chapo: Die Jagd auf Mexikos mächtigsten Drogenbaron, Malcom Beith, ISBN 978-3-453-67641-1.
  10. US-Bericht: Sinaloa wird Mexikos mächtigstes Drogenkartell In: Spiegel online, 6. Januar 2011.
  11. Mexikanische Mafia: US-Antidrogenbehörde soll mit Sinaloa-Kartell kooperiert haben In: Spiegel online, 15. Januar 2014.
  12. Wolf-Dieter Vogel: Noch mehr müssen sterben. In: die tageszeitung. 22. Oktober 2010, abgerufen am 22. Oktober 2010 (Interview mit Edgardo Buscaglia, Jurist und Volkswirt).
  13. Mexikos Armee tötet mächtigen Drogenboss. Spiegel Online, 30. Juli 2010, abgerufen am 1. August 2010.
  14. Wieder führender Drogenboss in Mexiko verhaftet. In: Neue Zürcher Zeitung, 26. September 2010.
  15. Blutiges Gefecht zwischen Gangsterbanden in Mexiko. In: Neue Zürcher Zeitung. 27. Mai 2011, archiviert vom Original am 31. Mai 2011; abgerufen am 27. Mai 2011.
  16. Mexiko jubelt über Festnahme von Drogenboss «El Chapo». Süddeutsche Zeitung, 23. Februar 2014, abgerufen am 26. August 2020.
  17. The next El Capo: Ismael “El Mayo” Zambada believed to have taken over notorious Sinaloa drug cartel after arrest of former boss.
  18. Unterstützung für "Chapo" Guzmán: Warum ein Massenmörder als Wohltäter verehrt wird.
  19. "El Chapo": Mexikanischer Drogenboss wieder aus Gefängnis ausgebrochen. In: Zeit Online. 12. Juli 2015, abgerufen am 12. Juli 2015.
  20. Andreas Fink: El Chapo: Der Kurze ist im Kittchen. Die Presse, 9. Januar 2016, abgerufen am 10. Januar 2016.
  21. SPIEGEL ONLINE, Hamburg Germany: Drogenboss: Mexiko liefert "El Chapo" an USA aus - SPIEGEL ONLINE - Panorama. Abgerufen am 20. Januar 2017.
  22. Anabel Hernández: The Successor to El Chapo: Dámaso López Núñez. In: InSight Crime, 13. März 2017, zitiert von June S. Beittel: Mexico: Organized Crime and Drug Trafficking Organizations (PDF; 1,5 MB). CRS Report 7-5700, S. 10 u. Anm. 39.
  23. Anwärter auf „Chapos“ Thron geht Militär ins Netz. In: FAZ, 3. Mai 2017, abgerufen am 7. Juni 2019.
  24. Klaus Ehringfeld: »Narcobarbies« – Frauen in Kartellen: Der Tod und die Sucht sind ihr Geschäft. In: DER SPIEGEL. Abgerufen am 9. März 2021.
  25. 29 Tote bei Festnahme von „El Chapo“-Sohn. In: ORF.at. 6. Januar 2023, abgerufen am 7. Januar 2023.
  26. Ringen um Reviere und Routen. 2. Februar 2019, abgerufen am 10. Januar 2024.
  27. Drogenkartelle sind fünftgrößter Arbeitgeber Mexikos. Abgerufen am 10. Januar 2024 (österreichisches Deutsch).
  28. Die Macht von «El Chapo» in Zahlen. 16. Juli 2015, abgerufen am 10. Januar 2024.