Sinistrin

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Strukturformel
Mögliche Struktur von Sinistrin
Eine mögliche Struktur von Sinistrin
Allgemeines
Name Sinistrin
Andere Namen
  • Polyfructosan
  • Polyfructosan-S
  • Inulin-Analog
  • Inutest
CAS-Nummer 37311-25-4
Monomere/Teilstrukturen Fructose
ATC-Code

V04CH01

Kurzbeschreibung

schwach gelbgefärbtes, mehlartiges Pulver[1]

Eigenschaften
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

Zersetzung bei 160–170 °C[1]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Sinistrin (auch Polyfructosan) ist ein natürlich in vielen Pflanzen vorkommendes Polysaccharid. Sinistrin dient wie das ähnliche Fructan Inulin als Energiespeicher (Speicherkohlenhydrat) der Pflanzen.

Entdeckungsgeschichte und Herstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schmiedeberg gelang 1879 die Isolation eines neuen Kohlenhydrats aus der Knolle der roten Meerzwiebel (Urginea maritima).[2][4] Er gab der linksdrehenden Substanz den Namen „Sinistrin“, nach dem lateinischen Wort sinister für ‚links‘. Hammarsten fand das Sinistrin 1885 in Mucinen der Weinbergschnecke (Helix pomatia).[1] Heute wird Sinistrin in erster Linie aus der roten Meerzwiebel über mehrere Extraktions- und Reinigungsschritte industriell gewonnen.

Chemische Struktur und Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sinistrin ist ein β–D-Fructan vom Inulin-Typ mit Verzweigungen an Position 6. Es zählt wie Inulin zu den Fructanen bzw. wird teils auch zu den Fructooligosacchariden (FOS) gerechnet.[5][4] Sinistrin besteht zu ca. 97 % aus Fructose und ca. 3 % aus Glucose, wobei sich die Kette aus Fructosemolekülen zusammensetzt, die einen endständigen Glucoserest besitzen. Der Polymerisationsgrad von Sinistrin liegt durchschnittlich bei 15, die molare Masse bei 3500 Da, mit einer Schwankungsbreite zwischen 2000 und 6000 Da.[6][4]

Sinistrin unterscheidet sich von Inulin durch hohe Wasserlöslichkeit (auch in kaltem Wasser) und bessere Alkalistabilität. Beim Versetzen einer wässrigen Sinistrinlösung mit Kupfersulfat-Lösung und anschließend mit Kalilauge entsteht eine tiefblau gefärbte Lösung. Wird diese erhitzt, scheidet sich sofort ein hellblauer, flockiger Niederschlag ab; die Reaktion kann als empfindlicher Nachweis auf Sinistrin eingesetzt werden.[1] Mit Calciumhydroxid oder Kalkmilch bildet Sinistrinlösung einen Niederschlag.[2]

Verwendung in der Medizin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sinistrin wird wie Inulin in der physiologischen Forschung zur Bestimmung des extrazellulären Raums eingesetzt, da es leicht in das Interstitium eindringt, nicht jedoch in die Zellen. Sinistrin wird im Glomerulum vollständig filtriert, aber im Tubulus-System weder sezerniert noch reabsorbiert. Es wird daher unverändert und vollständig über die Nieren ausgeschieden. Die Messung der Sinistrin-Clearance wird daher zur exakten Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) der Nieren benutzt.[7][8] Diese Ausscheidungsrate gibt Auskunft über die Tätigkeit bzw. den Gesundheitszustand der Nieren. Die quantitative Bestimmung von Sinistrin in Harn und Plasma ist mit der von Inulin identisch. Für diesen Anwendungsbereich ist Sinistrin als wässrige Lösung unter dem Handelsnamen „Inutest“ als Arzneimittel zugelassen.[9]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • D.P. Mertz, H. Sarre: Polyfructosan-S: Eine neue inulinartige Substanz zur Bestimmung des Glomerulusfiltrates und des physiologisch aktiven extracellulären Flüssigkeitsvolumens beim Menschen. Klin Wochenschrift, 1963, 41:868–872.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e M. Geldmacher-Mallinckrodt und F. May: Die Polysaccharide der Weinbergschnecke II. Die Mucin-Polysaccharide der Eiweißdrüse. 1. Mitteil.: Die Identität von Galaktogen und Sinistrin. Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiologische Chemie. Band 307, Heft 1–2, S. 191–201, doi:10.1515/bchm2.1957.307.1-2.191.
  2. a b c O. Schmiedeberg: Ueber ein neues Kohlehydrat. In: Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für physiologische Chemie, Band 3 (1–2), 1879. doi:10.1515/bchm1.1879.3.1-2.112.
  3. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  4. a b c Biopolymers, Polysaccharides II, Wiley-VCH, 2002, ISBN 3-527-30227-1.
  5. E. Nitsch, W. Iwanov und K. Lederer: Molecular characterization of Sinistrin. Carbohydrate Research 72 (1979), 1–12.
  6. T. Spies, W. Praznik u. a.: The structure of the fructan sinistrin from Urginea maritima. In: Carbohydrate research. Band 235, November 1992, S. 221–230, PMID 1473105.
  7. B. Watschinger und I. Kobinger: Wiener Zeitschrift für Innere Medizin 45 (1964), 219–228.
  8. T. Buclin, A. Pechere-Bertschi, R. Sechaud et al.: Sinistrin clearance for determination of glomerular filtration rate: a reappraisal of various approaches using a new analytical method. In: J Clin Pharmacol. 1997;37:679–92. 204–211.
  9. Inutest 25% Ampullen (PDF; 60 kB) bei pharmazie.com, abgerufen am 7. Juli 2011.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]