Sommerinterview

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ZDF-Sommerinterview 2007 mit Peter Hahne und Edmund Stoiber (CSU)
Set der ARD-Sommerinterviews am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus 2021

Das Sommerinterview geht auf eine Sendereihe des ZDF in der Sendung Bonn direkt in den 1980er Jahren zurück. Während der Sommerferien wurden darin die Spitzenpolitiker der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zu den wichtigsten Fragen der aktuellen Politik befragt. Das Format wird auch in der Nachfolge-Sendung Berlin direkt fortgeführt. Bisweilen wird auch der jeweils amtierende Bundespräsident befragt. Weitere Fernseh- und Hörfunksender haben das Format seitdem übernommen.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachdem es bereits erste Fernsehinterviews mit bekannten Politikern während der Ferienzeit gegeben hatte, wurden die ersten regelmäßigen Gespräche dieser Art mit Helmut Kohl an seinem traditionellen Urlaubsort Sankt Gilgen am Wolfgangsee geführt,[1] zuerst im Jahr 1988.[2] Während sich Gerhard Schröder mit seinen Interviewpartnern an seinem Wohnort Hannover traf, führte seine Nachfolgerin Angela Merkel die Gespräche meist am Regierungssitz Berlin.[2] Der Grünen-Politiker Joschka Fischer wurde in der italienischen Toskana besucht – als Angehöriger der damals so genannten Toskana-Fraktion.[2]

Konzept[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die meist längeren Interviews werden von den Journalisten des ZDF-Hauptstadtstudios moderiert, die auch sonst durch die Sendung führen. Typisch ist, dass die Gespräche im Wahlkreis oder am Urlaubsort der Politiker sowie im Freien geführt werden und dass die Beteiligten dabei regelmäßig in legerer Sommerkleidung auftreten. Letzteres hat sich erst in neuerer Zeit geändert, indem die Politiker und die Journalisten wieder zunehmend formeller gekleidet zum Gespräch erscheinen.

Weitere Verbreitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zwischenzeitlich haben weitere Fernseh- und Hörfunkprogramme „Sommerinterviews“ eingeführt. Bedeutsam ist dabei insbesondere die Gesprächsreihe, die in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin geführt wird. Wenn es das Wetter erlaubt, werden die Gespräche auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses aufgezeichnet. Auch in den dritten Fernsehprogrammen und in den Hörfunkprogrammen der ARD werden mittlerweile Vertreter der Parteien mit Sitz im jeweiligen Landtag zu landespolitischen Themen befragt. Private Sender und Zeitungen haben sich dieser Praxis teilweise angeschlossen.

Im österreichischen Fernsehen gibt es eine vergleichbare Reihe. Sie wird dort als Sommergespräche bezeichnet.

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Angesichts der nachrichtenarmen Lage während der Urlaubszeit (sog. „Sommerloch“), treffen die Gespräche regelmäßig auf das Interesse der übrigen Medien, wenn auch kritisiert worden ist, die dabei gemachten Äußerungen seien meist belanglos und ohne weiterreichende Bedeutung gewesen.[1][3]

Im Sommer 2020 sagte der Journalist Friedrich Küppersbusch, „die Idee, den [Politiker] in einem Moment abzuholen, wo er offen ist, [sei] nicht eingeplant und [werde] bis heute nicht eingeplant“.[4][5]

Im Juli 2023 kritisierte Claudia Schwartz in der Neuen Zürcher Zeitung vor allem die Auswahl der Gäste: „Bald vierzig Jahre nach Kohls televisionärem Wolfgangsee-Debüt stellt sich dennoch die Frage, ob aufgrund des Proporzdenkens im Öffentlichrechtlichen die Zuschauer solch organisierter Langeweile auf ewig ausgeliefert sein sollen. … Man erhält das Prinzip von Status und Rolle aufrecht, statt Politiker einzuladen, die derzeit etwas zu sagen haben.“[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Peter Besl: Frage-Antwort-Strukturen im politischen Fernsehinterview. Zur Responsivität von Antwortsequenzen politischer Akteure in den Sommerinterviews von ARD und ZDF. In: Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft. Nr. 102. Peter Lang, Berlin 2018, ISBN 978-3-631-74381-2 (Dissertation, Universität Regensburg, 2017).
  • Hans-Dieter König: Der Wolf im Schafspelz: Tiefenhermeneutische Rekonstruktion von Gaulands Selbstinszenierung im ARD-Sommerinterview mit Tina Hassel. In: Freie Assoziation. Band 23, Nr. 1, März 2021, ISSN 1434-7849, S. 47–66, doi:10.30820/1434-7849-2020-1-2-47 (psychosozial-verlag.de [abgerufen am 15. August 2022]).
  • Heinrich Georg Neumann: Konfidenz und Faszinationskommunikation. Vertrauen generierende und Faszination stimulierende Situativstrategien der Bundeskanzler Helmut Kohl und Gerhard Schröder am Beispiel der Neujahrsansprachen, ZDF-Sommerinterviews und Bulletins 1994 bis 2002. Universität der Künste Berlin, Berlin 2006, urn:nbn:de:kobv:b170-opus-261 (kobv.de [abgerufen am 15. August 2022] Dissertation, Universität der Künste Berlin, Fakultät Gestaltung, 2006).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Thomas E. Schmidt: Das kleine Fernsehspiel. In: Die Zeit. 24. August 2000, abgerufen am 13. August 2011.
  2. a b c Sebastian Fischer: Politiker-Sommerinterviews: Hier bin ich Mensch. In: taz. 12. August 2011, abgerufen am 13. August 2011.
  3. Corinna Emundts: Kampf ums Sommerloch. E-Mail aus Berlin. In: Die Zeit. 11. Juli 2006, abgerufen am 13. August 2011: „brav und inhaltsleer“, „Thesendreschen.“
  4. Christine Watty, Julius Stucke, Friedrich Küppersbusch: Lakonisch Elegant – #92 Plätschern und Plaudern: Wie geht’s dem TV-Sommerinterview? In: Deutschlandfunk Kultur. 16. Juli 2020, abgerufen am 15. August 2022.
  5. Matthias Dell: Und es war Sommerinterview. In: Zeit Online. 19. Juli 2020, abgerufen am 15. August 2022.
  6. Claudia Schwartz: „Sie stellen Fragen und lassen mich nicht antworten“ – Wie das öffentlichrechtliche Fernsehen den kritisch denkenden Journalismus abschafft. In: Neue Zürcher Zeitung. 2. Juli 2023, S. 39 (nzz.ch [abgerufen am 3. Juli 2023] – als Beispiele für „Politiker …, die derzeit etwas zu sagen haben“ werden Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Boris Pistorius und Hendrik Wüst genannt).