Tobias Ginsburg

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Tobias Ginsburg (* 1986 in Hamburg) ist ein deutscher Schriftsteller, Theaterregisseur und Journalist.

Leben und Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tobias Ginsburg ist jüdisch.[1] Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding und der Ludwig-Maximilians-Universität München. Während seiner Studienzeit arbeitete Ginsburg als Dramaturg, moderierte die Theaterveranstaltung Café Lachs,[2] gründete die Theatergruppe Fake to Pretend und begann eigene Theaterstücke zu inszenieren. 2011 schrieb und inszenierte er das Theaterstück Nestbeschmutzung über das Nachleben des Nationalsozialismus und das Erinnern und Vergessen in einer deutschen Familie. Anderthalb Jahre forschte er dafür zum Werk und in der Familie des Nazi-Schriftstellers Edwin Erich Dwinger.[3][4] Im Rahmen dieser Arbeit begann Ginsburg auch undercover zu recherchieren und schlich sich mit falschem Namen bei der faschistischen Burschenschaft Danubia ein.[5] Auch für seine weiteren Theaterstücke recherchierte Ginsburg meist zu Fanatismus und politischen Themen. Er beschäftigte sich etwa mit der deutschen Giftgasproduktion und Waffenhandel (Weltenbrand, 2014), der Kultur des Sterbens (Endlich, 2012),[6] der deutschen Kolonialgeschichte in Südamerika (Goldland, 2015)[7] oder der ideologischen Ausbildung zum Töten und Militärdrill (Ein Kriegsspiel, 2018).[8] Für Weltenbrand wurden Ginsburg und seine Koautorin Daphne Ebner auf dem Heidelberger Stückemarkt mit dem Jugendstückpreis 2015 ausgezeichnet,[9][10] für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2014 nominiert und zu den Mülheimer Theatertagen 2016 eingeladen.[11]

2018 erschien Ginsburgs Buch Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern.[12][13] Für diese literarische Reportage schleuste sich Ginsburg undercover in die Szene rechtsextremer und esoterischer Verschwörungstheoretiker ein, schloss sich einer Sekte und anderen Gruppierungen an, traf aber auch auf AfD-Politiker und rechtsextreme Szenegrößen. Seine Rechercheergebenisse unterfütterte er mit historischen Einordnungen und politischer Analyse,[14] zugleich führte das Buch „einen neuen, literarischen Ton in die investigative Reportage ein“:[15] Ginsburg erzählt romanhaft, schreibt einfühlsam und mitunter mit Ironie und schwarzem Humor über die Menschen und Fanatiker, denen er begegnet. So hieß es etwa in der Süddeutschen Zeitung: „Ginsburg begegnet den Menschen eher mit Neugier denn mit Abneigung, lässt Raum für Sympathie mit den Unsympathischen. Eine große Leistung.“[16] Das Buch erreichte im Juni desselben Jahres Platz 5 der Sachbuch-Bestenliste.[17] 2021 erschien das Buch in einer stark erweiterten Neuausgabe (Coronaleugner, die Querdenkerbewegung und der sogenannte "Sturm auf den Reichstag") unter dem Titel Die Reise ins Reich. Unter Rechtsextremisten, Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern im Rowohlt Verlag.

2021 erschien Ginsburgs Buch Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats, eine weitere literarische Undercoverreportage.[18] Anderthalb Jahre lang recherchierte Ginsburg dafür unerkannt in der rechtsextremen Szene Deutschlands, Polens und in den USA, um die Verbindung von rechtsextremer Ideologie mit "Männlichkeitswahn", Antifeminismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit zu beleuchten und verstehen.[19] Dafür schleuste er sich etwa in der Neuen Rechten ein, bei Nazi-Rappern, bürgerlichen Maskulisten, rechtsextremen Burschenschaften und klerikalfaschistischen Netzwerken. In einer Rezension in der Zeit hieß es: „Wohl noch nie wurden Rechtsextreme so sehr hinters Licht geführt wie für diese Recherche.“[20] und Günter Wallraff, der das Vorwort beisteuerte, lobte das Buch als „einen Höllengang in ein Finsterreich des Männlichkeitswahns“ (S. 13). Das Buch erreichte Platz 2 der Sachbuch-Bestenliste,[21] Platz 10 der Börsenblatt-Bestsellerliste[22] und Platz 14 der Spiegel-Bestsellerliste.[23]

Seit 2021 tritt Ginsburg mit Bühnenprogrammen zu seinen Büchern auf, die „mehr einer Stand-Up-Performance als einer Lesung“ gleichen. Das Arte Journal lobte die Auftritte als „Scharfsinnig, amüsant und gleichzeitig bleibt einem die Spucke weg“,[24] und im RBB hieß es: „Rechercheergebnisse mit Bühnenperformance zu vermischen kann vielleicht kein Autor so gut wie Ginsburg.“[25]

2016 war Ginsburg "Writer in Residence" am Hanse-Wissenschaftskolleg.[26] 2020 erhielt er das Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung.[27] Er veröffentlichte Kommentare und journalistische Texte unter anderem im Deutschlandfunk Kultur, in der taz und in Haaretz. Er war wiederholt Gast in Talkshows wie Markus Lanz oder DAS! und trat als Experte bei verschiedenen Fernseh- und Radiosendungen auf.

Inszenierungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 2007: Vergewaltigt. Eine romantische Komödie
  • 2008: Ubu
  • 2011: Nestbeschmutzung
  • 2012: Endlich
  • 2014: Weltenbrand
  • 2014: Radikal. Monument der Verwesung
  • 2015: Goldland
  • 2016: Du und ich und das Meer dazwischen
  • 2018: Ein Kriegsspiel
  • 2024: Die letzten Männer des Westens[28]

Bücher[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die Reise ins Reich. Unter Reichsbürgern. Das Neue Berlin, Berlin, 2018, 272 S. ISBN 978-3-360-01331-6.
  • Die Reise ins Reich. Unter Rechtsextremisten, Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern. Rowohlt, Hamburg, 2021, 320 S. ISBN 978-3499004568.
    • Ungekürzte Hörbuchfassung, gelesen vom Autor. Audio-To-Go, Headford 2021, ISBN 978-3965193482.
  • Die letzten Männer des Westens: Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats. Rowohlt, Hamburg, 2021, 336 S., ISBN 978-3499003530.
    • Ungekürzte Hörbuchfassung, gelesen vom Autor. Audio-To-Go, Headford 2021, ISBN 978-3965193475.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Sibylle Peine: Inkognito unter Rechtsradikalen. 4. Januar 2022, abgerufen am 15. Dezember 2022.
  2. Café Lachs. LMU, Studiobühne der Theaterwissenschaft, abgerufen am 22. März 2016.
  3. Schauburg Archiv: „Nestbeschmutzung“
  4. Deutschlandfunk Kultur: Im Gespräch - Der Autor Tobias Ginsburg. Abgerufen am 1. Oktober 2023.
  5. vgl.: Tobias Ginsburg: Die letzten Männer des Westens. Rowohlt, 2021. S. 18f.
  6. Mucbook: „Wir sind alle endlich“ - Kritik. Abgerufen am 20. Januar 2024.
  7. Theater Augsburg: Goldland (Memento vom 6. April 2016 im Internet Archive)
  8. Verena Großkreutz: „Die Nazis sind immer die anderen“ - Interview mit Tobias Ginsburg. Abgerufen am 20. Januar 2024.
  9. Gewinner des Heidelberger Stückemarkts 2015
  10. Weltenbrand auf Nachtkritik.de (Memento vom 21. Februar 2016 im Internet Archive)
  11. Longlist Deutscher Jugendtheaterpreis 2014
  12. Spiegel Online: Manche träumen von Ostpreußen, andere vom Weltraum
  13. SWR1 Leute: Tobias Ginsburg im Interview
  14. Der Freitag: „Unter Reichsbürgern“ von Tobias Ginsburg. Abgerufen am 17. September 2023.
  15. Rowohlt: Die Reise ins Reich. Abgerufen am 10. September 2023.
  16. Süddeutsche Zeitung: "Die Reise ins Reich" - Undercover bei Reichsbürgern. Abgerufen am 10. September 2023.
  17. Zeit Online: Die Sachbuch-Bestenliste für Juni
  18. Rowohlt: Die letzten Männer des Westens
  19. taz: "Diese Angst ist eine Waffe". Tobias Ginsburg über rechte Ideologie. taz, abgerufen am 9. September 2023.
  20. Die Zeit: Wie rechte Männerbünde Europa bedrohen. Rezension "Die letzten Männer des Westens". Abgerufen am 10. September 2023.
  21. ZDF - Die Sachbuch-Bestenliste für Dezember 2021
  22. Börsenblatt-Bestsellerliste Sachbuch Paperback
  23. Spiegel-Bestseller Sachbuch
  24. Arte Journal: "Die letzten Männer des Westens": Undercover in der rechten Szene - Die ganze Doku. Abgerufen am 27. Februar 2023.
  25. RBB Kultur: "Euch wird das Lachen noch vergehen": Tobias Ginsburg im SO36. Abgerufen am 10. September 2023.
  26. Hanse-Wissenschaftskolleg: Tobias Ginsburg
  27. Die Autorenseite bei Rowohlt
  28. Die Deutsche Bühne