Tyll (Roman)

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Tyll ist ein Roman von Daniel Kehlmann, der 2017 im Rowohlt Verlag erschien. In acht Kapiteln, deren Inhalt nicht einer Chronologie folgt, wird die Geschichte des Protagonisten Tyll Ulenspiegel vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges erzählt.[1] Mit der Wahl des Protagonisten nimmt Kehlmann Bezug auf die Figur des Till Eulenspiegel und seiner literarischen Rezeption in der Weltliteratur.[2] Der Tradierung folgend nimmt auch Kehlmanns Tyll Ulenspiegel die Rolle eines Hofnarren ein, der die Herrschenden verspottet.

Inhalt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tyll, Sohn des Müllers Claus Ulenspiegel, wächst im 17. Jahrhundert in einem Dorf in Süddeutschland auf. Der Vater nimmt seinen Sohn als schwächlich und wenig belastbar wahr und ist daher erstaunt, dass der Junge überlebt, da in dieser Zeit viele Kinder den ersten Winter nicht überlebten. Bereits im Kindesalter übt Tyll sich im Jonglieren, dem Balancieren auf einem Seil und lässt sich kaum zur Arbeit heranziehen. Seine Vater Claus, der einige Bücher besitzt und sich für die großen Zusammenhänge des Glaubens und der Weltentstehung interessiert, nimmt eine besondere Rolle im Dorfleben ein – einerseits gefragt für seine Heilkünste, andererseits als Sonderling verachtet. Sein Interesse an Magie führt dazu, dass der Jesuit Oswald Tesimond (begleitet von Athanasius Kircher) ihm den Prozess wegen Hexerei macht.

Nachdem Tyll der Verurteilung seines Vaters zum Tode beiwohnte, verlässt er noch vor dessen Hinrichtung sein Dorf – begleitet von Nele, der etwa gleichaltrigen Bäckerstochter. Er erweitert seine Gauklerkünste und stellt sich später in den Dienst des „Winterkönigs“ Friedrich V. In dessen Gefolge besucht er den schwedischen König Gustav Adolf im Feldlager. Zwar wird auch Friedrich V. vom Tyll verspottet, doch steht der Narr ihm in der Stunde seines Todes bei und setzt die Gemahlin Liz über das Ereignis in Kenntnis. Als Gaukler zieht er weiter und begegnet in Holstein erneut Athanasius Kircher, den er nun durch einen sprechenden Esel verspottet. Kircher ist in Begleitung von Adam Olearius nach Holstein gekommen, um einen Drachen zu fangen. Nele, die noch zur Gauklertruppe von Tyll gehört, entschließt sich, Olearius zu heiraten.

Wieder zieht Tyll weiter. Diesmal allein und lediglich mit einem Seil und seinen Jonglierbällen im Gepäck. Er erreicht Brünn, wo er den Stadtkommandanten während der schwedischen Belagerung verspottet. Zur Strafe für sein Verhalten wird er zum Armeedienst gezwungen und arbeitet als Mineur in Brünn. Hier wird er verschüttet und kommt auf wundersame – nicht näher beschriebene – Weise wieder lebendig ins Freie. Inzwischen hat der Habsburger Kaiser Ferdinand III[3] Martin von Wolkenstein nach Kloster Andechs entsandt. Er soll Tyll finden, um ihn in den Dienst seines Hofes zu stellen.

Tyll wird in die Schlacht bei Zusmarshausen verwickelt, die letzte große Feldschlacht des Dreißigjährigen Kriegs. Auch diese Erlebniss mit Todesgefahr überlebt er. Am Ende des Romans wie der erzählten Zeit trifft Tyll in Osnabrück noch einmal auf die anlässlich der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden dort weilende „Winterkönigin“ Liz, die inzwischen völlig verarmt ist und ihre gesellschaftliche Stellung verloren hat. Tyll lobt in ihrer Anwesenheit das Streben danach, jede Situation zu überleben.

Deutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dass Kehlmann mit seiner Hauptfigur auf die historisch nicht belegte Figur des Till Eulenspiegel referiert, kann als literaturwissenschaftlich anerkannt gelten.[4][5] Erik Schilling ordnet ihn der Gruppe der Schelmenromane zu und deutet Tyll als fiktionale Erzählung einer konstruierten ‚historischen Realität‘.[6] Historisch belegte Persönlichkeiten treten als Romanfiguren in das Geschehen ein, wodurch historische Wirklichkeit und fiktionale Romanrealität verwischt werden. Beispielhaft führt der Roman die so hervorgerufenen Effekte selbst vor, wenn etwa Paul Fleming die Stoffe seiner Dichtung „bei einer Bänkelsängerin ablauscht“ und der Inhalt „nicht ausschließlich der Phantasie des Autors“[7] zu verdanken ist.

Als „Ungewissheitspoetik“[8] fasst Joachim Rickes das Spiel mit der Nichtunterscheidbarkeit von Wahrheit und Fiktion durch den Bezug auf historisch belegte Personen und Ereignisse auf.

Bezüge zu Till Eulenspiegel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einige Passagen aus dem Roman lassen sich auf bestimmte Historien beziehen, die Hermann Bote 1510 unter dem Titel „Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel geboren uß dem Land zu Brunßwick, wie er sein leben volbracht hat“[9] herausgegeben hat.

  • Das Kapitel Schuhe: Die 4. Historie sagt, wie Eulenspiegel den Jungen etwa zweihundert Paar Schuhe von den Füßen abschwatzte und machte, dass sich alt und jung darum in die Haare gerieten.[10]
  • Tyll bringt einem Esel das Lesen bei: Die 29. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Erfurt einen Esel in einem alten Psalter lesen lehrte.[11]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die englischsprachige Übersetzung von Ross Benjamin schaffte es 2020 auf die Longlist des International Booker Prize.[12]

Sonstiges[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Umschlaggestaltung des Romans verwendet Ausschnitte des Gemäldes Das Begräbnis der Sardine von Francisco de Goya.

Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hörspiel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Tyll. WDR3 Hörspiel in 8 Teilen: Von Daniel Kehlmann / Komposition: Instant Music Factory / Bearbeitung: Alexander Schuhmacher / Regie: Alexander Schuhmacher / WDR 2018

Theater[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jens Jessen: Der ewige Gaukler. DIE ZEIT, 13. Oktober 2018, abgerufen am 30. September 2019.
  2. Eulenspiegel. In: Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart 1996, ISBN 3-520-30009-5, S. 199–202.
  3. Günther Ortmann: IV. Das Noch Nicht und Nicht Mehr der Liebe. In: Noch nicht/Nicht mehr. Velbrück Wissenschaft, 2015, ISBN 978-3-8452-7736-3, S. 51–70, doi:10.5771/9783845277363-51.
  4. Erik Schilling: Daniel Kehlmann, Tyll. Roman. In: Arbitrium. Band 36, Nr. 3, 27. November 2018, ISSN 1865-8849, S. 401–404, doi:10.1515/arb-2018-0058 (degruyter.com [abgerufen am 1. Oktober 2019]).
  5. Joachim Rickes: Der Esel ist nicht der Esel. Zu Daniel Kehlmanns Ungewissheitspoetik in ›Tyll‹. In: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft. Band 1, 2019, ISSN 0038-8483, S. 73–86, doi:10.1553/spk49_1s73 (oeaw.ac.at [abgerufen am 1. Oktober 2019]).
  6. Erik Schilling: Daniel Kehlmann, Tyll. Roman. In: Arbitrium. Band 36, Nr. 3, 27. November 2018, ISSN 1865-8849, S. 401–404, doi:10.1515/arb-2018-0058 (degruyter.com [abgerufen am 1. Oktober 2019]).
  7. Erik Schilling: Daniel Kehlmann, Tyll. Roman. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2017. In: Arbitrium. Band 36, Nr. 3, 27. November 2018, ISSN 1865-8849, S. 401–404, doi:10.1515/arb-2018-0058 (degruyter.com [abgerufen am 1. Oktober 2019]).
  8. Joachim Rickes: Der Esel ist nicht der Esel. Zu Daniel Kehlmanns Ungewissheitspoetik in ›Tyll‹. In: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft. Band 1, 2019, ISSN 0038-8483, S. 73–86, doi:10.1553/spk49_1s73 (oeaw.ac.at [abgerufen am 1. Oktober 2019]).
  9. Hermann Bote: Ein kurzweilig Lesen von Dyl Eulenspiegel : geboren aus dem Lande zu Braunschweig. Wie er sein Leben vollbracht hat. Sechzig seiner Geschichten. Hrsg.: Wolfgang Lindow. Philipp Reclam, Stuttgart 1975, ISBN 3-15-001687-8.
  10. Das XVIII. Capitel. Von einigen Escheinungen in den Wolcken; und wie man gefunden/ was dessen Ursache sey; wie auch von einigen/ die vorgeben/ daß sie mit den Leuten aus der Lufft umbgehen. In: Eine Historie der Neu-gefundenen Völcker Sevarambes genannt (1689). de Gruyter, Berlin/ New York, ISBN 978-3-11-093402-1.
  11. Kapitel 30 des Buches: Till Eulenspiegel von Hermann Bote | Projekt Gutenberg. Abgerufen am 1. Oktober 2019.
  12. 2020 International Booker Prize Longlist Announced bei thebookerprizes.com, 27. Februar 2020 (abgerufen am 4. März 2020).
  13. Tyll, schauspiel.koeln
  14. Tyll (Memento vom 13. August 2020 im Internet Archive), ernst-deutsch-theater.de
  15. Der Faust 2020, buehnenverein.de
  16. Tyll, theaterheidelberg.de
  17. Tyll, theater-lueneburg.de