Unterversicherung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Unterversicherungsverzicht)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Um eine Unterversicherung handelt es sich bei Sachversicherungen oder Schadenversicherungen, wenn die Versicherungssumme zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles erheblich niedriger ist als der Versicherungswert. Gegensatz ist die Überversicherung.

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter- oder Überversicherung gibt es nur bei Sach- oder Schadenversicherungen. Sie verfolgen das Prinzip, dass der Versicherungswert der Versicherungssumme entsprechen sollte.[1] Diese Vollversicherung ist daher die vom Gesetz vorgesehene Normalform.[2] Deshalb gilt der Grundsatz

.

Nur hierbei bekommt der Versicherungsnehmer den entstandenen Sachschaden voll ersetzt. Die diesen Grundsatz erfüllenden Versicherungen werden Vollversicherung genannt, bei ihnen ist das Verhältnis zwischen Versicherungssumme und Versicherungswert gleich 1.[3] Bei ihnen wird der volle Versicherungswert als Versicherungssumme vereinbart.[4] Fehlt es an einer Versicherungssumme, kann bereits begrifflich weder Unter- noch Überversicherung vorliegen.

Diese streng mathematische Definition wird vom Versicherungsvertragsgesetz (VVG) nicht übernommen, sondern das VVG verlangt eine „erhebliche“ Abweichung. Diese liegt erst bei 10 % Abweichung vor.[5][6]

Berechnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stimmen Versicherungssumme und Versicherungswert nicht überein, liegt Unter- oder Überversicherung vor. Ist die Versicherungssumme kleiner als der Versicherungswert, so besteht eine Unterversicherung (§ 75 VVG):

.

Ist die Versicherungssumme größer als der Versicherungswert, so liegt eine Überversicherung vor (§ 74 VVG):

.

Beide wirken sich im Versicherungsfall auf die Versicherungsentschädigung aus. Die Unterversicherung hat zur Folge, dass im Versicherungsfall die Entschädigung der Versicherung möglicherweise nur anteilig berechnet wird.

Die Formel für die Entschädigung lautet:[7]

.

Diese Formel der Proportionalitätsregel dient der Beurteilung, ob und inwieweit eine erhebliche Unter- oder Überversicherung vorliegt.

Rechtsfragen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erst im Versicherungsfall ist die Rechtsfrage der Unter- oder Überversicherung von Bedeutung. Der Versicherer ist dann nach § 75 VVG nur insoweit zur Leistung verpflichtet, als es dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert entspricht. Der Versicherer kann diesen Einwand der Unterversicherung nur erheben, wenn Unter- oder Überversicherung erheblich sind, also mehr als 10 % ausmachen.[8] Der Versicherungsnehmer bekommt den Schaden selbst dann nicht im vollen Umfang ersetzt, wenn er geringer als die Versicherungssumme ist.[9] Ist die Unterversicherung dagegen unerheblich, muss der Versicherer den vollen Schaden bis zur Versicherungssumme ersetzen.

Beispiel

Ein feuerversichertes Einfamilienhaus wird durch Brand vollständig zerstört und hatte vor dem Brand einen Versicherungswert von 300.000 Euro, die Versicherungssumme lag lediglich bei 280.000 Euro, es war mithin unterversichert. Der Versicherer muss den Schaden vollständig ersetzen, weil die Unterversicherung mit 7 % nicht erheblich war.

Angenommen die Versicherungssumme lag jedoch bei 240.000 Euro (Unterversicherung: 20 % und damit erheblich) und nur ein mitversicherter Schuppen brennt ab, es entsteht ein Schaden von 20.000 Euro. Dann braucht der Versicherer wegen der oben angegebenen Proportionalitätsregel nur Euro zahlen.[10]

Bei einer erheblichen Überversicherung (wiederum mehr als 10 %) können sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsnehmer die Herabsetzung der Versicherungssumme auf den Versicherungswert verlangen (§ 74 Abs. 1 VVG). Der Versicherungsvertrag ist allerdings nichtig, wenn der Versicherungsnehmer sich aus einer Überversicherung einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschaffen will (betrügerische Überversicherung; § 74 Abs. 2 VVG).[11] Bei einer Unterversicherung ist dagegen keine gesetzliche Heraufsetzung der Versicherungssumme vorgesehen, weil dem Versicherungsnehmer gegen seinen Willen keine höheren Versicherungsprämien aufgebürdet werden können.[12]

Arten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unterschieden wird zwischen der anfänglichen und nachträglichen Über- oder Unterversicherung:[13]

  • Anfänglich bedeutet, dass bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrags Versicherungssumme und Versicherungswert nicht übereinstimmten.
Beispiel: falsche Schätzung der Vermögenswerte. Bei ihrer Überschätzung liegt anfängliche Überversicherung, bei ihrer Unterschätzung entsprechend anfängliche Unterversicherung vor.
Beispiel: Der Goldpreis steigt bei den versicherten Goldbarren. Während des Versicherungsschutzes kommen Sachen zur versicherten Sachgesamtheit (beispielsweise Hausrat) durch Anschaffung hinzu (nachträgliche Unterversicherung) oder werden ersatzlos veräußert (nachträgliche Überversicherung).

Entscheidend ist, dass eine Unterversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalls vorliegt.[14] Eine betrügerische Überversicherung ist strafbar (Versicherungsbetrug) und führt gemäß § 74 Abs. 2 VVG zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrags.

Unterversicherungsverzicht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei Gewerbe-, Hausrat- oder Wohngebäudeversicherungen kann der Versicherer im Versicherungsvertrag auf seine gesetzlich zustehende Einrede der Unterversicherung verzichten. Im Versicherungsfall wird er hierbei auf die Prüfung von Versicherungssumme und Versicherungswert verzichten und den Schaden bis zur Versicherungssumme übernehmen.

Wirtschaftliche Aspekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Höhe der Versicherungsprämien richtet auch nach der Versicherungssumme.[15] Ist diese im Vergleich zum Versicherungswert zu niedrig, wird zwar eine niedrige Prämie bezahlt, aber es besteht Unterversicherung. Im Versicherungsfall fällt die Schadensregulierung des Versicherers niedriger aus als bei einer Vollversicherung. Denn der Versicherer ist nach der Proportionalitätsregel des § 75 VVG nur verpflichtet, die Versicherungsleistung nach dem Verhältnis der Versicherungssumme zum Versicherungswert zu erbringen.[16] Liegt beispielsweise ein Schaden von 1000 Euro vor und die Unterversicherung beträgt 20 %, so werden vom Versicherer lediglich 800 Euro erstattet. Bei einer Vollversicherung würden 1000 Euro reguliert.

Eine Überversicherung ist für den Versicherungsnehmer ebenso nachteilig, weil er eine vergleichsweise zu hohe Prämie entrichtet. Im Versicherungsfall wird nur der wirklich entstandene Schaden ersetzt. Schließt der Versicherungsnehmer den Vertrag in der Absicht, sich aus der Überversicherung einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist der Vertrag gemäß § 74 Abs. 2 VVG nichtig; dem Versicherer steht die (zu hohe) Prämie bis zu dem Zeitpunkt zu, zu dem er von den die Nichtigkeit begründenden Umständen Kenntnis erlangt.[17]

Über- oder Unterversicherung können dadurch entstehen, dass der Versicherungswert von vorneherein über oder unter dem Marktwert, Verkehrswert oder Zeitwert eines versicherten Gegenstands liegt. Der Versicherungsnehmer könnte bei Unterversicherung bestrebt sein, eine möglichst niedrige Prämie zu zahlen und deshalb eine Unterversicherung hinzunehmen bereit ist (anfängliche Unterversicherung).[18] Dabei nimmt er jedoch das Risiko in Kauf, im Versicherungsfall nicht den vollen Schaden ersetzt zu bekommen. Es können jedoch auch während des Versicherungsverhältnisses Wertsteigerungen eintreten (etwa bei Immobilien durch Werterhöhung oder durch zusätzliche Anschaffungen zu einer versicherten Sachgesamtheit) bei gleichbleibender Versicherungssumme, die eine Unterversicherung zur Folge haben (nachträgliche Unterversicherung). Um zu verhindern, dass bei Wertsteigerungen die Versicherungssummen konstant bleiben, gibt es bei Gebäuden den gleitenden Neuwertfaktor, durch den die Versicherungssumme an den Baupreisindex gekoppelt wird. Eine Vorsorgeversicherung führt dazu, die nach Abschluss einer Haftpflichtversicherung neu entstehenden Risiken im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrags mitversichert sind.

Eine Versicherung, die als Überversicherung geschlossen wurde (anfängliche Überversicherung), kann wegen einer nachträglichen Wertsteigerung oder einer gesunkenen Versicherungssumme zur Vollversicherung geworden sein.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Walter Große/Heinz Leo Müller-Lutz/Reimer Schmidt (Hrsg.), Gabler Versicherungsenzyklopädie, Band 3: Rechtslehre des Versicherungswesens, 1991, S. 150
  2. Albert Ehrenzweig, Deutsches (österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, 1952, S. 247
  3. Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth/Alfons Weiß, VersicherungsAlphabet (VA), 2001, S. 342
  4. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Gabler Kompakt-Lexikon Wirtschaft, 2013, S. 472
  5. Christian Armbrüster, Versicherungsvertragsgesetz, 2010, S. 542; ISBN 978-3406656972
  6. OLG Hamburg, Urteil vom 6. Oktober 1977, Az.: 6 U 106/77 = VersR 1978, 635
  7. Winfried Schnepp/Horst Baumann/Roland Michael Beckmann/Katharina Johannsen/Ralf Johannsen (Hrsg.), Großkommentar Versicherungsvertragsgesetz, Band III, 2010, S. 34
  8. Frank Baumann/Hans-Ludger Sandkühler, Das neue Versicherungsvertragsgesetz, 2008, S. 100
  9. Winfried Schnepp/Horst Baumann/Roland Michael Beckmann/Katharina Johannsen/Ralf Johannsen (Hrsg.), Großkommentar Versicherungsvertragsgesetz, Band III, 2010, S. 26
  10. Hanspeter Gondring,: Versicherungswirtschaft Handbuch für Studium und Praxis. München 2015, ISBN 978-3-8006-4926-6, S. 824.
  11. Frank Baumann/Hans-Ludger Sandkühler, Das neue Versicherungsvertragsgesetz, 2008, S. 100
  12. Ernst Bruck/Hans Möller (Hrsg.), Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Band II, 1980, S. 324
  13. Hans Möller, Begriff der Unterversicherung, in: Ernst Bruck/Hans Möller/Karl Sieg/Ralf Johannsen (Hrsg.), Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz und Allgemeine Versicherungsbedingungen unter Einschluss des Versicherungsvermittlerrechts, Band II, 1980, S. 353 f.
  14. Christian Armbrüster, Versicherungsvertragsgesetz, 2010, S. 545
  15. Reinhold Schütt, Erfolgreich als Exporteur, 2023, S. 105
  16. Hans Möller, Versicherungsvertragsrecht, 1971, S. 170
  17. Erwin Deutsch, Das neue Versicherungsvertragsrecht, 2008, S. 184 f.
  18. Ernst Bruck/Hans Möller (Hrsg.), Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, Band 2, 1980, S. 353