Urs Heftrich

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Urs Heftrich (* 11. Juli 1961 in Freiburg im Breisgau) ist ein deutscher Slawist, Übersetzer und Lyriker. Er lehrt an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Heftrich wuchs als Sohn des Germanisten Eckhard Heftrich und der Kinderbuchautorin Helga Heftrich[1] zunächst in Südbaden, dann im Münsterland auf. Er studierte Slavische Philologie, Philosophie und Germanistik an den Universitäten Heidelberg und Prag und wurde 1992 grundständig an der Ruprecht-Karls-Universität promoviert. Von 1994 bis 1998 wirkte er als Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bonn, von 1998 bis 2001 als Professor für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Trier. 2001 wechselte er auf den Heidelberger Lehrstuhl für dieses Fach, den er auch für einen Ruf an die University of North Carolina in Chapel Hill 2008 nicht aufgab.

Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Lyrik sowie der Edition und Übersetzung russischer und tschechischer Literatur, den Einflüssen der Lebensphilosophie auf slawische Literaturen, der künstlerischen Verarbeitung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in Osteuropa, dem Werk von Nikolai Wassiljewitsch Gogol. Forschungsaufenthalte führten ihn an die Moskauer RGGU, die Universität Zagreb, die Kansas University, die Tulane University, die University of Toronto und regelmäßig an die Prager Karls-Universität sowie ans Davis Center der Harvard University. Von 1988 bis 2010 schrieb er als freier Mitarbeiter für die Neue Zürcher Zeitung, seit 1989 publiziert er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 1990 veröffentlicht er Gedichtübertragungen aus dem Tschechischen und Russischen. Er war mehrfach Mitglied der Jury für den Dresdner Lyrikpreis. Aus der Jury für den Tschechischen Staatspreis für Literatur trat er zusammen mit dem Dichter Petr Hruška und anderen 2018 aus Protest gegen die Regierung von Andrej Babiš zurück.[2] Für seine Vermittlung tschechischer Literatur ins Deutsche erhielt er 2016 die Karel Čapek Medaille, 2017 die Premia Bohemica und 2020 das Numisma honoris Societatis Scientiarum Bohemicae. Als Herausgeber hat er sich besonders dem Schaffen von Vladimír Holan, Isaak Emmanuilowitsch Babel und Jiří Weil verschrieben. Gemeinsam mit dem Prager Bohemisten Michael Špirit gibt er im Universitätsverlag Winter die auf 14 Bände angelegten Gesammelten Werke Vladimír Holans heraus;[3] mit der Slavistin Bettina Kaibach hat er die zweibändige Isaak Babel-Ausgabe des Carl Hanser Verlages betreut,[4] mit dem tschechischen Literaturwissenschaftler Jiří Opelík eine Auswahl aus den KZ-Gedichten von Josef Čapek.[5][6] 2021 debütierte er mit eigener Lyrik, deren Verfahren der rumänische Dichter Andrei Zanca analysiert hat: „Die verblüffende Technik eines Arcimboldo […] ist scheinbar allgegenwärtig, aber gleichzeitig erfährt sie die Zerlegung einer modernen Ironie.“[7] Ähnlich charakterisiert der Kritiker Volker Oesterreich die Poetik des Bandes „Halbinselfisch“ mit dem programmatischen Untertitel „Reime“: „Der Lyriker öffnet mit seinen Gedichten ein ganz breites kulturgeschichtliches Spektrum.“[8] 2023 erschien bei dem auf Kunst spezialisierten Verlag Angeli & Engel sein zweisprachiger (dt.-engl.) Gedicht- und Fotoband „Gehäuseschutt House of Rubble“, dessen „teils kontemplative, teils chiffrierte Fotos“ (so der Kölner Autor Hagen Haas), „nicht als Illustrationen, sondern eher als Kommentar und Erweiterung“ intendiert sind.[9] Volker Oesterreich hebt an diesem Buch die Absicht des Verfassers hervor, „Sehgewohnheiten aufzubrechen und Denkschemata […] rotieren zu lassen“,[10] während Elke Barker die Musikalität der Texte und ihre Verankerung in der Natur herausstellt: „Gebirge, Gletscher, Meer, Wüste oder die Hecken an der Autobahn bei Mannheim-Vogelstang, die Natur in ihrer ganzen Vielfalt prägt die Gedichte.“[11] Sein Gedichtband „Maronenmond“ inspirierte den Komponisten Gilead Mishory zu dem Zyklus „Lune e Maroni“ für Klaviersolo, der im Lyrik Kabinett in München uraufgeführt wurde.[12][13] Mit Mishory führt er regelmäßig musikalisch-literarische Lesungen auf,[14][15][16] oft gemeinsam mit der Prager Übersetzerin Věra Koubová;[17][18] ein weiterer musikalischer Partner ist ihm der Gitarrist und Komponist Heiko Plank.[19][20] Neben dem Brückenschlag von der Literatur zur Musik[21] pflegt er den zum internationalen Kino (Veranstaltungen in Auswahl[22][23][24][25]).

Buchpublikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monographien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Otokar Březina. Zur Rezeption Schopenhauers und Nietzsches im tschechischen Symbolismus. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1993 [= Beiträge zur slavischen Philologie, Bd. 2].
  • Nietzsche v Čechách [= Nietzsche in Tschechien]. Z nĕmeckého originálu Nietzsche in Böhmen přeložila Vĕra Koubová. Praha: Hynek, 1999 [= Edice Punkt, Vol. 5].
  • Gogol’s Schuld und Sühne. Versuch einer Interpretation des Romans Die toten Seelen. Hürtgenwald: Guido Pressler, 2004 [Ergänzte Übersetzung ins Englische: Gogol’s Crime and Punishment. An Essay in the Interpretation of Nikolai Gogol's "Dead Souls". Translated by Joseph Swann. Boston: Academic Studies Press, 2022].
  • Smutek na vedlejší koleji. Nacistická genocida Romů v české literatuře [= Trauer auf dem Nebengleis. Der NS-Genozid an den Roma in der tschechischen Literatur]. Přeložil Petr Šourek. Praha: Revolver Revue, 2009.

Herausgeberschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Mit Gerhard Ressel: Vladimir Solov'ev und Friedrich Nietzsche: eine deutsch-russische kulturelle Jahrhundertbilanz. Frankfurt/M. Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Peter Lang, 2003.
  • Mit Frank Grüner & Heinz Dietrich Löwe: „Zerstörer des Schweigens“. Formen künstlerischer Erinnerung an die nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik in Osteuropa. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2006.
  • Mit Felicitas Fischer von Weikersthal, Christoph Garstka & Heinz-Dietrich Löwe: Der nationalsozialistische Genozid an den Roma Osteuropas – Geschichte und künstlerische Verarbeitung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2008.
  • Mit Robert Jacobs, Bettina Kaibach & Karoline Thaidigsmann: Images of Rupture between East and West: The Perception of Auschwitz and Hiroshima in Eastern European Arts and Media. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2016.

Editionen & Übersetzungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Jan Zahradníček: Vogelbeeren / Jeřáby. Hg., Übers. und Nachwort von Urs Heftrich, Illustrationen von Jiří Vincenc Slavíček. Prag: Vitalis, 2001 [= Bibliotheca Bohemica, Vol. 39].
  • Jan Čep: Der Mensch auf der Landstraße. Erzählungen. Hg. von Urs Heftrich, Übers. von Hanna Demetz, Peter Demetz & Bettina Kaibach, Nachwort von Bettina Kaibach. Tschechische Bibliothek, Stuttgart München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2003.
  • Höhlen tief im Wörterbuch. Tschechische Lyrik der letzten Jahrzehnte. Hgg. mit Michael Špirit, Nachwort von Urs Heftrich. Tschechische Bibliothek, Stuttgart München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2006.
  • Jiří Weil: Sechs Tiger in Basel. Erzählungen. Hgg. mit Bettina Kaibach, Übers. und Nachwort von Bettina Kaibach. Lengwil: Libelle, 2008.
  • Isaak Babel: Mein Taubenschlag. Sämtliche Erzählungen. Hgg. mit Bettina Kaibach, Übers. von Bettina Kaibach & Peter Urban, Nachwort von Bettina Kaibach, Kommentar von Bettina Kaibach, Peter Urban & Urs Heftrich. München: Carl Hanser Verlag 2014.
  • Josef Čapek: Gedichte aus dem KZ. Hgg. mit Jiří Opelík, Übers. von Urs Heftrich, Nachwort von Jiří Opelík. Wien, Wuppertal: Arco Verlag 2015.
  • Isaak Babel: Wandernde Sterne. Dramen, Drehbücher, Selbstzeugnisse. Hgg. mit Bettina Kaibach, Übers. von Bettina Kaibach & Peter Urban, Nachwort von Bettina Kaibach, Kommentar von Bettina Kaibach, Peter Urban & Urs Heftrich. München: Carl Hanser Verlag 2022.
  • Vladimír Holan: Gesammelte Werke in deutscher und tschechischer Sprache in 14 Bänden. Hgg. mit Michael Špirit. Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2003ff. [bislang erschienen: Bände 1, 2, 6, 8, 9, 10, 11].

Lyrik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Maronenmond. Gedichte & Fotografien. Gestaltung von Ajete Elezaj. Hamburg: Carl-Walter Kottnik, 2021.
  • Halbinselfisch. Reime. Niederstetten: Edition Hammer + Veilchen. Günther Emigs Literatur-Betrieb, 2021.
  • Gehäuseschutt House of Rubble. Reime und Fotos – Photos and Rhymes. Translations by Joseph Swann. Verlag Angeli & Engel, Hamburg, 2023

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kubíček, Tomáš (Hrsg.): Urs Heftrich: Premia Bohemica. Autoři textů Michael Špirit, Urs Heftrich, Tomáš Kubíček. Brno: Moravská zemská knihovna 2018.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Helga Heftrich: Die Kürbislaterne. Mit Bildern von Marie-Luise Pricken. Zürich, Freiburg, Atlantis 1969.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Feuilleton, 18. Juli 2018, Nr. 164, S. 9.
  3. Winter Verlag: Holan, Vladimír: Gesammelte Werke. Abgerufen am 20. August 2022.
  4. deutschlandfunk.de: Die Erzählungen von Isaak Babel - "Mein Taubenschlag" - ein Sammelband, der Maßstäbe setzt. Abgerufen am 20. August 2022.
  5. Josef Čapek: Gedichte aus dem KZ | Heidelberger Forum Edition. Abgerufen am 20. August 2022.
  6. Josef Čapeks Gedichte aus dem KZ. (PDF) Abgerufen am 20. August 2022.
  7. Andrei Zanca: Urs Heftrich: Ironie und Zynismus. In: Revista Alternante. Jg. 9, Nr. 3, 2021, S. 84–86.
  8. Volker Oesterreich: Vorsicht, dieser Fisch ist bissig. Urs Heftrich reimt sich 90 Seiten quer durch die Kulturgeschichte. In: Rhein-Neckar-Zeitung, RNZ Magazin. Nr. 298, Weihnachtsausgabe 2021, 2021, S. 6.
  9. Hagen Haas: Auf der Straße nach Topeka. Urs Heftrich liest in der Buchhandlung Böttger. In: General-Anzeiger. 28. August 2023, Feuilleton, S. 9.
  10. Volker Oesterreich: "Es wallt und siedet und braust und zischt". Eine Augenweide: Urs Heftrichs geschmackvoller Gedichtband "Gehäuseschutt – Reime und Fotos". In: Rhein-Neckar-Zeitung, RNZ-Magazin. Nr. 185, 12./13. 8. 2023, August 2023, S. 6.
  11. Elke Barker: "Ein Gedicht muss klingen – wie Musik". Urs Heftrich schreibt "Gehäuseschutt". In: Mannheimer Morgen. 78. Jg., Nr. 200, 30. August 2023, Kultur, S. 23.
  12. Gilead Mishory. Pianist | Zur Person. Abgerufen am 20. August 2022.
  13. Maronenmond und Halbinselfisch - Stiftung Lyrik Kabinett. Abgerufen am 20. August 2022.
  14. „Verliebt ins Schwinden über beide Ohren der Musik“: Holan – Mozart - Janáček - Stiftung Lyrik Kabinett. Abgerufen am 20. August 2022.
  15. Josef Čapeks Gedichte aus dem Konzentrationslager [Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds]. Abgerufen am 20. August 2022.
  16. Hörbeispiel. Abgerufen am 20. August 2022.
  17. Prager Poesie und ihre Inspiration durch Musik. Vladimír Holan, Mozart, Janáček. (PDF) Abgerufen am 20. August 2022.
  18. Vladimír Holan: Gesammelte Werke, Band 9, Lyrik VI: 1961–1965 und begleitende musikalische Lesungen [Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds]. Abgerufen am 20. August 2022.
  19. Halbinselfisch. Reime von Urs Heftrich, Musik von Heiko Plank | Literaturhaus Heidelberg. Abgerufen am 20. August 2022 (deutsch).
  20. Rückblick | »artes liberales – universitas«. Abgerufen am 20. August 2022 (deutsch).
  21. Russische KlaviernachtZwetajewa-Zentrum für russische Kultur an der Universität Freiburg e.V. Abgerufen am 20. August 2022 (deutsch).
  22. Veranstaltungen - Deutsch-Amerikanisches Institut. Haus der Kultur. In: DAI Deutsch. Abgerufen am 20. August 2022 (deutsch).
  23. Veranstaltungen - Deutsch-Amerikanisches Institut. Haus der Kultur. In: DAI Deutsch. Abgerufen am 20. August 2022 (deutsch).
  24. 25 Jahre Karlstorkino. Abgerufen am 20. August 2022.
  25. Im Karlstorkino: Zire darakhatan zeyton - Quer durch den Olivenhain. Abgerufen am 20. August 2022.