Vertrauensbildende Verteidigung

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Vertrauensbildende Verteidigung (Englisch: confidence-building defense) ist eine militärische Konzeption, die in den 1980er Jahren entwickelt wurde, um zu einer Entschärfung im damaligen Ost-West-Konflikt beizutragen. Sie steht für eine Denkrichtung betonter konventioneller Defensive.

Konzeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sie geht auf Arbeiten von Lutz Unterseher im Rahmen der europäischen Studiengruppe Alternative Sicherheitspolitik (SAS) sowie der Amerikaner Carl Conetta und Charles Knight zurück (Project on Defense Alternatives/PDA).[1] Die Grundidee ist es, auf die Defensive spezialisierte, leichte Netzstrukturen zu schaffen, die beweglichen, schlagkräftigen Eingreifelementen als Kräfteverstärker dienen. Wegen der damit gegebenen synergetischen Beziehung können die angriffstauglichen Eingreifelemente wesentlich kleiner dimensioniert werden, als es sonst der Fall wäre. Außerhalb des Netzes hätten sie daher nur geringe Wirkungschancen. Für dieses System, das der niederländische Physiker Egbert Boeker „Spinne-im-Netz“ genannt hat,[2] werden beträchtliche Vorteile gesehen: Abbau von Bedrohungsängsten beim militärischen Gegenüber und zugleich ein flexibler, standfester Eigenschutz. Damit ergibt sich eine doppelte Funktion: Vertrauensbildung nach außen, und damit eine Einladung zur Abrüstung, sowie zugleich Vertrauensbildung nach innen, da der eigenen Bevölkerung eine verlässliche Verteidigung geboten wird.

Über die terrestrische Dimension hinaus konnten auch konkrete Anwendungen des Spinne-im-Netz-Modells auf die Bereiche von See- und Luftstreitkräften vorgelegt werden.[3] Zudem wurden die Vorteile betonter Defensive in ihren historischen Bezügen[4] sowie auch im Hinblick auf den Anspruch universeller Geltung diskutiert.[5] Einen Hinweis auf die politische Relevanz dieser Denkschule liefert der amerikanische Politikwissenschaftler Matthew Evangelista. Nach seiner Erkenntnis wurde Andrej Kokoschin, enger Berater Michail Gorbatschows und Ideengeber für dessen Maßnahmen der Abrüstung durch defensive Umrüstung, durch die Konzeption der Vertrauensbildenden Verteidigung wesentlich inspiriert.[6]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Lutz Unterseher: Krieg und Kriegsvermeidung: Theoretisch-praktische Schriften. Tectum Wissenschaftsverlag, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8288-4412-4.
  • Bjørn Møller: Defensive Verteidigung. In Ulrich Albrecht, Helmut Volger (Hrsg.): Lexikon der Internationalen Politik. Oldenbourg Verlag, München 1997, ISBN 3-486-23313-0, S. 100f.
  • Lutz Unterseher: In Support of Stability in Central Europe: The SAS Proposal and its Implications (= Kapitel 7). In Hans Günter Brauch, Robert Kennedy: Alternative Conventional Defense Postures In The European Theater: Military Alternatives for Europe after the Cold War. Taylor Francis, Washington 1993, ISBN 0-8448-1728-7.
  • Carl Conetta, Charles Knight, Lutz Unterseher: Defensive Military Structures in Action: Historical Examples. In: Confidence-Building Defense: A Comprehensive Approach to Security & Stability in the New Era, Study Group on Alternative Security Policy and Project on Defense Alternatives. Commonwealth Institute, Cambridge 1994,OCLC 45377322

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Studiengruppe Alternative Sicherheitspolitik/SAS (Hrsg.): Vertrauensbildende Verteidigung. Gerlingen 1989, ISBN 3-88350-271-5.
  2. E. Boeker: Europese veiligheid. Alternatieven voor de huidige veiligheidspolitiek. VU Uitg., Amsterdam 1986, ISBN 9789062564965, S. 62 ff.
  3. H. Bebermeyer, Lutz Unterseher: Wider die Großmannssucht zur See: Das Profil einer defensiven Marine In: SAS (Hrsg.): Vertrauensbildende Verteidigung. Gerlingen 1989, ISBN 9783883502717, S. 165–187.
    Lutz Unterseher: Umrisse einer stabilen Luftverteidigung. In: SAS (Hrsg.): Vertrauensbildende Verteidigung. Gerlingen 1989, ISBN 9783883502717, S. 188–203.
  4. C. Conetta, C. Knight, Lutz Unterseher: Defensive Military Structures in Action: Historical Examples. PDA, Mai 1994. Ursprünglich veröffentlicht in Study Group on Alternative Security Policy, Project on Defense Alternatives (Hrsg.): Confidence-Building Defense: A Comprehensive Approach to Security & Stability in the New Era. (Paper-Sammlung zur Unterstützung von internationalen Workshops im Jahr 1994).
  5. L. Unterseher: Confidence-Building Defence as a Universal Principle. In: M. Salla et al. (Hrsg.): Essays on Peace. Central Queensland University Press, Rockhampton 1995, ISBN 9780908140992.
  6. M. Evangelista: Unarmed Forces: The Transnational Movement to End the Cold War. Cornell University Press, Ithaca 1999, ISBN 1501724002, S. 314.