Yetzer hara

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Yetzer hara (hebräisch יֵצֶר הַרַע ‚Yetzer ha-Ra‘, auch יֵצֶר רַע Yetzer Ra, teilweise auch Jetzer hara geschrieben[1]) ist in der jüdischen Religion und speziell in der Kabbala[2] die Bezeichnung für den „Trieb zum Bösen“ oder auch „Böser Trieb“[3], die angeborene Neigung, Böses zu tun, indem man den Willen JHWHs verletzt.[4]

Herkunft des Begriffs und Abgrenzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff stammt von dem Ausdruck „die Phantasie [das Trachten] des Menschenherzens [ist] böse“ (hebräisch יֵצֶר לֵב הָאָדָם רַע Yetzer lev-ha-adam ra), der als Begriff zweimal am Anfang der Tora vorkommt (Gen 6,5 EU und Gen 8,21 EU).

Im Psalm 14,1 EU als auch im Psalm 53,2 EU wird mit dem hebräischen Wort „nabal“ (hebräisch נבל ‚verächtlich handeln‘) ein Mensch beschrieben, der Fern der Erkenntnis von Gott bleibt, nicht an ihn glaubt und damit ein (potentiell) sündiger Mensch ist. Das bedeutet, Gott in sich nicht zu erkennen, ihn zu verleugnen, heißt das Yetzer hara bleibt unüberwunden und geht häufig einher mit einem „sündhaften“ Lebensstil. Dieser Prozess wird durch den Begriff des Herzens (hebräisch לב leb) im Tanach symbolisiert.[5][6][7] Es steht für das (psychische) Innere eines Menschen und bezieht sich auf den Willen, das Denken, das Bewusstsein, die Emotionen und den Verstand, und davon abgleitet auch für den Weg zum Yetzer ha-Tow (hebräisch יֵצֶר הַטוב) einer Person, es ist das Zentrum der Entscheidungsfindung.

Bedeutung im Judentum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im traditionell tradiertem Judentum bzw. dem rabbinischem Judentum[8] wird mit dem Yetzer Hara nicht durchweg eine dämonische Kraft beschrieben, sondern der Missbrauch von Dingen, die der physische Mensch (mit seiner tierischen Seele im Menschen hebräisch נפש הבהמית Nephesch ha-Behemit) zum Überleben brauchen. Somit wird das etwa Bedürfnis nach Nahrung aufgrund des Yetzer Hara zur Völlerei. Das Bedürfnis nach Fortpflanzung und Lust wird zur beziehungslosen Promiskuität und so weiter.[9] Das Böse entsteht also aus dem Missbrauch dieser – im rechten Maß lebensnotwendigen – leiblichen Funktionen, etwa durch Maßlosigkeit, Begierde und Rücksichtslosigkeit, Mangel an Verantwortung etc.

Das zugrunde liegende Prinzip im jüdischen Denken besagt, dass jeder Mensch – ob Jude und Nichtjude gleichermaßen – sowohl mit guten als auch mit bösen Neigungen geboren wird. Damit wird der Yetzer hara zu einem konstitutionellen Bestandteil des Mensch-seins oder anders formuliert, der Yetzer-Hara ist ein natürlicher Teil von Gottes Schöpfung. Das Teilhaben an bösen Neigungen gilt damit nicht von vornherein als moralisch schlecht. Ein Problem tritt jedoch auf, wenn Menschen eine vorsätzliche Entscheidung treffen, „die Grenze zu überschreiten“ und versuchen, ihre bösen Neigungen zu befriedigen, basierend auf den prototypischen Modellen (Baum der Erkenntnis) von „richtig und falsch“ in der hebräischen Bibel.[10]

Mischnatexte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nidda 16b; vergleiche Pirke Avot 3:18: „Alle Dinge sind [von Gott] vorhergesehen, doch die Wahl ist [dem Menschen] gegeben und die Welt wird nach [ihren] Verdiensten gerichtet werden.“ In Mischna Berakhot 9:5 wird gelesen: „Man muss [Gott] für das Böse genauso segnen, wie man für das Gute segnet. (…) ‚Von ganzem Herzen‘ (l’vavkha), mit deinen zwei Impulsen, dem bösen Impuls sowie dem guten Impuls.“[11]

Entwicklung und Veränderung im Menschen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Yetzer hara ist angeboren, diese Neigung des Menschen kann aber durch Reifung und innerem Wachstum vom Yetzer ha-Tow (hebräisch יֵצֶר הַטוב ‚der guten Neigung‘) ersetzt werden.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Martin Buber: Bilder von Gut und Böse. J. Hegner, Köln 1952.
  • Léon Wurmser: Brücken über Abgründe – Gedanken eines Psychoanalytikers zur Zeitgeschichte. Vortrag, 20. April 2007, im Rahmen des Seminars „Die Ideenwelt des Judentums“ bei den 57. Lindauer Psychotherapiewochen 2007, S. 10. (lptw.de, PDF)
  • Andreas Brämer: Judentum. Die 101 wichtigsten Fragen. C. H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-59984-2, S. 44–45.
  • Andrei A. Orlov: Yetzer Anthropologies in the Apocalypse of Abraham. Mohr Siebeck, Tübingen 2020, ISBN 978-3-16-159327-7 (marquette.edu, PDF).
  • Tziporah Heller, Sarah Yoheved Rigler: Battle Plans: How to Fight the Yetzer Hara According to Maharal, Ramchal, Chassidic and Mussar Masters. Shaar Press, London 2009, ISBN 978-1-4226-0896-8
  • Ishay Rosen-Zvi: Demonic Desires. "Yetzer Hara" and the Problem of Evil in Late Antiquity. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2011, ISBN 978-0-8122-4339-0.
  • Brett Krutzsch: Sexuality and Judaism. S. 1630–1633, In: Anais N. Spitzer, David A. Leeming (Hrsg.): Encyclopedia of Psychology and Religion. Springer US, New York 2014, ISBN 978-1-4614-6085-5

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Annette Böckler: Vorstellungen vom Bösen im Judentum – Entferne Satan vor uns und hinter uns. Welt und Umwelt der Bibel, 2/2012, S. 48–49, auf annette-boeckler.de annette-boeckler.de
  • Is Man Intrinsically. Ask the Rabbi. Ohr Somayach International ohr.edu
  • Jeffrey Spitzer: The Birth of the Good Inclination. In rabbinic texts, the distinction between childhood and young adulthood is the birth of the yetzer hatov, the good inclination. Jewish Ethics, My Jewish Learning, auf myjewishlearning.com myjewishlearning.com
  • Samuel Pfeifer: Orthodoxes Judentum und Psychotherapie. Teil 1. Evangelische Hochschule Tabor, auf seminare-ps.net [3] hier slices 15–16
  • Yetzer Ha-Tov and Yetzer Ha-Ra. Oxford Reference aus Louis Jacobs: A Concise Companion to the Jewish Religion. Oxford University Press, 1999, ISBN 978-0-19-280088-6, auf oxfordreference.com [4]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Martin Buber: Vorlesungen über Judentum und Christentum. Gütersloher Verlagshaus, 2019, ISBN 978-3-641-24854-3, S. 361.
  2. in der Kabbala vergleiche unter Jetzira
  3. Vergleiche hierzu die wissenschaftlich psychologischen Konzepte zur Triebtheorie.
  4. Joseph Jacobs: YEẒER HA-RA. In: Jewish Encyclopedia. (jewishencyclopedia.com).
  5. Jörg Sieger: Der Mensch als "Person". [1]
  6. Jan Dietrich: Hebräisches Denken. Denkgeschichte und Denkweisen des Alten Testaments. (= Biblisch-Theologische Studien Band 191) Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2022, ISBN 978-3-525-55292-6, S. 143
  7. Hans Walter Wolff: Anthropologie des Alten Testaments. 2. Edition von Bernd Janowski (Herausgeber), Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2010, ISBN 978-3-579-08096-3, S. 75 f.
  8. Ishay Rosen-Zvi: Demonic Desires. "Yetzer Hara" and the Problem of Evil in Late Antiquity. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2011, ISBN 978-0-8122-4339-0, S. 45 f.
  9. Benzion Sorotzkin: Psychological factors in Sexual Acting out. Mental Health in the Religiously Observant Population – Nefesh Israel, 2011, S. 82–97, auf drsorotzkin.com [2] hier S. 5; 9
  10. Gottfried Reeg: The Devil in Rabbinic Literature. S. 71–83, In: Erkki Koskenniemi, Ida Fröhlich (Hrsg.): Evil and the Devil. Bloomsbury T&T Clark, London 2013.
  11. vergleiche hierzu Liste der Mischnatraktate