Überfall auf Connewitz

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Am 11. Januar 2016 kam es am ersten Jahrestag der Legida-Kundgebungen zum Überfall auf Connewitz (auch Sturm auf Connewitz). Etwa 250 bis 300 Neonazis, rechtsextreme Hooligans und Kampfsportler zogen einige Minuten randalierend durch die Wolfgang-Heinze-Straße des Leipziger Stadtteils. Sie warfen Steine und Pyrotechnik, zerstörten Autos, Schaufenster und Geschäfte und verletzten und bedrohten mehrere Personen. Es entstand ein Schaden von mindestens 113.000 Euro.[1]

Vorgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Aufkommen der islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung in Dresden Ende 2014, wurden auch ab Anfang 2015 Kundgebungen in Leipzig unter dem Namen Legida organisiert. Organisatoren waren der ehemalige Hooligan Silvio Rösler, der Anwalt Arndt Hohnstädter, der der NPD nahesteht, und der Händler von nationalsozialistischer Militaria Jörg Hoyer. Während die Veranstaltungen deutlich weniger Teilnehmer anzogen als Pegida, galt Legida wegen verschiedener Übergriffe auf Journalisten und Gegendemonstranten von Anfang an als gewaltbereiter und radikaler.[2][3][4] Zu Beginn waren sowohl bei Pegida als auch bei Legida Hooligans ein wichtiger Teil, in Leipzig von den Vereinen Lokomotive Leipzig und SG Leipzig-Leutzsch, die bereits für Überfälle auf andere Vereine und Fans bekannt sind.[5]

Am 8. Januar 2016 warnte der Sächsische Verfassungsschutz, dass es durch einen Auftritt von Kategorie C und die Mobilisierung der Offensive für Deutschland zur verstärkten Anreise gewaltbereiter Personen und dadurch zu Ausschreitungen kommen könne.[6][7]

Ablauf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Tagen vor dem Überfall verbreiteten mehrere Personen verschiedene Aufrufe zur Beteiligung an den Protesten von Legida. Von der Freien Kameradschaft Dresden wurde am 7. Januar 2016 in einem Facebook-Beitrag von einer Überraschung gesprochen.[6]

Am 11. Januar fuhren die am ersten gemeinsamen Treffpunkt an der Autobahn-Abfahrt Naunhof (etwa 30 km von Connewitz entfernt) Versammelten in die Threnaer Straße (gut 1 km entfernt vom Tatort) und kamen dort gegen 18:45 Uhr an.[6] Anfangs liefen die schwarzgekleideten und vermummten Täter als Schweigemarsch mit einem entwendeten Banner der Gegenproteste „Leipzig bleibt helle“ getarnt. Gegen 19 Uhr kamen sie in der Wolfgang-Heinze-Straße an. Dort zündeten sie dann Pyrotechnik, zerstörten Schaufenster, insgesamt 19 Autos und 23 Geschäfte mit Äxten, Stahlruten, Eisenstangen, mit Nägeln versetzten Holzlatten, Teleskopschlagstöcken, Böllern, CS-Gas, Pfefferspray und Steinwürfen und attackierten mindestens einen Passanten mit Schlägen und Tritten.[8] In dem Dönerimbiss „Shahia II“ zündeten sie einen Sprengsatz. Anwesende konnten flüchten.[9]

Nach dem ersten Notrufeingang um 19:18 Uhr erreichte um 19:32 Uhr Polizei aus der Innenstadt die Situation. Die Randalierer flüchteten in die Auerbachstraße, an deren Ende sich das Polizeirevier Leipzig-Südost befindet. Die Polizei kesselte die Angreifer ein und nahm 214 Beteiligte fest. Eine geflüchtete Person wurde später noch gestellt.[6] Die Festgenommenen wurden nach der erkennungsdienstlichen Behandlung noch in der späten Nacht auf freien Fuß gesetzt. Eine Gruppierung von etwa 60 bis 80 Personen konnte erfolgreich in den nahegelegenen Auwald flüchten. Aus Rache wurden die in der Threnaer Straße geparkten Autos gezielt beschädigt. Später bewachte die Polizei diese, sicherte aber keine Beweismittel wie etwa einige sichtbar deponierte Waffen, die sich in den Fahrzeugen befanden. Im mit Pyrotechnik angegriffenen Buchladen kam es glücklicherweise nicht zum Brand.[6]

Die Feuerwehr musste einen Brand in einer Wohnung löschen.[7][10] Eine Person erlitt eine Schussverletzung von einer Rauchpatrone.[1]

Parallel zu dem Überfall waren etwa 1500 Demonstranten der Legida und 5000 Gegendemonstranten unter dem Motto „Leipzig bleibt helle“, begleitet von 2500 bis 3000 Polizisten wenige Kilometer entfernt in der Leipziger Innenstadt unterwegs.[11]

Beteiligte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Täter waren zumeist polizeibekannt als „rechts motiviert“ oder „Gewalttäter Sport“.[12] Weiterhin beteiligten sich Kampfsportler[13][14] und Neonazis der Jungen Nationalisten und der NPD an dem Überfall.[15] Den Kennzeichen, Chatnachrichten und Informationen über die Festgenommenen zufolge kamen die Täter u. a. aus Leipzig, Dresden, Eilenburg, Gera, Jena, Berlin, Arnstadt, Halle und Wien.[6][10]

Die Täter waren zwischen 15 und 47 Jahren alt, eine Frau war unter den Festgenommenen. Die Älteren waren teils schon Ende der 1980er Jahre durch Gewalttaten aufgefallen.[9] Darunter waren auch Beteiligte am rechtsextremen Überfall auf Fans und Spieler des Roten Stern Leipzig 2009 in Brandis,[15] der damals drei Verletzte, darunter einen Schwerverletzten, zur Folge hatte, nachdem etwa 50 mit Eisenstangen und Holzlatten bewaffnete ihre Gegner von Roter Stern angegriffen hatten.[16]

Hooligans der folgenden Vereine und Gruppierungen

Bei gut zwei Drittel der Täter (147) sei laut sächsischem Innenministerium kein Fußballbezug erkennbar gewesen.[17]

Prozesse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erst zweieinhalb Jahre später, am 16. August 2018, begann der erste Prozess vor dem Amtsgericht in Leipzig. Tatvorwurf in allen Verhandlungen war schwerer Landfriedensbruch. Körperverletzungen und versuchte Angriffe auf Menschen wurden in den Prozessen vorm Amtsgericht nicht verhandelt, auch wenn solche Straftaten der Staatsanwaltschaft Dresden bekannt waren.[1] Um die Zahl der Prozesse zu reduzieren, müssen sich in der Regel zwei Angeklagte in einem Prozess verantworten.[18]

Die gerichtliche Aufarbeitung der Taten kam nur schleppend voran. Fünf Jahre nach dem Vorfall stand bei 66 der 204 vorm Amtsgericht Leipzig Angeklagten noch kein Prozesstermin fest. Die bisher 124 Verurteilten hatten Bewährungsstrafen zwischen einem und eineinhalb Jahren, in manchen Fällen zusätzlich Geldstrafen wegen besonders schwerem Landfriedensbruch erhalten. Haftstrafen ohne Bewährung des Amtsgerichts wurden teilweise vom Landgericht Leipzig wieder aufgehoben.[19] Ein Beschuldigter war in der Zwischenzeit verstorben. Die übrigen Verfahren wurden an die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden abgegeben. Anwohner und Betroffene kritisierten die Verfahrensabsprachen, weil durch die Geständnisse Prozesse verkürzt, Stimmen der Betroffenen nicht gehört und Drahtzieher der Tat nicht ermittelt werden konnten.[20][21]

Zwei Mitglieder der Freien Kameradschaft Dresden wurden am Landgericht Dresden im August 2017 zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Verhandelt wurden in dem Prozess auch weitere Straftaten der beiden.[22]

Weitere Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

An dem Überfall waren auch der Justizreferendar Brian E. und der Justizvollzugsbeamte Kersten H. beteiligt.

E. wurde wegen Landfriedensbruchs verurteilt, seine Ausbildung zum Volljuristen stand damit infrage.[23] Das Oberlandesgericht Dresden verwarf seine Revision, ermöglichte E. aber, das Rechtsreferendariat fortzusetzen. Das wurde mit der Berufsfreiheit begründet, denn es bestehe keine Möglichkeit „den juristischen Vorbereitungsdienst außerhalb der Justiz zu absolvieren“. Ein Sprecher des Sächsischen Justizministeriums stellte jedoch klar: „Die Übernahme in ein Beamten- oder Richterverhältnis in der sächsischen Justiz ist nach einer rechtskräftigen Verurteilung der genannten Art ausgeschlossen.“[24] Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen in der SPD Leipzig/Nordwestsachsen (AsJ Leipzig) nannte die Entscheidung des Oberlandesgerichts einen „Fehler“ und forderte, E. aus Gründen des Opferschutzes nicht als Rechtsanwalt zuzulassen.[25]

Brian E. erhielt 2020 einen polizeilichen Hinweis auf einen mutmaßlich geplanten Angriff auf ihn durch die Gruppe um Lina E., die im Dresdner Linksextremismusprozess vor Gericht steht.[26]

Der ebenfalls am Tatabend festgesetzte Kersten H. war bis zu seiner Suspendierung Anfang 2019 in der JVA Leipzig tätig, wo auch einzelne festgenommene Beteiligte des Überfalls untergebracht waren. Gegen die 2022 verhängte 15-monatige Bewährungsstrafe[27] legte H. Berufung ein.[28]

Am nächsten Tag demonstrierten etwa 2000 Menschen friedlich gegen Rassismus und Rechtsextremismus.[24]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Aiko Kempen: Aufarbeitung „Sturm auf Connewitz“: „Ich bin gerade beschossen worden!“ In: Die Tageszeitung: taz. 15. November 2018, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 15. Januar 2021]).
  2. Prune Antoine: Inside Legida: Im Gespräch mit Silvio Rösler. In: Vice. 16. Februar 2016, abgerufen am 31. Mai 2023.
  3. Uwe Müller: Die dubiosen Gestalten hinter der Legida-Bewegung. In: Die Welt. 16. Oktober 2015, abgerufen am 31. Mai 2023.
  4. Felix Steiner: Mit dem Strafgesetzbuch gegen NoLegida-Protest. In: zeit.de. 5. Februar 2015, abgerufen am 13. Januar 2021.
  5. Markus Völker: Sportfans bei Pegida und Legida: Die Unterwanderungsbewegung. In: Die Tageszeitung: taz. 20. Januar 2015, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 31. Mai 2023]).
  6. a b c d e f g »Game Over«: Die Geschichte des Überfalls auf Connewitz. In: Kreuzer. 15. August 2018, abgerufen am 31. Mai 2023.
  7. a b Rechte randalieren in Leipzig. In: MDR Exakt. 13. Januar 2016, abgerufen am 31. Mai 2023 (Beitrag ist auf YouTube und nicht mehr in der ARD Mediathek verfügbar; Länge 7:29 Minuten).
  8. Urteil im Prozess gegen Robert S. und Florian N. der Freien Kameradschaft Dresden
  9. a b c d Alexander Böhm, Martin Schöler: Überfall auf Connewitz (1): Die Spur der Täter. In: Leipziger Internetzeitung. 8. August 2016, abgerufen am 15. Januar 2021 (deutsch).
  10. a b c d Leipzig: Auch Neonazis und Kampfsportler an Überfall auf Connewitz beteiligt. In: zeit.de. 1. September 2016, abgerufen am 16. Januar 2021.
  11. a b Ralf Böhme: Schwere rechte Randale in Leipzig-Connewitz. In: Mitteldeutsche Zeitung. 12. Januar 2016, abgerufen am 15. Januar 2021.
  12. Jennifer Stange: Großangriff auf einen Stadtteil: Der Kampf um Connewitz. In: Die Tageszeitung: taz. 12. Januar 2016, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 15. Januar 2021]).
  13. Robert Claus: Trainieren für den Tag x: Die extreme Rechte und der Kampfsport. In: Indes. Band 9, Nr. 1, 10. August 2020, ISSN 2191-995X, S. 113–120, doi:10.13109/inde.2020.9.1.113 (vr-elibrary.de [abgerufen am 31. Mai 2023]).
  14. a b c Alexander Böhm, Martin Schöler: Überfall auf Connewitz (2): Junge Lok-Ultras politisch missbraucht? In: Leipziger Internetzeitung. 9. August 2016, abgerufen am 15. Januar 2021 (deutsch).
  15. a b Alexander Böhm, Martin Schöler, Michael Freitag: Überfall auf Connewitz (3): Prominente Namen & eine merkwürdige WhatsApp-Chatgruppe. 10. August 2016, abgerufen am 15. Januar 2021 (deutsch).
  16. Christoph Ruf: Neonazi-Attacke im Leipziger Fußball: „Die Dummen kommen“. In: Der Spiegel. 25. Oktober 2009, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 15. Januar 2021]).
  17. Neonazi-Angriff in Connewitz: Innenminister nennt Details zu Tätern. In: Leipziger Volkszeitung. 11. Februar 2016, abgerufen am 31. Mai 2023.
  18. Lucas Böhme: „Wir haben was vor, was wirklich behindert ist“: Weiterer Blitzprozess nach Connewitz-Überfall und verräterische SMS. 8. August 2019, abgerufen am 15. Januar 2021 (deutsch).
  19. Lucas Böhme: Rechtsradikaler Angriff auf Connewitz: Landgericht hebt Haftstrafen auf –. In: l-iz.de. 19. August 2019, abgerufen am 14. Januar 2021.
  20. Viele offene Verfahren fünf Jahre nach Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz. In: mdr.de. 11. Januar 2021, abgerufen am 14. Januar 2021.
  21. René Loch: Auf der Wolfgang-Heinze-Straße: Aktivisten kritisieren fehlende Aufklärung durch Connewitz-Prozesse. 11. August 2019, abgerufen am 15. Januar 2021 (deutsch).
  22. Alexander Schneider: Freiheitsentzug für „Freie Kameraden“. In: Sächsische Zeitung. 25. August 2017, abgerufen am 15. Januar 2021.
  23. Peter Maxwill: Prozess um Neonazi-Randale in Leipzig: Ein rechter Referendar. In: Der Spiegel. 3. Dezember 2019, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 31. Mai 2023]).
  24. a b Leipzig: Darum darf der verurteilte Jura-Referendar Brian E. Volljurist werden. In: Leipziger Volkszeitung. 19. Mai 2020, abgerufen am 31. Mai 2023.
  25. SPD Jurist/-innen zu verurteiltem Rechtsreferendar Brian E: Keine Anwaltszulassung wegen Opferschutz. In: Leipziger Internetzeitung. 24. Mai 2020, abgerufen am 31. Mai 2023 (deutsch).
  26. Alexander Schneider, Sven Heitkam: So brutal soll die Gruppe um Lina E. Neonazis gejagt haben. In: Sächsische Zeitung. 8. September 2021, abgerufen am 31. Mai 2023.
  27. Lucas Böhme: Überfall auf Connewitz: Amtsgericht spricht JVA-Beamten des Landfriedensbruchs schuldig. In: Leipziger Internetzeitung. 4. Februar 2022, abgerufen am 31. Mai 2023 (deutsch).
  28. Lucas Böhme: Berufungsprozess: JVA-Beamter kämpft nach Connewitz-Überfall weiter gegen seine Strafe. In: Leipziger Internetzeitung. 23. Mai 2023, abgerufen am 31. Mai 2023 (deutsch).