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Antiaromatizität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Antiaromatizität[1][2] bezeichnet in der Chemie das Phänomen, dass cyclische Delokalisation von 4n Elektronen (n = 1, 2, 3, ...) gegenüber einer linear konjugierten Referenz zu einer energetischen Destabilisierung und somit erhöhten Reaktivität führt. Sie ist somit das Gegenstück zum Phänomen der Aromatizität (Hauptartikel, vgl. dort für vertiefte Diskussionen), bei der cyclische Delokalisation von 4n + 2 Elektronen (n = 0, 1, 2, ...) gegenüber einer linear konjugierten Referenz zu ernergetischer Stabilisierung und somit verringerter Reaktivität führt. Die Phänomene von Aromatizität und Antiaromatizität lassen sich in einfacher Form anhand der Hückel-Regel veranschaulichen. Verbindungen, welche das Phänomen der Antiaromatizität zeigen, werden als Antiaromaten, solche, die das Phänomen der Aromatizität zeigen, als Aromaten bezeichnet.

Während aromatische Systeme aufgrund ihrer hohen Stabilität in sehr großer Vielzahl anzutreffen sind, ist die Zahl der gut bekannten und untersuchten antiaromatischen Verbindungen aufgrund ihrer hohen Reaktivität vergleichsweise gering. Da antiaromatische Systeme zudem bestrebt sind, die ungünstige cyclische Delokalisation so weit wie möglich zu vermindern - z. B. durch Einnahme von Konformationen mit verringerter Konjugation - sind charakteristische physikalische Eigenschaften (Ringstöme, magnetische Eigenschaften) im Gegesatz zu den Aromaten meist nur schwach ausgeprägt (Diskussion der magnetischen Phänomene vgl. unter Aromatizität).

Obwohl Aromatizität und Antiaromatizität zu den fundamentalen Konzepten in der Chemie gehören, tut sich die Fachwelt schwer, eine kurze, umfassende und vollständige Definition der Begriffe zu finden. Die nachfolgende Tabelle faßt die üblichen Aspekte der beiden Phänomene nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion zusammen:[3]

Eigenschaft Aromat Referenz (Olefin) Antiaromat
Delokalisation / Konjugation cyclisch linear cyclisch
Zahl der π-Elektronen 4n + 2 2n 4n
Energetischer Effekt der Konjugation Stabilisierung = Referenz Destabilisierung
Ausmaß der Delokalisation erhöht = Referenz erniedrigt
Bindungslängen Tendenz zum

Bindungslängenausgleich

alternierend alternierend
Diamagnetische Anisotropie erhöht - klein
magnetic susceptibility exaltation[4] hoch - niedrig
Ringstrom diamagnetisch - paramagnetisch
NICS-Werte deutlich negativ - deutlich positiv
Chemische Reaktivität elektrophile Substitution Addition Addition
HOMO-LUMO-Differenz erhöht = Referenz erniedrigt
Typische Vertreter Benzol Butadien Cyclobutadien

Historische Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während das Phänomen der Aromatizität bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt war, wurde Antiaromatizität unter Chemikern erst gut 100 Jahre später durch Arbeiten von Breslow et al. intensiver diskutiert.[5][6]

Relative Rate des H/D-Austauschs in Cyclopropenen vs. Cyclopropanen nach Breslow et al.[5]

Die Diskussion beruhte auf der Beobachtung, daß die Acidität (bestimmt durch die Geschwindigkeit des H/D-Austausches) von Cyclopropenen gegenüber analogen Cyclopropanen herabgesetzt ist, obwohl das Anion des Cyclopropens nach einfacher Betrachtung durch die Konjugation mit der benachbarten Doppelbindung stabilisiert sein sollte. Da die verminderte Acidität Destabilisierung anzeigt, wurde das Cyclopropenyl-Anion als antiaromatisch klassifiziert. Dies ist in Einklang mit der Hückel-Regel (cyclische Delokalisation von 4n π-Elektronen). Eine wichtige Bestätigung finden diese Betrachtungen in der hohen Acidität von Cyclopentadien: das Cyclopentadienyl-Anion profitiet von aromatischer Stabilisierung (4n + 2 π-Elektronen), die Deprotonierung wird somit energetisch erleichtet.

Die Diskussion der Antiaromatizität bei Breslow et al. war stark auf den energetischen Aspekt der Antiaromatizität fokussiert. Arbeiten von Dauben et al., die im gleichen Zeitraum durchgeführt wurden und sich mit magnetischen Eigenschaften als Aromatizitätskriterium beschäftigten,[4] gruppierten Verbindungen wie [16]Annulen, Cyclooctatetraen und Heptalen noch unter dem Stichwort "pseudo-Aromaten" ein. Obwohl von den Autoren bereits diskutiert wurde, dass in diesen Verbindungen schwache paramagnetische Ringstöme vorherrschen (Aromaten weisen diamagnetische Ringströme auf, vgl. unter Aromatizität) und diese bedingt durch Bindungslängenalternanz gegenüber den vollständig delokalisierten Modellsystemen in ihrem Ausmaß reduziert sind, hatte sich das Konzept "Antiaromatizität" wie wir es heute verstehen noch nicht durchgesetzt.

Ähnlich wie bei den Aromaten hat sich seit diesen frühen Arbeiten ein deutlich breiteres Verständnis des Begriffes Antiaromatizität durchgesetzt, das neben energetischen Kriterien vor allem die magnetischen Eigenschaften - insbesondere in ihrer Auswirkung auf NMR-Phänomene (chemische Verschiebungen, NICS, vgl. Diskussion unter Aromatizität) - zur Diskussion heranzieht. Wie auch beim Studium der Aromaten haben leistungsfähige quantenchemische Methoden eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung gespielt.

Energetische Aspekte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aromatizität und Antiaromatizität in Cyclopropenyl- und Cyclopentadienyl-Ionen. Enthalpien berechnet auf G2-Niveau.[1]

Delokalisation und Konjugation - zwei fundamentale Konzepte im Verständnis der chemischen Bindung - werden im Allgemeinen mit energetischer Stabilisierung verbunden. Im Sonderfall der Aromatizität mit ihrer cyclischen Konjugation/Delokalisation von 4n + 2 Elektronen erreicht die Stabilisierung dabei ein ungewöhnlich hohes Niveau. Dass die cyclische Konjugation von 4n Elektronen daher zu einer Destabilisierung führt, ist ein auf den ersten Blick überraschendes Phänomen - das jedoch zwanglos aus der quantenmechanischen Behandlung folgt (vgl. auch Quantenchemie). Die unterschiedliche Auswirkung der cyclischen Delokalisation läßt sich eindrücklich durch die Betrachtung einiger [7]Reaktionen von Cyclopropen und Cyclopentadien mit Cyclopropyl- bzw. Cyclopentyl-Kationen und -Anionen demonstrieren (vgl. nebenstehende Abbildung): Während die Bildung der aromatischen, cyclisch delokalisierten Systeme mit 2 bzw. 6 π-Elektronen (4n + 2, n = 0, 1, 2, ... Hückel-Regel) deutlich exotherm verläuft, ist die Bildung der antiaromatischen Systeme mit 4 π-Elektronen (4n, n = 1, 2, 3, ... Hückel-Regel) deutlich endotherm. Bei der Bewertung im Falle der antiaromatischen Systeme ist dabei zu beachten, dass in den entsprechenden Ionen bereits deutliche Bindungsalternanz vorherrscht, die zu einer Verminderung der Delokalisation führt. Reaktionsenthalpien für die Bildung der hypothetischen Systeme mit maximaler Delokalisation wären somit deutlich stärker endotherm.


Antiaromat[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Drei Antiaromaten mit 4 π-Elektronen (v.l.n.r.): Cyclopropenid-Anion (drei mesomere Grenzstrukturen), Cyclobutadien (zwei Valenztautomere) und Cyclopentadienyl-Kation (fünf mesomere Grenzstrukturen).[8] Die π-Elektronen sind blau markiert.

In der Chemie werden Verbindungen, die das Phänomen der Antiaromatizität zeigen, als Antiaromaten bezeichnet. Bei Antiaromaten führt die cyclisce Delokalisation von 4n Elektronen (n = 1, 2, 3, ...) zu einer energetischen Destabilisierung (Hückel-Regel). Dies steht im genauen Gegensatz zu den Aromaten, bei denen die cyclische Delokalisation von 4n + 2 Elektronen zu einer energetischen Stabilisierung führt (Hückel-Regel, vertiefte Diskussion siehe Aromatizität). Mit der energetischen Destabilisierung geht bei den Antiaromaten eine erhöhte Reaktivität einher.

Grundsätzlich werden die Phänomene Aromatizität und Antiaromatizität in Organischen und in Anorganischen Systemen angetroffen. In der Organischen Chemie werden sie meist an planaren, cyclischen Kohlenwasserstoffverbindungen mit konjugierten Doppelbindungen diskutiert. Antiaromaten weisen dann 4n π-Elektronen auf.[9] Um der energetisch ungünstigen Situation zu entgehen, werden zum einen Konformationen eingenommen, in denen die cylische Delokalisation so weit wie möglich vermindert ist, zum anderen erfolgen Reaktionen, bei denen die cyclische Konjugation aufgehoben wird. Für perfekt cyclisch delokalisierte antiaromatische Systeme sagt die Hückel-Regel eine Diradikalstruktur (Tiplett) voraus, aus welcher sich die hohe Reaktivität der Antiaromaten zwanglos erklären läßt.

Paradebeispiel für eine antiaromatische Verbindung ist das Cyclobutadien, das nur bei sehr tiefer Temperatur (≤ 20 K) in einer festen Matrix beständig ist. Tri-tert-butylcyclopentadien ist hingegen einige Stunden bei 20 °C beständig (sterische Abschirmung). Der Komplex Cyclopentadien-eisentricarbonyl ist bei Raumtemperatur beständig und dient als Quelle zur Erzeugung von Cyclopentadien.[10]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Kenneth B. Wiberg: Antiaromaticity in Monocyclic Conjugated Carbon Rings. In: Chemical Reviews. 101, 2001, S. 1317, doi:10.1021/cr990367q.
  2. Annette D. Allen, Thomas T. Tidwell: Antiaromaticity in Open-Shell Cyclopropenyl to Cycloheptatrienyl Cations, Anions, Free Radicals, and Radical Ions. In: Chemical Reviews. 101, 2001, S. 1333, doi:10.1021/cr990316t.
  3. Eine Übersicht der aktuellen Diskussion zum Thema Aromatizität und Antiaromatizität findet sich in Chemical Reviews Vol. 101, Heft 5, 2001 sowie Vol. 105, Heft 10, 2005.
  4. a b Hyp J. Dauben, James Dennis. Wilson, John L. Laity: Diamagnetic susceptibility exaltation as a criterion of aromaticity. In: Journal of the American Chemical Society. 90, 1968, S. 811, doi:10.1021/ja01005a059.
  5. a b R. Breslow, J. Brown, J. J. Gajewski: Antiaromaticity of Cyclopropenyl Anions. In: Journal of the American Chemical Society. 89, 1967, S. 4383, doi:10.1021/ja00993a023.
  6. R. Breslow: Small Antiaromatic Rings. In: Angewandte Chemie International Edition in English. 7, 1968, S. 565, doi:10.1002/anie.196805651.
  7. Definition im UPAC Gold Book: http://goldbook.iupac.org/I03272.html - doi:10.1351/goldbook.I03272
  8. Joachim Buddrus: Grundlagen der Organischen Chemie, 4. Auflage, de Gruyter Verlag, Berlin, 2011, S. 425, ISBN 978-3-11-024894-4.
  9. Siegfried Hauptmann: Organische Chemie, 2. Auflage, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1985, S. 73, ISBN 3-342-00280-8.
  10. Joachim Buddrus: Grundlagen der Organischen Chemie, 4. Auflage, de Gruyter Verlag, Berlin, 2011, S. 426, ISBN 978-3-11-024894-4.