Cessio bonorum

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die cessio bonorum (extra ius) – übersetzt: „Abtretung von Hab und Gut“ – war Bestandteil eines julianischen Vollstreckungsgesetzes, das dem Schuldnerschutz diente.[1] Das Rechtsinstitut regelte, zur Abwendung der ihm sonst drohenden Personalexekution, die Vermögensübertragung des zahlungsunfähigen Schuldners an seine(n) Gläubiger.[2] Adressat der Bestimmung war der rechtsprechende Prätor. Sie galt zunächst nur im stadtrömischen Jurisdiktionsbereich.[3] Der Zusatz extra ius weist auf eine Prozesserleichterung hin und grenzt zum Verfahren in iure cessio ab. Eingerichtet wurde die „Güterabtretung“ möglicherweise bereits von Caesar, wohl aber eher von Augustus im Jahr 17.[4]

Die im schottischen Recht noch heute gültige cessio bonorum[5] wurde in Europa ab dem Mittelalter rezipiert. Mit der zur Anfangszeit des Deutschen Reichs begründeten – und 1994 durch Ablösung aufgehobenenKonkursordnung wurde die Güterabtretung dieses Zuschnitts in Deutschland endgültig aufgegeben, soweit sie außerhalb des Wirkungsbereichs des preußischen Allgemeinen Landrechts überhaupt noch galt.

Kennzeichen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wer überschuldet war, konnte sich durch freiwillige Übertragung seiner Gütergesamtheit privilegieren. Statt Personalexekution zuzüglich gerichtlicher Einweisung der Gläubiger in sein Vermögen (missio in possessionem)[6] wurde ihm eine anerkennende Gegenleistung zuteil. Er erhielt den gerichtlichen Schutz seiner bürgerlichen Ehrenrechte, andernfalls hätte Infamie gedroht. Je nach Ära der römischen Entwicklungsgeschichte war sogar seine persönliche Integrität geschützt, denn zu Zeiten der Republik drohte ihm die Hinrichtung, später Leibesstrafen. Zweifel bestehen, inwieweit die privilegierte Behandlung noch statthaft war, nachdem die Gläubiger bereits unaufgefordert Zwangsmaßregeln (missio, ductio) erwirkt hatten,[7] auch wird in Frage gestellt, wie wirksam die Bestimmungen überhaupt waren.[8]

Unmittelbare Rechte erwarben die Gläubiger an den Sachen des Schuldners nicht, denn mit dem Zuschlag war keine Eigentumsbegründung verbunden. Die Gläubiger erhielten die durch Abtretung bedingte Befugnis, vom Prätor in die Güter „eingewiesen“ (missio) zu werden.[3] Nach Übertragung wurden die Vermögensgegenstände verkauft (venditio, später: distractio bonorum) und der Erlös unter den Gläubigern verteilt. Erst die Erlösverteilung führte zur Gläubigerbefriedigung. Reichte das Vermögen nicht zur vollen Tilgung der Forderungen aus, so blieb der zedierende Schuldner zur Nachzahlung verpflichtet. Im Laufe der Zeit wurden ihm Notbedarfe für den Selbstbehalt zugesprochen.[9] Bis zum Verkauf konnte der Schuldner die Abtretung rückgängig machen, indem er die Gläubiger abfand oder indem er Einwendungen (Litiskontestation) erhob.

Quiritisches Eigentum konnten die Käufer aufgrund fehlender Formalakte nicht erwerben. Einer Konstitution des Alexander Severus zufolge konnte Schuldbefreiung erst eintreten, wenn die Gläubiger vollständig befriedigt waren.

Vorgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits 326 v. Chr. wurde die lex Poetelia Papiria erlassen.[10][11] Ungewiss ist, ob sie bereits die Befreiung der „Person“ des Schuldners (nisi qui noxam meruisset) bestimmte, um darauf zu setzen, nur dessen „Eigentum“ (bona) für die aufgelaufenen Schulden haften zu lassen. Das Gesetz soll jedenfalls ermöglicht haben, die Personalvollstreckung wegen Darlehensschulden durch Ablegung eines Insolvenzeides auf die Göttin des Überflusses abzuwenden.[12] Jedenfalls brachte die Norm eine Haftungserleichterung für Vollstreckungshäftlinge insoweit mit sich, als Beschränkungen der allgemeinen Bewegungsfreiheit – etwa Fesseln – aufgehoben wurden. Das hatte wiederum Einfluss auf die Vollstreckungsmaßnahme der manus iniectio, die im Zwölftafelgesetz statuiert war. Mit der Bestimmung war noch unbeschränkter Zugriff auf die Person des Schuldner erlaubt. Zwar waren in den XII Tafeln der Verkauf, sogar die Tötung eines ungelösten Schuldners vorgesehen, schnell aber wurde es noch im altzivilen Recht übliche Praxis, dass der Schuldner die Haftungssumme in Schuldknechtschaft ableistete.[13]

Da die klassischen Quellen schweigen, kann über das Verhältnis der Lex Poetelia zur cessio bonorum, abgesehen von den Ehrschutzbestimmungen, nur spekuliert werden. In justinianischer Zeit konnte man sich der persönlichen körperlichen Haftung aber wieder mittels Insolvenzeides entziehen, geregelt in den Novellae (135).[14] Geschworen wurde fortan allerdings auf die Heilige Schrift.[15]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Gaius, Institutionen III 78.; Codex Theodosianus IV 20.
  2. Ulpian, Digesten 4.8.17.pr.
  3. a b Codex Iustinianus 7.71,4 pr. (Diokletian wird so wiedergegeben, dass er von einer lex Iulia de bonis cedendis spricht, folgend der klassischen Tradition auch bei einzelnen Gesetzesbestimmungen von lex zu sprechen.)
  4. Auf Caesar zurückgeführt, Theodor Mommsen: Römische Geschichte Band III (1932). S. 536.; Augustus präferiert Moriz Wlassak in Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (siehe Literatur).
  5. William Smith: A Dictionary of Greek and Roman Antiquities, John Murray, London, 1875.
  6. Codex Iustinianus 7.71.1.4.7.8.; darauf weisen Begriffe hin, wie beneficium, adiutorium, auxilium cessionis.; vgl. auch Iulius Paulus, Digesten 40.2.1.51 pr.
  7. Otto Lenel: Das Edictum perpetuum. Ein Versuch zu seiner Wiederherstellung, mit dem für die Savigny-Stiftung ausgeschriebenen Preise gekrönt, Leipzig 1927; zuerst 1883 (Digitalisat (Memento des Originals vom 27. Juni 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/fama2.us.es; PDF; 54,6 MB). S. 331; bezugnehmend auf Gaius, Digesten 50.16.48.
  8. Friedrich von Woess: Personalexekution und cessio bonorum im römischen Reichsrecht. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 43, Heft 1, 1922, S. 485–529, hier S. 487 ff.
  9. Ulpian, Digesten 42.3.6.
  10. Livius 8.28.8.
  11. Ulrich von Lübtow: Zum Nexumproblem, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 67, 1950, S. 112–161, hier S. 155 ff.
  12. Fabian Klinck: Die vorklassische Personalvollstreckung wegen Darlehensschulden nach der lex Poetelia, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 130, Heft 1, 2013. S. 393–404 (403 f.).
  13. Max Kaser: Das Römische Privatrecht. Erster Teil: Altrömisches Recht (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Zehnte Abteilung, Dritter Teil, Dritter Band, Erster Abschnitt). 2. Auflage. C. H. Beck, München 1955, § 40 (Haftung und Schuld). S. 136 ff.
  14. Ausführlich zum Insolvenzeid, Inge Kroppenburg: Die Insolvenz im klassischen römischen Recht. Tatbestände und Wirkungen außerhalb des Konkursverfahrens. Böhlau Köln [u. a.] 2001.; kritische Besprechung bei Karl Hackl: Inge Kroppenberg, Die Insolvenz im klassischen römischen Recht. Tatbestände und Wirkungen außerhalb des Konkursverfahrens, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 122, Heft 1, 2005. S. 333–347.
  15. Fabian Klinck: Die vorklassische Personalvollstreckung wegen Darlehensschulden nach der lex Poetelia, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 130, Heft 1, 2013. S. 393–404 (404).