Cyankali (Film)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Film
Titel Cyankali
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1930
Länge 91 Minuten
Stab
Regie Hans Tintner
Drehbuch Hans Tintner
Produktion Hans Tintner für Atlantis-Film, Berlin
Musik Willy Schmidt-Gentner
Kamera Günther Krampf
Schnitt Herbert Selpin
Besetzung

Cyankali ist ein Sittendrama nach einem Theaterstück von Friedrich Wolf, das für einen legalen Schwangerschaftsabbruch in sozialer Notlage plädiert. Regie führte Hans Tintner, die Hauptrolle übernahm Grete Mosheim. Die Uraufführung fand am 23. Mai 1930 in Berlin statt.

Handlung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Berlin, Ende der 1920er Jahre. Die junge Hete Fent arbeitet als Büroangestellte in einer Fabrik. Dort ist auch ihr Verlobter, der Arbeiter Paul, angestellt. Eines Tages stellt Hete fest, dass sie schwanger ist. Ihre soziale Not – sie haben keine gemeinsame Wohnung in Aussicht – wird es sehr schwer machen, als Eltern für ihr zukünftiges Kind zu sorgen. Dennoch entscheiden sie sich für das Baby.

Als eines Tages die Arbeiter von der Fabrik ausgesperrt werden, weil sie Lohnerhöhungen eingefordert haben, zerplatzt der Traum von einer kleinen Familie endgültig. Paul ist jetzt arbeitslos und verdient kein Geld mehr. Hete versucht, einen Arzt zu finden, der bereit ist, bei ihr einen Abbruch vorzunehmen. Sie scheitert mit ihrer Suche und geht daraufhin zu einer „Engelmacherin“, die ihr Cyankali verabreicht. Doch die Dosis ist falsch portioniert, und so stirbt Hete qualvoll an einer Vergiftung.

Ihre Mutter wird daraufhin verhaftet, da sie unter dem Verdacht steht, Beihilfe zum unerlaubten Schwangerschaftsabbruch (siehe § 218) geleistet zu haben. Auch Paul und sein Freund Max, die einen Einbruch in ein Lager mit Lebensmitteln unternommen haben, um ihrem sozialen Elend zu entkommen, werden festgenommen.

Produktionsnotizen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hans Tintner bemerkte zu seiner Inszenierung Cyankali: „Ich habe mich in diesem Film fast sklavisch an das Theaterstück gehalten. Von den wesentlichen Szenen des Stückes habe ich das Manuskript in engster Zusammenarbeit mit dem Verfasser des Stücks, Dr. Friedrich Wolf, geschrieben. Während das Stück auf der Bühne mehr die privaten, familiären Verhältnisse einer Familie schildert, habe ich im Film die Möglichkeit gehabt, weit mehr auf die sozialen Ursachen einzugehen.“[1]

Der Film wurde als Stummfilm begonnen, zwei Passagen am Ende[2] markieren bereits den Übergang zum Tonfilm.[3]

Seit der ersten Vorlage vom 13. März 1930 durchlief der höchst umstrittene Film bei der Filmzensur einen wahren Prüfungsmarathon. Immer wieder wurden neue Schnittauflagen angeordnet. Bis zur letzten Zensurprüfung am 12. Dezember 1930 erhielt „Cyankali“ stets Jugendverbot.

Helmut Schreiber debütierte bei Cyankali als Herstellungsleiter; verliehen wurde der Film von der Deutsche Fox-Film A.G., deren Chef Regisseur Tintner war.

An der Herstellung des Films war auch der Maler Otto Nagel beteiligt, welcher mit Heinrich Zille und Käthe Kollwitz befreundet war.[4]

Kritiken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die zeitgenössische Kritik widmete dem Film große Aufmerksamkeit. Hier zwei Beispiele:

Herbert Jhering schrieb im Berliner Börsen-Courier: Cyankali „erreicht die Schärfe und Schlagkraft des Dramas nicht. Aus der Anklage wird larmoyante Milieuskizze und Mitleidsbettelei. Auch hier fehlt, noch deutlicher, die geistige Zielsetzung.“ Jherings Fazit: „Schade. Auch hier hatte man den Mut, ein gewagtes Thema zu drehen und zerstörte die Wirkung durch den Mangel an Konsequenz. Es geht etwas vor im deutschen Film. Man merkt, daß es mit alter Thematik nicht weitergeht. Man wagt etwas. Aber man macht es noch nicht richtig“.[5]

Paul Marcus schrieb in Das 12 Uhr Blatt: „Dieser Zeit- und Zweckfilm will und soll nicht ästhetisierend bekrittelt werden. Mitten im Berliner Scheunenviertel uraufgeführt, fern aller pikanten Sensationen und Ambitionen, wirkte Friedrich Wolfs verfilmter Stoff so aufwühlend wie bei der 'Gruppe junger Schauspieler'. Nichts ist vergröbert, vielleicht etwas breiter und gedehnter; also ist die Wirkung weniger direkt, weniger revolutionär, aber um so tiefer, quälender, nachhaltiger.“ Und: „Die Regie Hans Tintners verwischte manchmal, blieb zuweilen im Althergebrachten stecken. Aber was besagt dies bei der Leistung der Mosheim, die nichts von der Stobrawa übernommen hat. Sie faßte die Rolle ganz anders auf. Lastend schon vor der Katastrophe, wuchs sie im Leid weit über den Ausbruch hinaus. Sie steigerte den Schmerz bis an die äußerste Grenze. Da ging ein Menschenkind beinahe resignierend in schmerzloses Nichts auf.“[6]

Cyankali in der Nachkriegskritik:

In Kay Wenigers „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …“ wurde an die Begleitumstände rund um die Uraufführung der Wolf-Verfilmung erinnert: „„Cyankali“ wurde in der Öffentlichkeit heftig diskutiert, war äußerst umstritten und kam erst nach zahlreichen von der Filmzensur auferlegten Schnittvorgaben in die Lichtspielhäuser.“[7]

Horst Knietzsch gab in Filmgeschichte in Bildern aus der sozialistischen Weltsicht der DDR folgende Stellungnahme zum Film ab: Cyankali „wurde zwar der literarischen Vorlage von Friedrich Wolf nicht gerecht, aber er war eine künstlerische Stellungnahme zum heiß diskutierten Paragraphen 218, der Schwangerschaftsunterbrechungen aus sozialen Gründen verbot. Tintner blieb auf einer bürgerlich demokratischen Position stehen. Er forderte nicht die den elenden gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechende Möglichkeit der sozialen Indikation, sondern Geburtenregelung durch den Staat.“[8]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Günter Agde: Filmutopien vor der Katastrophe. Friedrich Wolfs Filmprojekte für Meshrabpom Film Moskau (1931–1933). In: Kulturation. 2, 2003, ISSN 1610-8329.
  • Kerstin Barndt: Aesthetics of Crisis. Motherhood, Abortion and Melodrama in Irmgard Keun and Friedrich Wolf. In: Women in German Yearbook. Bd. 24, 2008, ISSN 1058-7446, S. 71–95, online.
  • Nadine Bender: Das proletarische Berlin im Film der Weimarer Republik. Marburg 2003, S. 63–75 (Marburg, Philipps-Universität, Magisterarbeit, 2003), online.
  • Uta Berg-Ganschow (Hrsg.): Berlin. Aussen und innen. 53 Filme aus 90 Jahren. Materialien zu einer Retrospektive. Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin 1984.
  • Hans-Michael Bock, Tim Bergfelder (Hrsg.): The Concise Cinegraph. Encyclopaedia of German Cinema (= Film Europa. Bd. 1). Berghahn Books, New York NY u. a. 2009, ISBN 978-1-57181-655-9, S. 193, 239–240, 260, 265.
  • Andreas-Andrew Bornemann: Grete Mosheim (1905–1986).
  • Cyankali. In: Arbeiterbühne und Film. 17. Jg., Nr. 6, 6. Juni 1930, ZDB-ID 281881-4. Abgedruckt in: Gertraude Kühn, Karl Tümmler, Walter Wimmer (Hrsg.): Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland. 1918–1932. Dokumente und Materialien zur Entwicklung der Filmpolitik der revolutionären Arbeiterbewegung und zu den Anfängen einer sozialistischen Filmkunst in Deutschland. Band 2. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1978, S. 487.
  • Peter Drexler: Der deutsche Gerichtsfilm 1930–1960. Annäherungen an eine problematische Tradition. In: Joachim Linder, Claus-Michael Ort (Hrsg.): Verbrechen – Justiz – Medien. Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. Bd. 70). Niemeyer, Tübingen 1999, ISBN 3-484-35070-9, S. 387–402.
  • Peter Drexler: The German Courtroom Film During the Nazi Period: Ideology, Aesthetics, Historical Context. In: Journal of Law and Society. Bd. 28, Nr. 1, 2001, ISSN 0263-323X, S. 64–78, hier S. 3, doi:10.1111/1467-6478.00179.
  • Ralf Forster, Jens Thiel: Otto Nagel und der Film. Dokumente im Otto Nagel-Archiv. In: Filmblatt. 3. Jg., Nr. 7, Frühling/Sommer 1998, S. 33–37, online (PDF; 4,2 MB).
  • Rudolf Freund: Cyankali. In: Günther Dahlke, Günter Karl (Hrsg.): Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933. Ein Filmführer. 2. Auflage. Henschel-Verlag, Berlin 1993, ISBN 3-89487-009-5, S. 224 f.
  • Laurence Kardish (Hrsg.): Weimar cinema, 1919–1933. Museum of Modern Art, New York NY 2010, ISBN 978-0-87070-761-2.
  • Barbara Kosta: Unruly Daughters and Modernity: Irmgard Keun's Gilgi-eine von uns. In: The German Quarterly. Bd. 68, Nr. 3, Summer 1995, ISSN 0016-8831, S. 271–286, hier S. 278.
  • Daniel Kulle: § 173 St.G.B. Blutschande. Ein Paragraphenfilm und die Zensur. In: Hans-Peter Becht, Carsten Kretschmann, Wolfram Pyta (Hrsg.): Politik, Kommunikation und Kultur in der Weimarer Republik (= Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte. Bd. 4). Verlag Regionalkultur, Heidelberg u. a. 2009, ISBN 978-3-89735-554-5, S. 71–87, hier S. 73.
  • Joachim Linder, Claus-Michael Ort (Hrsg.): Verbrechen – Justiz – Medien. Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur. Bd. 70). Niemeyer, Tübingen 1999, ISBN 3-484-35070-9, S. 266, 364, 382–383, 386, 389.
  • Martin Loiperdinger: Filmzensur und Selbstkontrolle. Politische Reifeprüfung. In: Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart u. a. 2004, ISBN 3-476-01952-7, S. 525–544, hier S. 12–13.
  • Cornelie Usborne: Cultures Of Abortion In Weimar Germany (= Monographs in German History. Bd. 17). 1st paperback edition. Berghahn Books, New York NY u. a. 2011, ISBN 978-0-85745-166-8, S. 23, 26, 29, 37–39, 42–56.
  • Karlheinz Wendtland: Geliebter Kintopp. Sämtliche deutsche Spielfilme von 1929–1945. Mit zahlreichen Künstlerbiographien. Jahrgang 1929 und 1930. Verlag Medium Film Wendtland Berlin o. J. [1987], ISBN 3-926945-06-0.
  • Renate Wittern-Sterzel (Hrsg.): Frauenärztinnen in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts. In: Christoph Anthuber, Matthias W. Beckmann, Johannes Dietl, Fritz Dross, Wolfgang Frobenius (Hrsg.): Herausforderungen. 100 Jahre Bayerische Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde. Thieme, Stuttgart u. a. 2012, ISBN 978-3-13-171571-5, S. 47–59.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. deutsche-kinemathek.de: Cyankali (Memento vom 7. Januar 2014 im Internet Archive)
  2. sie enthalten Dialoge und wurden nach dem Tri-Ergon-Verfahren (Lichtton) aufgenommen, vgl. Lichtbild-Bühne. Jg. 23, Nr. 124, v. 24. Mai 1930: Der Film ist als Ton- und Sprechfilm (System Tri-Ergon) hergestellt. Musik und Sprache kommen annehmbar. Schmidt-Gentner zeichnet für die musikalische Illustration.
  3. vgl. Lichtbild-Bühne. Jg. 23, Nr. 124, v. 24. Mai 1930: Das Fehlen der Sprache, das seinen Ausdruck auch in der expressiven Gestaltung der Zwischentitel findet, ist hier, an der Schwelle zum Tonfilm, offensichtlich. Die nachträgliche Ausstattung des Films mit der Musik Willy Schmidt-Gentners konnte dies nicht ausgleichen, sie wirkte sogar kontraproduktiv.
  4. vgl. Forster, Thiel: Otto Nagel und der Film. In: Filmblatt. 3. Jg., Nr. 7, Frühling/Sommer 1998, S. 33–37, hier S. 33: Auch an dem nach der Vorlage von Friedrich Wolf entstandenen Film Cyankali (1930) war Otto Nagel beteiligt.
  5. Berliner Börsen-Courier, Abendausgabe v. 24. Mai 1930.
  6. Neue Berliner Zeitung. Das 12-Uhr-Blatt. Jg. 12, 24. Mai 1930, ZDB-ID 821491-8.
  7. Kay Weniger: „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …“. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. Acabus-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 507.
  8. Horst Knietzsch: Filmgeschichte in Bildern. Henschelverlag, Ostberlin 1971, S. 119 f.