Diazoessigsäureethylester

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Strukturformel
Strukturformel von Diazoessigsäureethylester
Allgemeines
Name Diazoessigsäureethylester
Andere Namen
  • Ethyldiazoacetat
  • Diazoessigester
  • DAAE
  • EDA
  • ethyl 2-diazoacetate (IUPAC)
Summenformel C4H6N2 O2
Kurzbeschreibung

klare, gelbe Flüssigkeit[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 623-73-4
EG-Nummer 210-810-8
ECHA-InfoCard 100.009.828
PubChem 12192
ChemSpider 11692
Wikidata Q3026455
Eigenschaften
Molare Masse 114,10 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig[1]

Dichte

1,085 g·cm−3 bei 25 °C[2]

Schmelzpunkt

−22 °C[2]

Siedepunkt
Löslichkeit

wenig löslich in Wasser, löslich in Ethanol, Aceton, Benzol, Diethylether und in Ligroin[3]

Brechungsindex

1,4616 (25 °C, 589 nm)[3]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Achtung

H- und P-Sätze H: 226​‐​242​‐​302​‐​315​‐​319​‐​351
P: 210​‐​301+312​‐​303+361+353​‐​308+313​‐​370+378​‐​403+235[2]
Toxikologische Daten
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Diazoessigsäureethylester, kurz Diazoessigester oder EDA, ist eine Diazoverbindung, die durch Diazotierung von Glycinethylester-hydrochlorid entsteht. EDA spielt eine wichtige Rolle als Synthesereagens zur Bildung von Cyclopropancarbonsäure- und Cyclopropencarbonsäurederivaten, von β-Ketoestern im Sinne einer Buchner-Curtius-Schlotterbeck-Reaktion, zur Kettenverlängerung von Ketonen und für 1,3-Dipolare Cycloadditionen.[3]

Vorkommen und Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diazoessigsäureethylester wurde erstmals 1883 von Theodor Curtius beschrieben, der aus Glycinethylester-hydrochlorid mit Natriumnitrit NaNO2 in Wasser ein mit Diethylether extrahierbares gelbes Öl erhielt.[1] Nach einer Laborvorschrift[4] erhält man daraus praktisch reinen Diazoessigester in guter Ausbeute (85 %).

Ethyldiazoacetat EDA aus Glycinethylester-HCl
Ethyldiazoacetat EDA aus Glycinethylester-HCl

Durch temperaturkontrollierte Reaktion im Zweiphasensystem Wasser-1,2-Dichlorethan konnte das Reinprodukt mit 93,5 % Ausbeute erhalten werden.[5]

Bei der Reaktion von Glycinethylester mit dem stabilen Diazonium-tetrafluoroborat des 4-Nitroanilins entsteht durch Rückspaltung der gebildeten Triazenzwischenstufe EDA.[6]

Ethyldiazoacetat EDA über Trizenzwischenstufe
Ethyldiazoacetat EDA über Trizenzwischenstufe

In jüngerer Zeit wurden wegen der Giftigkeit und Explosionsneigung des Diazoessigsäureethylesters auch Synthesen der Substanz und ihrer Derivate mittels Mikroreaktoren durchgeführt.[7][8]

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ethyldiazoacetat ist eine klare, gelbe Flüssigkeit von stechendem Geruch, die sich in Wasser wenig löst, aber mit vielen organischen Lösungsmitteln mischbar ist. Die Verbindung ist flüchtig und „beim Erhitzen tritt gegen 110 °C unter gewaltiger Wärmeentwicklung plötzlich mit großer Heftigkeit Zersetzung ein“.[1] Während Diazoessigester im Alkalischen relativ stabil ist, zerfällt er in Gegenwart von Wasser und Säuren und bei Bestrahlung unter Abspaltung von Stickstoff. Handelsüblich sind Lösungen in Dichlormethan oder Toluol, die kalt und dunkel gelagert werden sollten. EDA kann durch fraktionierte Vakuumdestillation unter Einhaltung strikter Explosionsschutzregeln gereinigt werden.[4] Die Verbindung wird allerdings auch als „relativ stabile, im Vakuum unzersetzt destillierbare Flüssigkeit“ beschrieben.[9]

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bildung von Cyclopropanen und Cyclopropenen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der thermisch oder photochemisch induzierten Abspaltung von Stickstoff N2 aus Diazoessigsäureethylester entsteht das reaktive Carben :CH-COOC2H5, das unter Katalyse mit speziellen Goldkomplexen mit Ethen in bis zu 70 % Ausbeute zu Cyclopropancarbonsäure reagiert.[10]

Ethyldiazoacetat EDA: Bildung von Cyclopropancarbonsäure
Ethyldiazoacetat EDA: Bildung von Cyclopropancarbonsäure

Mit Stilben reagiert Diazoessigester in Gegenwart von wasserfreiem Kupfersulfat CuSO4 mit hohen Ausbeuten zu 2,3-Diphenylcyclopropan-1-carbonsäureethylester. Aus cis-Stilben entsteht ausschließlich der trans,trans-Ester, aus trans-Stilben hingegen das Gemisch der cis,trans-Isomeren.[11]

Ethyldiazoacetat EDA: Addition an Stilben
Ethyldiazoacetat EDA: Addition an Stilben

Die vielen Pyrethroiden mit insektizider Wirksamkeit zugrundeliegende Chrysanthemumsäure ist durch Cyclopropanierung von 2,5-Dimethyl-hexa-2,4-dien mit EDA zugänglich.[12]

Durch Addition des Carbens aus EDA an Alkine werden Cyclopropencarbonsäurederivate gebildet.[13]

Ethyldiazoacetat EDA: Addition an Phenylacetylen
Ethyldiazoacetat EDA: Addition an Phenylacetylen

Ringerweiterung durch Buchner-Reaktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Buchner-Reaktion von Ethyldiazoacetat mit Benzol erfolgt eine Ringerweiterung zu isomeren Cycloheptatrien-carbonsäureestern.[14]

Bildung von β-Ketoestern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aldehyde und Ketone können unter Katalyse mit Zinn(II)-chlorid SnCl2[15] oder Bortrifluorid BF3[16] mit Diazoessigester im Sinne einer Kettenverlängerung in die entsprechenden β-Ketoestern überführt werden.

Ethyldiazoacetat EDA: Bildung von beta-Ketoestern
Ethyldiazoacetat EDA: Bildung von beta-Ketoestern

Mit dem einfachsten Keton Aceton reagiert EDA bei tiefen Temperaturen zu einem Gemisch von 2-Methylacetessigsäureethylester (Ethyl-2-methyl-acetoacetat)[17] (I) und 3,3-Dimethyloxiran-2-carbonsäureethylester (Ethyl-3,3-dimethylglycidat, 5369-63-1) (II).[18]

Ethyldiazoacetat EDA: Reaktion mit Aceton
Ethyldiazoacetat EDA: Reaktion mit Aceton

Cycloadditionen mit EDA[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als 1,3-Dipol lässt sich Ethyldiazoacetat leicht mit so genannten Dipolarophilen, wie z. B. Alkenen und Alkinen, in einer [3+2]-Cycloaddition zu Pyrazolinen bzw. Pyrazolen umsetzen.[19]

So entsteht mit Phenylacetylen und EDA in Gegenwart von Triethylamin NEt3 und der Lewis-Säure Zinktriflat Zn(OTf)2 in hoher Regioselektivität und Ausbeute das entsprechende substituierte Phenylpyrazol.[20]

Ethyldiazoacetat EDA: Cycloaddition zu Pyrazolen
Ethyldiazoacetat EDA: Cycloaddition zu Pyrazolen

Pyrazol-5-carbonsäuren können durch 1,3-dipolare Cycloaddition von Diazoessigsäureethylester an Carbonylverbindungen mit freien α-Methylengruppen in Gegenwart der starken Base Diazabicycloundecen DBU in Acetonitril in guter Ausbeute und hoher Regioselektivität erhalten werden.[21]

Ethyldiazoacetat EDA: Bildung von Pyrazol-5-carbonsäuren
Ethyldiazoacetat EDA: Bildung von Pyrazol-5-carbonsäuren

In einer [3+2]-Cycloaddition reagiert Ethyldiazoacetat mit Dehydrobenzol, z. B. aus 2-(Trimethylsilyl)phenyltriflat (88284-48-4), in Gegenwart von Tetrabutylammoniumfluorid TBAF unter Bildung von Indazolen.[22]

Ethyldiazoacetat EDA: Synthese von Indazolen
Ethyldiazoacetat EDA: Synthese von Indazolen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d T. Curtius: Ueber die Einwirkung von salpetriger Säure auf salzsauren Glycocolläther. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 16, Nr. 2, 1883, S. 2230–2231, doi:10.1002/cber.188301602136.
  2. a b c d e f Datenblatt Diazoessigsäure-ethylester bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 15. Januar 2022 (PDF).
  3. a b c d e f V.V. Popik, A.E. Russell, W.D. Wulff, A. Mohammadlou: Ethyl Diazoacetate. In: e-EROS Encyclopedia of Reagents for Organic Synthesis. 2017, doi:10.1002/047084289X.re056.pub3.
  4. a b E.B. Womack, A.B. Nelson: Ethyl Diazoacetate In: Organic Syntheses. 24, 1944, S. 56, doi:10.15227/orgsyn.024.0056; Coll. Vol. 3, 1955, S. 392 (PDF).
  5. Patent US2490714: Preparation of diazoacetic esters. Angemeldet am 13. Mai 1947, veröffentlicht am 6. Dezember 1949, Anmelder: E.I. du Pont de Nemours & Co., Erfinder: N.E. Searle.
  6. R.N. Baumgarten: Preparation of ethyl diazoacetate via a triazene intermediate. In: J. Org. Chem. Band 32, Nr. 2, 1967, S. 484–485, doi:10.1021/jo01288a059.
  7. M.M.E. Delville, J.M.C. van Hest, F.P.J.T Rutjes: Ethyl diazoacetate synthesis in flow. In: Beilstein J. Org. Chem. Band 9, 2013, S. 1813–1818, doi:10.3762/bjoc.9.211.
  8. R.A. Maurya, K.-I. Min, D.-P. Kim: Continuous flow synthesis of toxic ethylacetate for utilization in an integrated microfluidic system. In: Green Chem. Band 16, Nr. 1, 2014, S. 116–120, doi:10.1039/C3GC41226A.
  9. Eberhard Breitmaier, Günther Jung: Organische Chemie: Grundlagen, Stoffklassen, Reaktionen, Konzepte, Molekülstruktur, Naturstoffe, Syntheseplanung, Nachhaltigkeit, 8. überarb. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2021, ISBN 978-3-527-35022-3, S. 397.
  10. S.G. Rull, A. Olmos, P.J. Pérez: Gold-catalyzed ethylene cyclopropanation. In: Beilstein J. Org. Chem. Band 15, 2019, S. 67–71, doi:10.3762/bjoc.15.7.
  11. J.K. Blatchford, M. Orchin: The synthesis of some 2,3-diarylcyclopropane-1-carboxylic acids. In: J. Org. Chem. Band 29, Nr. 4, 1964, S. 839–843, doi:10.1021/jo01027a017.
  12. H. Staudinger, O. Muntwyler, L. Ruzicka, S. Seibt: Insektentötende Stoffe VII. Synthesen der Chrysanthemumsäure und anderer Trimethylen-carbonsäuren mit ungesättigter Seitenkette. In: Helv. Chim. Acta. Band 7, Nr. 1, 1924, S. 390–406, doi:10.1002/hlca.19240070147.
  13. J.A. Pincock, A.A. Moutsokapas: An optically active cyclopropene as a mechanistic probe in cyclopropane photochemistry. In: Can. J. Chem. Band 55, Nr. 6, 1977, S. 979–985, doi:10.1139/v77-137.
  14. E. Buchner, T. Curtius: Ueber die Einwirkung von Diazoessigäther auf aromatische Kohlenwasserstoffe. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 18, Nr. 2, 1885, S. 2377–2379, doi:10.1002/cber.188501802119.
  15. C.R. Holmquist, E.J. Roskamp: A selective method for the direct conversion of aldehydes into β-keto esters with ethyl diazoacetate catalyzed by tin(II) chloride. In: J. Org. Chem. Band 54, Nr. 14, 1989, S. 3258–3260, doi:10.1021/jo00275a006.
  16. N.R. Candeias, R. Paterna, P.M.P. Gois: Homologation reaction of ketones with diazo compounds. In: Chem. Rev. Band 116, Nr. 5, 2016, S. 2937–2981, doi:10.1021/acs.chemrev.5b00381.
  17. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu ethyl 2-methylacetoacetate: CAS-Nummer: 609-14-3, EG-Nummer: 210-179-9, ECHA-InfoCard: 100.009.255, PubChem: 701, ChemSpider: 21106586, Wikidata: Q27284827.
  18. W.T. Tai, E.W. Warnhoff: β-Ketoesters from reaction of ethyl diazoacetate with ketones. In: Can. J. Chem. Band 42, Nr. 6, 1964, S. 1333–1340, doi:10.1139/v64-205.
  19. P.R. Krishna, E.R. Sekhar: Lewis acid and/or Lewis base catalyzed [3+2] cycloaddition reaction: Synthesis of pyrazoles and pyrazolines. In: Tetrahedron Lett. Band 49, Nr. 48, 2008, S. 6733–6736, doi:10.1016/j.tetlet.2008.09.037.
  20. S. He, L. Chen, Y.-N. Niu, L.-Y. Wu, Y.-M. Liang: 1, 3-Dipolar cycloaddition of diazoacetate compounds to terminal alkynes promoted by Zn (OTf)2 an efficient way to the preparation of pyrazole. In: Tetrahedron Lett. Band 50, Nr. 20, 2009, S. 2443–2445, doi:10.1016/j.tetlet.2009.03.030.
  21. A. Gioiello, A. Khamidullina, M.C. Falcos, F. Veltroni, S. Zlotsky, R. Pellicciari: New one-pot synthesis of pyrazole-5-carboxylates by 1,3-dipole cycloadditions of ethyl diazoacetate with α-methylene carbonyl compounds. In: Tetrahedron Lett. Band 50, Nr. 44, 2009, S. 5978–5980, doi:10.1016/j.tetlet.2009.07.152.
  22. F. Shi, R.C. Larock: Synthesis of substituted indazoles via [3+2]cycloaddition of benzyne and diazo compounds In: Organic Syntheses. 87, 2010, S. 95, doi:10.15227/orgsyn.087.0095; Coll. Vol. 3, 1955, S. (PDF).