Entscheidungsnavi

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Logo des Entscheidungsnavis
Logo des Entscheidungsnavis

Das Entscheidungsnavi[1] ist ein an der RWTH Aachen University entwickeltes, webbasiertes Open-Source[2] Tool zur Unterstützung von Entscheidungen. Es unterstützt einen reflektierten Entscheidungsprozess[3] in den folgenden fünf Schritten:

  1. Formulierung der Entscheidungsfrage
  2. Beschreibung der Fundamentalziele
  3. Identifikation der Handlungsoptionen
  4. Aufstellung des Wirkungsmodells
  5. Bewertung und Evaluation

Das Tool ist im Netz frei zugänglich[4], verfügt über eine deutsche und englische Benutzeroberfläche und kann ohne vorherige Registrierung in vollem Funktionsumfang verwendet werden. Eine umfangreiche, multimedial unterstütze[5] Hilfefunktion, der Navi-Assistent, bietet Nutzern bei Bedarf viele zusätzliche Informationen, um die Qualität der eigenen Entscheidung zu maximieren.

Entstehungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Tool wurde 2017 am Lehr- und Forschungsgebiet Entscheidungsforschung und Finanzdienstleistungen der RWTH Aachen University unter Leitung von Rüdiger von Nitzsch[6] entwickelt. Der Fokus lag zunächst auf der Unterstützung von Lehrveranstaltungen im Rahmen wirtschaftswissenschaftlicher und technischer Studiengänge. Seit dieser ersten, noch einfachen Version konnte das Tool mit umfangreichen Funktionserweiterungen zu einem ausgereiften Entscheidungsunterstützungssystem weiterentwickelt werden. Dabei half auch der eigens gegründete gemeinnützige Förderverein.[7]

Resonanz in Medien und Fachwelt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unmittelbar nach der ersten Veröffentlichung des Tools wurde über das Entscheidungsnavi in diversen Zeitungen[8][9] sowie im WDR-Regionalfernsehen[10] berichtet. Mittlerweile sind auch mehrere Beiträge in wissenschaftlichen Fachzeitschriften erschienen, die professionelle Anwendungen des Tools im unternehmerischen und gesellschaftlichen Kontext beschreiben. Diese Anwendungen betreffen z. B. strategische Unternehmensentscheidungen in der Pharma-Branche[11], in der Organisationsgestaltung[12] sowie in der Ausgestaltung der Energiewende[13]. Im Jahr 2020 wurde das Entscheidungsnavi in das Förderprogramm der Digitalen Hochschule NRW aufgenommen, in diesem Zuge wurden zugleich digitale Lerneinheiten für Medizinstudierende zum Umgang mit dem Entscheidungsnavi in Patientengesprächen (Decision Master 2020) produziert. Anerkennung fand das Tool ebenso in der wissenschaftlichen Community in den USA, was an entsprechenden Testimonials der bekannten US-amerikanischen Entscheidungsforscher Ralph Keeney und Carl Spetzler auf der Startseite des Tools abgelesen werden kann.

Wissenschaftliche Fundierung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Entscheidungsnavi stützt sich als wissenschaftlich fundiertes Tool auf die Inhalte und Methoden, die in der universitären Lehre zum Gebiet der Entscheidungstheorie vermittelt werden. Hierzu gehören zum einen Sensitivitätsanalysen, Risikoprofile, Tornadodiagramme, Monte-Carlo-Simulationen sowie Dominanzüberprüfungen beim Vorliegen unvollständiger Informationen. Einen besonderen Stellenwert im Tool besitzt jedoch der Value-Focused Thinking – Ansatz[14][15], der als Kernstück eines reflektierten Entscheidungsprozesses angesehen werden kann. Die Ermittlung der Nutzenwerte verschiedener Handlungsalternativen erfolgt auf Basis der multiattributiven Nutzentheorie[16]. Die Analyse der erreichten Entscheidungsqualität erfolgt auf Basis des insbesondere im unternehmerischen Umfeld bekannten Konzeptes der Decision Quality[17]. Ebenfalls berücksichtigt im Tool sind Hinweise zur Vermeidung von kognitiven Verzerrungen, wie sie in diversen Forschungsarbeiten[18] von Daniel Kahneman beschrieben sind.

Varianten des Tools[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Entscheidungsnavi wird seit der ersten Version im Jahr 2017 stetig auf Basis von Nutzerfeedback und Anwenderwünschen weiterentwickelt und ist momentan in der Version 7 verfügbar. Mittlerweile gibt es drei verschiedene Varianten des Entscheidungsnavis, die jeweils für unterschiedliche Zielgruppen ausgelegt sind. Eine einfach gehaltene Variante richtet sich an eine Zielgruppe, die sich nur einen ersten Einblick in die Methodik verschaffen will. Eine sehr ausführlich kommentierte und umfangreiche Variante ist als Trainingstool zur Erlangung von Entscheidungskompetenz konzipiert[19] und richtet sich primär an Studierende in der universitären Lehre. Für professionelle Anwender steht eine Variante zur Verfügung, die mit einem vollen Funktionsumfang auf einen geführten Prozess verzichtet.

Eine neue bewusst einfach gehaltene Variante des Entscheidungsnavis wurde eigens für Schülerinnen und Schüler zur Berufsorientierung entwickelt. Diese Variante ist im Zuge der KLUGentscheiden-Initiative der Universität Bayreuth in enger Abstimmung mit Johannes Siebert entstanden, der an der Entwicklung des Entscheidungsnavi auch schon von Beginn an beteiligt war.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Tim Höfer, Rüdiger von Nitzsch, Reinhard Madlener: Using Value-Focused Thinking and Multicriteria Decision Making to Evaluate Energy Transition Alternatives, in: Decision Analysis, Vol. 17, No. 4., 2020, doi:10.1287/deca.2020.0416
  • Daniel Kahneman, Thorsten Schmidt: Schnelles Denken, langsames Denken, 7. Aufl., Siedler, 2012.
  • Ralph L. Keeney: Value Focused Thinking: A Path to Creative Decisionmaking, 2002, ISBN 0-674-93197-1
  • Ralph L. Keeney: Give Yourself a Nudge: Helping Smart People Make Smarter Personal and Business Decisions, Cambridge University Press, 2020.
  • Ralph L. Keeney, Howard Raiffa: Decisions with Multiple Objectives: Preferences and Value Tradeoffs. Wiley, New York. Reprinted, Cambridge Univ. Press, New York, 1993, ISBN 978-1-139-17408-4
  • Florian Methling, Steffen A. Borden, Deepak Veeraraghavan, Insa Sommer, Johannes Siebert, Rüdiger von Nitzsch, Mark Seidler: Supporting Innovation in Early-Stage Pharmaceutical Development Decisions, in: Decision Analysis, Vol. 19, No. 4, 2022, doi:10.1287/deca.2022.0452
  • Marisa Schirmer, Christian Hannes, Christian Mayer, Susanne Mütze-Niewöhner, Rüdiger von Nitzsch: Reflektiert Entscheiden für Unternehmen – Die Anwendung eines entscheidungstheoretisch fundierten Ansatzes in der Organisationsgestaltung, in: Der Betriebswirt, 63. Jahrgang, Heft 3, 2022, S. 123–135.
  • Carl Spetzler, Hannah Winter, Jennifer Meyer: Decision Quality: Value Creation from Better Business Decisions, Wiley, 2016.
  • Rüdiger von Nitzsch: Entscheidungslehre – Wie Menschen entscheiden und wie sie entscheiden sollten, Springer Gabler, 2021, ISBN 978-3-658-34519-8
  • Rüdiger von Nitzsch, Mendy Tönsfeuerborn, Johannes Siebert: Decision Skill Training with the ENTSCHEIDUNGSNAVI, in: de Almeida, A.T., Morais, D.C. (Hrsg.) Innovation for Systems Information and Decision. INSID 2020. Lecture Notes in Business Information Processing, Vol. 405. Springer, Cham 2020, doi:10.1007/978-3-030-64399-7 2
  • Rüdiger von Nitzsch, Florian Methling: Reflektiert Entscheiden – Kompetent mit Kopf und Bauch, Frankfurter Allgemeine Buch, 2022, ISBN 978-3-96251-140-1.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Entscheidungsnavi – Startseite. Abgerufen am 23. Februar 2023 (deutsch).
  2. Reflektiert Entscheiden / Entscheidungsnavi · GitLab. Abgerufen am 8. November 2023.
  3. Rüdiger von Nitzsch, Florian Methling: Reflektiert Entscheiden: Kompetent mit Kopf und Bauch. 2. Auflage. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt 2022, ISBN 978-3-96251-140-1.
  4. Entscheidungsnavi Tool. Abgerufen am 9. März 2023 (englisch, deutsch).
  5. Reflektiert entscheiden: Kurz erklärt! Abgerufen am 8. November 2023 (deutsch).
  6. Lehr- und Forschungsgebiet Entscheidungsforschung und Finanzdienstleistungen: Rüdiger von Nitzsch – RWTH AACHEN UNIVERSITY EFI – Deutsch. Abgerufen am 23. Februar 2023.
  7. Startseite des Fördervereins Reflektiert Entscheiden e.V. Abgerufen am 23. Februar 2023 (amerikanisches Englisch).
  8. Ein Anruf bei … Rüdiger von Nitzsch, Erfinder eines Entscheidungsnavis. In: Süddeutsche Zeitung. 10. Dezember 2017, abgerufen am 23. Februar 2023.
  9. „Entscheidungsnavi“: Das Tool, das bei den großen Fragen hilft. In: WELT. 19. Dezember 2017, abgerufen am 23. Februar 2023.
  10. „RWTH Aachen entwickelt Entscheidungsnavi“, Beitrag im WDR Regionalfernsehen Aachen, Aktuelle Stunde vom 15. November 2017
  11. Florian Methling, Steffen A. Borden, Deepak Veeraraghavan, Insa Sommer, Johannes Ulrich Siebert, Rüdiger von Nitzsch, Mark Seidler: Supporting Innovation in Early-Stage Pharmaceutical Development Decisions. In: Decision Analysis. Band 19, Nr. 4, Dezember 2022, ISSN 1545-8490, S. 337–353, doi:10.1287/deca.2022.0452 (informs.org).
  12. Marisa Schirmer, Christian Hannes, Christina Mayer, Susanne Mütze-Niewöhner, Rüdiger von Nitzsch: Reflektiert Entscheiden für Unternehmen – Die Anwendung eines entscheidungstheoretisch fundierten Ansatzes in der Organisationsgestaltung. In: Der Betriebswirt. Vol. 63, Heft 3, 2022, S. 123–135.
  13. Tim Höfer, Rüdiger von Nitzsch, Reinhard Madlener: Using Value-Focused Thinking and Multicriteria Decision Making to Evaluate Energy Transition Alternatives. In: Decision Analysis. Band 17, Nr. 4, Dezember 2020, ISSN 1545-8490, S. 330–355, doi:10.1287/deca.2020.0416 (informs.org).
  14. Ralph L. Keeney: Value-focused thinking : a path to creative decisionmaking. Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1992, ISBN 978-0-674-03940-7.
  15. Ralph L. Keeney: Give Yourself a Nudge: Helping Smart People Make Smarter Personal and Business Decisions. Cambridge University Press, 2020.
  16. Ralph L. Keeney: Decisions with multiple objectives : preferences and value tradeoffs. Cambridge [England] 1993, ISBN 978-1-139-17408-4.
  17. Carl Spetzler, Hannah Winter, Jennifer Meyer: Decision Quality: Value Creation from Better Business Decisions. Wiley, 2016.
  18. Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken. 1. Auflage. München 2017, ISBN 978-3-328-10034-8.
  19. Rüdiger von Nitzsch, Mendy Tönsfeuerborn, Johannes Ulrich Siebert: Decision Skill Training with the Entscheidungsnavi. In: Innovation for Systems Information and Decision. Springer International Publishing, Cham 2020, ISBN 978-3-03064399-7, S. 15–30, doi:10.1007/978-3-030-64399-7_2 (springer.com [abgerufen am 23. Februar 2023]).