Eugen Stähle

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Eugen Stähle (* 17. November 1890 in Stuttgart; † 13. November 1948 in Münsingen) war ein deutscher Mediziner und Politiker (NSDAP).

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Besuch der Elementarschule und des Realgymnasiums in Stuttgart studierte Stähle von 1908 bis 1913 Medizin in Tübingen und Berlin. 1914 erhielt er die medizinische Approbation. Im selben Jahr promovierte er.

Nach einer kurzen Assistenzzeit an der Poliklinik in Tübingen nahm Stähle ab August 1914 als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, in dem er als Grenadier, Feldunter-, Assistenz-, Ober- und Regimentsarzt im Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119 zum Einsatz kam. Im Krieg wurde er durch eine Gasvergiftung schwer kriegsbeschädigt. 1919, zum Zeitpunkt seiner Entlassung im Dienstgrad eines Stabsarztes der Reserve, war Stähle Inhaber des Eisernen Kreuzes beider Klassen, des Friedrichs-Ordens II. Klasse und des Verwundetenabzeichens.

1919 beteiligte Stähle sich als Mitglied des Freikorps Epp an der Niederschlagung der Bayerischen Räterepublik. Anschließend arbeitete er bis 1924 als Chefarzt bei der Versorgungskuranstalt Waldeck bei Nagold. 1923 und erneut – nach ihrem vorübergehenden Verbot 1924 – im August 1927 trat er in die NSDAP (Mitgliedsnummer 65.877) ein und übernahm die Leitung der Ortsgruppe Nagold. 1930 wurde er Gauobmann des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes. 1931 wurde Stähle, der seit 1920 Facharzt für Inneres sowie Nervenkrankheiten in Nagold gewesen war, Chefarzt des Genesungsheims Bad Röthenbach.

Von März bis November 1933 saß Stähle als Abgeordneter der NSDAP im Reichstag. Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 leitete Stähle als Ministerialdirektor im württembergischen Innenministerium die Abteilung Gesundheitswesen. 1934 wurde er zudem Gauamtsleiter für Volksgesundheit im Gau Württemberg. Im Dezember 1935 wurde Stähle Vorsitzender im Landesverband Württemberg des Reichsbundes der Kinderreichen (R.d.K.) und zugleich Mitglied des Ehrenführerrings des R.d.K. Weiterhin war er Obmann der Ortsgruppe Stuttgart der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung (NSKOV). Im November 1942 übernahm er den Vorsitz im Gaugesundheitsrat für Württemberg-Hohenzollern und trug zugleich den Titel „Gaugesundheitsführer“. Hitler ernannte Stähle im Januar 1943 zum Professor.[1]

Eigenen Angaben zufolge wurde Stähle im Herbst 1939 von Herbert Linden über die in der „Aktion T4“ geplanten nationalsozialistischen Krankenmorde an Behinderten und psychisch Kranken („Euthanasie“) informiert.[2] Im Oktober 1939 war Stähle maßgeblich an der Auswahl des auf der Schwäbischen Alb gelegenen Schlosses Grafeneck als Tötungsanstalt der „Aktion T4“ beteiligt.[3] Während der „Aktion T4“ übernahm die von Stähle geleitete Abteilung im württembergischen Innenministerium die Rolle einer regionalen Zentralstelle; Stähle leistete dabei „offenbar ohne Bedenken und in umfassender Weise Beiträge zur Krankenmordaktion.“[4] Stähle unterzeichnete Schreiben, in denen die Verlegung von Kranken aus württembergischen Anstalten in die Tötungsanstalt Grafeneck angeordnet wurde.[5] Nach späteren Aussagen von Reinhold Vorberg, dem Leiter der mit den Krankentransporten beauftragten Gekrat, fanden bei Stähle Besprechungen zu den Verlegungen statt.[6] Im Frühjahr 1940 war Stähle in Grafeneck bei der Vergasung von Frauen anwesend.[7] Protesten von Vertretern der Kirchen gegen die trotz Geheimhaltung bekannt gewordenen Krankenmorde in Grafeneck begegnete er mit der Aussage „Das 5. Gebot: Du sollst nicht töten, ist gar kein Gebot Gottes, sondern eine jüdische Erfindung.“[8]

Nach der Einstellung der Krankenmorde in Grafeneck im Dezember 1940 hielt es Stähle für „selbstverständlich“, dass die Direktoren der Anstalten „selbst Euthanasie weiterbetreiben würden.“[9] In der zweiten Phase der nationalsozialistischen Krankenmorde, der Aktion Brandt, wurden zahlreiche Patienten durch systematische Unterernährung oder Überdosierung von Medikamenten ermordet. In der Endphase des nationalsozialistischen Regimes wurden auch erkrankte Zwangsarbeiter Opfer der Krankenmorde. Im April 1945 forderte Stähle von einem Anstaltsarzt, allerdings vergeblich, „die ‚Umlegung‘ von 100 kranken Ostarbeitern“.[10]

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Stähle, der auch Träger des Goldenen Parteiabzeichens war, von den Alliierten verhaftet und mehrfach verhört. Er starb 1948 als Untersuchungshäftling im Kreiskrankenhaus Münsingen. Zuvor hatte er noch, wie auch die Assistentin des Euthanasie-Arztes Karl Lempp, Magdalena Schütte[11], für diesen einen Persilschein ausgestellt. Sie und der an höchster Stelle angesiedelte Medizinalbeamte Stähle, der das Euthanasieprogramm in Baden-Württemberg organisierte und damit Vorgesetzter von Lempp war, waren die wichtigsten angeblichen, und damals als solche akzeptierten, „Entlastungszeugen“ für Lempp für seine Entnazifizierung.[12]

In der Sowjetischen Besatzungszone wurde seine Schrift Geschichte des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes e. V., Gau Württemberg-Hohenzollern auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.[13]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Über Remission im Symptomenbilde der Syringomyelie, Leipzig 1915.
  • Geschichte des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes e. V., Gau Württemberg-Hohenzollern, Stuttgart 1940.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Joachim Lilla, Martin Döring, Andreas Schulz: Statisten in Uniform: Die Mitglieder des Reichstags 1933–1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Droste, Düsseldorf 2004, ISBN 3-7700-5254-4, S. 637 f.
  • Thomas Stöckle: Eugen Stähle und Otto Mauthe. Der Massenmord in Grafeneck und die Beamten des Innenministeriums. In: Hermann G. Abmayr (Hrsg.): Stuttgarter NS-Täter, vom Mitläufer bis zum Massenmörder. 3. Auflage, Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-89657-166-3, S. 60–69.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer TB, Frankfurt 2005, ISBN 3-596-16048-0, S. 594.
  2. Aussage Stähles von 7. Juni 1948, siehe Ernst Klee: Was sie taten – was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- und Judenmord. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-24364-5, S. 85.
  3. Ernst Klee: »Euthanasie« im NS-Staat. Die »Vernichtung lebensunwerten Lebens«. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-24326-2, S. 89ff.
  4. Diese Einschätzung bei Peter Sandner: Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus. (Memento des Originals vom 26. März 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.lwv-hessen.de (PDF; 1,8 MB) (=Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Hochschulschriften, Band 2), Psychosozial, Gießen 2003, ISBN 3-89806-320-8, S. 385.
  5. Klee, »Euthanasie«, S. 125f, 271, 327.
  6. Sandner, Verwaltung, S. 442.
  7. Klee, »Euthanasie«, S. 163.
  8. Stähle am 4. Dezember 1940 gegenüber einem württembergischen evangelischen Oberkirchenrat, zitiert bei Klee, Euthanasie, S. 16.
  9. Aussage der Direktorin von Zwiefalten, zitiert bei Klee, »Euthanasie«, S. 341.
  10. Sandner, Verwaltung, S. 684.
  11. zu Schütte, Leiterin der Stuttgarter »Kinderfachabteilung«, ein Tarnname für das Mordprogramm, siehe Peter Sandner, Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus. Gießen 2003, S. 532 – 566, hier S. 536
  12. Diese Persilscheine spielten 2009 noch einmal eine Rolle, als der Enkel des Täters, Volker Lempp, sich auf sie berief, um letztlich erfolglos gegen ein Buch über Stuttgarter NS-Täter juristisch vorzugehen
  13. http://www.polunbi.de/bibliothek/1948-nslit-s.html