Governance in Kursachsen

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Governance in Kursachsen oder auch Herrschaftspraxis im Kurfürstentum Sachsen beschreibt den Grad und die Art der Einbindung gesellschaftlicher Zivilkräfte in den politisch-administrativen Entscheidungsprozess, mit dem Ziel der Veränderung der herrschenden Institutionen in Kursachsen. Zusätzlich determiniert sie die dazugehörigen Akteure und ihre Stellung im politisch-administrativen System im kursächsischen Staat. Es werden die Vetospieler in Kursachsen der Frühen Neuzeit identifiziert und die jeweils geltenden politischen Entscheidungswege und Gestaltungsmittel ihrer Zeit offengelegt und analysiert.

Das Konzept, die verwaltungswissenschaftlichen Methodiken der Gegenwart auf die Staatsbildungsprozesse der Frühen Neuzeit zu übertragen, gibt es seit den 2000er Jahren.[1]

Die sächsische Governancestrukturen waren durch eine Ungleichzeitigkeit von nebeneinander bestehenden traditionellen und neueren Regierungs- und Verwaltungsstrukturen sowie durch immer wiederkehrende Prozesse der Aushandlung von Autorität gekennzeichnet.

Governance in Sachsen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rahmen von Governance[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Herrschaftsstrukturen sind nicht nur im Rahmen der Staatlichkeit zu betrachten (Staatszentrismus). So gab es auch die feudale Gutsherrschaft (Rittergüter, Gerichtsbarkeit) oder das Patriarchat im soziologischen Sinn im familiären aber auch gesellschaftlichen Rahmen und das kirchliche Patriarchat, städtische und dörfliche Gemeinwesen, die in der Summe einen bedeutenden Anteil der Herrschaftsformen im Mittelalter und danach ausmachte, Gesellschaft definierte und zementierte. Der Staat begann im Spätmittelalter bei fast Null. Bis der Staat seine zentrale Herrschaftsfunktionen über die anderen Akteure legen konnten, wuchs er auf einem niederen Niveau langsam über Jahrhunderte an, während die nichtstaatlichen Akteure ihre autonomen Herrschaftsfunktionen aufrechterhielten.[2]

Nichtstaatliche Akteure auf korporativer Ebene waren Adel, Städte und Kirche. Daneben bestimmten einzelne Individuen innerhalb des korporativen Elements zu jeder Zeit die Ausgestaltung des inneren Systems und nahmen Einfluss auf die äußeren Geschehnisse. Alles zusammen genommen ergab die Herrschaftsstrukturen Kursachsens, die den gesamthaften Institutionenwandel des Territoriums mit allen darauf befindlichen in Abgleich mit den angrenzenden Territorien und darüberliegenden zeitgeistigen Entwicklungen unterbewusst und ohne klare Zielstellung oder Auftragslage organisierten.

Der Kursächsische Staat entwickelt sich auch wie die anderen deutschen Staaten von einem dualistischen Stände- und Finanzstaat des 16. und frühen 17. Jahrhunderts ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem ausgreifenden Militär-, Wirtschafts- und Verwaltungsstaat.[3]

Bewusstsein über das eigene individuelle Zutun und dessen Auswirkungen auf das Gesamte hatten bei den damaligen wie bei den heutigen Akteuren kaum jemand, wenn überhaupt irgendeiner. Die Akteursperspektive war aufgrund von Informationsdefiziten und allgemeiner Unkenntnis der Sachlage immer nur ein minimaler Ausschnitt vom Ganzen Geschehen und entsprachen einer bounded Rationality, und dem Prinzip des Trial and Errors in einem Prozess des sich irgendwie durchwurstelns.[4] Beobachtbar und bewertbar sind nur die Gesamtwirkungen aus der geschichtlichen Perspektive. Die Verlaufsgeschehnisse waren dagegen für die handelnden Akteure stets nur schemenhaft erkennbar und deutbar.[5]

Für den übergeordneten Prozess des Institutionenwandels, in den das Gebiet Kursachsen und seine Bewohner eingebunden waren, galt damals wie heute das Prinzip der unsichtbaren Hand von Adam Smith.

Einwirkende Kräfte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die kursächsische Gesamtentwicklung war insgesamt aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht im Vergleich eine Erfolgreiche. Einen wie auch immer gearteten Automatismus oder normative Implikationen eines eurozentristischen Wachstums- oder Verbesserungsprozesses der Frühen Neuzeit hat es aber nicht gegeben.[6] Es wirkten immer auch destabilisierende Strömungen und zersetzende bzw. zentrifugal wirkende Kräfte auf das kursächsische Gemeinwesen ein, die aber keine systemsprengende Ausmaße annahmen. Die Krell-affäre und der kurzzeitige Versuch der Etablierung des Calvinismus einer kleinen Minderheit wurde kurzerhand von der Mehrheit der Vertreter der Lutherischen Orthodoxie korrigiert. Systemversagen auf staatlicher Ebene führt in der Regel in den Zerfall des Territorialgefüges. Failed-state-Merkmale hatten sich zeitgleich zum Beispiel in Polen-Litauen ausgebreitet, zu dem Sachsen zeitweise einen Personalunionsbund unterhielt. Aber auch die Sächsisch-polnische Union konnte den polnischen Zerfallsprozess nicht stoppen oder umkehren. Nur von außen wirkten Kräfte ein, die eine Gefahr für das innere Herrschaftsgefüge darstellten und es mehrfach empfindlich störten, so besonders in den Schlesischen Kriegen.

Feudale Bindungen und Feudalstrukturen waren konservative Einwirkkräfte. Sie begrenzten Fortschritte.

Das Handelsbürgertum Leipzigs entwickelte ebenso eigene autonome Strukturen, parallel zu den Landesstrukturen des Fürsten. Sie waren in ein globales Handelsnetzwerk eingebunden und folgten eigenen Denkstrukturen und Systempräferenzen. Sie entzogen sich dem kurfürstlichen Herrschaftssystem.

Merkmale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kommunikationssysteme
  • Herrschaftssymbolik
  • Herrschaftsformen
    • government: meint zentrale staatliche Direktiven, Anordnungen, Gebote, Verbote, Befehle etc. in einem Policyfeld
    • governance: meint „aushandeln“ in einem multidimensionalen Raum mit unklaren Akteurskonstellationen.[7]
  • Gruppierungen und Interessenlager entlang der sozialen Klassen
  • Kohäsions- und Bindungsgrade
  • politische Programmatik und Agenden
  • gesellschaftlicher Differenzierungsgrad
  • Raumbeziehungen
  • Wirtschaftsordnung

Spätmittelalter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Herrschaftssystem am Ausgang des Mittelalters war feudal organisiert und es war wie sonst auch in Europa ein Personenverbund. Der Fürst, als Person, war der Staat.[8] Externalisierte und entpersonalisierte Staatsstrukturen reichten nicht viel weiter als die fürstliche Truhe der Hofkanzlei mit den Abkommen und Verträgen, die der sächsische Herzog auf seinen Reisen stets dabei hatte. Der Fürste sicherte seine Macht über sein persönliches Gefolgesystem (Hofrat), mit wechselnden Zusammengehörigkeiten, das im höchsten Maße informell und intransparent blieb. Regierungshandeln basierte auf tradierten Vorstellungen von Unterordnung, Lehnsfolge und Lehnsdiensten und es basierte auf mündlicher Überlieferung.[9] Urkunden und Verträge gab es nur für einen kleinen Teil der Verwaltungsagenden. Fehden waren üblich zur politischen Konfliktaustragung. Reiseherrschaft und dezentrale Machtkonzentration über ein weit gespanntes Netz an landesherrlichen Burgen sicherten die Stellung des Landesfürsten, des obersten Feudalherren in seinem Territorialgefüge. Der „Raum“ war weit und undurchdringlich, die Autonomie des landsässigen Adels groß, Regierungstätigkeit insgesamt auf einem niedrigen Niveau. Vögte waren die Vertreter des Fürsten auf dem Land. Ständische Landtage hatten sich im Spätmittelalter etabliert und ein frühes Repräsentativsystem etabliert. Städtebünde im Spätmittelalter hatten die städtische Autonomie insgesamt erhöht, Stadtluft machte frei. Ein selbstbewusster werdendes städtisches Patriziat in den frühen sächsischen Zentren wie Freiberg, Annaberg oder Leipzig verstärkte die städtische Autonomie. Das städtische Ratssystem etablierte auf der lokalen Ebene eigene autonome Regierungsformen. Dem Fürsten fehlten zunächst die finanziellen Mittel und eine eigene Machtbasis um den so gewandelten Herrschaftsverhältnissen gerecht zu werden. Die spätmittelalterliche Agrarkrise führte zur Verschlechterung der Bodenrendite der Grundbesitzer und führte zum verarmen des Adels. Der Landesherr musste den Landfrieden mühsam und aufwendig erhalten. Dieser war stets gefährdet. Rechtlosigkeit und Raubrittertum wurden verbreitete Erscheinungsformen auch in Sachsen. Konflikte zwischen den Vetospielern wurden unter Umgehung des geltenden Rechts gelöst. Dazu gehörte zum Beispiel der Altenburger Prinzenraub von 1455. Um 1500 brachten gesellschaftliche, wirtschaftliche, technologische Revolutionen ein neues Zeitalter, das die feudalen Herrschaftsstrukturen herausforderte. Der feudale Adel geriet gegenüber Landesherren und der neu aufkommenden Bürgerschicht in wirtschaftliche Bedrängnis. Er passte sich schwieriger an die neuen Verhältnisse an.

Kurzum, die Entwicklung gipfelte in einer zunehmenden Differenzierung der Lebensformen, Individualität und Subjektivität stiegen an. Auseinanderdriftende Bereiche und Gruppierungen, mit eigenen Interessenlagen erhöhten die Pluralität, aber auch die Partikularität und Konkurrenz gegenlaufender Interessen. Für die Menschen der Zeit waren das bedrohliche und verunsichernde Faktoren, die neben der allgemeinen Rechtsunsicherheit das Leben prägten. Die Kirche selbst schied als Stabilitätsanker aus, befand sich selbst in einem structural Drift.[10]

Treueschwüre und Gelöbnisse und Huldigungen hatten einen sehr hohen Ausgangswert im staatlich-herrschaftlichen Handlungssystem, solange Schriftlichkeit und Orientierung an einem Rechtssystem mehr Ausnahme als Regel war. Dieser Zustand hielt bis ins 18. Jahrhundert an, verlor aber bis dahin einen Teil seiner Wirkmächtigkeit.

Kursachsen gelang, begünstigt durch neue große Silberfunde im Erzgebirge und einem neuen Berggeschrey, eine nachhaltige Festigung der inneren Strukturen. Sachsens Herrscher gewannen durch die Bergbaueinnahmen die finanziellen Ressourcen für den Aufbau eigener Strukturen.

Renaissance[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Regierungshandeln lag zunächst auf einem niedrigen und ursprünglichen Niveau. Dies änderte sich ab 1500 zügig, da die zusammengenommene Akteurskonstellation des sächsischen Herrschaftsgefüges im 16. Jahrhundert einen klaren Gestaltungswillen besaß. Eine ordnende Landesherrschaft traf auf aktiv mitwirkende Stände, die von adeligen und bürgerlichen Funktionseliten geführt wurden. Dresden wurde ab 1500 zu einer planmäßigen Residenz ausgebaut. Sachsen erhielt damit ein klares Herrschaftszentrum. Das wurde Sitz der sich differenzierenden Zentralverwaltung und der Ort zeremonieller Repräsentation. Die frühmoderne Staatsbildung nahm stark an Fahrt auf. Der sich formierende Staat bemühte sich darum, das Gewaltmonopol zu erlangen,[11] die Zentralisierung der finanziellen Einnahmen und deren Administration sowie die militärische Macht in der Hand des Fürsten zu konzentrieren.[12]

Zum Motor dieser Entwicklung wurden entweder soziale Konflikte und ökonomische Konzentrationsprozesse oder fiskalisch/militärische und geopolitische Notwendigkeiten.[13]

Die Kirche war moralisch verfallen und damit im Zeitgeist delegitimiert. Spannungen entluden sich in der Reformation, die in die Auflösung der Selbstorganisationskompetenz der Kirche in Sachsen gipfelte.

Das Dresdner Landhaus war von 1776 bis 1831 letzter Versammlungsort der Landstände.

Das kursächsische Repräsentativsystem erreichte für heutige Maßstäbe ungenügende Demokratiewerte, da die Repräsentativkörperschaften nur für grundbesitzende korporative Akteure galten. Auf der anderen Seite waren die gesellschaftlichen Fähigkeiten vielerorts gering entwickelt. Das Maß der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmte die Art und Form des institutionellen Überbaus, der sich darüber ausformen konnte und die politische Kultur. Verhandlungen und Konsultation erforderten eine entsprechende gebildete Adressatenschicht. Gesellschaftsmilieus mit gering entwickelten sozialen Normenstandards zogen in der Regel direktivere Formen der Herrschaftsausübung nach sich. Das war die Ausgangssituation zu Beginn der Renaissance in Sachsen. Das Herrschaftsbild der Renaissancefürsten war entsprechend dem Zeitgeist stark patriarchalisch ausgerichtet. Potenz und Machtbewusstsein gebündelt mit brutalen Schauprozessen waren allgemeiner Teil politischer Herrschaftskommunikation und Inszenierung. Abschreckung diente der Manifestation eigener Macht.

Die stetige Reformierung sämtlicher Gesellschaftsstrukturen in Sachsen, mit angeschoben durch die Frühbürgerliche Revolution zwischen 1517 und 1525 ermöglichte seit 1500 eine geordnete und zentrale Errichtung von komplexen System- und Organisationsstrukturen, wodurch sich ein umfassendes vormodernes Staatswesen über der Bevölkerung ausformte, das den gesellschaftlichen und herrschaftlichen Interessenausgleich organisierte. Die dezentralisierte Ausübung öffentlicher Gewalt in den Händen adeliger, geistlicher und städtischer Grundherrschaften wurde nun von landesherrlichen Institutionen überlagert. Die Herrschaft wurde zentralisiert. Römisches Recht drang in die Rechtspflege ein und setzte an die Stelle mündlicher Gerichtspraxis den schriftlich geführten Prozess.[14]

Die Abtrennung von Staatsangelegenheiten vom Bezugsbereich des sächsischen Hofs des Fürsten und die Bildung neuer Behörden führte zu einer Verdinglichung, Veröffentlichung des Staatswesens. Fachexperten wurden nun für den Betrieb dieses Systems benötigt. Dieses System wird in der Verwaltungswissenschaft als politisch-administratives System bezeichnet und beinhaltet alle tragenden Akteure die den Institutionenwandlungsprozess in Kursachsen ordneten, zentralisierten, politisch legitimierten und umsetzten. Dabei trugen die Akteure die Interessen der maßgeblichen Bevölkerungsgruppen zusammen und erarbeiteten politische Vorschläge die im Systemapparat neu verhandelt wurden.

Barock[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die soziale Entwicklung erlebte durch den Dreißigjährigen Krieg einen Rückschlag. Sozialgefüge waren zerrüttet und eine soziale Ordnung musste sich erst wieder bilden. Eine sozialdisziplinierte Gesamtgesellschaft mit eigenen Konfliktlösungsmechanismen ermöglichte eine gemäßigtere Herrschaftsausübung und umgedreht. Sozialdisziplinierung und gleichzeitige Differenzierung von Systemapparat und Gesellschaft wurde um 1700 zu einer Begleitprämisse des expandierenden absolutistischen Machtapparats.

Die Sozialstruktur war durch die Gewöhnung an abnormalen Gewaltexzesse der durchziehenden Heere völlig degeneriert gewesen. Ein friedvolles gesellschaftliches Zusammenwirken als auch hohe zivilisatorische Standards mussten erst wieder geschaffen werden. Mit den Mitteln der Frühen Neuzeit bedeutete dies die Schaffung einer Prügelkultur für die „Volksmassen“ und eine strikte Befehlsstruktur. Auf den Gütern wurde im Alltag genauso geprügelt wie in der Armee. Allmählich führte dies zu einer Zunahme der allgemeinen Beschäftigungsintensität. Herumlungern und faul sein war verpönt, es gab eine Art gesellschaftlicher Arbeitszwang. Die betriebsame Gesellschaft wurde so vorbereitet und empfänglich gemacht für organisatorische Neuerungen, die in immer kürzer werdenden Abständen geschaffen wurden. Der Prügel diente als Mittel für eine Gesellschaft, die noch nicht die zivilisatorische Reife für andere, weichere Herrschaftsformen kollektiv erworben hatte. Auf der individuellen Ebene bedeutete dieser zentrale Ansatz Leid, Opfererfahrung und eine geringe Lebensqualität. Der nördliche Nachbar, Brandenburg-Preußen wurde in dieser Entwicklung führend.

Im Vergleich der Herrschaftssysteme der Bestehenszeit Kursachsens in der geografischen Nachbarschaft war das kursächsische Herrschaftsmodell nach innen sowohl gemäßigter als auch institutionell weiter entwickelt. Eine Folge stabiler Herrschaft war eine geringe Zahl der Aufstandserscheinungen und das Fehlen von oppositionellen Konföderationsbünden, wie es sich zum Beispiel in Polen häufig ereignete. Gravamen oder Appellationen waren institutionell bewusst ermöglichte Eingaben, die einen individuellen und korporativen Interessenausgleich ermöglichen konnten. Die sächsischen Landtage hatten die Funktion einer vormodernen gebündelten Interessenvertretung und ermöglichten Legitimation. Nach 1648 nahm die Zahl und Größe der Hoffeste zu. Hofämter banden den mittleren und niederen Adel in die landesherrlichen Strukturen ein. Die zu Ende des 17. Jahrhunderts geschaffene dauerhafte Institution Sächsische Armee ermöglichte es fortan dem adeligen Nachwuchs eine Karriere als Offizier innerhalb der landesherrlichen Strukturen einzuschlagen. Ihre Wege, Energien und ihr Fokus wurde dadurch in vorherbestimmte Laufbahnen gelenkt, Konspirationen der Adelsklasse dadurch unwahrscheinlicher, wie das eigene Vorankommen und der gesellschaftliche Aufstieg für den einzelnen adeligen Offizier persönlich bedeutender erschien. Durch die Schaffung solcher Institutionen gab es eine Beschäftigungs- und Widmungsmöglichkeit für eine größer werdende Zahl an Personen, die sich so (gelenkt) verwirklichen konnten. Bürgerliche hatten Zugang zu Ämtern der Verwaltung. Das Bürgertum wurde verhältnismäßig wenig gedrückt und weniger in der wirtschaftlichen Entfaltung behindert. Züge von Leibeigenschaft war nur in den nördlichen, peripheren Gebieten Kursachsens vorhanden.

Schließlich wurden konsensfähige Beschlüsse zum Beispiel über Gesetze und kurfürstliche Erlasse institutionalisiert. Regierungshandeln war seit dem 16. Jahrhundert mehr und mehr auf Verordnungen in Schriftform übergegangen. Dadurch wurde ein großer Teil der Bevölkerung erreicht, und durch die Gesetzgebung konnte eine Gleichbehandlung über das gesamte Territorium Kursachsens angestrebt werden. Schriftliches Verwaltungshandeln, gut geführte Archive, Kontrollstrukturen ermöglichten frühzeitig die Etablierung einer bürokratischen Herrschaftskultur. Die mit dem Schriftverkehr einsetzende Berechenbarkeit der Akteurskonstellationen in Transaktionen stabilisierten das gesamte sächsische Regierungs- und Gesellschaftssystem und milderten die Gefahr gehäufter oder chronisch wiederkehrender Aufstandsphasen.

Hauptsächlich organisierten die Landesstrukturen allein durch ihr geordnetes Bestehen einen partiellen landesweiten politischen Ausgleich, wodurch einzelne außenstehende Interessen- und Akteurskonstellationen eingebunden und berücksichtigt wurden und Landesherrschaft an vielen Stellhebeln beeinflussbar blieb. Die Kohärenz des Territoriums wurde dadurch gefördert und eine straffe und gegliederte zivile Ordnung ermöglicht. Die Akteurskonstellationen vor allem der Landstände, des Kurfürsten und der Verwaltung waren verschränkt; losgelöst handelnde Akteure besaßen kaum Veränderungspotenziale und benötigten daher eine breite Unterstützungsbasis zur Erreichung einer politischen Majorität. Fehlte diese breite Unterstützung so wie in Polen während der Herrschaft Augusts II., wurden innenpolitische Reformen blockiert und scheiterten. Die Kurfürsten versuchten die städtische Autonomie zu beschränken und griffen teils ohne Rechtsgrundlagen in das städtische Geschehen ein. Eine vollumfängliche Kontrolle der Städte gelang ihnen aber nicht.

Zwischenstaatlich waren Subsidienzahlungen Mittel der Interessenbeeinflussung in der Frühen Neuzeit. Im 17. Jahrhundert vermieteten sächsische Fürsten mehrfach Soldaten an fremde Mächte gegen Zahlung von Subsidien.

Aufklärung und Absolutismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Goldener Reiter in der Nacht
Zwinger 1709, Ringrennen der Damen beim dänischen Staatsbesuch auf dem Festplatz, dem hölzernen Vorgängerbau des heutigen Zwingers, C.H.Fritsche
Die Cosel, Röcke, Muscheln, und Erotik beeinflussten politische Entscheidungen unter August II. stark

Um 1700 wurden besondere „Orden“ geschaffen, die ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl und Auserwähltsein bei den Mitgliedern, meist Adelige, erzeugen sollten. Auch die Freimaurerei zog in den Gelehrtenkreisen, aber auch bei Adeligen ihre Bahnen.

Zeremoniell und Rituale als politisches Verfahren verstärkten sich im 18. Jahrhundert. Die Etikette, eine Art Zugangserlaubnis zum Hof des Herrschers als auch die Gesamtheit der gültigen Verhaltensnormen bestimmte den Kreis der Insider zum inneren Herrschaftskreis und den Ousidern, den Ausgeschlossenen vom Herrschaftssystem. Ausgedrückt wurde dies durch offizielle Rangtabellen, die die Stellung einer Person, eines Amtes am Hofe festlegten. Der Hof wuchs personell als auch materiell stark an. Das Zeitalter der Repräsentation begann: der Dresdner Barock. Hochkomplexe Zeichensysteme und eine verdichtete öffentliche Kommunikation beschäftigten mögliche Widersacher und sonstige politische Akteure des Kurfürsten dauerhaft. Diese gerieten in eine gelenkte politische Parallelwelt voller Opulenz und Ausschweifungen (Symbol: Königsteiner Riesenfass), „magnifique“ und Extravaganz, Eros und Phallus, Lustlager, Ausstrahlung (Feminität, Contenance, Honnêteté), Blattgold (für: Oberflächlichkeiten, Schein, Prunk), Arrangements. Dynastische Erbpolitik bestimmte das politische Geschehen im Spätbarock und Frühaufklärung maßgeblich. Die französische Kultur wurde wie in ganz Europa nachgeahmt. Der Hof agierte als Trendsetter, zog „die Schönen, Mächtigen und Reichen“ in ihren Bann. Ein ausgeklügeltes Eventmanagement, die Gerüchteküche und verbreitete Skandale am Hofe sorgten für Gesprächsstoffe, Ansehen und Zentralität im Gefüge der höhere Gesellschaft, die sich in Dresden allmählich um den Hof herum bildete. Der Herrscher demonstrierte mit dem ganzen Aufwand nach außen seine Machtansprüche und organisierte durch die Einbeziehung der Eliten aller Gesellschaftsfelder in sein höfisches System die Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft. Konkurrierende Parallelsysteme zum Beispiel bürgerlicher Natur reichten noch nicht an das Niveau der höfischen Kultur heran. Das Augusteische Zeitalter war ein weit nach außen strahlendes absolutistisches Erfolgsmodell der autokratischen Herrschaftsorganisation und Sicherung.[15]

Die kursächsische Bevölkerung war aus sozialer Perspektive bereits stark differenziert, wandel- und transformierbar. Die Bevölkerungsentwicklung in Kursachsen war mit der westlichen Entwicklungsrichtung vergleichbar und bewegte sich mit ihr mit. Das bedeutete vor allem ein Aufkommen einer breiteren städtischen Bürgerschicht und mit ihr bürgerliche Institutionen. Allerdings gelang es dem wirtschaftlichen Bürgertum nicht, ein eigenes selbstbewusstes Klassenbewusstsein wie in den Niederlanden oder in England zu entwickeln. Die nachfolgenden gesellschaftlichen Entwicklungen wurden durch die Aufklärung, aber auch religiöse Bewegungen wie die Lutherische Orthodoxie oder den Pietismus um 1700 geprägt. Eine Form des sozialen Unternehmertums entwickelte sich um die Herrnhuter Brüdergemeinen. Soziales und privates Engagement von innerhalb der Gesellschaft wirkte stabilisierend auf die weitere Entwicklung. Die Leipziger Aufklärung gilt in der Literatur oft als Prototyp der bürgerlichen Aufklärung, das heißt geprägt durch eine von der Handelsbourgeoisie dominierten Stadt fernab vom Hof.

Die Stabilität und Wandelfähigkeit des sächsischen Staatenbunds erhielt durch die Institutionalisierung der einzelnen Politikfelder (Finanzen, Auswärtiges, Inneres, Recht, Infrastruktur, Bergbau) einen deutlichen Schub. Da eine geschriebene Verfassung fehlte, waren die Beeinflussungen der Akteure in hohem Maße informell. Geordnete Lobbyismusstrukturen zum Beispiel am sächsischen Hof vergleichbar mit heutigen Politikagenturen waren noch nicht vorhanden. Dafür entwickelte sich eine Lakaien- und Mätressenkultur unter August II. und ein Günstlingsystem unter Brühl. Eine systembedingte Korruption gehörte zum Regierungshandeln dazu. Die staatlicherseits unternommenen Eindämmungsversuche durch den Aufbau von Kontrollorganen blieben begrenzt. Im Hochabsolutismus hatte auch der Hofadel eine bedeutende politische Stellung informeller Art inne.

Bis zum Ende des Kurfürstentums behielt es seine überkommenen Feudalinstitutionen bei. Diese waren zum Ende hin zu eng und zu kleinteilig strukturiert und behinderten ab dem fortgeschrittenen 18. Jahrhundert die weitere gesellschaftliche Entwicklung. Im Zuge der Protoindustrialisierung wirkte sich beispielsweise jegliche Zunftorganisation negativ auf die Formierung der Produktivkräfte aus. Auch die starre regionale Zergliederung mit den verschiedenen landständischen Regionaleinheiten als auch deren Privilegien behinderten den Reformprozess. Der sächsische Adel geriet insgesamt in eine Krise. Das Geburtsrecht und das adelige Privilegiensystem waren nicht mehr unantgetastet geblieben.

Die Aufklärung hatte neue Leitbilder in der politischen Herrschaft entwickelt. Montesquieu, Rousseau und Voltaire etablierten Grundlagen wie die Gewaltenteilung und das Prinzip der Volkssouveränität. Der aufgeklärte Absolutismus, der nach den Reformen der Restaurationskommission unter Thomas von Fritsch nach dem Siebenjährigen Krieg etabliert wurde, verlor die Integrationsfähigkeit. Die Amerikanische Revolution strahlte mittelbar auch auf Sachsen über. Zu Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich bereits eine größere Schicht an Bildungsbürgern gebildet, die politische Mitsprache einforderten. Auch der Dritte Stand forderte zunehmend Beteiligung am politischen Prozess. Das feudale System konnte diese Entwicklungen nicht mehr aufnehmen und darauf reagieren. Der Sächsische Bauernaufstand von 1790 im Zuge der Französischen Revolution führte wie andernorts zu einem Überschwappen der Revolutionsereignisse nach Sachsen und bedrohte die sächsischen Feudaleliten. Die Pillnitzer Erklärung versuchte dem entgegenzuwirken.

Korporative Akteure[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einwirkende globale Programme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachfolgende Programme wirkten übergeordnet auf Kursachsen ein und bestimmten die Entwicklungen der jeweiligen Zeit. Es gab nie ein von der Allgemeinentwicklung losgelöstes agieren der kursächsischen Herrschaftsträger. Sachsen war in Zentraleuropa in ein dichtes Netz an Austauschbeziehungen eingebunden. Dort verliefen bedeutsame Schnittstellen aller Gesellschaftsbereiche.[16] Denklogiken, Wertesysteme wurden von außen übernommen und nachgeahmt nie selber initiiert. Man passte sich dem herrschenden Zeitgeist stets an. Die besondere Eigenleistung der sächsischen Herrschaftsträger lag darin, dass sie die Entwicklungen übernahmen und sich anpassten und sich nicht davor abschlossen. Kursachsen behielt dadurch stets eine vordere Stellung in der internationalen Entwicklung und wurde trotz Imitierung ein Fortschrittsmotor der gesellschaftspolitischen Entwicklung und Vorbild für andere Entitäten, wie zum Beispiel Preußen. Die Imitierungshandlungen vor Ort bewirkten graduelle Schattierungsbildungen und die Entstehung von Untervarianten des Mustermodells, bedingt durch regionale und personelle Eigenheiten (z. B. Kuxe statt Aktien).

Auf der Ebene Gesellschaft, Menschen, Organisationen:

Erste Ebene
  • Säkularisierung (Landeskirchenregiment, Visitationen)
  • Humanismus (Gefühle, Bedürfnisse, Landesuniversitäten, Fürstenschulen, Gymnasien, Klippschulen)
  • soziale Differenzierung (Institutionalisierung, Lebensplanung, Laufbahn)
  • Sozialdisziplinierung (Rationalität, Zwangsbesserungsanstalten, Marschieren, Uniformierung, Prügelstrafe, Normierung, Rationalisieren, Standardisierung, Hierarchisierung)
  • Kommerzielle Revolution (Börse, Messewesen, Bargeldloser Zahlungsverkehr, Aktien)
  • Monetarisierung (Münzprägung, Silberbergbau, öffentliche Finanzen, Geld-Warenbeziehung)
  • Frühneuzeitliche Staatsbildung (Behörden, Rechtskodifikation, Herrschaftsverdichtung, Verordnungswesen, Raumdurchdringung, Informationsgenerierung)
  • Military Revolution (Oranische Heeresreform, stehendes Heer, Festungswesen, Rüstungsproduktion, Magazine, Zeughäuser, Einquartierung)
  • Frühbürgerliche Revolution (Verbürgerlichung)
  • Absolutismus (Feminität, Zentralismus, Residenzlandschaft, Hochkultur- und Zivilisationsförderung)
  • Aufklärung (Verstand, Ich, Persönlichkeit, Akademie, Gelehrtenvereinigungen, Literarische Salons, publizistische Öffentlichkeit)
  • Merkantilismus (Manufakturwesen, Zölle, Protoindustrialisierung, Peuplierung)
  • Kameralismus (Bürokratisierung, Staatslehre, Professionalisierung, Ethos)
Zweite Ebene
Dritte Ebene (eigene Programme)

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zu Kursachsen
  • Reiner Gross: Geschichte Sachsens, Edition Leipzig, Sonderausgabe der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung Dresden/Leipzig 2012
Zu Governance des Frühneuzeitlichen Staats
  • Gunnar Folke Schuppert: Wissen, Governance, Recht.: Von der kognitiven Dimension des Rechts zur rechtlichen Dimension des Wissens, Nomos Verlag, 2019

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Dominik Nagl/Marion Stange: Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion.Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien, Governance Working Paper Series, Nr. 19, Februar 2009, Abstrakt S. 3
  2. Dominik Nagl/Marion Stange: Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion.Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien, Governance Working Paper Series, Nr. 19, Februar 2009, S. 5
  3. Dominik Nagl/Marion Stange: Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion.Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien, Governance Working Paper Series, Nr. 19, Februar 2009, S. 7
  4. Jörg Bogumil, Werner Jann: Verwaltung und Verwaltungswissenschaft in Deutschland: Einführung in die Verwaltungswissenschaft, Springer-Verlag, 2005, S. 140
  5. SFB-Dominik Nagl/Marion Stange: Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion.Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien, Governance Working Paper Series, Nr. 19, Februar 2009, nachzulesen ab dem Intro und folgende Seiten
  6. Thomas Risse, Ursula Lehmkuhl: Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Anmerkungen zu konzeptionellen Problemen der gegenwärtigen Governance-Diskussion in: Marianne Beisheim, Gunnar Folke Schuppert, Marianne Beisheim, Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Staatszerfall und Governance, Seite 144 – 160, 1. Auflage 2007, Reihe: Schriften zur Governance-Forschung, Bd. 7, S. 144
  7. Alexander Schunka: Gäste, die bleiben: Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert, LIT Verlag Münster, 2006, S. 83
  8. Dominik Nagl/Marion Stange: Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion.Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien, Governance Working Paper Series, Nr. 19, Februar 2009, S. 6
  9. Karlheinz Blaschke: Beiträge zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Sachsens: ausgewählte Aufsätze, Band 5 von Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Leipziger Universitätsverlag, 2002, S. 514
  10. Gunnar Folke Schuppert: Wissen, Governance, Recht.: Von der kognitiven Dimension des Rechts zur rechtlichen Dimension des Wissens, Nomos Verlag, 2019, S. 132
  11. Martina Schattkowsky: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich: die Lebenswelt des kursächsischen Landadligen Christoph von Loss auf Schleinitz (1574–1620), Leipziger Universitätsverlag, 2007, S. 13
  12. Dominik Nagl/Marion Stange: Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion.Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien, Governance Working Paper Series, Nr. 19, Februar 2009, S. 8
  13. Dominik Nagl/Marion Stange: Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion.Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien, Governance Working Paper Series, Nr. 19, Februar 2009, S. 9
  14. Karlheinz Blaschke: Beiträge zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Sachsens: ausgewählte Aufsätze, Band 5 von Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Leipziger Universitätsverlag, 2002, S. 515
  15. Linda Brüggemann: Herrschaft und Tod in der Frühen Neuzeit: Das Sterbe- und Begräbniszeremoniell preußischer Herrscher vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich Wilhelm II. (1688–1797), Herbert Utz Verlag, 2015, S. 44
  16. Martina Schattkowsky: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich: die Lebenswelt des kursächsischen Landadligen Christoph von Loss auf Schleinitz (1574–1620), Leipziger Universitätsverlag, 2007, S. 12