Hanns Löhr (Mediziner, 1891)

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Hanns Löhr: Mediziner und NSDAP-Funktionär im Jahr 1933

Johannes Heinrich Löhr, genannt Hanns Löhr (* 10. September 1891 in Hohensolms; † 4. Oktober 1941 in Kiel) war ein deutscher Internist, SS- und SA-Führer. Er war zur Zeit des Nationalsozialismus Professor an der Universität Kiel und zeitweise dortiger Rektor.

Leben und Wirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Löhr war Sohn des Pastors Wilhelm Löhr. Nach dem Ende seiner Schullaufbahn am humanistischen Gymnasium in Elberfeld und dem Militärdienst absolvierte er ab 1911 ein Medizinstudium an den Universitäten Gießen, Bonn sowie Kiel. Während des Ersten Weltkrieges war er beim Deutschen Heer als Feldhilfsarzt und Bataillonsarzt tätig. Nach Kriegsende wurde er im Oktober 1919 approbiert. Ab 1919 war er Volontär- und Assistenzarzt an der von Alfred Schittenhelm geleiteten Kieler Universitätsklinik.[1] Er promovierte 1920 in Kiel mit der Dissertation Versuch zur therapeutischen Anwendung von Kupfersalzlösungen bei der Behandlung von Typhus abdominalis und habilitierte sich dort 1925 mit einer Schrift über das Thyroxin. Von 1925 bis 1934 war er Chefarzt der Inneren Abteilung des Krankenhauses „Sarepta“ in Bethel bei Bielefeld.[2]

Nationalsozialistisch orientiert, trat er bereits im Jahr 1931 der NSDAP (Mitgliedsnummer 478.474) und der SA bei, bei der er bis zum SA-Sanitätsgruppenführer aufstieg. Zudem war er von Oktober 1932 bis Juli 1934 NSDAP-Kreisleiter in Bielefeld-Land.[3] Als Kreisleiter war er maßgeblich an der Vertreibung des Theologen Wilhelm Vischer von der Theologischen Schule Bethel beteiligt und auch an der Denunziation des Anstaltsleiters Fritz von Bodelschwingh zwecks dessen Ablösung durch einen Staatskommissar.[4]

Löhr wurde 1934 gegen das Votum der Fakultät zum Professor für Innere Medizin an die Universität Kiel berufen, wo er bis zu seinem Tod lehrte. Als Vertrauensmann der NSDAP an der Medizinischen Fakultät Kiel und nationalsozialistischer Multifunktionär trug er wesentlich zur politischen Ausrichtung der Fakultät und der Universität Kiel bei.[5][6] Von 1935 bis 1941 war er Gaudozentenführer im Gau Schleswig-Holstein. Löhr wechselte 1936 von der SA zur SS (SS-Nr. 276.855), wo er im Herbst 1941 den Rang eines SS-Brigadeführers erreichte.[3] Er war Mitarbeiter des SD und seit 1935 Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP in Schleswig-Holstein.[7] 1937 wurde er Leiter des Gauamts für Volksgesundheit. Im Januar 1938 wurde er Präsident der Wissenschaftlichen Akademie des NS-Dozentenbundes in Kiel. Löhr, der mehrmals Prorektor war, wurde im Mai 1941 kurz vor seinem Tod zum Rektor der Universität Kiel ernannt.[2] Er übernahm das Rektorat von Paul Ritterbusch, mit dem er zuvor einige Schriften publiziert hatte.[8]

Der fanatische Nationalsozialist Hanns Löhr war bis zu seinem Tod eine der einflussreichsten Persönlichkeiten an der Kieler Universität. Sein Duzfreund Gauleiter Hinrich Lohse schrieb über ihn in einem Nachruf: „Du hattest dir bereits vor der Machtübernahme als Arzt einen Namen gemacht … Du hattest es darum gar nicht nötig, dich in den politischen Kampf zu stürzen, und da du dich zu den ‚bösen Nationalsozialisten‘ bekanntest, deine Stellung und deine Existenz auf Spiel zu setzen … Du hast dich damals bekannt und erklärt: Hier stehe ich, der Chefarzt Hanns Löhr, ich bin Nationalsozialist, ich folge Adolf Hitler.“[9]

Löhr war verheiratet mit Marianne Dieterici (* 1898), der Tochter des Kieler Physikers Conrad Dieterici.[10] Der Chirurg Wilhelm Christian Löhr (1889–1941) war sein Bruder.[7]

Veröffentlichungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ein Versuch zur therapeutischen Anwendung von Kupfersalzlösungen bei der Behandlung von Typus abdominalis. Schmidt & Klaunig, Kiel 1920 [Dissertation].
  • Ueber die Stellung und Bedeutung der Heilkunde im nationalsozialistischen Staate. Nornen, Berlin o. J. [1934].
  • hrsg. mit Paul Ritterbusch: Die Universität Kiel und Schleswig-Holstein. Reden und Vorträge zur „Woche der Universität Kiel“ (14. bis 21. Juni 1937). Wachholtz, Neumünster 1937.
  • mit Walter Schulze und Paul Ritterbusch: Grundfragen der deutschen Universität und Wissenschaft. Hrsg. von der Reichsdozentenführung. Wachholtz, Neumünster 1938.
  • Wesen und Sinn der nationalsozialistischen Akademie des NSD-Dozentenbundes der Christian-Albrechts-Universität. In: Kieler Blätter. Jg. 1938, H. 1, S. 28–40.
  • Über Wert und Leistung der Kieler nationalsozialistischen wissenschaftlichen Akademie des NSD-Dozentenbundes. Rückblick und Ausblick. In: Kieler Blätter. Jg. 1939, H. 2, S. 272–275.
  • Aberglauben und Medizin. J. A. Barth, Leipzig 1940 (19422, 19433).
  • Zum Beginn der Kriegsvorlesungen für das deutsche Volk. In: Kieler Blätter. Jg. 1940, H. 1/2, S. 16–19.
  • mit Paul Ritterbusch: Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Hrsg. im Auftrag der Wissenschaftlichen Akademie des NSD-Dozentenbundes der Christian-Albrechts-Universität. Hirzel, Leipzig 1940.
  • Naturwissenschaft und Theologie. Eine zweitausendjährige Auseinandersetzung. Volkschaft, Dortmund 1944.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Synchron, Heidelberg 2004, ISBN 3-935025-68-8, S. 111.
  • Helmut Heiber: Die Kapitulation der Hohen Schulen, das Jahr 1933 und seine Themen (= Universität unterm Hakenkreuz. Teil 2). Band 2, Saur, München 1994, ISBN 3-598-22631-4, S. 397–403.
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945 (= Fischer 16048. Die Zeit des Nationalsozialismus). 2. Auflage. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.
  • Gottfried Michaelis: Hanns Löhr, in: ders.: Der Fall Vischer. Ein Kapitel des Kirchenkampfes, Bielefeld: Luther-Verlag 1994, S. 132–139.
  • Carsten Mish: „Führer der Universität“. Die Kieler Rektoren in der NS-Zeit. In: Christoph Cornelißen, Carsten Mish (Hrsg.): Wissenschaft an der Grenze, die Universität Kiel im Nationalsozialismus. Klartext, Essen 2009, ISBN 978-3-8375-0240-4, S. 33–55.
  • Karl-Werner Ratschko: Aberkennung von Doktortiteln an der Kieler Universität zur NS-Zeit. In: Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt. 67. Jahrgang, Ausgabe 3, März 2014, S. 54–58 (online).
  • Karl-Werner Ratschko: Kieler Hochschulmediziner in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Medizinische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität im „Dritten Reich“. Klartext, Essen 2014.
  • Hans-Walter Schmuhl: Ärzte in der Westfälischen Diakonissenanstalt Sarepta 1890–1970. Hrsg. von Matthias Benad, Bethel, Bielefeld 2001, ISBN 3-922463-99-1.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Johannes Büttner: Chemisches Denken in der Medizin. Die Geschichte des Laboratoriums der 1. Medizinischen Klinik der Universität Kiel. Band 1, Bautz, Nordhausen 2007, S. 51 f.
  2. a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. 2. Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2007, S. 377.
  3. a b Winfried Süß: Der „Volkskörper“ im Krieg: Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939–1945. Oldenbourg, München 2003, S. 471.
  4. Matthias Benad: Zum Verhältnis von Ärzten und Theologen in diakonischen Einrichtungen während der zwanziger Jahre. Die von Bodelschwingschen Anstalten Bethel als Beispiel. In: Traugott Jähnichen, Norbert Friedrich (Hrsg.): Protestantismus und Soziale Frage. Profile in der Zeit der Weimarer Republik. Lit, Münster 2000, S. 132 f.
  5. Michael Grüttner: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Synchron, Heidelberg 2004, S. 111.
  6. Online-Biografie auf Kieler Gelehrten-Verzeichnis
  7. a b „Grenzlanduniversität“ Kiel (Memento vom 29. September 2013 im Internet Archive)
  8. Professor Ritterbusch geht nach Berlin. Nr. 121. Nordische Rundschau, Kiel 26. Mai 1941, Wirtschafts-Archiv vom Institut für Weltwirtschaft, Kiel (dfg-viewer.de [abgerufen am 8. März 2019]).
  9. Zit. nach: Karl-Werner Ratschko: Kieler Hochschulmediziner in der Zeit des Nationalsozialismus, Essen 2014, S. 194.
  10. Herbert A. Neumann: Blut und Enzyme. Leben und Werk des Hämatologen Georg Wilhelm Löhr. Berlin 2013, S. 18.