Kubischer Zahlkörper

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In der algebraischen Zahlentheorie versteht man unter einem kubischen Zahlkörper einen algebraischen Zahlkörper, also eine Erweiterung des Körpers der rationalen Zahlen, vom Grad . Kubische Zahlkörper sind nach den quadratischen Zahlkörpern und den Kreisteilungskörpern die einfachsten Zahlkörper. Sie sind aber im Gegensatz zu den letzteren nicht notwendigerweise selbst-konjugiert (normal, Galoissch), sondern können auch als Familien von je drei konjugierten Körpern auftreten. Nur die zyklischen kubischen Zahlkörper sind selbst-konjugiert und besitzen eine Galoisgruppe mit einem einzigen erzeugenden Automorphismus der Ordnung .[1] Alle anderen kubischen Körper können durch Komposition mit einem geeigneten quadratischen Körper (nämlich ) zu ihrer normalen Hülle erweitert werden. Dieser Normalkörper eines nicht-zyklischen (und daher auch nicht-Galoisschen) kubischen Zahlkörpers ist eine Erweiterung vom Absolutgrad mit der symmetrischen Gruppe der Ordnung als Galoisgruppe . Der Verband der sechs Teilkörper von entspricht nach dem Hauptsatz der Galoistheorie bijektiv (umkehrbar eindeutig, ein-eindeutig) dem Verband der sechs Untergruppen von . Dabei sind die drei Normalkörper , , durch die Galois-Korrespondenz den drei selbst-konjugierten Untergruppen , , zugeordnet, während die drei konjugierten kubischen Körper , , mit den drei konjugierten Untergruppen , , korrespondieren.

Unterschiede zu quadratischen Zahlkörpern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während jeder quadratische Körper durch eine Radikal-Erweiterung mit einem quadratfreien Radikanden dargestellt werden kann (dazu beachte man, dass auch wenn durch eine Nullstelle eines nicht-reinen quadratischen Polynoms erzeugt ist, das primitive Element aufgrund der quadratischen Lösungsformel als und sein Konjugiertes als dargestellt werden kann mit der Diskriminante von , also aber umgekehrt auch mit dem Satz von Vieta , , und daher ), ist dies nur für reine kubische Zahlkörper mit einem kubenfreien Radikanden möglich, wobei und quadratfreie teilerfremde natürliche Zahlen sind. Ist zusätzlich , so spricht man von einem normalisierten Radikanden . Im Gegensatz zu einem quadratischen Zahlkörper , der durch seine Diskriminante, für beziehungsweise für , bis auf Isomorphie eindeutig gekennzeichnet ist, kann es mehrere nicht-isomorphe kubische Körper mit übereinstimmender Diskriminante geben. Diese bilden dann ein Multiplett mit Vielfachheit (Multiplizität) , das zum Beispiel nach streng aufsteigenden Regulatoren angeordnet werden kann.[2]

Erzeugende Polynome[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein kubischer Zahlkörper kann durch Adjunktion einer Nullstelle eines normierten irreduziblen Polynoms dritten Grades mit ganzzahligen Koeffizienten an den rationalen Zahlkörper gebildet werden, also . Dieses Polynom ist dann automatisch das Minimalpolynom der Nullstelle , also . Dabei ist die Bezeichnung der Koeffizienten von m(X) motiviert durch ihre Darstellung als elementar-symmetrische Polynome (ESP), die in der älteren Literatur als symmetrische Grundfunktionen bezeichnet werden. Ist die Zerlegung von in Linearfaktoren über dem Zerfällungskörper , dann folgt durch Ausmultiplizieren mit dem linearen ESP , der Spur von , dem quadratischen ESP und dem kubischen ESP , der Norm von .[3]

Diskriminanten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da die Diskriminante eines allgemeinen kubischen Polynoms durch den Ausdruck gegeben ist, ergibt sich für das Minimalpolynom des primitiven Elementes von speziell . Wie jeder algebraische Zahlkörper besitzt auch ein kubischer Körper K eine Hauptordnung (den Ring seiner ganzen algebraischen Elemente oder kurz Ganzheitsring), welche die Gleichungsordnung als Teilordnung vom Index enthält. Man nennt den Index des Polynoms und es gilt die grundlegende Beziehung zwischen der Diskriminante des Körpers (beziehungsweise seiner Hauptordnung ) und der Polynomdiskriminante .[3]

Reelle und komplexe Einbettungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Signatur eines algebraischen Zahlkörpers vom Grad gibt die Anzahl der reellen Einbettungen und die Anzahl der Paare von konjugiert komplexen Einbettungen von an und genügt der Beziehung . Für ungeraden Grad muss also auch ungerade sein, weil jedes Polynom ungeraden Grades mit reellen Koeffizienten mindestens eine reelle Nullstelle besitzt. Insbesondere gibt es für die Signatur eines kubischen Körpers mit nur zwei Möglichkeiten: entweder für einen einfach-reellen kubischen Zahlkörper oder für einen dreifach-reellen (total-reellen) kubischen Zahlkörper.[4]

Einheiten-Gruppen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Allgemein ergibt sich aus der Signatur eines algebraischen Zahlkörpers nach dem Einheitensatz von Dirichlet sogleich die Struktur der Einheitengruppe von (genauer von der Hauptordnung ) als direktes Produkt der Torsions-Untergruppe der in enthaltenen Einheitswurzeln und einer freien abelschen Gruppe vom torsionsfreien Einheitenrang , also . Die Einheitengruppe des Normalkörpers eines nicht-Galoisschen kubischen Zahlkörpers enthält die von den Einheitengruppen aller Teilkörper erzeugte Untergruppe . Da sich jede Einheit in aufgrund der Norm-Beziehung als Produkt von Einheiten in darstellen lässt, kann die Untergruppe der Teilkörpereinheiten auch zu vereinfacht werden.

Einfach-reelle kubische Zahlkörper[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein einfach-reeller kubischer Zahlkörper besitzt die Signatur . Er ist zwar selbst reell, aber seine beiden Konjugierten, und , sind komplex, weshalb auch (etwas irreführend) als komplexer kubischer Zahlkörper bezeichnet wird. Sein Normalkörper ist total-komplex mit Signatur und dessen quadratischer Teilkörper ist imaginär-quadratisch mit Signatur . Die Einheitengruppen von , , besitzen die torsionsfreien Ränge , , , und die Strukturen mit einem Fundamentalsystem , mit Grundeinheit , die meist im Bereich oder gewählt wird, und ohne torsionsfreie Einheit. Die enthaltenen Einheitswurzeln sind und stimmen bis auf zwei Spezialfälle mit überein. Die Ausnahmen sind für und für . Die Klassenzahlen der drei Körper , und stehen zueinander in der Beziehung von Arnold Scholz,[5] wobei der Einheitenindex zwei Werte annehmen kann.

Total-reelle kubische Zahlkörper[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein dreifach-reeller kubischer Zahlkörper besitzt die Signatur . Er ist also wie seine beiden Konjugierten, und , reell. Sein Normalkörper ist total-reell mit Signatur und dessen quadratischer Teilkörper ist reell-quadratisch mit Signatur . Die Einheitengruppen von , , besitzen die torsionsfreien Ränge , , , und die Strukturen mit einem Fundamentalsystem , mit einem Fundamentalsystem , und mit Grundeinheit . Die enthaltenen Einheitswurzeln sind übereinstimmend , weil sämtlich reell. Die Klassenzahlen der drei Körper , und genügen der Formel von Arnold Scholz,[5] wobei der Einheitenindex drei Werte annehmen kann. Diese drei Werte erlauben eine grobe Klassifikation der total-reellen kubischen Zahlkörper nach der Galois-Kohomologie der Einheitengruppe ihrer Normalkörper im Sinne von Nicole Moser.[6] Dem Index mit entspricht der Typ , aber für die anderen beiden Werte sind je zwei Typen möglich, nämlich Typ oder für und Typ oder für .

Normalkörper als Ringklassenkörper[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als zyklisch kubische Relativerweiterung des quadratischen Teilkörpers ist der Normalkörper eines nicht-Galoisschen kubischen Zahlkörpers ein Klassenkörper von , genauer ein -Ringklassenkörper nach einem ganzzahligen Führer , weil und nicht abelsch ist. Der Führer bestimmt die Verzweigung der Primzahlen von in und der Primideale von in und erfüllt die Beziehung von Helmut Hasse,[7] wobei die Diskriminanten von bedeuten. Mehrere nicht-isomorphe kubische Zahlkörper können denselben Führer besitzen und bilden dann ein Multiplett der Vielfachheit (Multiplizität) . Aufgrund der Hasseschen Beziehung sind die Normalkörper eines Multipletts zyklisch kubische Relativerweiterungen eines gemeinsamen quadratischen Teilkörpers , weil das Quadrat des Führers für den quadratischen Radikanden irrelevant ist.

Tabellen von kubischen Zahlkörpern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die umfangreichsten Zusammenstellungen von Invarianten kubischer Zahlkörper stammen von G. W. Fung und H. C. Williams[8][9] für einfach-reelle kubische Zahlkörper mit Diskriminante und von V. Ennola und R. Turunen[10] für total-reelle kubische Zahlkörper mit Diskriminante . Sie enthalten Regulatoren und Klassenzahlen , die mit dem Algorithmus von G. F. Voronoi[11] berechnet wurden. Letztere Tafel wurde neulich in zweifacher Hinsicht überboten durch die Klassifikation aller Multiplette von total-reellen kubischen Zahlkörpern mit Diskriminante durch D. C. Mayer.[12] Außer dem erweiterten Diskriminantenbereich bietet diese Klassifikation erstmalig tieferliegende Invarianten in Form einer Verfeinerung der fünf Typen von N. Moser[6] zu neun Untertypen nach der Galois-Kohomologie der Einheitengruppen der Normalkörper . Sie wurde mit völlig neuartigen Methoden durch Auffassung der Normalkörper als -Ringklassenkörper nach -zulässigen Führern unter Verwendung der klassenkörpertheoretischen Routinen von C. Fieker[13] im Computeralgebrasystem Magma konstruiert.[14] Nichtsdestoweniger ist der Algorithmus von Voronoi nach wie vor ein unerlässliches Hilfsmittel für die Konstruktion der Gitter-Minima einer Ordnung in einem kubischen Zahlkörper, die in Magma bisher noch nicht implementiert ist. Das wurde vor kurzem anhand einer unendlichen Serie monogener einfach-reeller kubischer Zahlkörper von A. Soullami und D. C. Mayer demonstriert.[15] Die bisher umfangreichste Klassifikation von reinen kubischen Zahlkörpern mit normalisierten Radikanden wurde von S. Aouissi, D. C. Mayer und Koautoren durchgeführt.[16][17]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Cohen, H.: A course in computational algebraic number theory. Graduate Texts in Mathematics, Vol. 138, Fourth printing, 2000, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, 1996.
  2. Mayer, D. C.: Multiplicities of dihedral discriminants. In: Math. Comp. 58. Jahrgang, Nr. 198, 1992, S. 831–847, doi:10.1090/S0025-5718-1992-1122071-3.
  3. a b Delone, B. N., and Faddeev, D. K.: Teoriya Irratsionalnostei Tretei Stepeni (The theory of irrationalities of the third degree). Trudy Mat. Inst. Steklov 11, 1940, Translations of Mathematical Monographs, Vol. 10, Second printing, 1978, Amer. Math. Soc., Providence, Rhode Island, 1964.
  4. Hambleton, S. A., and Williams, H. C.: Cubic fields with geometry. Editor: K. Dilcher, CMS Books in Mathematics, Canad. Math. Soc., Springer Nature AG, Cham, Switzerland, 2018.
  5. a b Scholz, A.: Idealklassen und Einheiten in kubischen Körpern. In: Monatsh. Math. Phys. 40. Jahrgang, 1933, S. 211–222.
  6. a b Moser, N.: Unités et nombre de classes d'une extension Galoisienne diédrale de Q. In: Abh. Math. Sem. Univ. Hamburg. 48. Jahrgang, 1979, S. 54–75.
  7. Hasse, H.: Arithmetische Theorie der kubischen Zahlkörper auf klassenkörpertheoretischer Grundlage. In: Math. Z. 31. Jahrgang, 1930, S. 565–582.
  8. Fung, G. and Williams, H. C.: On the computation of a table of complex cubic fields with discriminant D>-1000000. In: Math. Comp. 55. Jahrgang, Nr. 191, 1990, S. 313–325.
  9. Williams, H. C.: Table errata. In: Math. Comp. 63. Jahrgang, 1994, S. 433.
  10. Ennola, V. and Turunen, R.: On totally real cubic fields. In: Math. Comp. 44. Jahrgang, Nr. 170, 1985, S. 495–518.
  11. Voronoi, G. F.: Ob odnom obobshchenii algorifma nepreryvnykh drobei (On a generalization of the algorithm of continued fractions). In: Doctoral Dissertation, Warsaw. 1896.
  12. Mayer, D. C.: Classifying multiplets of totally real cubic fields. In: Electronic Journal of Mathematics. 1. Jahrgang, 2021, S. 1–40, doi:10.47443/ejm2021.0001, arxiv:2102.12187.
  13. Fieker, C.: Computing class fields via the Artin map. In: Math. Comp. 70. Jahrgang, Nr. 235, 2001, S. 1293–1303.
  14. Mayer, D. C.: Construction and classification of p-ring class fields modulo p-admissible conductors. In: Open Journal of Mathematical Sciences. 5. Jahrgang, Nr. 1, 2021, S. 162–171, doi:10.30538/oms2021.0153, arxiv:2101.00979.
  15. Mayer, D. C. and Soullami, A.: Algebraic number fields generated by an infinite family of monogenic trinomials. In: Bol. Soc. Mat. Mexicana. 2022, S. 1–38, arxiv:2204.04474.
  16. Aouissi, S., Mayer, D. C., Ismaili, M. C., Talbi, M., and Azizi, A.: 3-rank of ambiguous class groups in cubic Kummer extensions. In: Period. Math. Hungar. 81. Jahrgang, 2020, S. 250–274, doi:10.1007/s10998-020-00326-1, arxiv:1804.00767.
  17. Aouissi, S., Azizi, A., Ismaili, M. C., Mayer, D. C., and Talbi, M.: Principal factors and lattice minima in cubic fields. In: Kyushu J. Math. 76. Jahrgang, 2022, S. 101–118, doi:10.2206/kyushujm.76.101.