Liste der deutschen Scharfrichter in der Zeit des Nationalsozialismus

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Zentrale Hinrichtungsstätten und Vollstreckungsbezirke im Deutschen Reich (1944)

Die Liste der deutschen Scharfrichter in der Zeit des Nationalsozialismus enthält die Namen, Daten und Zusatzinformationen aller deutschen Scharfrichter, die im Zeitraum 30. Januar 1933 (sogenannte Machtergreifung der Nationalsozialisten) bis einschließlich 8. Mai 1945 (Tag der Bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht) in den zehn Vollstreckungsbezirken auf deutschem Staatsgebiet Todesurteile deutscher Gerichte vollstreckt haben.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden mindestens 25.000 Todesurteile von Kriegsgerichten und Standgerichten gefällt; hinzu kamen mehr als 16.000 Todesurteile von zivilen Strafgerichten (meist Sondergerichten und dem Volksgerichtshof).[1] Von den Zivilurteilen wurden allein 11.881 von nur drei Scharfrichtern vollstreckt: Johann Reichhart, Ernst Reindel und Wilhelm Röttger (wobei dieser erst am 23. September 1942 bestellt wurde). Röttger führte demnach doppelt so viele Hinrichtungen durch wie Reichhart und Reindel zusammen.[2]

Name Zuständigkeitsbereich tätig von/bis Wohnsitz vollstreckte Urteile Bemerkung
Bordt, Gottlob
(1882–19??)
I: Posen, Breslau und Kattowitz[3] seit 1. Mai 1940 Posen mindestens 1000 Bordt war seit 1937 Gehilfe von Friedrich Hehr.[4] Er war bis 1942 in Posen einziger Scharfrichter „vor Ort“ in Ostdeutschland.[3]
Engelhardt, Alwin
(1875–1940)
x 1933 bis 1936 -- ca. 100[5] War bereits zwischen 1900 und 1906 als Scharfrichter tätig, aber wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten 1906 entlassen worden. Wurde zum 31. Juli 1933 wieder eingestellt. Er vollstreckte das Todesurteil gegen Marinus van der Lubbe am 10. Januar 1934 in Leipzig mit dem Fallbeil.
Gröpler, Carl
(1868–1946)
Preußen, Mecklenburg, Oldenburg, Braunschweig und den Hansestädten 1906 bis 1937 Magdeburg ca. 144 Ihm folgte im Amt sein Gehilfe Ernst Reindel. Gröpler starb in sowjetischer Untersuchungshaft.[6]
Hehr, Friedrich
(1879–1952)
V: (Butzbach, Hamburg, Hannover und Köln), später Wolfenbüttel + Weimar eventuell seit 1925 in Baden, Württemberg und Hessen[7], 1935 bis 1949 Hannover >500 War nach Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1949 für Briten und Amerikaner weiter als Scharfrichter tätig. Bildete einige seiner Gehilfen zu Scharfrichtern aus[8], die dann ebenfalls für das NS-Regime tätig waren, z. B.: Alfred Roselieb.
Henschke, Karl
(??)
II: Königsberg, Danzig seit Juli 1942 in Posen, ab Januar 1944 in Königsberg -- 600 bis 700 Der Gehilfe Bordts wurde im Juli 1942 zweiter Scharfrichter in Posen und wechselte Anfang Januar 1944 nach Königsberg.[9]
Köster August
(??)
III: Kattowitz, Breslau Sommer 1943 bis Februar 1945 Kattowitz 600 bis 700 Seit Anfang Juni 1942 Gehilfe Friedrich Hehrs. Köster war ab Sommer 1943 selbstständiger Scharfrichter.[10]
Mühl, Johann
(1908–?)
VII: Köln, Frankfurt am Main, Dortmund x -- 600 bis 700 --
Reichhart, Johann

(1893–1972)
VIII: (München, Dresden, Stuttgart und Weimar), Weimar später an Hehr, später Wien, Graz und Frankfurt (Frankfurt ersetzte Butzbach) 1924 bis ca. 1928, 1933 bis 1946 München >3000 (seit 1924 gerechnet) Seit April 1924 Scharfrichter in Bayern. Ab Juni 1933 Scharfrichter für das NS-Regime. Richtete unter anderem 1943 Sophie und Hans Scholl von der Weißen Rose und nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 zahlreiche durch den Volksgerichtshof Verurteilte. Kurz nach Kriegsende wurde Reichhart von der amerikanischen Besatzungsmacht bis ca. Ende Mai 1946 weiter beschäftigt. In dieser Zeit hat er 156 Todesurteile an Kriegsverbrechern im Gefängnis Landsberg am Lech vollstreckt.
Reindel, Ernst
(1899–1945/46)
VI: Roter Ochse in Halle (Saale), Gerichtsgefängnis in Weimar und Untersuchungsgefängnis Dresden, Königsberg 1934 bis 1943 -- 600 bis 700 Stammte aus einer Scharfrichter-Familie, begann aber als „Ungelernter“ bei Carl Gröpler. Kündigte seine Anstellung überraschend zum 30. November 1943.[11] Ihm folgte Alfred Roselieb. Es wird vermutet, dass Reindel eventuell noch bis Kriegsende weiter Hinrichtungen vorgenommen hat.[12][13] Er wurde nach Kriegsende von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Roselieb, Alfred
(1891–1969)
VI: Roter Ochse in Halle (Saale), Gerichtsgefängnis in Weimar und Untersuchungsgefängnis Dresden 1944 bis 1945 -- mind. 931[14] War zunächst „Gehilfe“ von Friedrich Hehr und folgte Ernst Reindel, nachdem dieser überraschend von seinem Amt zurückgetreten war.
Röttger, Wilhelm
(1894–1946)
IV: Strafgefängnis Plötzensee und Strafanstalt Brandenburg-Görden 1942 bis 1945 -- etwa 3200 Röttger war Gehilfe Friedrich Hehrs. Er wurde im September 1942 selbstständiger Scharfrichter und vollstreckte größtenteils die Hinrichtungen der Todesurteile nach dem Attentat vom 20. Juli 1944.[15]
Weiß, Alois
(1906–1969)
IX (Protektorat Böhmen und Mähren): Gefängnis Pankrác in Prag 1943 bis 1945 Prag etwa 1300 Weiß wurde aufgrund einer Initiativbewerbung beim Reichsjustizminister Scharfrichter.[16]
Witzka, Fritz
(??)
X : Wien und Graz 1944 bis 1945 Wien mindestens 200 --

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Aleš Kýr: Die Gedenkstätte Pankrác in Prag. Entstehung und Entwicklung der Gedenkstätte und ihrer historischen Ausstellung bis zum Jahre 1989. In: Perspektiven für die Dokumentationsstelle Brandenburg. hrsg. von Günter Morsch und Sylvia de Pasquale, LIT VERLAG, Münster 2004, S. 87–88.
  • Matthias Blazek: Scharfrichter in Preußen und im Deutschen Reich 1866–1945. Ibidem, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8382-0107-8.
  • Daniel Bohse, Alexander Sperk (Bearb.): Der Rote Ochse Halle [Saale] – Politische Justiz. Katalog zu den Dauerausstellungen, hrsg. v. Joachim Scherrieble, Berlin 2008, ISBN 978-3-86153-480-8.
  • Johann Dachs: Tod durch das Fallbeil. Der deutsche Scharfrichter Johann Reichart. Gietl, Regenstauf 2012, ISBN 978-3-934863-84-2.
  • Angelika Ebbinghaus, Karsten Linne: Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg im „Dritten Reich“. Europäische Verlagsanstalt, 1997, ISBN 978-3-434520-06-1
  • Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2013, ISBN 978-3593-39723-8.
  • Gotthold Leistner: Sachsen und die Guillotine. Ein Beitrag zur Geschichte eines Tötungsmonstrums. In: Sächsische Heimatblätter, 48. Jahrgang, 2002, S. 130–149.
  • Marek Mahdal: Pankrácká sekyrárna. 30. November 2004 (beinhaltet das Zeugnis des Prager Scharfrichters [Anhang aus den Jahren 1945–1946] und Informationen aus dem Archiv der Gefängnisverwaltung der Tschechischen Republik). (Online-Ressource.)
  • Klaus-Dieter Müller / Thomas Schaarschmidt / Mike Schmeitzner / Andreas Weigelt: Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944–1947). Ein historisch-biographische Studie. Vandenhoeck et Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-525-36968-5.
  • Helmut Ortner: Das Buch vom Töten: Über die Todesstrafe. zu Klampen, Springe 2013, ISBN 978-3-86674297-0.
  • Manfred Overesch: Gott, die Liebe und der Galgen: Helmuth J. und Freya von Moltke in ihren letzten Gesprächen 1944/45. Olms, Hildesheim/Zürich/New York 2015, ISBN 978-3-487-08552-4.
  • Harald Poelchau: Die letzten Stunden. Erinnerungen eines Gefängnispfarrers, aufgezeichnet von Alexander Graf Stenbock-Fermor. Verlag Volk und Welt, Berlin 1949.
  • Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. Zwilling-Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-00-024265-6.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Im Namen des Deutschen Volkes - Justiz im Nationalsozialismus. Köln 1989, ISBN 3-8046-8731-8, S. 206.
  2. Tankred Koch: Geschichte der Henker – Scharfrichter-Schicksale aus acht Jahrhunderten. Heidelberg 1988/1991, S. 302.
  3. a b Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. S. 129.
  4. Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 82f.
  5. Matthias Blazek: „Herr Staatsanwalt, das Urteil ist vollstreckt.“ Die Brüder Wilhelm und Friedrich Reindel – Scharfrichter im Dienste des Norddeutschen Bundes und Seiner Majestät 1843–1898. Stuttgart 2011, ISBN 978-3-8382-0277-8.
  6. Daniel Bohse, Alexander Sperk (Bearb.): Der Rote Ochse Halle [Saale] – Politische Justiz. Katalog zu den Dauerausstellungen, hrsg. v. Joachim Scherrieble, S. 182.
  7. erschienen bei Kindler, Berlin 2001, ISBN 3-463-40400-1, zitiert nach Angelika Ebbinghaus, Karsten Linne: Kein abgeschlossenes Kapitel: Hamburg im „Dritten Reich“. Europäische Verlagsanstalt, 1997, ISBN 978-3-434520-06-1, FN 83.
  8. Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. S. 130.
  9. Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 88
  10. Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 89
  11. Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. S. 199.
  12. Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. S. 141f
  13. Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. S. 918.
  14. Tankred Koch: Geschichte der Henker – Scharfrichter-Schicksale aus acht Jahrhunderten. Heidelberg 1988/1991, S. 306 f., mit falscher Namensangabe „Scharfrichter Klein“.
  15. Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 88
  16. Klaus Hillenbrand: Berufswunsch Henker: Warum Männer im Nationalsozialismus Scharfrichter werden wollten. S. 117