Martin Bodmer (Privatgelehrter)

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Martin Bodmer in seinem Büro im Comité international de la Croix-Rouge (CICR)

Martin Bodmer (* 13. November 1899 in Zürich; † 21. März 1971 in Genf) war ein Schweizer Privatgelehrter, Sammler und Mäzen.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Martin Bodmer wurde als Sohn wohlhabender Eltern in Zürich geboren, wo er bis 1948 im Bodmerschen Landsitz Freudenberg in Zürich-Enge wohnte. Sein älterer Bruder war der spätere Beethoven-Sammler Hans Conrad Bodmer. Er studierte einige Semester Germanistik und Philosophie in Zürich und Heidelberg und gründete 1921 die Stiftung für den Gottfried-Keller-Preis zur Auszeichnung guter literarischer Werke. 1924 erwarb Bodmer das Muraltengut und liess die Wandmalereien von Karl Walser ausführen[1]. 1930 gründete er die Zweimonatsschrift «Corona», die bis 1943 in München erschien.

Kurz nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kam Bodmer über Max Huber (1874–1960), der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) war und ebenfalls aus Zürich stammte, nach Genf, wo er sich für die humanitäre Organisation engagierte. 1940 wurde Bodmer IKRK-Mitglied[2] und diente von 1947 bis 1964 als IKRK-Vizepräsident.[3]

Während des Zweiten Weltkriegs weilten zahlreiche berühmte Journalisten und Schriftsteller im Bodmerschen Anwesen in Zürich, so Rudolf Borchardt, Selma Lagerlöf, Rudolf Alexander Schröder und Paul Valéry. Martin Bodmer war ab 1964 Ehrenmitglied im Grolier Club.

Bodmer Cologny 4
Bibliotheca Bodmeriana in Cologny

Seine schriftstellerische Begabung zeigte sich, als er schon 1922 über Conrad Ferdinand Meyer und dessen frühe Balladen publizierte. Seine geistige Kraft und seine umfassenden literarhistorischen Kenntnisse der Weltliteratur entnimmt man seinem kurzen Vorwort unter dem Titel «Die Bedeutung der Textüberlieferung», das er der zweibändigen, von ihm herausgegebenen «Geschichte der Textüberlieferung» voranstellte (S. 17–24), erarbeitet von 18 Spezialisten ihres Faches.[4] Er war Mitbegründer der Société internationale des bibliophiles. Die bayerische Akademie der Schönen Künste ernannte ihn 1953 zum korrespondierenden Mitglied. Die Universitäten Frankfurt am Main (1949), Genf (1958) und Bern (1967) verliehen ihm die Würde eines Ehrendoktorates.

Biblioteca Bodmeriana[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sein ganzes Leben widmete er seiner aussergewöhnlichen Büchersammlung. Seit 1919 sammelte er die Bücher, um eine Bibliothek der Weltliteratur aufzubauen. 1947 erschien ein erster Überblick über seine bis dahin gesammelte Bibliothek.[5] (Ähnliches versuchte Emil Roninger neben seinem Rotapfel-Verlag, eine Treuhandstelle der Weltliteratur zu werden). Bereits 1928 war die Villa Freudenberg für seine Sammlung zu klein, und er erwarb ein benachbartes ehemaliges Schulhaus, um seine Sammlung darin unterzubringen. Nach seinem Umzug nach Cologny bei Genf verbrachte er 1951 auch seine Sammlung dorthin, wo er seine «Bibliothek der Weltliteratur» oder Bibliotheca Bodmeriana in eigens konzipierten Gebäuden unterbrachte. Bodmers Ziel war es, mit seiner Bibliothek das «Menschlich-Ganze» zu umfassen und ein Museum von Dokumenten zur Geschichte des menschlichen Geistes aufzubauen.

Bodmer trug 150.000 Werke in achtzig Sprachen aus drei Jahrtausenden zusammen, darunter etwa das älteste nahezu vollständig erhaltene Manuskript des Johannes-Evangeliums (Papyrus Bodmer II aus dem 2. Jahrhundert), die Urschrift der Märchen der Brüder Grimm, das einzige Exemplar der Gutenberg-Bibel in der Schweiz, die Autographen eines Streichquintetts von Mozart, die Prosafassung von Lessings «Nathan der Weise», von Flauberts «Madame Bovary», von Thomas Manns «Lotte in Weimar» oder wertvolle Papyri aus der Antike – etwa die einzige fast vollständig erhaltene Abschrift einer Komödie des athenischen Dichters Menandros, den Dyskolos – und zahllose Erstausgaben bedeutender Werke.

Die Sammlung wird heute von der Stiftung Martin Bodmer betreut und erweitert[6]. Im Jahre 2014 begann die Universität Genf damit, einen Teil der Sammlung zu digitalisieren.[7] Die Digitalisate der mittelalterlichen Handschriften stehen über das Schweizer Handschriftenportal e-codices zur Verfügung.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Martin Bodmer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Doris Wild, Architektur und Kunst, 1934: Seite 18-26, Muraltengut, Wandmalereien von Karl Walser. Abgerufen am 27. Oktober 2019.
  2. Death of Mr. Martin Bodmer, Honorary Member of the ICRC. In: International Review of the Red Cross. April 1971, abgerufen am 4. Januar 2022 (englisch).
  3. Martin Bodmer. In: Fondation Martin Bodmer. 13. September 2019, abgerufen am 4. Januar 2022 (englisch).
  4. Geschichte der Textüberlieferung, Band 1: Antikes und mittelalterliches Buch- und Schriftwesen, Überlieferungsgeschichte der antiken Literatur, von Herbert Hunger u. a., mit einem Vorwort von Martin Bodmer; Band 2: Überlieferungsgeschichte der mittelalterlichen Literatur, von Karl Langosch u. a.; Atlantis Verlag, Zürich 1961–1964, 2 Bände, 623 S., 843 S., ill.; je mit Katalog der behandelten Autoren und Register.
  5. Martin Bodmer: Zum Thema Weltliteratur, 8. Juni 1947. Abgerufen am 27. Oktober 2019.
  6. Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft: Eröffnung der Martin Bodmer Stiftung, 8. Juni 1972. Abgerufen am 27. Oktober 2019.
  7. «Bibliothek der Weltliteratur» digitalisiert. In: Neue Zürcher Zeitung, 30. Mai 2014, S. 51.