Militärökonomie

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Militärökonomie ist ein Spezialbereich der Volkswirtschaftslehre, der durch eine fachlich sehr breite und interdisziplinären Ausrichtung gekennzeichnet ist. Es spielen nicht nur wirtschaftswissenschaftliche Erwägungen eine gewichtige Rolle, sondern es müssen ebenso militärwissenschaftliche, politikwissenschaftliche, historische, geografische als auch technologische Erwägungen in die Analysen mit einbezogen werden. Häufig werden diese Erkenntnisse in entsprechend spezialisierten Denkfabriken, militärwissenschaftlichen Institutionen und Akademien erforscht und gelehrt, weshalb die in der Militärökonomie gewonnenen Erkenntnisse weniger öffentlich kommuniziert werden. In diesem Umfeld entwickelte sich auch zentrale Grundlagenforschung, beispielsweise durch die spieltheoretischen Analysen der nuklearen Bedrohung im Kalten Krieg und deren Verteidigung. Die Forschung der RAND Corporation liefert hierfür eine Reihe von Beispielen, etwa das Ellsberg-Paradoxon (1961) oder wichtige Bericht wie The Economics of Defense in the Nuclear Age.[1] Deren militärökonomische Herkunft ist nur selten bekannt. Standorte im deutschsprachigen Raum finden sich an der Universität der Bundeswehr und der Militärakademie an der ETH Zürich.

Themen und Prinzipien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das klassische Thema ist die ökonomisch optimale Aufstellung, Versorgung und Unterhaltung von Armeen – sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten. Hierzu gibt es eine bis auf Leibniz zurückgehende wissenschaftliche Traditionslinie der "oeconomia militaria". Militärökonomisch soll unter anderem gewährleistet werden, dass die hierfür eingesetzten Mittel sowohl ökonomisch effizient sind (bspw. möglichst kostenminimale Leistungserbringung) als auch sicherheitstechnisch effektiv sind (bspw. technologisch zweckmäßig).

Andere Themenbereiche orientieren sich an konkreten und länderspezifischen Anwendungsfälle, so beispielsweise: die zentrale Versorgungssicherheit und Resilienz des Landes bei auftretenden Konflikten oder gar Kriegen, der Schutz von kritischer Infrastruktur[2], aber auch die ökonomische Analyse von nicht-staatlichen Konflikten (Terrorismus, Cyber-Bedrohungen, Drogenhandel, Flucht und Vertreibung etc.), die Folgen von Verteidigungsausgaben oder auch weitreichende strategische Implikationen von veränderten Sicherheitsstrukturen (Befahrbarkeit der Nordostpassage; Anfälligkeit des Suezkanal).

Daneben besitzt die Militärökonomie aber auch abstrakte und stärker theoriegetriebene Forschungsbereiche, wie beispielsweise: die makroökonomischen Effekte von Verteidigungsausgaben[3], diverse spieltheoretische Untersuchungen und Planspiele (bspw. im Zusammenhang mit nuklearen Bedrohungen und deren Abschreckung), die Formung von militärischer Allianzen und ihrer gegenseitigen Mittelbereitstellung oder die spezifischen Marktstrukturen von Verteidigungsausgaben.

Für ein besseres Verständnis kann man auch in der Militärökonomie grob zwischen einer Makro- und Mikroperspektive unterscheiden. Wichtige Untersuchungsgegenstände auf der Mikroebene sind die Preisfindungsmechanismen militärischer Güter und Dienstleistungen, Industrieökonomik, die Vertrags- und Rüstungsregulation sowie die ökonomische Strukturanalyse der Rüstungsindustrie, die Substitutionsfähigkeit der Truppenstärke durch verschiedentliche Rekrutierungsmethoden oder kapitalintensive Rüstungstechnologie. Wichtig Fragen auf der Makroebene sind eng mit denen des internationalen Handels, der Entwicklungshilfe und -ökonomie, Wachstumstheorie und – sehr bedeutend – der Institutionenökonomie verbunden. Bei strategischen Interaktionen haben spieltheoretische Betrachtungen einen zentralen Stellenwert, etwa bei der systematischen Erforschung von Rüstungswettrennen und deren Kontrolle, der militärischen (nuklearen) Abschreckung oder der entsprechenden Kriegsabwendung, -initiation oder Kriegsbeendigung.

Probleme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Militärökonomie kämpft jedoch mit der grundlegenden Herausforderung, dass ein großer Teil ihrer Anwendungsbereiche den strengen axiomatischen Anforderungen der (neo-)klassischer Theorien überhaupt nicht genügt. So haben beispielsweise ökonometrisch basierte Untersuchungen im Kontext der Militärökonomie mit dem grundsätzlichen Problem zu kämpfen, dass es keine wirklich objektivierbare Output/Ergebnis-Messung gibt. Man kann zwar die wirtschaftlichen Ausgaben (ex ante) messen – etwa die Kosten für eine Panzerbrigade –, nicht aber den erzielten Output. Nur im Kriegsfall, d. h. nachdem die Ausgaben bereits getätigt wurden (ex post), wird es möglich, die Ergebnisse konkret zu messen. Ein weiteres Beispiel ist der Charakter als öffentliches Gut, d. h. die militärische Sicherheit des Staates und seiner Bevölkerung kommt jedem Einzelnen in der Nation zugute, unabhängig davon, in welchem Umfang der Einzelne an der Produktion dieses Gutes beteiligt ist. Hinzu kommt auch, dass militärische Güter inhärent durch externe Effekte gekennzeichnet sind. All dies macht die einfache Übertragung und Anwendung selbst bereits etablierter Methoden und Modelle problematisch und angreifbar. Im deutschsprachigen Raum etablieren sich daher zunehmend Versuche, alternative und institutionsökonomische Perspektiven fruchtbar zu machen.

Rüstungsausgaben als Instrument der Wirtschaftspolitik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben keynesianische Analysen sehen insbesondere marxistisch orientierte Autoren wie Elmar Altvater, Ernest Mandel, Paul A. Baran, Paul Sweezy Militärausgaben als Instrument der Wirtschaftspolitik im Kapitalismus. Diese führen erhöhte Militärausgaben aus den sich verschlechternden Akkumulationsbedingungen zurück und betrachten diese als beliebtestes Krisensteuerungsinstrument des kapitalistischen Systems, da sie keine zivile Produktion verdrängen, eine hohe Multiplikatorwirkung haben, der Produktion von Gütern dienen die einem raschen technischen Verschleiß unterliegen und keinen Kapazitätseffekt haben und somit kein erneutes Überangebot schaffen. Aus ihrer Theorie leiten sie ab, dass sich der Rüstungssektor notwendigerweise immer mehr ausdehnt, wesentliche Teile der Wirtschaft gänzlich von Rüstung abhängig werden und Militärausgaben wachsende Staatsausgaben und Staatsverschuldung verursachen.[4]

Weltweite Militärausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auflistung des Stockholm International Peace Research Institute
2017 Fact Sheet (for 2016)
[5]
SIPRI Military Expenditure Database[6]
Auflistung des International Institute for Strategic Studies
Top 15 Militärausgaben 2015
[7]
Rang Staat Ausgaben
($ Mrd.)
% des BIP
Welt total 1,686 2,2
01 Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten 611,2 3,3
0 Europaische Union Europäische Union 252,6
02 China Volksrepublik Volksrepublik China 215,7 1,9
03 Russland Russland 69,2 5,3
04 Saudi-Arabien Saudi-Arabien 63,7 10
05 Indien Indien 55,9 2,5
06 Frankreich Frankreich 55,7 2,3
07 Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich 48,3 1,9
08 Japan Japan 46,1 1,0
09 Deutschland Deutschland 41,1 1,2
10 Korea Sud Südkorea 36,8 2,7
11 Italien Italien 27,9 1,5
12 Australien Australien 24,3 2,0
13 Brasilien Brasilien 22,8 1,3
14 Vereinigte Arabische Emirate Vereinigte Arabische Emirate 22,8 5,7
15 Israel Israel 17,8 5,8
16 Kanada Kanada 15,5 1,0
17 Spanien Spanien 14,9 1,2
18 Turkei Türkei 14,9 2,0
19 Iran Iran 12,3 3,0
20 Algerien Algerien 10,6 6,7
21 Singapur Singapur 9,9 3,4
22 Taiwan Taiwan 9,9 1,9
23 Pakistan Pakistan 9,9 3,4
24 Kolumbien Kolumbien 9,9 3,4
25 Polen Polen 9,7 2,0
26 Niederlande Niederlande 9,2 1,2
27 Oman Oman 9,0 16,7
28 Indonesien Indonesien 7,7 0,9
29 Mexiko Mexiko 6,8 0,6
30 Kuwait Kuwait 6,3 6,5
Rang Staat Ausgaben
($ Mrd.)
01 Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten 597,5
02 China Volksrepublik Volksrepublik China 145,8
03 Saudi-Arabien Saudi-Arabien 81,9
04 Russland Russland 65,6
05 Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich 56,2
06 Indien Indien 48,0
07 Frankreich Frankreich 46,8
08 Japan Japan 41,0
09 Deutschland Deutschland 36,7
10 Korea Sud Südkorea 33,5
11 Brasilien Brasilien 24,3
12 Australien Australien 22,8
13 Italien Italien 21,6
14 Irak Irak 21,1
15 Israel Israel 18,6

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hahn, Oswald: Militärbetriebslehre. Betriebswirtschaftslehre der Streitkräfte. Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 1997, ISBN 3-87061-615-6.
  • Keupp, Marcus Matthias: Militärökonomie. 1. Auflage. Springer Gabler, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-06147-0, S. 146.
  • Hitch, Charles J.; McKean, Roland N.: The Economics of Defense in the Nuclear Age. Harvard University Press, 1960, ISBN 0-674-86588-X, S. 422 (rand.org).
  • Hartley, Keith; Sandler, Todd (Hrsg.): Handbook in Defense Economics, Defense Economics in the post-cold war era. Volume 1. 1. Auflage. North Holland, 1995, ISBN 0-444-81887-1, S. 606.
  • Hartley, Keith; Sandler, Todd (Hrsg.): Handbook in Defense Economics, Defense in a globalized World. Volume 2. 1. Auflage. North Holland, 2007, ISBN 978-0-444-51910-8, S. 698.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Militärökonomie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Keith Hartley: The Economics of Defence Policy: A New Perspective. Routledge, London 2011, ISBN 978-0-415-27132-5.
  2. Marcus M. Keupp: The Security of Critical Infrastructures: Introduction and Overview. In: Marcus M. Keupp (Hrsg.): The Security of Critical Infrastructures. International Series in Operations Research & Management Science. Band 288. Springer, Cham 2020. S. 1–14. doi:10.1007/978-3-030-41826-7_1
  3. Emile Benoit: Defense and economic growth in developing countries. Lexington Books, Massachusetts 1973, ISBN 0-669-85373-9.
  4. Carola Bielfeldt: Rüstungsausgaben als Instrument der Wirtschaftspolitik?. In: Karl-Ernst Schulz (Hrsg.): Militär und Ökonomie. Beiträge zu einem Symposium. Göttingen 1977, S. 177 f. und 189.
  5. Trends in World Military Expenditure, 2016. Stockholm International Peace Research Institute, abgerufen am 13. Dezember 2017.
  6. Data for all countries from 1988–2016 in constant (2015) USD (pdf). SIPRI, abgerufen am 13. Dezember 2017.
  7. Top 15 Defence Budgets 2015. International Institute for Strategic Studies, abgerufen am 13. Dezember 2017.