Phemonoe

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Mädchen von Antium, von Paolino Mingazzini als Phemonoë gedeutet[1]

Phemonoë (altgriechisch Φημονόη Phēmonóē) wurde Tochter Apollons oder seines Sohnes Delphos genannt[2] und galt als erste Pythia im Orakelheiligtum von Delphi.[3] Ob sie als mythische[4] oder als historische[5] Gestalt aufzufassen ist, kann nicht geklärt werden.

Clemens von Alexandria setzt ihre Lebenszeit 27 Jahre vor der des Orpheus, des Musaios und des Lehrers des Herakles, Linos, an.[6] Laut Pausanias, der verschiedene Orakel von Phemonoë überliefert,[7] war sie Erfinderin des klassischen Versmaßes der epischen Dichtung, des Hexameters:[8]

„Die bedeutendste und am meisten verbreitete Überlieferung betrifft Phemonoe, wie Phemonoe die erste Verkünderin des Gottes wurde und als erste den Hexameter sang.“

Pausanias: Reisen in Griechenland[9]

Bei Diogenes Laertios wird überliefert, dass Antisthenes sie als Schöpferin des Spruchs „Erkenne dich selbst“ (γνῶθι σεαυτόν) ansah, der am Eingang des delphischen Apollontempels angebracht war.[10] In der römischen Dichtung, etwa bei Lukan[11] und bei Statius,[12] wird ihr Name als Synonym für eine Prophetin par excellence benutzt.

Artemidor von Daldis entwirft in seinem Werk Traumdeutung (Ὀνειροκριτικὰ Oneirokritiká) von Phemonoë das Bild einer Philosophin und zitiert sie zweimal im Rahmen philosophischer Erörterungen. So habe sie gesagt, „das Feuer im Hausgebrauche klein und rein zu sehen [...], bedeute Glück, ein grosses und zügelloses aber Unheil.“[13] An anderer Stelle lässt er sie Sitte als ungeschriebenes Gesetz definiert haben.[14] Ob unter ihrem Namen Bücher in Umlauf waren, ist unsicher. Aus der naturalis historia des Plinius, der sie ausführlich zu einer Adlerart und zum Vogelflug zitiert,[15] leitete man die Vermutung ab, ein Buch „Über die Vogelkunde“ wäre ihr zugeschrieben worden.[16] In der Schrift „Über Zuckungsmantik“ (Περὶ παλμῶν μαντική Perí palmṓn mantikḗ) des Pseudo-Melampus[17] wird Phemonoë lobend erwähnt.[18]

In der Anthologia Palatina ist ein Epigramm des Dichters Antipatros von Thessalonike erhalten, das eine in einen pharos genannten Mantel gehüllte Statue der Phemonoë beschreibt.[19] Die Basis einer solchen Statue der Phemonoë aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. wurde in Delphi nahe dem Apollontempel gefunden.[20] Es handelt sich um die einzige einer Pythia gestiftete Basis in Delphi.[21]

Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts lässt sich das Interesse an Phemonoë in der Neuzeit nachweisen. So gedenken etwa Lucretia Marinella im Jahr 1601[22] und Johann Frauenlob, für den sie 1631 „eine sinnreiche/gelehrte und fürtreffliche Poetin gewesen“ ist,[23] der ersten Pythia.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Paolino Mingazzini: La fanciulla d’Anzio. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Band 81, 1966, S. 173–185; siehe auch Ingeborg Scheibler: Das Mädchen von Antium auf der Website des Museums für Abgüsse Klassischer Bildwerke.
  2. Plinius, Naturalis historia 10,3; Scholion zu Euripides, Orestes 1094.
  3. Strabon 9,3,5.
  4. So etwa Felix A. Voigt: Phemonoe. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XIX,2, Stuttgart 1938, Sp. 1957. Lutz Käppel: Phemonoe. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 9, Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01479-7, Sp. 766.
  5. So Giulia Maria Chesi: Hexametric Poetesses ante Homerum. In: Greek and Roman Musical Studies. Band 9, 2021, S. 223–240; Maria Nühlen: Philosophinnen der griechischen Antike. Eine Spurensuche. Springer, Wiesbaden 2021, S. 120–132.
  6. Clemens von Alexandria, Stromata 1,21,107; Maria Nühlen: Philosophinnen der griechischen Antike. Eine Spurensuche. Springer, Wiesbaden 2021, S. 121, datiert ihr Wirken daher zwischen n750 und 650 v. Chr.
  7. Pausanias 10,6,7; 10,12,10.
  8. Pausanias 10,5,7; Plinius, Naturalis historia 7,57 nennt Pythia als erste, die heroische Verse gemacht habe; zwar nennt Pausanias 10,5,8 weitere, denen die Einführung zugeschrieben wurde, doch glaubt Giulia Felisari: Poetesse greche. Dal catalogo al testo. Leonida, Reggio Calabria 2010, S. 41. 44–45, dass nach verbreiteter antiker Vorstellung es vornehmlich Phemonoë war, der die Ehre zukam; anders Herbert W. Parke: The Use of Other Than Hexameter Verse in Delphic Oracles. In: Hermathena. Band 65, 1945, S. 58–66, hier S. 65, der das als Volksglauben abtut.
  9. Übersetzung nach Maria Nühlen: Philosophinnen der griechischen Antike. Eine Spurensuche. Springer, Wiesbaden 2021, S. 123.
  10. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren berühmter Philosophen 1,40 (= Antisthenes, FGrHist 5 08 F).
  11. Lukan, Pharsalia 5,126. 187.
  12. Statius, Silvae 2,2,39.
  13. Artemidor von Daldis, Oneirokritika 2,9: Πῦρ δὲ τὸ χρήσει ὀλίγον μὲν καὶ καθαρὸν ἰδεῖν ἡ Φημονόη λέγει ἀγαθὸν εἶναι, πολὺ δὲ καὶ ἄμετρον πονηρόν; Übersetzung Friedrich Salomon Krauss (Übers.): Artemidoros aus Daldis: Symbolik der Träume. Hartleben, Wien u. a. 1881, S. 109 (Digitalisat).
  14. Artemidor von Daldis, Oneirokritika 4,2; Friedrich Salomon Krauss (Übers.): Artemidoros aus Daldis: Symbolik der Träume. Hartleben, Wien u. a. 1881, S. 238; zu Phenomoë als Philosophin siehe auch Maria Nühlen: Philosophinnen der griechischen Antike. Eine Spurensuche. Springer, Wiesbaden 2021, S. 129–131.
  15. Plinius, Naturalis historia 10,3 (Adlerart); 10,9 (Vogelflug).
  16. Josef Calasanz Poestion: Griechische Dichterinnen. Beitrag zur Geschichte der Frauenliteratur. Hartleben, Wien 1876, S. 23–24 (Digitalisat); Friedrich Salomon Krauss (Übers.): Artemidoros aus Daldis: Symbolik der Träume. Hartleben, Wien u. a. 1881, S. 109 Anm. 1; zuletzt Maria Nühlen: Philosophinnen der griechischen Antike. Eine Spurensuche. Springer, Wiesbaden 2021, S. 120–121.
  17. Herausgegeben von Hermann Diels: Beiträge zur Zuckungsliteratur des Okzidents und Orients. Teil 1: Die griechischen Zuckungsbücher (Melampus Περι παλμων). Reimer, Berlin 1907, bes. S. 56; zu diesem Pseudo-Melampus siehe Hans Ræder: Melampus 6. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XV,1, Stuttgart 1931, Sp. 399 (Digitalisat).
  18. Johann Albert Fabricius: Bibliotheca Graeca. Band 1. Bohn, Hamburg 1790, S. 116 (online in der Google-Buchsuche)
  19. Anthologia Palatina 6,208 (Digitalisat).
  20. Supplementum Epigraphicum Graecum 41, 508; siehe auch Paolino Mingazzini: La fanciulla d’Anzio. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Band 81, 1966, S. 173–185, hier S. 182; die Inschrift endet mit den Zeilen: Τῶι καὶ ἐμπνείοντι γονεῖ κεδ[νὴν θεόμαντιν] / Φημονόην ἱεροῖς εἷσαν ὑπὸ πρ[οθύροις ?] („... sie weihen (die Statue) der ehrwürdigen Prophetin, Phemonoë, ihrem Vater, der sie inspiriert hat, im heiligen Vorraum (?)“).
  21. Giulia Maria Chesi: Hexametric Poetesses ante Homerum. In: Greek and Roman Musical Studies. Band 9, 2021, S. 223–240, hier S. 225 Anm. 6, S. 230.
  22. Lucretia Marinella: La nobiltà et l’eccellenza delle donne co’ diffetti et mancamenti de gli uomini. Venedig 1601, S. 38 (online in der Google-Buchsuche).
  23. Johann Frauenlob: Die lobwürdige Gesellschaft der gelehrten Weiber. 1631, S. 27 (Digitalisat).