Regelbasierte Ordnung

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„Regelbasierte Ordnung“ (RBO, englisch rules-based order), auch ausgeschrieben „regelbasierte internationale Ordnung“ (RBIO, englisch rules-based international order) oder „regelbasierte Weltordnung“, steht seit 2008 vor allem in Staaten der westlichen Welt als Soft Law mehr als politischer Begriff für Konzepte teils entgegengesetzter Auffassungen ohne klare Definition.[1] Das Verständnis des Begriffs hängt davon ab, wer ihn verwendet; die zugrundeliegenden Regeln und ihre Entstehung sind unklar.[2] So weichen die Bedeutungen der RBO aus Sicht der USA, Australien, Deutschland und Indien deutlich voneinander ab[1] und decken sich nicht mit der der Vereinten Nationen.[3] Andere Staaten lehnen diesen Begriff ganz ab und stützen sich in Abgrenzung dazu auf das internationale Recht (Völkerrecht) als juristischem Begriff für die überstaatliche, aus Prinzipien und Regeln bestehende etablierte Rechtsordnung.[1]

Vereinte Nationen (UNO)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres sah 2018 eine Bedrohung des Multilateralismus, was das Risiko von Konfrontationen zwischen Staaten erhöhe. Er forderte zur Abwehr eine Erneuerung des Bekenntnisses zu einer regelbasierten Ordnung, mit den Vereinten Nationen im Mittelpunkt und Institutionen und Verträgen, die diese mit Leben erfüllen.[3]

Bedeutung in Deutschland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die deutsche Regierung summiert unter der regelbasierten Ordnung als politischem Begriff sowohl rechtlich verbindliche Normen des Völkerrechts als auch rechtlich nicht bindende Normen, Standards und Verhaltensregeln. Als Beispiele dafür werden genannt das pünktliche Zahlen von Beiträgen, die multilaterale Zusammenarbeit mit dem Ziel einer kooperativen Weltordnung oder informelle Zusammenschlüsse in Freundesgruppen oder Allianzen. Ebenso beziehe sich der Begriff weiters auf verschiedene internationale Foren und ihre Entscheidungsregeln sowie Verhandlungsprozesse.[4] zusätzlich zur UNO-Charta, der „Verfassung“ der Vereinten Nationen (UN).[1]

„Völkerrecht“ beziehe sich dabei auf rechtlich bindende Regeln des Umgangs der Völkerrechtssubjekte, insbesondere der Staaten, miteinander. Dies umfasse internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, wie die Charta der Vereinten Nationen oder die Menschenrechtskonventionen, daneben aber auch internationales Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze.[4]

Das Auswärtige Amt benennt unklarer neben den Vereinten Nationen und dem Völkerrecht ausdrücklich die Agenda 2030 (UNO), G7 und G20, NATO, OSZE und den Europarat als Bestandteile der regelbasierten Ordnung.[5] In Deutschland wurde der Begriff durch dessen Außenpolitiker ab 2017 etabliert und seit 2018 immer häufiger statt des Begriffs „internationales Recht“ verwendet, um dieses durch ein eigenes Verständnis weiterer internationaler Regeln zu ergänzen und zu ersetzen.[6]

Bedeutung in den USA und Australien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den USA und Australien beinhaltet die regelbasierte Ordnung eine seit den 1960er Jahren postulierte globale Vorrangstellung der USA und ihrer Militärbündnisse im asiatisch-pazifischen Raum.[1] Die regelbasierte Ordnung ist in Australien ein zentraler Begriff, seit den Weißbüchern zur Verteidigungspolitik 2009.[1] In den USA wurde der Begriff erstmals 2015 in der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) verwendet, mit der Vormachtstellung der USA sei danach eine starke und dauerhafte amerikanische Führung für die RBO unverzichtbar.[1] Sowohl Russland als auch China seien eine Bedrohung für die RBO.[1] In den USA hat der Begriff bei Spitzenpolitikern zu Beginn der 2020er Jahre immer häufiger den eingeführten Begriff „Internationales Recht“ abgelöst.[7] Motivation für die Nutzung des vagen Begriffs ist, dass die USA in vielen multilateralen Abkommen nicht Mitglied sind und ihre Interessen auch in umstrittener Art mittels Stärke durchsetzen.[8]

Bedeutung in Indien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem indischen Verständnis der RBO müsse diese sich erst noch durch Dialog herausbilden. Sie müsse auf Zustimmung aller basieren, nicht auf der Macht weniger. Dazu müsse auch der UNO-Sicherheitsrat reformiert werden, es sei eine bessere Vertretung in Internationalem Währungsfonds und der Weltbank nötig.[1] Die Souveränität und die territoriale Integrität der Staaten sowie die Gleichheit aller Länder sei danach zentral für die RBO.[1]

Bedeutung in China und Russland[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

China und Russland lehnen den Begriff der regelbasierten Ordnung ab, da er für eine Weltordnung unter der Führung der USA stehe.[1] China beruft sich auf das Völkerrecht und die UNO und befürwortet eine multipolare Weltordnung mit den Kernwerten staatlicher Souveränität und Nichteinmischung.[1]

Kritik an der Verwendung des Begriffs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2023 gab es keine Anzeichen, dass die regelbasierte Ordnung die Form allgemeiner oder besonderer internationaler Übereinkommen im Sinne von Artikel 38 Absatz 1 Buchstabe a des Statuts des Internationalen Gerichtshofs annehmen würde. Weder die Völkerrechtskommission noch der Sechste Ausschuss der Vereinten Nationen sind am Zustandekommen beteiligt.[2] Die Regeln selbst wie ihre Entstehung sind unklar und scheinen den Interessen und Werten der Staaten zu dienen, die sie postulieren.[2] Dabei wird kein Versuch unternommen, die RBO mit einer Rechtsordnung mit definierten Regeln und Verfahren zur Rechtsetzung und Streitbeilegung zu hinterlegen.[2] Problematisch bei der Verwendung des Begriffs der regelbasierten Ordnung gegenüber dem etablierten internationalen Recht ist, dass er letzteres begrifflich ablöst und damit dessen Inhalte entwertet und bedroht.[2]

Bei der RBO handelt es sich wohl um stillschweigende Vereinbarungen zwischen einigen westlichen Staaten, zu denen keine ausdrückliche Zustimmung vorliegt, obwohl eine solche notwendige Grundlage des verbindlichen Völkerrechts ist.[2] Der Begriff wird politisch genutzt, um Staaten zur Einhaltung von Regeln aufzufordern, denen sie nicht zugestimmt haben und die daher für sie nicht bindend sind.[2] Man kann die RBO als Instrument der westlichen Welt zur Durchsetzung eigener Interessen zur Sicherung ihrer Vorherrschaft betrachten, insbesondere durch die USA.[2]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Boas Lieberherr: Die „regelbasierte Ordnung“ – Divergierende Auffassungen. In: Center for Security Studies, ETH Zürich (Hrsg.): CSS Analysen zur Sicherheitspolitik. Nr. 317, Februar 2023, ISSN 2296-0236, doi:10.3929/ethz-b-000595999 (4 S., ethz.ch [PDF; 800 kB; abgerufen am 9. April 2023]).

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f g h i j k l Boas Lieberherr: Die „regelbasierte Ordnung“ – Divergierende Auffassungen. In: Center for Security Studies, ETH Zürich (Hrsg.): CSS Analysen zur Sicherheitspolitik. Nr. 317, Februar 2023, ISSN 2296-0236, doi:10.3929/ethz-b-000595999 (4 S., ethz.ch [PDF; 800 kB; abgerufen am 9. April 2023]).
  2. a b c d e f g h John Dugard: The choice before us: International law or a ‘rules-based international order’? In: Leiden Journal of International Law. Band 36, Nr. 2. Cambridge University Press, 21. Februar 2023, ISSN 0922-1565, 5. The rules comprising the RBO, S. 223–232; hier: 230 f., doi:10.1017/S0922156523000043 (englisch, cambridge.org [PDF; 140 kB; abgerufen am 16. April 2023]): “Furthermore, we do not know what the nature of these rules is. It has been suggested that ‘they do not have a positive quality. Rather their worth depends on the extent to which they serve the interests and values of States which sustain them’. If there are rules, the method for their creation remains a mystery. We do not know ‘who ultimately lays down these rules and determines their content’, we do not know whether states must consent to these rules, and if so, which states.”
  3. a b Secretary-General Calls for Renewed Commitment to Rules-Based Order, Reformed, Reinvigorated, Strengthened Multilateral System, as General Debate Opens. In: un.org. Vereinte Nationen, 25. September 2018, abgerufen am 16. April 2023 (englisch, Seventy-third Session, 6th & 7th Meetings (AM & PM), GA/12062): „‚Multilateralism is under fire precisely when we need it most,‘ Mr. Guterres said, warning that shifts in the balance of power between nations may increase the risk of confrontation. He appealed for a renewed commitment to a rules-based order, with the United Nations at its centre and with the different institutions and treaties that bring the Organization’s Charter to life.“
  4. a b Michael Roth: Plenarprotokoll 19/123 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 6. November 2019. Hrsg.: Deutscher Bundestag. Berlin 7. November 2019, Antwort auf Frage 62, S. 15287 f. (76 S., bundestag.de [PDF; 741 kB; abgerufen am 9. April 2023] Auffassung bestätigt in Kleiner Anfrage 21.09.2021, Drucksache 19/32526).
  5. Regelbasierte internationale Ordnung: Überblick. In: auswaertiges-amt.de. Auswärtiges Amt, 15. März 2023, archiviert vom Original am 15. März 2023; abgerufen am 15. März 2023.
  6. Stefan Talmon: Rules-based order v. international law? In: uni-bonn.de. Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 20. Januar 2019, abgerufen am 23. April 2023 (englisch): „Germany is a champion of the so-called “rules-based order”. In the speeches and statements of Federal Foreign Minister Heiko Maas and other Foreign Office officials there are frequent references to a “rules-based order”, a “rules-based international order”, a “rules-based global order”, a “rules-based multilateral order”, or a “rules-based system”. […] the question arises of who ultimately lays down these rules and determines their content. In practice, the “rules-based order” seems to be an attempt to establish law-making by majority at the international level.“doi:10.17176/20220106-133832-0 Siehe auch Artikel-Datenbank GBI-Genios zu „Regelbasierte Ordnung“
  7. John Dugard: The choice before us: International law or a ‘rules-based international order’? In: Leiden Journal of International Law. Band 36, Nr. 2. Cambridge University Press, 21. Februar 2023, ISSN 0922-1565, 1. Introduction, S. 223–232; hier: 223 f., doi:10.1017/S0922156523000043 (englisch, cambridge.org [PDF; 140 kB; abgerufen am 16. April 2023]): “… the democracies of the world would ‘defend the rules-based order’ (RBO). Again, there is no mention of international law. […] The term ‘rules-based order’ is so frequently used by American political leaders, […] Is it a harmless synonym for international law, as suggested by European leaders? Or is it something else, a system meant to replace international law which has governed the behaviour of states for over 500 years?”
  8. John Dugard: The choice before us: International law or a ‘rules-based international order’? In: Leiden Journal of International Law. Band 36, Nr. 2. Cambridge University Press, 21. Februar 2023, ISSN 0922-1565, 3. The rationale behind the reference to a ‘ rules-based international order ’, S. 223–232; hier: 226–228, doi:10.1017/S0922156523000043 (englisch, cambridge.org [PDF; 140 kB; abgerufen am 16. April 2023]): “First, the United States is not a party to a number of important multilateral treaties that constitute an essential feature of international law. […] the United States has placed interpretations on international law justifying the use of force and the violation of international humanitarian law that are controversial and contested.”