Repaglinid

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Strukturformel
Strukturformel von Repaglinid
Allgemeines
Freiname Repaglinid
Andere Namen
  • 2-Ethoxy-4-[2-({(1S)-3-methyl-1-[2-(piperidin-1-yl)phenyl]butyl}amino)-2-oxoethyl]benzoesäure (IUPAC)
  • AG-EE-623ZW
  • NSC-759893
Summenformel C27H36N2O4
Kurzbeschreibung

weißer Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 135062-02-1
EG-Nummer (Listennummer) 629-921-1
ECHA-InfoCard 100.158.190
PubChem 65981
ChemSpider 59377
DrugBank DB00912
Wikidata Q2195995
Arzneistoffangaben
ATC-Code

A10BX02

Wirkstoffklasse

Antidiabetika, Glinide

Wirkmechanismus

Kaliumkanal-Blocker

Eigenschaften
Molare Masse 452,59 g·mol−1
Aggregatzustand

fest[1]

Schmelzpunkt

129–130 °C[1]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[3]

Achtung

H- und P-Sätze H: 302​‐​361​‐​362
P: 263​‐​260​‐​201​‐​264​‐​280​‐​308+313[3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Repaglinid ist ein kurzwirksames orales Antidiabetikum aus der Gruppe der Glinide zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Repaglinid wurde 1983 entwickelt und ist seit 1998 unter dem Handelsnamen NovoNorm in Deutschland zugelassen. Seit dem 18. Februar 2016 können Glinide in Deutschland nur noch in medizinisch begründeten Einzelfällen von der GKV erstattet werden, da ihr Nutzen nicht ausreichend durch Studien belegt ist.[4] In der Nationalen VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes aus dem Jahr 2021[5] ist der Wirkstoff nicht mehr aufgeführt, er wird aber nach wie vor von Diabetologen verschrieben und darf bei einer glomerulären Filtrationsrate > 25 ml/min eingesetzt werden.[6]

Pharmakologische Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Repaglinid wirkt durch eine Blockade ATP-sensitiver Kaliumkanäle an den β-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Durch diese Blockade kommt es zur Membrandepolarisation und damit zur Öffnung spannungsabhängiger Calciumkanäle, wodurch Calciumionen in das Zellinnere strömen. Dadurch verschmelzen verstärkt Insulin-haltige Bläschen mit der Zellmembran (Exozytose), es kommt zu einer verstärkten Insulinfreisetzung. Aufgrund dieses Wirkmechanismus zählen die Glinide zu den insulinotropen Antidiabetika.[7]

Repaglinid wird nach oraler Aufnahme schnell resorbiert. Der maximale Plasmaspiegel wird innerhalb von etwa einer Stunde erreicht, weshalb der Wirkstoff kurz vor den Hauptmahlzeiten eingenommen werden soll. Die gleichzeitige Einnahme mit der Nahrung verringert die Bioverfügbarkeit. Sie beträgt 60 bis 75 %. Der Wirkstoff wird durch das Cytochrom P450-Enzymsystem, speziell vor allem durch CYP2C8 und CYP3A4 abgebaut.[8] Die Ausscheidung der Metaboliten erfolgt vorwiegend über die Galle und letztlich den Stuhl.[7][9] Die Halbwertzeit des Wirkstoffs beträgt eine Stunde.[10]

Nebenwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Unterzuckerung, Bauchschmerzen und Durchfall.[10]

Kontraindikationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da der Wirkstoff nur die körpereigene Insulinfreisetzung fördert, ist er beim Typ-1-Diabetes nicht angezeigt. Die gleichzeitige Einnahme mit anderen Gliniden oder mit den auf dem gleichen Wirkprinzip basierenden Sulfonylharnstoffen ist kontraindiziert.

Repaglinid sollte nicht zusammen mit anderen durch CYP2C8 und/oder CYP3A4 abgebauten Wirkstoffen eingesetzt werden, da diese den Abbau von Repaglinid verzögern und damit das Risiko einer Unterzuckerung stark erhöhen. Hierzu gehören beispielsweise das Antibiotikum Clarithromycin oder der Blutfettsenker Gemfibrozil. Das gegen Pilzinfektionen eingesetzte Ketoconazol interagiert zwar ebenfalls mit diesen Cytochromen, erreicht aber selten Konzentrationen, die zu einer Hemmung des Enzymsystems und zu einem Abfall des Blutzuckers führen.[8] Der Blutverdünner Clopidogrel ist ein CYP2C8-Inhibitor und führt ebenfalls zu einem starken Blutzuckerabfall bei gleichzeitiger Einnahme von Repaglinid, so dass dies eine absolute Kontraindikation darstellt.[11]

Bei diabetischer Ketoazidose oder schwerer Lebererkrankung ist der Wirkstoff ebenfalls kontraindiziert.[10]

Entwicklungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Repaglinid ist der erste therapeutisch eingesetzte Vertreter aus der Stoffgruppe der Glinide.[12] Die Entwicklung begann 1983 bei der Firma Dr. Karl Thomae GmbH (später in Boehringer Ingelheim aufgegangen).[13] Grundsätzliche Strukturen, Synthese und die im Tierversuch festgestellte blutzuckersenkende Wirkung wurden 1983 in einer Patentschrift offengelegt,[14] es folgten Schriften zu stereochemischen und polymorphen Formen,[13] bis 1991 die isomerenreine Verbindung, ihre Synthese und Verwendung angemeldet wurden.[15] Ab 1990 bestand eine Kooperation von Boehringer mit dem Unternehmen Novo Nordisk, die die weltweiten Vermarktungsrechte besitzt.[16] Eine 1993 publizierte offene kontrollierte Vergleichsstudie an 44 Patienten über 12 Wochen zeigte, dass Repaglinid bei der Senkung des postprandialen Blutzuckerspiegels wirksamer war als der Sulfonylharnstoff Glibenclamid.[17][18] In den USA wurde Repaglinid 1997 als Prandin zugelassen,[19] 1998 folgte unter dem Handelsnamen Novonorm die EU-Zulassung,[20] 1999 die für die Schweiz.[21] Die Markteinführung in Deutschland war im Oktober 1998.[22]

Handelsnamen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

NovoNorm (EU), Prandin (US), Gluconorm (Canada), Surepost (Japan)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Repaglinid – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Datenblatt Sigma-Aldrich, >98% (HPLC), solid bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 5. Dezember 2023 (PDF).
  2. a b European Pharmacopoeia 11.0, Monograph 2135: Repaglinide. EDQM, 2022.
  3. a b Eintrag zu Repaglinide, >98.0% bei TCI Europe, abgerufen am 5. Dezember 2023.
  4. Pressemitteilung des G-BA vom 18. Februar 2016, abgerufen am 13. April 2016.
  5. NVL Typ-2-Diabetes
  6. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes – Leitlinienreport, 2. Auflage. Version 1. 2021. doi:10.6101/AZQ/000476
  7. a b Aktories K., Förstermann U., Hofmann F., Starke K.: Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. Urban & Fischer Verlag/Elsevier Verlag, München/Jena 2006, ISBN 978-3-437-44490-6, S. 626–629.
  8. a b Tanja Busk Bidstrup et al.: CYP2C8 and CYP3A4 are the principal enzymes involved in the human in vitro biotransformation of the insulin secretagogue repaglinide. In: Br J Clin Pharmacol. 2003 Sep; 56(3): 305–314.
  9. Mutschler E., Geisslinger G., Kroemer HK., Ruth P, Schäfer-Korting M.: Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 9. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Stuttgart 2008. S. 419. ISBN 3-8047-1952-X.
  10. a b c Repaglinid, Gelbe Liste
  11. Gluconorm (repaglinide) - New Contraindication for Concomitant Use with Clopidogrel
  12. Greg L. Plosker, David P. Figgitt: Repaglinide. In: PharmacoEconomics. 2004, Band 22, Nummer 6, S. 389–411 doi:10.2165/00019053-200422060-00005.
  13. a b Repaglinide auf pharmaceutical-substances.thieme.com, abgerufen am 9. Dezember 2023
  14. Patent DE3347565.
  15. Patent WO9300337A1.
  16. B. Hellwig: Neues Therapiekonzept für Typ-II-Diabetes: Prandiale Glucoseregulation mit Repa. In: deutsche-apotheker-zeitung.de. 15. Februar 1998, abgerufen am 9. Dezember 2023.
  17. R. Moses: Repaglinide in combination therapy with metformin in Type 2 diabetes. In: Experimental and Clinical Endocrinology & Diabetes. 2009, Band 107, Nummer S 04, S. S136–S139 doi:10.1055/s-0029-1212169.
  18. Bruce H. R. Wolffenbuttel, L. Nijst, J. P. J. E. Sels, P. P. C. A. Menheere, Péter Müller, A. C. Nieuwenhuijzen Kruseman: Effects of a new oral hypoglycaemic agent, repaglinide, on metabolic control in sulphonylurea-treated patients with NIDDM. In: European Journal of Clinical Pharmacology. 1993, Band 45, Nummer 2, S. 113–116. doi:10.1007/BF00315490.
  19. Significant FDA Approvals in 1997. In: aafp.org. 1. Juni 1998, abgerufen am 9. Dezember 2023 (englisch).
  20. EU/1/98/076. In: ec.europa.eu. Abgerufen am 9. Dezember 2023.
  21. Zugelassene Arzneimittel (XLSX, 1006 kB, 30.11.2023). In: swissmedic.ch. Abgerufen am 9. Dezember 2023.
  22. Avoxa – Mediengruppe Deutscher Apotheker GmbH: Repaglinid–NovoNorm®–12–1998. In: pharmazeutische-zeitung.de. 12. März 2018, abgerufen am 9. Dezember 2023.