Stefan Bringezu

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Stefan Bringezu (* 1958 in Fürth) ist ein deutscher Umweltwissenschaftler und Sprecher des Center for Environmental Systems Research der Universität Kassel (CESR). Er ist seit 2007 Mitglied des International Panel for Sustainable Resource Management („International Resource Panel“).

Biografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stefan Bringezu studierte in Bayreuth Biologie mit den Schwerpunkten Ökologie, Mikrobiologie und Biochemie. Das Diplom erhielt er mit Auszeichnung. In Bayreuth promovierte er im Bereich der Ökosystemanalyse über Aspekte der Dichteregulation phytophager Insekten.

1987 bis 1992 war Stefan Bringezu wissenschaftlicher Mitarbeiter am Umweltbundesamt in Berlin und legte im neu gegründeten Fachgebiet biozider Wirkstoffe im nichtagrarischen Bereich die Grundlagen für die Bewertung von Holzschutzmitteln, Antifoulings etc.

1992 schloss er sich dem neu gegründeten Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie an, wo er als Senior Research Fellow die Abteilung Stoffströme und Strukturwandel von Friedrich Schmidt-Bleek mit aufbaute.

1997 bis 1998 übernahm er vertretungsweise die Leitung des Lehrstuhls für Versorgungssysteme und planerischen Umweltschutz in der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund.

1999 habilitierte Bringezu an der Fakultät Umwelt und Gesellschaft bei Karl-Hermann Hübler an der TU Berlin.

Zum Wuppertal Institut zurückgekehrt, übernahm er 2003 nach dessen Umstrukturierung die Leitung der neu etablierten Forschungsgruppe Stoffströme und Ressourcenmanagement, die er bis 2017 ausfüllte.

2011 wurde Stefan Bringezu, nachdem er einen Ruf auf die Professur für Industrial Ecology abgelehnt hatte, als Professor für Nachhaltiges Ressourcenmanagement an die Universität Kassel berufen und zunächst im Rahmen einer Sonderprofessur Mitglied des Center for Environmental Systems Research (CESR).

2017 wechselte er vollständig zur Universität Kassel und wurde 2019 geschäftsführender wissenschaftlichen Direktor des CESR. Mit der Gründung des Kassel Institute for Sustainability, in dessen Gründungsdirektorium er mitwirkte, und der Integration des CESR unter diesem Dach wurde Bringezu 2022 Sprecher des Centers.

Forschungsarbeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Mitglied der Holzschutzmittelkommission des Bundesgesundheitsamtes erstellte er Ende der 1980er Jahre einen erweiterten Katalog zur Einbeziehung umweltbezogener Bewertungskriterien, z. B. zum Auswaschungspotenzial von Holzschutzmitteln und wirkte darauf hin, die verpflichtende Anwendung im Baubereich einzuschränken[1]. Untersuchungen zu Unterwasseranstrichen bereiteten den Weg, den Einsatz von hochtoxischen Organozinnverbindungen zunächst für Sportboote zu verbieten[2].

Bereits am UBA hatte Stefan Bringezu bei einer frühen Publikation zur Methode der Ökobilanzierung mitgewirkt. Am Wuppertal Institut half er, das MIPS-Konzept von Friedrich Schmidt-Bleek zu entwickeln, das als Screening-Ökobilanz gedacht war. Er erstellte, gemeinsam mit Helmut Schütz, das erste Materialkonto Deutschlands, das in der Folge vom Statistischen Bundesamt übernommen wurde. Die Einbeziehung der „ökologischen Rucksäcke“ des Außenhandels[3] führte zu Indikatoren (Total Material Requirement (TMR), Raw Material Input (RMI) etc.), die über internationale Vergleiche[4][5] beispielgebend für die Abbildung der physischen Basis von Volkswirtschaften im globalen Kontext wurden[6]. Sie fanden Eingang in Methodenrichtlinien von Eurostat und OECD zur Bestimmung der Ressourcenproduktivität von Ländern. Aktuell wird der Produktmaterialfußabdruck über die lebenszyklusweite Erhebung von RMI und TMR bestimmt[7][8].

Stefan Bringezu wandte sich in den 2000er Jahren dem Thema der Landnutzung zu und wies auf die Umwandlung von Naturflächen in den Tropen durch den Einsatz von Biokraftstoffen hin[9]. Dies erweiterte er zu einer Gesamtschau der globalen Landnutzung für alle agrarischen und forstlichen Güter[10] sowie bergbaulichen Rohstoffen[11] und analysierte die Trends und Umweltbelastungen der weltweiten Landnutzung[12].

Ein Forschungsschwerpunkt ist die nachhaltige Gestaltung der Bioökonomie, wofür er insbesondere die weltweiten Klima- und Ressourcenfußabdrücke sowie die sozioökonomischen Fußabdrücke am Beispiel Deutschlands untersuchte[13][14].

Wie der sozio-industrielle Stoffwechsel der Zukunft aussehen und die Ressourcennutzung nachhaltig gestaltet werden kann, war und ist eine seiner zentralen Forschungsfragen[15][16][17]. Hierzu entwickelte er Vorschläge für wissenschaftlich basierte Zielwerte („science-based targets“) globaler Ressourcennutzung, die sowohl auf nationaler als auch lokaler Ebene zur Orientierung herangezogen werden[18][19].

Stefan Bringezu widmete sich auch der systembasierten Analyse von Zukunftstechnologien. Insbesondere der Nutzung von CO2 als Rohstoff schreibt er eine Schlüsselrolle zu[20][21].

Seine theoretischen, empirisch untermauerten Arbeiten untersuchten den Mechanismus von Innovationen. Die Suche nach Sicherheit und Unabhängigkeit von proximaten Einschränkungen scheint dabei von wesentlicher Bedeutung zu sein[22].

Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung von Stefan Bringezu lag und liegt in der Suche nach ressourceneffizienten und nachhaltigen Lösungen für den Baubereich. Die Anwendung von Messinstrumenten und Indikatoren der Klima-, Material-, Energie-, Land- und Wasserfußabdrücke wurde in vergleichenden Studien (z. B. zu Recycling-[23] und Carbon-Beton[24]), über software-basierte Verfahren für die Planung von Gebäuden und in Leitlinien für Ingenieure und Architekten[25] pilothaft vorangetrieben.

Wissenschaftskoordination und Politikberatung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1997/98 initiierte Stefan Bringezu das Netzwerk ConAccount, bei dem substanzfluss- und materialflussbasierte Forschungsgruppen zusammenkamen, eine gemeinsame Forschungsagenda[26] erstellten und in der Folge regelmäßige Treffen organisierten. Das Netzwerk bildete einen Kern für Bildung der International Society for Industrial Ecology, die 2000 gegründet wurde.

2007 wurde Stefan Bringezu in das neu gegründete International Panel for Sustainable Resource Management (heute: International Resource Panel) berufen. Er koordinierte leitend drei Berichte: zu Biokraftstoffen[9], Landnutzung[12], Globaler Ressourcennutzung[27] und trug wesentlich zur Etablierung eines regelmäßigen Hauptberichts[28] des IRP bei.

Stefan Bringezu beriet über Projekte und Vorträge die deutsche Regierung vor der Einführung des Deutschen Ressourceneffizienzprogramms (ProgRess), das Europaparlament zur Reduktion der Biotreibstoffquoten, und über einen Expertkreis den Generaldirektor Umwelt der EU-Kommission, Janez Potočnik, zur Strategie der Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz.

Der Pilotreport zum Monitoring der deutschen Bioökonomie[13] und das Web-Portal bioökonomie-monitoring.de dienen als Referenz für die Weiterentwicklung der Bioökonomiestrategie und der Biomassestrategie der deutschen Bundesregierung.

Publikationen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 2000: Zukünftige Nutzung von CO2 als Rohstoffbasis in der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie. Eine Roadmap. doi: 10.17170/kobra-202002211019
  • 2019: Toward Science-Based and Knowledge-Based Targets for Global Sustainable Resource Use. doi:10.3390/resources8030140
  • 2020: Pilotbericht zum Monitoring der deutschen Bioökonomie. doi:10.17170/kobra-202005131255
  • 2022: Das Weltbudget. Sichere und faire Ressourcennutzung als globale Überlebensstrategie.
  • 2022: The World Budget. Safe and fair resource use for global survival and well-being.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Stefan Bringezu: Die wichtigsten Umwelt- und Gesundheitsprobleme durch chemischen Holzschutz und die Aktivitäten des Umweltbundesamtes: Ein Überblick. In: Stefan Bringezu, Hans-Dieter Schenke (Hrsg.): Probleme und Perspektiven eines umweltverträglichen Holzschutzes. Erich-Schmidt-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-503-03289-4, S. 5–30.
  2. E.C. Becker, Stefan Bringezu: Belastungen von Binnengewässern durch Biozide Organozinnverbindungen - Immissionen, Wirkungen, Qualitätsziele, Anwendungsverbote. In: Zeitschrift für Wasser- und Abwasserforschung. Band 25, 1992, S. 40–46.
  3. Stefan Bringezu: Towards Increasing Resource Productivity: How to Measure the Total Material Consumption of Regional or National Economies? In: Fresenius environmental bulletin. Band 2. Wuppertal Institut, Wuppertal 1993, S. 437–448.
  4. Albert Adriaanse, Stefan Bringezu, et al.: Resource flows : the material basis of industrial economies. World Resources Institute, Washington, D.C. 1997, ISBN 1-56973-209-4.
  5. Emily Matthews, Christof Amann, Stefan Bringezu, et al.: The weight of nations : material outflows from industrial economies. World Resources Institute, Washington, DC 2000, ISBN 1-56973-439-9.
  6. Stefan Bringezu: Ressourcennutzung in Wirtschaftsräumen Stoffstromanalysen für eine nachhaltige Raumentwicklung. Springer Verlag, 2000, ISBN 3-540-66886-1.
  7. Clemens Mostert, Stefan Bringezu: Measuring Product Material Footprint as New Life Cycle Impact Assessment Method: Indicators and Abiotic Characterization Factors. In: Resources. Band 8, Nr. 61, 2019, doi:10.3390/resources8020061 (mdpi.com [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  8. Clemens Mostert, Stefan Bringezu: Biotic Part of the Product Material Footprint: Comparison of Indicators Regarding Their Interpretation and Applicability. In: Resources. Band 11, Nr. 56, 2022, doi:10.3390/resources11060056 (mdpi.com [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  9. a b Stefan Bringezu, et al.: Assessing biofuels: towards sustainable production and use of resources. Report of the International Panel for Sustainable Resource Management. United Nations Environment Programme, 2009, ISBN 978-92-807-3052-4.
  10. Stefan Bringezu, et al.: Beyond biofuels: Assessing global land use for domestic consumption of biomass: A conceptual and empirical contribution to sustainable management of global resources. In: Land Use Policy. Band 29. Wuppertal Institute, Wuppertal 2012, S. 224–232, doi:10.1016/j.landusepol.2011.06.010.
  11. Diego I. Murguía, Stefan Bringezu: Measuring the specific land requirements of large-scale metal mines for iron, bauxite, copper, gold, and silver. In: Progress in Industrial Ecology. Band 10, Nr. 2, 2016, S. 264–285, doi:10.1504/PIE.2016.082142.
  12. a b Stefan Bringezu, et al.: Assessing global land use : balancing consumption with sustainable supply. UNEP - United Nations Environment Programme, Nairobi 2014, ISBN 978-92-807-3330-3.
  13. a b Stefan Bringezu, et al.: Pilotbericht zum Monitoring der deutschen Bioökonomie. CESR Universität Kassel, Kassel 2020, doi:10.17170/KOBRA-202005131255 (uni-kassel.de [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  14. Stefan Bringezu, et al.: Environmental and socioeconomic footprints of the German bioeconomy. In: Nature Sustainability. Band 4, 2021, S. 775–783, doi:10.1038/s41893-021-00725-3 (nature.com [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  15. Stefan Bringezu: Towards Sustainable Resource Management in the European Union. In: Wuppertal Papers. Band 121. Wuppertal Institut, 2002, ISSN 0949-5266.
  16. Stefan Bringezu: Erdlandung Navigation zu den Ressourcen der Zukunft. Hirzel, Stuttgart 2004, ISBN 3-7776-1192-1.
  17. Stefan Bringezu: Visions of a sustainable resource use. In: Stefan Bringezu, Raimund Bleischwitz (Hrsg.): Sustainable resource management - trends, visions and policies. 2009, S. 155–215.
  18. Stefan Bringezu: Das Weltbudget : Sichere und faire Ressourcennutzung als globale Überlebensstrategie. Springer, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-658-37773-1.
  19. Stefan Bringezu: The World Budget safe and fair use of resources for global survival and well-being. Selbstverlag, 2022, ISBN 979-83-6375529-3 (amazon.de [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  20. Stefan Bringezu: Carbon Recycling for Renewable Materials and Energy Supply: Recent Trends, Long-Term Options, and Challenges for Research and Development. In: Journal of Industrial Ecology. Band 18, Nr. 3, 2014, S. 327–340, doi:10.1111/jiec.12099 (wiley.com [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  21. Stefan Bringezu, Simon Kaiser, Sebastian Turnau: Zukünftige Nutzung von CO2 als Rohstoffbasis der deutschen Chemie- und Kunststoffindustrie. Eine Roadmap. CESR Universität Kassel, 2020, doi:10.17170/KOBRA-202002211019 (uni-kassel.de [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  22. Stefan Bringezu: On the mechanism and effects of innovation: Search for safety and independence of resource constraints expands the safe operating range. In: Ecological Economics. Band 116, 2015, S. 387–400, doi:10.1016/j.ecolecon.2015.06.001 (elsevier.com [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  23. Clemens Mostert, Husam Sameer, Dilan Glanz, Stefan Bringezu: Climate and resource footprint assessment and visualization of recycled concrete for circular economy. In: Resources, Conservation and Recycling. Band 174, 2021, S. 1057–1067, doi:10.1016/j.resconrec.2021.105767 (sciencedirect.com [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  24. Clemens Mostert, Jannik Bock, Husam Sameer, Stefan Bringezu: Environmental Assessment of Carbon Concrete Based on Life-Cycle Wide Climate, Material, Energy and Water Footprints. In: Materials. Band 15, Nr. 4855, 2022, doi:10.3390/ma15144855 (mdpi.com [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  25. Clemens Mostert, Husam Sameer, Dilan Glanz, Stefan Bringezu, Anja Rosen: Neubau aus Rückbau – Wissenschaftliche Begleitung der Planung und Durchführung des selektiven Rückbaus eines Rathausanbaus aus den 1970er-Jahren und der Errichtung eines Neubaus unter Einsatz von Urban Mining (RückRat). In: BBSR-Online-Publikation. Nr. 15/2021. Bonn 2021 (bund.de [abgerufen am 10. Februar 2023]).
  26. The ConAccount agenda: the concerted action on material flow analysis and its research and development agenda. Abgerufen am 10. Februar 2023.
  27. Stefan Bringezu, Anu Ramaswami, Heinz Schandl, et al.: Assessing global resource use. A systems approach to resource efficiency and pollution reduction. International Resource Panel, Nairobi 2017, ISBN 978-92-807-3677-9 (resourcepanel.org [abgerufen am 12. Februar 2023]).
  28. Bruno Oberle, Stefan Bringezu, et al.: Global Resources Outlook 2019: Natural Resources for the Future We Want. International Resource Panel, Nairobi 2019, ISBN 978-92-1158741-8.