Tischendorfit

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Tischendorfit
Auflichtbild mit Tischendorfit (tsh), Chrisstanleyit (c), Clausthalit (cla), Tiemannit (tie) und etwas Stibiopalladinit in einer Matrix aus schwarzem Ankerit vom Eskaborner Stollen, Tilkerode (Abberode), Sachsen-Anhalt (Sichtfeld: 275 μm)
Allgemeines und Klassifikation
IMA-Nummer

2001-061[1]

IMA-Symbol

Tdf[2]

Chemische Formel Pd8Hg3Se9
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Sulfide und Sulfosalze
System-Nummer nach
Strunz (8. Aufl.)
Lapis-Systematik
(nach Strunz und Weiß)
Strunz (9. Aufl.)
Dana

II/A.06
II/A.06-040

2.BC.65
02.07.06.01
Ähnliche Minerale Vasilit, Oosterboschit, Luberoit, Chrisstanleyit[3]
Kristallographische Daten
Kristallsystem orthorhombisch
Kristallklasse; Symbol orthorhombisch-dipyramidal; 2/m2/m2/m oder orthorhombisch-pyramidal; mm2
Raumgruppe Pmmn (Nr. 59)Vorlage:Raumgruppe/59 oder Pmn21 (Nr. 31)Vorlage:Raumgruppe/31
Gitterparameter a = 7,219 Å; b = 16,782 Å; c = 6,467 Å[4]
Formeleinheiten Z = 2[4]
Zwillingsbildung keine
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte keine Angaben
Dichte (g/cm3) 9,13 (berechnet)[4]
Spaltbarkeit keine Angaben
Bruch; Tenazität uneben; spröde[4]
Farbe nicht bestimmbar[4]
Strichfarbe schwarz[4]
Transparenz undurchsichtig (opak)[4]
Glanz Metallglanz[4]

Tischendorfit ist ein sehr selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Sulfide und Sulfosalze“ mit der idealisierten chemischen Formel Pd8Hg3Se9.[4] Tischendorfit ist damit chemisch gesehen ein Palladium-Quecksilber-Selenid, das strukturell mit den Sulfiden verwandt ist.

Tischendorfit kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem und entwickelt ausschließlich xenomorphe bis subidiomorphe Aggregate sowie isolierte subidiomorphe Kristalle bis zu einigen hundert Mikrometern Größe. Gut ausgebildete Kristalle sind unbekannt.

Etymologie und Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bereits im Jahre 1958 hatte der Mineraloge und Geochemiker Gerhard Tischendorf bei der Untersuchung von Seleniden aus dem Eskaborner Stollen bei Tilkerode im Harz zwei potentiell neue Minerale erkannt, die aber aufgrund der damaligen limitierten Methoden nicht weiter bestimmt werden konnten. Erst zu Beginn der 1990er Jahre wurden beide Phasen mittels Elektronenstrahlmikroanalyse untersucht und als zwei neue Minerale mit der chemischen Zusammensetzung Ag2Pd3Se4 und Pd8Hg3Se9 erkannt. Während Ag2Pd3Se4 schließlich von Hope’s Nose, Torquay, Devon (England), erstbeschrieben wurde, konnte das zweite Mineral 2002 durch ein internationales Forscherteam mit Chris J. Stanley, Alan J. Criddle, Hans-Jürgen Förster und Andrew C. Roberts aus dem Eskaborner Stollen als Tischendorfit beschrieben werden.

Das Mineral wurde von der 2001 von der International Mineralogical Association (IMA) anerkannt und nach seinem Entdecker, dem Mineralogen und Geochemiker Gerhard Tischendorf (1927–2007), benannt.

Typmaterial des Minerals wird im Natural History Museum, London, (Katalog-Nr. BM 2003,4) (Holotyp), im Mineralogischen Institut der Technischen Universität Bergakademie Freiberg in Deutschland (Nr. 80160) (Cotyp), im GeoForschungsZentrum Potsdam sowie in der Systematic Reference Series of the National Mineral Collection of Canada, Geological Survey of Canada in Ottawa, aufbewahrt.[4]

Klassifikation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der mittlerweile veralteten, aber noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Tischendorfit zur Mineralklasse der „Sulfide und Sulfosalze“ und dort zur Abteilung der „Legierungen und legierungsartigen Verbindungen“, wo er zusammen mit Chrisstanleyit, Jagüéit, Luberoit, Oosterboschit und Vasilit eine eigenständige Gruppe mit der System-Nr. II/A.06 bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Tischendorfit ebenfalls in die Klasse der „Sulfide und Sulfosalze“ und dort in die Abteilung der „Metallsulfide, M : S > 1 : 1 (hauptsächlich 2 : 1)“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach den in der Verbindung vorherrschenden Metallen, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „mit Rhodium (Rh), Palladium (Pd), Platin (Pt) usw.“ zu finden ist, wo es als einziges Mitglied die unbenannte Gruppe 2.BC.65 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Tischendorfit in die Klasse der „Sulfide und Sulfosalze“ und dort in die Abteilung der „Sulfidminerale“ ein. Hier ist er als einziges Mitglied in der unbenannten Gruppe 02.07.06 innerhalb der Unterabteilung „Sulfide – einschließlich Seleniden und Telluriden – mit der Zusammensetzung AmBnXp, mit (m+n) : p = 9 : 8“ zu finden.

Kristallstruktur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tischendorfit kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem in der Raumgruppe Pmmn (Raumgruppen-Nr. 59)Vorlage:Raumgruppe/59 oder Raumgruppe Pmn21 (Raumgruppen-Nr. 31)Vorlage:Raumgruppe/31 mit den Gitterparametern a = 7,219 Å; b = 16,782 Å; c = 6,467 Å und β = 100,07°; sowie zwei Formeleinheiten pro Elementarzelle.[4]

In der Kristallstruktur des Tischendorfits gibt es drei unabhängige Pd-, zwei unabhängige Hg- und vier unabhängige Se-Positionen. Tischendorfit kristallisiert in einer Gerüststruktur, in der Pd-Atome zwei Arten der Koordination durch Se-Atome aufweisen: planare [PdSe4]-Quadrate und [PdSe5]-Pyramiden. Die [PdSe5]-Pyramide weist zwei gegenüberliegende Se-Se-Kanten mit benachbarten Pyramiden auf und bildet linear isolierte Ketten entlang der a-Achse, während die [PdSe4]-Quadrate Paare über eine gemeinsame Se-Se-Kante bilden. Die Quadrat-Paare und Ketten von Pyramiden bilden charakteristische Platten parallel zu (010). Beide Plattentypen alternieren in Richtung der b-Achse [010]. Die Hg-Atome besetzen die durch Se-Atome gebildeten antikubooktaedrischen Hohlräume. Die Kristallstruktur wird durch ein System von Pd-Hg- und Pd-Pd-Metallbindungen stabilisiert.[5]

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Morphologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tischendorfit findet sich nie in deutlichen Kristallen, sondern ausschließlich in Form von xenomorphen bis subidiomorphen Körnern bis zu hundert Mikrometern Größe, die Verwachsungen mit anderen Seleniden in Aggregaten bis zu mehreren hundert Mikrometern Größe bilden. Die von Tiemannit dominierten Selenide der Typstufe zeigen eine traubige Ausbildung, was auf eine mögliche Entstehung aus einem Gel deutet.[4]

Physikalische und chemische Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Farbe der Aggregate des Tischendorfits im Handstück ist aufgrund der Kleinheit der Aggregate nicht bestimmbar. Die Strichfarbe des opaken, metallglänzenden Tischendorfits wird als schwarz beschrieben. Tischendorfit ist spröde und weist einen unebenen Bruch auf. Die berechnete Dichte des Minerals liegt bei 9,13 g/cm3.

Im reflektierten Licht (Anschliff) ist Tischendorfit creme- bis leicht beigefarben, zeigt eine schwache Bireflektanz, keinen Pleochroismus und keine Innenreflexe. Bei gekreuzten Polaren zeigt das Mineral eine schwache Anisotropie mit schwachen bis moderaten Rotationsfarben in Schattierungen von stahlblau bis grünlichbraun. In Öl tritt nur eine leichte Verstärkung der Rotationsfarben auf.[4]

Bildung und Fundorte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tischendorfit findet sich auf hydrothermalen, niedrigtemperierten, selenreichen Erzgängen. Er ist vergesellschaftet mit Tiemannit, Clausthalit, Chrisstanleyit, Stibiopalladinit und Gold in einer Matrix aus Calcit und Ankerit.[4]

Das Mineral konnte bisher (Stand 2016) nur an seiner Typlokalität, dem „Eskaborner Stollen“ (60-m-Sohle, 5 m nördlich vom Blindschacht IV) bei Tilkerode, Harz, Sachsen-Anhalt, Deutschland nachgewiesen werden.[4]

Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tischendorfit mit Endgliedzusammensetzung Pd8Hg3Se9 besteht zu etwa 39 % aus Palladium, zu etwa 28 % aus Quecksilber und zu etwa 33 % aus Selen.[4] Aufgrund seiner Seltenheit ist Tischendorfit als Rohstoff für diese Elemente jedoch technisch völlig unbedeutend.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Chris J. Stanley, Alan J. Criddle, Hans-Jürgen Förster, Andrew C. Roberts: Tischendorfite, ideally Pd8Hg3Se9, a new mineral species from Tilkerode, Harz Mountains, Germany. In: The Canadian Mineralogist. Band 40, Nr. 2, 2002, S. 739–745, doi:10.2113/gscanmin.40.2.739 (englisch, rruff.info [PDF; 180 kB; abgerufen am 9. Juni 2020]).
  • Tischendorfite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (handbookofmineralogy.org [PDF; 95 kB; abgerufen am 15. Juni 2020]).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: January 2023. (PDF; 3,7 MB) In: cnmnc.main.jp. IMA/CNMNC, Marco Pasero, Januar 2023, abgerufen am 26. Januar 2023 (englisch).
  2. Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 320 kB; abgerufen am 5. Januar 2023]).
  3. Bernhard Pracejus: The ore minerals under the microscope, An optical guide. 2. Auflage. Elsevier, Amsterdam 2015, ISBN 978-0-444-62725-4, S. 180–181 (englisch).
  4. a b c d e f g h i j k l m n o Chris J. Stanley, Alan J. Criddle, Hans-Jürgen Förster, Andrew C. Roberts: Tischendorfite, ideally Pd8Hg3Se9, a new mineral species from Tilkerode, Harz Mountains, Germany. In: The Canadian Mineralogist. Band 40, Nr. 2, 2002, S. 739–745, doi:10.2113/gscanmin.40.2.739 (englisch, rruff.info [PDF; 180 kB; abgerufen am 9. Juni 2020]).
  5. František Laufek, Anna Vymazalová, Milan Drábek, Jiří Navrátil, Jan Drahokoupil: Synthesis and crystal structure of tischendorfite, Pd8Hg3Se9. In: The Canadian Mineralogist. Band 26, Nr. 1, 2014, S. 157–162, doi:10.1127/0935-1221/2013/0025-2345 (englisch).