Tschirnhaus-Transformation

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Eine Tschirnhaus-Transformation (auch Tschirnhausen-Transformation) ist eine Variablentransformation, die es ermöglicht, algebraische Gleichungen höheren Grades zu vereinfachen.

Die Methode wurde von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus 1683 in den Acta Eruditorum erstmals veröffentlicht.[1]

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Gleichung -ten Grades

,

wird durch eine Variablentransformation der Form[2]

auf die Form

gebracht.

Ziel ist es, die Koeffizienten so geschickt auszuwählen, dass einige der Koeffizienten verschwinden, das heißt gleich 0 sind.

Berechnung der transformierten Gleichung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bestimmung der Koeffizienten der transformierten Gleichung ist allgemein möglich, weil die Koeffizienten symmetrische Funktionen in den Lösungen der Gleichung sind. Daher können die Koeffizienten polynomial durch die elementarsymmetrischen Funktionen in diesen Lösungen ausgedrückt werden.

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lineare Tschirnhaus-Transformation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schon vor Tschirnhaus war bekannt, dass sich die allgemeine kubische Gleichung durch eine lineare Transformation der Variablen auf eine Normalform ohne quadratischen Term reduzieren lässt (siehe Kubische Gleichung).

Analog kann bei jeder Gleichung -ten Grades der Koeffizient der zweithöchsten Potenz, also , durch eine lineare Transformation zum Verschwinden gebracht werden.

Quadratische Tschirnhaus-Transformation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tschirnhaus zeigte, dass eine kubische Gleichung mittels einer quadratischen Transformation auf eine Form gebracht werden kann.[3]

Tschirnhaus meinte daher, dass er damit eine allgemeine Lösungsmethode für alle algebraischen Gleichungen gefunden habe, wurde aber schon von Gottfried Wilhelm Leibniz eines Besseren belehrt. Solche Transformationen helfen nicht bei der Lösung von algebraischen Gleichungen höheren als vierten Grades. Der Grund liegt darin, dass man zwar durch Wahl der die Koeffizienten für zum Verschwinden bringen kann, dies jedoch auf ein kompliziertes System von Gleichungen unterschiedlichen Grades zur Bestimmung geeigneter Transformationskoeffizienten führt. Dabei entsteht am Ende eine Gleichung vom Grad (wie Bezout zeigte). Diese ist zwar für noch lösbar, wird aber sehr unhandlich für höhere .[4]

Allgemein kann man so in jeder algebraischen Gleichung -ten Grades die Koeffizienten zu den Potenzen und zum Verschwinden bringen (es sei ): Zunächst bringt man den Koeffizienten zur Potenz durch eine lineare Transformation zum Verschwinden und dann die Koeffizienten zu den Potenzen und durch eine quadratische Transformation. Zur Bestimmung geeigneter Transformationskoeffizienten muss ausgehend von den Gleichungskoeffizienten höchstens eine Quadratwurzel berechnet werden.[5]

Höhere Tschirnhaus-Transformationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Koeffizient zur Potenz (wobei sei) kann zusätzlich zum Verschwinden gebracht werden, wie zuerst Erland Samuel Bring (Lund, 1786) speziell für die Quintik zeigte. Sie lässt sich mit einer Tschirnhaus-Transformation vierten Grades auf die Form

bringen (Bring-Jerrard-Form), und George Jerrard wies 1834 allgemein für Polynomgleichungen höheren als dritten Grades nach, dass man durch eine Variablentransformation vierten Grades die Koeffizienten zu den Potenzen und zum Verschwinden bringen kann (dabei treten höchstens Kubikwurzeln und Quadratwurzeln in den Koeffizienten auf).[6]

Bei der Bestimmung der Koeffizienten der Transformation nutzt man aus, dass die Koeffizienten bzw. der beiden Gleichungen als elementarsymmetrische Funktionen durch die jeweiligen Wurzeln der Gleichungen gegeben sind. Die elementarsymmetrischen Funktionen stehen wiederum über die Newton-Identitäten mit den Potenzsummen der Wurzeln in Verbindung.

Abwandlungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Abwandlungen der Methode sind von Charles Hermite[7] und Arthur Cayley[8] untersucht worden[9] und Abhyankar betonte die Nützlichkeit der Betrachtungsweise von Tschirnhaus in der Theorie der Auflösung von Singularitäten.[10] und verwendet eine Verallgemeinerung der Transformation im Beweis des Satzes von Abhyankar und Moh.

William Rowan Hamilton zeigte im 19. Jahrhundert, dass sich die Wurzeln der Gleichung sechsten Grades durch die elementaren algebraischen Operationen und eine algebraische Funktion von zwei Variablen ausdrücken lassen. Beim Polynom siebten Grades war die Reduktion auf eine Funktion mit drei Variablen bekannt und das 13. Problem von Hilbert fragte nach der Auflösung der Wurzeln des Polynoms siebten Grades durch eine Funktion mit zwei Variablen statt mit drei. In der ursprünglichen Formulierung von Hilbert wurde nach einer stetigen Funktion gesucht, was aber durch Wladimir Arnold und Andrei Kolmogorow in den 1950er Jahren widerlegt wurde. Offen blieb die Lösung durch algebraische Funktionen. Hilbert kam auf die Darstellung der Lösung von Polynomen durch algebraische Operationen und algebraische Funktionen in mehreren Variablen 1927 zurück, als er zeigte, dass die Wurzeln eines Polynom neunten Grades mit geometrischen Methoden (kubische Flächen, die wie damals schon bekannt stets 27 Geraden enthalten) durch algebraische Operationen und algebraische Funktionen von mindestens vier Variablen dargestellt werden können. Die Minimalzahl der Variablen wird nach Richard Brauer, der die Reduktion von Polynomen durch verallgemeinerte Tschirnhaustransformationen 1975 untersuchte, als Resolvenzgrad bezeichnet. Die geometrische Methode wurde von Jesse Wolfson und Benson Farb auf Polynome höheren Grades erweitert, indem nach Geraden in den zugehörigen algebraischen Mannigfaltigkeiten mit der Dimension des Resolvenzgrads gesucht wird.[11][12][13] Der Resolvenzgrad ist nach ihnen ein Maß für die Komplexität eines Polynoms und die Eingrenzung bzw. Bestimmung des Resolvenzgrads eine Verallgemeinerung und Präzisierung von Hilberts 13. Problem.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. D. T.[schirnhaus]: Methodus auferendi omnes terminos intermedios ex data aequatione. [= Eine Methode zum Entfernen aller Zwischenterme aus einer gegebenen Gleichung.] In: Acta Eruditorum 2 (1683), S. 204–207.
  2. Allgemein kann sie auch angesetzt werden, mit Polynomen , , wobei und keine gemeinsamen Nullstellen haben
  3. Siehe Heinrich Weber Algebra, Band 1, Paragraph 59
  4. Diskussion der Methode z. B. in Jean-Pierre Tignol, Galois theory of algebraic equations, World Scientific 2001, S. 67
  5. Beschrieben z. B. in Leonard Dickson, Modern algebraic theories, New York: Sanborn, 1926 (Reprint Dover Phoenix 2004), § 117, oder Jörg Bewersdorff, Algebra für Einsteiger, Vieweg 2007, S. 97 f.
  6. Dickson, loc. cit., Paragraph 119, S. 212 f.
  7. Hermite Sur quelque théorèmes d’algébre et la résolution de l´équation du quatrième degrée, Comptes Rendus Hebdomadaires des Séances de l'Académie des Sciences, Band 46, 1859, S. 961–967 (online); siehe Weber, Lehrbuch der Algebra, Band 1, S. 240, Paragraph 74
  8. On Tschirnhausen's transformation, Philosophical Transactions of the Royal Society London, Band 152, 1862, S. 561–578 (JSTOR:108842)
  9. Siehe Webers Lehrbuch der Algebra
  10. Abhyankar Historical Ramblings in Algebraic Geometry and related algebra American Mathematical Monthly, Juni/Juli 1976, pdf
  11. Stephen Ornes, Hilberts 13. Problem, Spektrum, 11. Februar 2021
  12. Benson Farb, Jesse Wolfson, Resolvent degree, Hilbert's 13th Problem and geometry, 2018, Arxiv
  13. Jesse Wolfson, Tschirnhaus transformations after Hilbert, Arxiv