Versicherungsbetriebslehre

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Die Versicherungsbetriebslehre (auch: Versicherungsbetriebswirtschaftslehre) ist innerhalb der Betriebswirtschaftslehre eine spezielle Betriebslehre und befasst sich mit der Untersuchung des Versicherungswesens.

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sie ist also eine branchenspezifische Betriebswirtschaftslehre wie auch z. B. die Bankbetriebslehre im Kreditwesen. Sie ist zudem ein Teilgebiet der Versicherungswissenschaft, zu der neben der Versicherungsbetriebslehre auch die Versicherungsmathematik, das Versicherungsrecht und die Versicherungsmedizin gehören.

Lehr- und Forschungsgegenstand der Versicherungsbetriebslehre sind Versicherungsunternehmen, insbesondere die Typen der Versicherer, ihre angebotenen Versicherungsarten und der Versicherungsmarkt. Dazu gehören auch Fragen der gesetzlichen Regulierung und Versicherungsaufsicht über das Versicherungswesen, ferner Risikomanagement, Versicherungsvertrag, Versicherungsvermittlung, Produktgestaltung, Verbraucherschutz und die Abläufe beim Versicherungsvertrieb sowie – aktuell – die Wirkungen der Finanzkrisen auf die Kapitalanlagen der Versicherer.

Die Versicherungsökonomie hingegen untersucht die Nachfrage von Individuen und Unternehmen nach Versicherungsschutz und ihre Motive, einschließlich der Folgen asymmetrischer Informationsverteilung, dem moralischen Risiko, der Auswahl von Versicherungen, der Vertragsgestaltung sowie des Versicherungsbetrugs.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff „Versicherungs-Betriebslehre“ erschien erstmals 1914.[1] Der erste Lehrstuhl für Versicherungswissenschaft entstand in Deutschland 1919 an der Universität zu Köln, den Paul Moldenhauer übernahm. Dieser habilitierte sich in Köln 1901 in Versicherungsbetriebslehre.[2] Der „Deutsche Aktuarverein“ konstituierte sich 1935 in Berlin,[3] Erste systematische Überlegungen zum Versicherungsmarkt stellte Paul Braess 1938 an.[4] Am 6. November 1940 fand die Gründungsveranstaltung des Instituts für Versicherungswissenschaft der Universität zu Köln statt, dessen Leitung Walter Rohrbeck übernahm. Hans Möller entwickelte 1944 eine umfassende Theorie über die Konkurrenz im Versicherungswesen.[5]

Dieter Farny legte 1961 eine Studie zur Versicherungsmarkttheorie vor.[6] Er begrenzte 1988 den Begriffsinhalt der „Versicherungswirtschaftslehre“ auf alle mit Versicherung verbundenen Sachverhalte, soweit sie wirtschaftlicher Natur sind und mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden erfasst werden können.[7] Peter Koch verfasste einige Bücher über das Sachgebiet, von denen seine „Allgemeine Versicherungslehre“ und „Versicherungsbetriebslehre“ – zwischen 1967 und 1988 neunmal aufgelegt – herausragen und die Ausbildung ganzer Generationen von Versicherungsbetriebswirten prägten.[8]

Im Anschluss an einige klassische Definitionen des Versicherungsbegriffs von Alfred Manes (1930), Walter Rohrbeck (1939), Paul Braess (1960), Karl Hax (1964), Dieter Farny (1965) und Wolfgang Müller (1981) stellte Johann-Matthias Graf von der Schulenburg 2014 klar, dass Gleichartigkeit der Risiken, Risikoausgleich und Schätzbarkeit keine Voraussetzungen für eine Versicherung sind.[9] Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Versicherung werden durch die Untersuchung der Versicherbarkeit geklärt.

Kennzahlen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Versicherungsbetriebslehre hat betriebswirtschaftliche Kennzahlen zusammengestellt, die dem Management und der Öffentlichkeit einen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Versicherungsunternehmen geben und einen Betriebsvergleich ermöglichen. Zu erwähnen sind insbesondere die Schadenkennzahlen[10] der Schadenshäufigkeit, Schadensatz, Schadenquote oder Schaden-Kosten-Quote.

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In der Risikotheorie ist die Schadenshäufigkeit eine Schätzgröße für den Erwartungswert der Schadenzahlverteilung.
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Der Versicherungsschaden wird dabei definiert als Schadenszahlung aus einem Personen-, Sach- oder Vermögensschaden.
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Damit kann errechnet werden, ob die eingetretenen Schäden im angemessenen Verhältnis zu den Versicherungssummen standen. Geht man davon aus, dass die Versicherungssummen dem Versicherungswert entsprechen, so liegt tendenziell eine Überversicherung vor, wenn die Schäden deutlich niedriger als die Versicherungssummen sind. Anderenfalls ist eine Unterversicherung vorhanden, wenn die Schäden maximal 100 % der Versicherungssumme erreichen.

Studium[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

An den europäischen Universitäten wie auch in Deutschland begann der Aufbau der Versicherungsbetriebslehre überwiegend Anfang des 20. Jahrhunderts.[14] Bereits geben Ende des 19. Jahrhunderts existierten einzelne Einrichtungen in Form von Seminaren, Instituten und Lehrstühlen: Vorlesungen zur Versicherungslehre boten zu jener Zeit in Europa die Handelshochschule Kopenhagen und die Universitäten in München, Köln und St. Gallen.[15]

"Versicherungsbetriebslehre" ist heute häufig die Bezeichnung einer Einführungsveranstaltung in Versicherungsstudiengängen (z. B. einem Bachelorstudiengang Versicherungswirtschaft bzw. einem Masterstudiengang Versicherungsmanagement) oder Studiengängen mit versicherungsspezifischen Schwerpunkt an Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Dieter Farny, Versicherungsbetriebslehre, Verlag Versicherungswirtschaft, Karlsruhe 5. Aufl. 2011
  • Christian Führer, Arndt Grimmer, Versicherungsbetriebslehre, Kiehl Verlag 2008, ISBN 978-3470584218
  • Hanspeter Gondring, Versicherungswirtschaft – Handbuch für Studium und Praxis, Vahlen Verlag, München 2015, ISBN 978-3-8006-4926-6
  • Markus Rosenbaum, Fred Wagner, Versicherungsbetriebslehre. Grundlegende Qualifikationen, Hrsg. Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft, Verlag Versicherungswirtschaft, ISBN 978-3-89952-238-9

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Hans Hilbert, Technik des Versicherungswesens (Versicherungs-Betriebslehre), 1914, S. 1 ff.
  2. Hanspeter Gondring, Versicherungswirtschaft - Handbuch für Studium und Praxis, 2015, S. 19
  3. Peter Koch, Geschichte der Versicherungswissenschaft in Deutschland, 1998, S. 184
  4. Paul Braess, Angebot und Nachfrage in der Versicherung: Ein theoretischer Beitrag zur Frage der Versicherungs-Preisbildung, in: Wirtschaft und Recht der Versicherung, 1938, S. 29
  5. Hans Möller, Das Konkurrenzsystem im Versicherungswesen, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1944, S. 1 ff.
  6. Dieter Farny, Die Versicherungsmärkte – Eine Studie über die Versicherungsmarkttheorie, 1961, S. 1 ff.
  7. Dieter Farny, Versicherungswirtschaftslehre, in: Dieter Farny/Elmar Helten/Peter Koch/Reimer Schmidt (Hrsg.), Handwörterbuch der Versicherung, 1988, S. 1239; ISBN 978-3884871621
  8. Peter Koch/Heinz Leo Muller-Lutz: Versicherungslehre Teil 1: Allgemeine Versicherungslehre. 1967-1979, 12.-18. Auflage. Verlag Dr. Max Gehlen, Bad Homburg v. d. H.
  9. Johann-Matthias Graf von der Schulenburg/Ute Lohse, Versicherungsökonomik: Ein Leitfaden für Studium und Praxis, 2014, S. 34 ff.
  10. Friedrich Rosenkranz/Magdalena Missler-Behr, Unternehmensrisiken erkennen und managen, 2005, S. 157
  11. Peter Koch, Gabler Versicherungs-Lexikon, 1994, S. 746
  12. Friedrich Rosenkranz/Magdalena Missler-Behr, Unternehmensrisiken erkennen und managen, 2005, S. 157
  13. Peter Koch, Gabler Versicherungs-Lexikon, 1994, S. 193
  14. Vgl. Hanspeter Gondring, Versicherungswirtschaft - Handbuch für Studium und Praxis, 2015, S. 16
  15. Vgl. Hanspeter Gondring, Versicherungswirtschaft - Handbuch für Studium und Praxis, 2015, S. 16