Weizenhalmfaser

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Weizenhalmfaser (auch Weizenfaser) bezeichnet die Fasern aus dem Halm des Weizens. Sie enthalten hauptsächlich die pflanzlichen Polysacchariden Cellulose und Hemicellulose, die in der Natur sehr häufig vorkommende Biopolymere sind.

Chemischer Aufbau[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Weizenhalmfaser besteht zu mehr als 95 % aus Cellulosen und Hemicellulosen. Bei den Hemicellulosen handelt es sich größtenteils um Arabinoxylane. Beide Bestandteile zählen zu den Polysacchariden, die sich aus mehreren über glykosidische Bindungen miteinander verknüpften Monomeren zusammensetzen. Als ursprüngliche Stützelemente der pflanzlichen Zellwand weisen die beiden Kohlenhydratpolymere Kettenlängen von über 1.000 Monomeren auf was zu ihrer Wasserunlöslichkeit beiträgt. Die Weizenhalmfaser wird aus dem Halm der Pflanze gewonnen und enthält deshalb weder Gluten noch Stärke, die typischerweise im Weizenkorn enthalten sind.

Gewinnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Weizenhalmfaser wird als Koppelnutzung aus den Halmen der geernteten Weizenpflanzen extrahiert, die bei der Gewinnung des Weizenkorns als Nebenproduktstrom anfallen. Der Weizenhalm ist aufgrund hoher Stabilitätsanforderungen besonders reich an den strukturgebenden Substanzen Cellulose und Hemicellulose. Ziel der Verarbeitung ist insbesondere die Entfernung des in der Zellwand eingelagerten Lignins zur Konzentration der Polysaccharide und Steigerung ihrer Abbaubarkeit durch die Darmflora. Durch die Entfernung übriger organischer Verbindungen entsteht ein nahezu geschmacks-, farb- und geruchsneutrales Produkt.

Nach der Auswahl, Säuberung und Sortierung des Rohmaterials erfolgt ein chemischer Aufschluss der Weizenhalmstruktur in alkalischer Lösung zur Herauslösung des Ligninanteils. Danach erfolgt die Waschung des Extrakts zur Entfernung des herausgelösten Lignins sowie per se wasserlöslicher Substanzen und die Aufreinigung der Fasern in phasenweisem sauren oder alkalischen Milieu. Anschließend wird eine mechanische Entwässerung der Fasern mit anschließender Heißlufttrocknung durchgeführt. Das Produkt wird vermahlen und verpackt.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weizen stellt neben Mais und Reis eines der drei wichtigsten Getreide weltweit dar.[1] Angebaut wird er in erster Linie wegen des Kornertrags. Das als landwirtschaftliches Nebenprodukt anfallende Stroh wurde lange Zeit lediglich zur Gründüngung oder als Tiereinstreu verwendet. Mit zunehmender Erkenntnis über die Wichtigkeit von Ballaststoffen in der menschlichen Ernährung entstand die Idee zur Nutzbarmachung der nutritiven Bestandteile des Weizenhalms in Form der Weizenhalmfaser. Sie wird seit Beginn der 1990er Jahre hergestellt und seither in Lebensmitteln zur Ballaststoffanreicherung eingesetzt. Traditionell wird sie als Weizenfaser bezeichnet. Um den neusten lebensmittelrechtlichen Anforderungen (Lebensmittelrechtliche Einordnung) gerecht zu werden, wird die Bezeichnung Weizenhalmfaser im Zutatenverzeichnis empfohlen. Einer der größten Produktionsstandorte in Europa für Nahrungsfasern, im Speziellen der Weizenhalmfaser, befindet sich heutzutage in Ungarn (Dunaújváros). Die Region südlich von Budapest bietet sich dafür an, da dort große Mengen Weizen angebaut werden.

Verwendung in Lebensmitteln[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ballaststoffkonzentrate wie die Weizenhalmfaser werden zur Anreicherung von Lebensmitteln verwendet. Dadurch kann Ballaststoffmangel entgegengewirkt werden, der oft durch die heutzutage typisch westliche Ernährungsweise entsteht, bei der zu wenig von Natur aus ballaststoffreiche Lebensmittel gegessen werden.[2] In Deutschland empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung eine Zufuhr in Höhe von 30 g pro Tag.[3] Weltweit liegt die durchschnittliche Ballaststoffzufuhr in etwa bei 12 g pro Tag.[4] Mit Hilfe der Ballaststoffkonzentrate ist neben der Ballaststoffanreicherung auch die Senkung nutritiv ungünstiger Nährstoffe wie Fett, gesättigte Fettsäuren und Zucker möglich. Sensorische Eigenschaften wie der Geschmack, die Textur oder das Mundgefühl der Produkte, wodurch die Verbraucherakzeptanz beeinträchtigt werden könnte, bleiben durch Einsatz der Weizenhalmfaser weitestgehend unbeeinflusst, sodass der arttypische Charakter der Lebensmittel erhalten bleibt. Die Darmverträglichkeit der Weizenhalmfaser ist sehr hoch, was ihre Anreicherung in Lebensmitteln in unbegrenzter Höhe möglich macht.[5][6] Damit bietet die Weizenhalmfaser eine Lösung zur Unterstützung der momentan von Public Health und politischer Seite geförderten und geforderten Reformulierungsstrategie.[7][8] Forschung und Entwicklung zum Einsatz von Ballaststoffen zur Verbesserung von Convenience Produkten wird seit 2015 auch im Rahmen der vier durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Cluster der Ernährungsforschung betrieben.[9]

Ernährungsphysiologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch Wasserbindung und Nichtabbbaubarkeit tragen Ballaststoffe zu einer regelmäßigen Verdauung bei. Der Einfluss der Weizenhalmfaser auf charakteristische Parameter der Darmgesundheit wie die Stuhlfrequenz oder das Stuhlgewicht wurde bereits mehrfach untersucht und belegt (6, 7). Studien fanden einen steigernden Effekt auf die Insulinsensitivität, wodurch die insulinabhängige Glukoseaufnahme insbesondere in die Muskelzellen positiv beeinflusst wird und sich Blutzuckerspiegel schneller wieder normalisieren (14–18). Der Effekt durch unlösliche Getreideballaststoffe tritt verstärkt bei Menschen mit bereits gestörter Glukosetoleranz auf. Wissenschaftliche Beobachtungen zeigen, dass in der Folge die Entstehung von Diabetes verringert werden kann (19, 20). Untersuchungen deuten auf einen positiven Effekt der Weizenhalmfaser auf die Zusammensetzung der Darmmikrobiota hin (21).

Lebensmittelrechtliche Einordnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung (22) werden drei verschiedene Ballaststoffgruppen definiert. Allen gemeinsam ist die Unverdaulichkeit im menschlichen Dünndarm aufgrund mangelnder Enzymausstattung. Mangels Cellulasen können Menschen Cellulose nicht selbst abbauen. Unterschieden wird zwischen natürlich enthaltenen, extrahierten und synthetisch hergestellten Ballaststoffen. Nach der Health Claims-Verordnung müssen gesundheitsbezogene Aussagen wissenschaftlich nachgewiesen werden. Die Weizenhalmfaser war bereits vor 1997 umfangreich in Lebensmitteln auf dem EU Markt verfügbar und fällt somit auch nicht unter die Regelung der Novel Food Verordnung. Seit 1992 hat sich die verkehrsübliche Bezeichnung Weizenfaser unter den aktiven Marktteilnehmern etabliert. Alternativ kann die beschreibende Bezeichnung Weizenhalmfaser gewählt werden, die ergänzend das pflanzliche Ausgangsmaterial benennt (22). Da der Rohstoff Weizen zu den allergenhaltigen Getreiden zählt, muss die Weizenhalmfaser entsprechend der Vorschriften zur Allergenkennzeichnung als solches in der Zutatenliste gekennzeichnet werden, auch wenn die Weizenhalmfaser nachweislich glutenfrei ist (22).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • DP Burkitt, HC Trowell: Dietary fibre and western diseases. In: Irish Medical Journal. Band 70, Nr. 9, 1977, S. 272–277 (englisch).
  • Dietary fibre and incidence of type 2 diabetes in eight European countries: the EPIC-InterAct Study and a meta-analysis of prospective studies. In: Diabetologia. Band 58, Nr. 7, 2015, S. 1394–1408, doi:10.1007/s00125-015-3585-9 (englisch).
  • F. Isken, S. Klaus, M. Osterhoff, AFH Pfeiffer, MO. Weickert: Effects of long-term soluble vs. insoluble dietary fiber intake on high-fat diet-induced obesity in C57BL/6J mice. In: The Journal of Nutritional Biochemistry. Band 21, Nr. 4, 2010, S. 278–284, doi:10.1016/j.jnutbio.2008.12.012 (englisch).
  • MO. Weickert, M. Mohlig, C. Koebnick, JJ. Holst, P. Namsolleck, M. Ristow, et al.: Impact of cereal fibre on glucose-regulating factors. In: Diabetologia. Band 48, Nr. 11, 2005, S. 2343–2353, doi:10.1007/s00125-005-1941-x (englisch).
  • MO. Weickert, M. Mohlig, C. Schofl, AM. Arafat, B. Otto, H. Viehoff, et al.: Cereal Fiber Improves Whole-Body Insulin Sensitivity in Overweight and Obese Women. In: Diabetes Care. Band 29, Nr. 4, 2006, S. 775–780, doi:10.2337/diacare.29.04.06.dc05-2374 (englisch).
  • MO Weickert, AFH. Pfeiffer: Impact of Dietary Fiber Consumption on Insulin Resistance and the Prevention of Type 2 Diabetes. In: The Journal of Nutrition. Band 148, Nr. 1, 2018, S. 7–12, doi:10.1093/jn/nxx008 (englisch).
  • MO. Weickert, M. Roden, F. Isken, D. Hoffmann, P. Nowotny, M. Osterhoff, et al.: Effects of supplemented isoenergetic diets differing in cereal fiber and protein content on insulin sensitivity in overweight humans. In: The American Journal of Clinical Nutrition. Band 94, Nr. 2, 2011, S. 459–471, doi:10.3945/ajcn.110.004374 (englisch).
  • Kabisch, Meyer, Honsek, Gerbracht, Dambeck, Kemper et al.: Fasting Glucose State Determines Metabolic Response to Supplementation with Insoluble Cereal Fibre: A Secondary Analysis of the Optimal Fibre Trial (OptiFiT). In: Nutrients. Band 11, Nr. 10, 2019, S. 2385, doi:10.3390/nu11102385 (englisch).
  • C. Honsek, S. Kabisch, M. Kemper, C. Gerbracht, AM. Arafat, AL. Birkenfeld, et al.: Fibre supplementation for the prevention of type 2 diabetes and improvement of glucose metabolism: the randomised controlled Optimal Fibre Trial (OptiFiT). In: Diabetologia. Band 61, Nr. 6, 2018, S. 1295–130, doi:10.1007/s00125-018-4582-6 (englisch).
  • A. Steimle, M. Neumann, ET. Grant, JD. Turner, MS. Desai: Concentrated Raw Fibers Enhance the Fiber-Degrading Capacity of a Synthetic Human Gut Microbiome. In: IJMS. Band 22, Nr. 13, 2021, S. 6855, doi:10.3390/ijms22136855 (englisch).
  • Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel. In: Amtsblatt der Europäischen Union. L. Nr. 304, 22. November 2011, S. 18–63.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. FAO: Produktionsstatistik der FAO: Crops; 2019 [Stand: 6. Juli 2021].
  2. Kassem Makki, Edward C. Deehan, Jens Walter, Fredrik Bäckhed: The Impact of Dietary Fiber on Gut Microbiota in Host Health and Disease. In: Cell Host & Microbe. 23, 2018, S. 705, doi:10.1016/j.chom.2018.05.012.
  3. Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Referenzwerte Kohlenhydrate, Ballaststoffe; 2000.
  4. Ashkan Afshin, Patrick John Sur, Kairsten A. Fay, Leslie Cornaby, Giannina Ferrara, Joseph S Salama, Erin C Mullany, Kalkidan Hassen Abate, Cristiana Abbafati, Zegeye Abebe, Mohsen Afarideh, Anju Aggarwal, Sutapa Agrawal, Tomi Akinyemiju, Fares Alahdab, Umar Bacha, Victoria F Bachman, Hamid Badali, Alaa Badawi, Isabela M Bensenor, Eduardo Bernabe, Sibhatu Kassa K Biadgilign, Stan H Biryukov, Leah E Cahill, Juan J Carrero, Kelly M. Cercy, Lalit Dandona, Rakhi Dandona, Anh Kim Dang, Meaza Girma Degefa, Maysaa El Sayed Zaki, Alireza Esteghamati, Sadaf Esteghamati, Jessica Fanzo, Carla Sofia e Sá Farinha, Maryam S Farvid, Farshad Farzadfar, Valery L. Feigin, Joao C Fernandes, Luisa Sorio Flor, Nataliya A. Foigt, Mohammad H Forouzanfar, Morsaleh Ganji, Johanna M. Geleijnse, Richard F Gillum, Alessandra C Goulart, Giuseppe Grosso, Idris Guessous, Samer Hamidi, Graeme J. Hankey, Sivadasanpillai Harikrishnan, Hamid Yimam Hassen, Simon I. Hay, Chi Linh Hoang, Masako Horino, Nayu Ikeda, Farhad Islami, Maria D. Jackson, Spencer L. James, Lars Johansson, Jost B. Jonas, Amir Kasaeian, Yousef Saleh Khader, Ibrahim A. Khalil, Young-Ho Khang, Ruth W Kimokoti, Yoshihiro Kokubo, G Anil Kumar, Tea Lallukka, Alan D Lopez, Stefan Lorkowski, Paulo A. Lotufo, Rafael Lozano, Reza Malekzadeh, Winfried März, Toni Meier, Yohannes A Melaku, Walter Mendoza, Gert B.M. Mensink, Renata Micha, Ted R Miller, Mojde Mirarefin, Viswanathan Mohan, Ali H Mokdad, Dariush Mozaffarian, Gabriele Nagel, Mohsen Naghavi, Cuong Tat Nguyen, Molly R Nixon, Kanyin L Ong, David M. Pereira, Hossein Poustchi, Mostafa Qorbani, Rajesh Kumar Rai, Christian Razo-García, Colin D Rehm, Juan A Rivera, Sonia Rodríguez-Ramírez, Gholamreza Roshandel, Gregory A Roth, Juan Sanabria, Tania G Sánchez-Pimienta, Benn Sartorius, Josef Schmidhuber, Aletta Elisabeth Schutte, Sadaf G. Sepanlou, Min-Jeong Shin, Reed J.D. Sorensen, Marco Springmann, Lucjan Szponar, Andrew L Thorne-Lyman, Amanda G Thrift, Mathilde Touvier, Bach Xuan Tran, Stefanos Tyrovolas, Kingsley Nnanna Ukwaja, Irfan Ullah, Olalekan A Uthman, Masoud Vaezghasemi, Tommi Juhani Vasankari, Stein Emil Vollset, Theo Vos, Giang Thu Vu, Linh Gia Vu, Elisabete Weiderpass, Andrea Werdecker, Tissa Wijeratne, Walter C Willett, Jason H Wu, Gelin Xu, Naohiro Yonemoto, Chuanhua Yu, Christopher J L Murray: Health effects of dietary risks in 195 countries, 1990–2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. In: The Lancet. 393, 2019, S. 1958, doi:10.1016/S0140-6736(19)30041-8.
  5. Beate Brandl, Yu-Mi Lee, Andreas Dunkel, Thomas Hofmann, Hans Hauner, Thomas Skurk: Effects of Extrinsic Wheat Fiber Supplementation on Fecal Weight; A Randomized Controlled Trial. In: Nutrients. 12, 2020, S. 298, doi:10.3390/nu12020298.
  6. Nicole de Wit, Diederik Esser, Els Siebelink, Anne Fischer, Juergen Sieg, Jurriaan Mes: Extrinsic wheat fibre consumption enhances faecal bulk and stool frequency; a randomized controlled trial. In: Food & Function. 10, 2019, S. 646, doi:10.1039/c8fo01649f.
  7. Farm to Fork Strategy: For a fair, healthy and environmentally-friendly food system; 2020.
  8. Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten: Zwischenbericht; 2020.
  9. R. Rennekamp, B. Brandl, P. Giesbertz, T. Skurk, H. Hauner: Metabolic and satiating effects and consumer acceptance of a fibre-enriched Leberkas meal: a randomized cross-over trial. In: European Journal of Nutrition. Band 60, Nummer 6, September 2021, S. 3203–3210, doi:10.1007/s00394-020-02472-1, PMID 33555374.