Zuckerfabrik Weetzen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Die ehemalige Zuckerfabrik an den Gleisen der S-Bahn-Linie HannoverPaderborn, 2017

Die Zuckerfabrik Weetzen war eine im 19. Jahrhundert in Weetzen errichtete Produktionsstätte[1] für Weißzucker[2] und Standort der ersten Siloanlage zur Zuckerherstellung in Deutschland.[3] Nach der Rübenkampagne 1986 erfolgte die Stilllegung und nach jahrzehntelanger Inaktivität wurden die Werksgebäude bis 2021 abgerissen.

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die drei 40 Meter hohen Silotürme, 2019

Die Gründung der „Actien-Zuckerfabrik Weetzen“ wurde am 30. Juli 1882 beschlossen. Der Beginn der ersten Rübenkampagne war am 8. November 1883.[4] Ähnlich wie andere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründete Zuckerfabriken im ehemaligen Landkreis Hannover wurde auch das Zuckerwerk in Weetzen von Bauern des Gebietes als Aktiengesellschaft (AG) mit vinkulierten Namensaktien ins Leben gerufen. Damit leiteten die Produzenten des Rohstoffes Zuckerrübe einerseits weitgehend die Industrialisierung des von ihnen geprägten ländlichen Raumes ein. Andererseits verwalteten die Aktionäre nicht nur ihre eigene Fabrik, sondern konnten zugleich auch Stellen in der deutschen Zuckerindustrie an verantwortlicher Stelle besetzen.[2]

Die Landwirte als Gesellschafter der AG ließen in Weetzen die erste Zuckersiloanlage in Deutschland errichten.[3] Das Werk, in dem während der Kampagne, die jeweils zur Zeit der Rübenernte im Herbst stattfand, bis zu 3000 Tagestonnen (tato) Zuckerrüben verarbeitet wurden,[2] zählte zeitweilig zu den modernsten Betrieben im Land.[3]

30 Mitarbeiter waren ständig im Betrieb tätig. Zusätzlich wurden im Herbst viele Saisonarbeiter benötigt, die zum Teil aus dem strukturschwachen Eichsfeld, vor allem aber aus dem Warthegau und dem oberschlesischen Industriegebiet kamen.[5] In der Zeit des Nationalsozialismus waren etwa 60 polnische Zwangsarbeiter anwesend. Sie wohnten auf dem Gelände der Zuckerfabrik in einem Arbeiterlager in werkseigenen Baracken. Teilweise waren sie bereits 1940 nach Weetzen gekommen. Sie gehörten zu den 400.000 polnischen Soldaten, die 1939 nach dem deutschen Überfall auf Polen in Kriegsgefangenschaft geraten waren und denen Deutschland den Schutz des Kriegsvölkerrechtes verweigerte. Zunächst hatten sie in einem Lager an der Hauptstraße gelebt. Außerdem kamen in den Monaten der Rübenkampagne jeweils einige hundert Ausländer, außer Fremdarbeitern auch zivile Zwangsarbeiter, die aus den okkupierten Gebieten der Sowjetunion sowie aus Polen, Ungarn, Belgien und den Niederlanden stammten.[6]

Der ertragreiche Zuckerrübenanbau brachte die Bauern zu Wohlstand. So wurden in den Dörfern die alten Hallenhäuser, die dem Bedarf nicht mehr genügten, abgerissen und durch so genannte Rübenburgen ersetzt. Dies sind Dreiseithofanlagen, in denen Wohnhaus, Ställe und Speicher je ein Gebäude belegten. Der Gesamtkomplex wurde mit einer Naturstein- oder Ziegelmauer umgeben.[7]

Ähnlich wie in anderen Zuckerfabriken der späteren Region Hannover ist auch in der Weetzer Fabrik eine eigene Kraftwerks-Anlage installiert worden, in der der für die Produktion notwendige Prozessdampf hergestellt wurde. Noch vor seiner Verwendung in der unmittelbaren Zuckerproduktion wurde der Dampf zunächst über Turbogeneratoren geschickt, mit denen die Landwirte während der Kampagne nicht nur zu Selbstversorgern mit der benötigten Elektrizität wurden, sondern darüber hinaus sogar elektrischen Strom in das öffentliche Netz einspeisen konnten.[2]

Die Trocknung auf dem Fabrikgelände war eine technische Anlage, durch die die nach dem Auslaugen verbliebenen Zuckerrüben-„Schnitzel“ durch Wasserentzug noch als hochwertiges Viehfutter Verwendung finden konnten.[2]

Die während der Kampagne anfallenden Abwässer wurden in einer eigenen Kläranlage zunächst mechanisch gereinigt und dann biologisch aufbereitet, um sie anschließend in einen Vorfluter abzuleiten.[2]

Stilllegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sprengung des vorletzten und des letzten Siloturms, 2021

Seit 1969[1] war das Werk im späteren Ronnenberger Stadtteil Weetzen neben der Zuckerfabrik Rethen eines der beiden Werke der Hannoversche Zucker AG Rethen-Weetzen mit Sitz in Laatzen.[2] 1986 kam die Fusion mit der Zuckerfabrik Lehrte. In Weetzen fand im Herbst 1986 die letzte Rübenkampagne statt.[8] Die stillgelegte Zuckerfabrik Weetzen bildete mehr als drei Jahrzehnte lang bis zum 2019 begonnenen Abriss eine Industriebrache.[9] Mitte 2021 wurde der 40 Meter hohe Schornstein gesprengt.[10] Ende 2021 folgten Sprengungen der drei 40 Meter hohen Silotürme für Zucker,[11][12][13][14] obwohl sie ursprünglich ohne Sprengung abgetragen werden sollten.[15] Nach dem Abriss der Werksgebäude der früheren Zuckerfabrik gibt es Pläne, dort Häuser und Wohnungen zu bauen.[16]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hannoversche Zucker-Aktiengesellschaft Rethen-Weetzen. 100 Jahre Zuckerfabrik Rethen 1876–1976, Rethen/Leine: Hannoversche Zucker AG Rethen-Weetzen, 1976
  • Zucker aus Weetzen. Eine Schrift zum 100jährigen Bestehen der Zuckerfabrik. 1882–1982, Hrsg. von der Hannoverschen Zucker-Aktiengesellschaft, Wunstorf, 1982
  • Peter Hertel u. a. (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt, Ronnenberg 2010. ISBN 978-3-00-030253-4

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Zuckerfabrik Weetzen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Albert Gieseler: Aktien-Zuckerfabrik Weetzen auf der Seite albert-gieseler.de zum Einsatz der frühen Kraft- und Dampfmaschinen
  2. a b c d e f g o. V.: Die Zuckerindustrie im Landkreis Hannover, in Edfried Bühler, Herbert Droste, Hans Georg Gmelin, Hans-Günter Peters, Horst Rode, Waldemar R. Röhrbein, Diedrich Saalfeld: Heimatchronik des Landkreises Hannover ( = Heimatchroniken der Städte und Kreise des Bundesgebietes, Band 49, 1. Auflage), Köln: Archiv für Deutsche Heimatpflege GmbH, 1980, S. 408–412
  3. a b c Heinz Lauenroth (Hrsg.): Zuckerfabrik Weetzen, in ders.: Hannover. Gesicht einer lebendigen Stadt, Hannover; Berlin: Verlag Dr. Buhrbanck & Co. KG, 1955, S. 218, 228
  4. Hans-Hermann Fricke: Zuckerproduktion in Weetzen. In: Peter Hertel u. a. (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. Ronnenberg 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 117.
  5. Hans-Hermann Fricke: Zuckerproduktion in Weetzen. In: Peter Hertel u. a. (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. Ronnenberg 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 118.
  6. Peter Hertel: Verwehende Spuren – Die Befreiung Weetzens und seiner Zwangsarbeiter. Hrsg.: Förderverein Erinnerungsarbeit Ronnenberg. Ronnenberg 2019, S. 12 f.
  7. Peter Simon: Weetzen. In: Peter Hertel u. a. (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. Ronnenberg 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 351.
  8. Hans-Hermann Fricke: Zuckerproduktion in Weetzen. In: Peter Hertel u. a. (Hrsg.): Ronnenberg. Sieben Traditionen – Eine Stadt. Ronnenberg 2010, ISBN 978-3-00-030253-4, S. 121.
  9. Stephan Hartung: Was wird aus der alten Zuckerfabrik? in Hannoverschen Allgemeine Zeitung vom 20. August 2016
  10. Doppelter Knall: Schornstein der Zuckerfabrik in Weetzen gesprengt in Hannoverschen Allgemeine Zeitung vom 24. Juni 2021
  11. Erstes Silo an der ehemaligen Zuckerfabrik ist gesprengt bei Calenberger Online News vom 15. Dezember 2021
  12. Zweite Sprengung in Weetzen: Betonsilo fällt diesmal perfekt in Hannoverschen Allgemeine Zeitung vom 22. Dezember 2021
  13. Letztes Silo der ehemaligen Zuckerfabrik in Weetzen erfolgreich gesprengt bei Calenberger Online News vom 29. Dezember 2021
  14. Abrissfirma sprengt letzten Betonsilo der Zuckerfabrik in Weetzen in Hannoverschen Allgemeine Zeitung vom 29. Dezember 2021
  15. Uwe Kranz: Keine Sprengungen an der Zuckerfabrik in Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 20. November 2018
  16. Weetzens Wahrzeichen: Schornstein von Zuckerfabrik gesprengt bei ndr.de vom 24. Juni 2021

Koordinaten: 52° 17′ 33,7″ N, 9° 38′ 2,5″ O