Bis(trimethylsilyl)carbodiimid

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Strukturformel
Strukturformel von Bis(trimethylsilyl)cyanid
Allgemeines
Name Bis(trimethylsilyl)carbodiimid
Andere Namen
  • N,N′-Bis(trimethylsilyl)methandiimin
  • BTSC
  • BTSCD
Summenformel C7H18N2Si2
Kurzbeschreibung

farblose Flüssigkeit[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 1000-70-0
EG-Nummer 213-673-2
ECHA-InfoCard 100.012.430
PubChem 70473
Wikidata Q55646261
Eigenschaften
Molare Masse 186,40 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

0,8211 g·cm−3 bei 25 °C[2]

Schmelzpunkt

−24 °C bis −23 °C[2]

Siedepunkt

164 °C[2]

Löslichkeit

mischbar mit Diethylether, 1,4-Dioxan, Benzin, Benzol und Tetrachlormethan[2]

Brechungsindex

1,4251 (20 °C)[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 225​‐​302​‐​315​‐​319​‐​335
P: 210​‐​305+351+338[1]
Toxikologische Daten

1728 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Bis(trimethylsilyl)carbodiimid ist ein Carbodimid, bei dem beide Wasserstoffatome der instabilen Stammverbindung Carbodiimid HN=C=NH durch Trimethylsilylgruppen ersetzt sind. BTSC ist ein hochreaktives Äquivalent für Cyanamid und eignet sich zur Synthese von Wirk- und Farbstoffen, die eine Cyanimino-Gruppe =N-CN enthalten, zur einfachen Darstellung von Amidinen und von technischen Keramiken auf Basis von Siliciumnitriden.

Herstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Synthese von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid wurde erstmals 1962 aus dem Arbeitskreis von Ulrich Wannagat berichtet.[3][2] Mehrere Synthesevarianten wurden dabei bearbeitet, wie z. B.

  • Bis-trimethylsilyl-harnstoff + Natriumamid NaNH2 + Trimethylchlorsilan (Ausbeute 12 %)
  • Natrium-bis-trimethylsilyl-amid (Me3Si)2NNa + Phosgen COCl2 (Ausbeute 60 %)
  • Natrium-bis-trimethylsilyl-amid + Siliciumtetraisocyanat Si(NCO)4 (Ausbeute 20 %)

die teils gute Ausbeuten liefern, aber teure oder unangenehm zu handhabende Reagentien erfordern.

Eine weitere Variante – die Entschwefelung von Bis-trimethylsilyl-thioharnstoff mit Silber-imidazol – stellt mit 51 % Ausbeute keine Verbesserung dar, während aus Cyanamid und Trichlormethylsilan in Gegenwart von Triethylamin Bis(trimethylsilyl)carbodiimid in 81%iger Ausbeute erhalten wurde.[4]

Synthese von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid aus Cyanamid mit Trimethylchlorsilan
Synthese von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid aus Cyanamid mit Trimethylchlorsilan

Mit Trimethylsilylcyanid reagiert Cyanamid innerhalb einer Minute in 90%iger Ausbeute zu BTSC.[5]

Synthese von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid aus Cyanamid mit Trimethylsilylcyanid
Synthese von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid aus Cyanamid mit Trimethylsilylcyanid

Ein technisches Verfahren setzt Hexamethyldisilazan mit Cyanamid bei Raumtemperatur zu BTSC in 90%iger Ausbeute und hoher Reinheit (99,5 %) um und scheint die aussichtsreichste Synthesevariante zu sein.[6]

Synthese von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid aus Cyanamid mit Hexamethyldisilazan
Synthese von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid aus Cyanamid mit Hexamethyldisilazan

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis(trimethylsilyl)carbodiimid ist eine bei Raumtemperatur stabile, aber entzündliche, klare und farblose Flüssigkeit, die durch Wasser unter Spaltung der Si-N-Bindung und Bildung von Hexamethyldisiloxan und Cyanamid zersetzt wird. Im Gegensatz zu organischen Diimiden reagiert BTSC nicht mit Schwefelwasserstoff H2S, Ammoniak NH3 oder Anilin.[2] Die Verbindung ist mit vielen organischen Lösungsmitteln mischbar.

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bis(trimethylsilyl)carbodiimid lässt sich im Gegensatz zu organischen Diiminen, wie insbesondere Dicyclohexylcarbodiimid nicht zur Synthese von Amiden oder Estern durch Wasserabspaltung verwenden.

Mit Bis(trimethylsilyl)carbodiimid lassen sich Carbonylgruppen C=O in Cyaniminogruppen N-CN überführen. Wie aus dem Arbeitskreis von Siegfried Hünig erstmals 1984 berichtet, entstehen aus (substituierten) 1,4-Benzochinonen starke Elektronenakzeptoren,[7] die in Analogie mit Tetracyanochinodimethan TCNQ mit Elektronendonatoren, wie z. B. Tetrathiafulvalen TTF Charge-Transfer-Komplexe bilden, die supraleitende Eigenschaften besitzen.

Hünig-Synthese von Chinoncyanodiiminen mit Bis(trimethylsilyl)carbodiimid
Hünig-Synthese von Chinoncyanodiiminen mit Bis(trimethylsilyl)carbodiimid

Die Cyaniminogruppe ist in ihrem elektrochemischen Verhalten mit dem der räumlich größeren Dicyanomethylengruppe weitgehend identisch. Sie kann sperrigen Substituenten besser ausweichen und die für die Ausbildung von CT-Komplexen wichtige planare Struktur besser aufrechterhalten.[8]

Die Standardverbindung TCNQ kann mittels TMSCN aus Terephthalsäuredichlorid in Gegenwart von Pyridin über das silylierte Benzolderivat und anschließende Reaktion mit Phosphoroxychlorid in einer Gesamtausbeute von ca. 60 % erhalten werden.[9]

Synthese von TCNQ mittels TMSCN
Synthese von TCNQ mittels TMSCN

Auch hybride Elektronenakzeptoren mit Dicyanmethylen- und Cyaniminogruppen wurden beschrieben, die als gelbe Feststoffe mit dem orangefarbenen TTF grüne CT-Komplexe bilden.[10]

Hybrider Elektronenakzeptor mit dicyanomethylen- und Cyaniminofunktion
Hybrider Elektronenakzeptor mit dicyanomethylen- und Cyaniminofunktion

Bei dem Austausch von Ketonfunktionen durch Cyaniminogruppen in Pigmente, wie z. B. Chinacridon-Pigmente, werden Fluoreszenzfarbstoffe erhalten.[11]

Darstellung des Fluoreszenzfarbstoffs Bis-cyanoimino-chinacridon
Darstellung des Fluoreszenzfarbstoffs Bis-cyanoimino-chinacridon

Unlängst wurde die direkte Einführung einer Carboxamidin-Funktion -CO(NH)NH2 in aliphatische und aromatische Grignard-Verbindungen berichtet.[12]

Amidinsynthesen mit Bis(trimethylsilyl)carbodiimid
Amidinsynthesen mit Bis(trimethylsilyl)carbodiimid

Die Reaktion mit Bis(trimethylsilyl)carbodiimid vermeidet die mehrstufige Darstellung der Iminoestersalze aus Nitrilen und Alkoholen (Pinner-Salze) und deren Umsetzung mit Ammoniak bei der Pinner-Reaktion. Allerdings sind die in hohen Ausbeuten über das neue Verfahren zugänglichen Amidinsalze mit Magnesiumhalogeniden verunreinigt, die nur unter hohen Ausbeuteverlusten abgetrennt werden können.

Durch chemische Gasphasenabscheidung lassen sich mit Bis(trimethylsilyl)carbodiimid keramische Si-C-N-Filme auf Stahloberflächen – z. B. zur Härtung von Schneidwerkzeugen – erzeugen, die sich zwar als außerordentlich korrosionsbeständig, aber auch als brüchig und schlecht haftend herausstellten.[13]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Henri Ulrich: Chemistry and Technology of Carbodiimides. Wiley-VCH, Weinheim 2007, ISBN 978-0-470-06510-5.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d Datenblatt Bis(trimethylsilyl)carbodiimide bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 3. Juli 2018 (PDF).
  2. a b c d e f g J. Pump, U. Wannagat: Beiträge zur Chemie der Silicium-Stickstoff-Verbindungen, XIV, Bis-Trimethylsilyl-Carbodiimid. In: Justus Liebigs Ann. Chem. Band 652, Nr. 1, 1962, S. 21–27, doi:10.1002/jlac.19626520104.
  3. J. Pump, U. Wannagat: Bis-(trimethylsilyl)-carbodiimid. In: Angew. Chem. Band 74, Nr. 3, 1962, S. 117–117, doi:10.1002/ange.19620740308.
  4. L. Birkofer, A. Ritter, P. Richter: N,N‘-Bis-trimethylsilyl-carbodiimid. In: Tetrahedron Lett. Band 3, Nr. 5, 1962, S. 195–198, doi:10.1016/S0040-4039(00)70856-2.
  5. K. Mai, G. Patil: An expedient synthesis of bis(trimethylsilyl)carbodiimide. In: J. Org. Chem. Band 52, Nr. 2, 1987, S. 275–276, doi:10.1021/jo00378a020.
  6. Patent DE19822281C1: Verfahren zur Herstellung von Bis-trimethylsilyl-carbodiimid. Angemeldet am 18. Mai 1998, veröffentlicht am 19. August 1999, Anmelder: SKW Trostberg AG, Erfinder: T. Güthner, H. Krommer.
  7. A. Aumüller, S. Hünig: Einstufiger Weg zu N‐Cyaniminen und zu N,N′‐Dicyanchinondiiminen, einer neuen Klasse von Elektronenacceptoren. In: Angew. Chem. Band 96, Nr. 6, 1984, S. 437–438, doi:10.1002/ange.19840960620.
  8. A. Aumüller, S. Hünig: Multistep Reversible Redox Systems, XLVI1)N,N′‐Dicyanoquinonediimines – A New Class of Compounds, I: Synthesis and General Properties. In: Justus Liebigs Ann. Chem. Band 142, 1986, S. 142–164, doi:10.1002/jlac.198619860114.
  9. S. Yamaguchi, T. Hanafusa: Preparation of 7,7,8,8-tetracyanoquinodimethane and its derivatives. In: Chem. Lett. Band 14, Nr. 6, 1985, S. 689–690, doi:10.1246/cl.1985.689.
  10. Synthesis of heterocyclic analogues of Benzo-TCQN. In: Ph.D. Thesis. Dublin City University, Juli 2002, abgerufen am 16. Juli 2018.
  11. Patent EP0673979B1: Cyanoiminogruppen enthaltende Fluoreszenzfarbstoffe. Angemeldet am 16. März 1999, veröffentlicht am 30. August 2000, Anmelder: Ciba Specialty Chemicals Holding Inc., Erfinder: J.S. Zambounis, Z. Hao, A. Iqbal.
  12. T. Güthner, E. Huber, J. Sans, F. Thalhammer: Direct introduction of an N,N‘-nonsubstituted carboxamidine group by Grignard addition to silylated cyanamide. In: Synlett. Band 28, Nr. 12, 2017, S. 1437–1440, doi:10.1055/s-0036-1589000.
  13. Y. Zhou et al.: Hard silicon carbonitride films obtained by RF-plasma-enhanced chemical vapour deposition using the single-source precursor bis(trimethylsilyl)carbodiimide. In: J. Eur. Ceram. Soc. Band 26, 2006, S. 1325–1335, doi:10.1016/j.jeurceramsoc.2005.02.004.