Flugzeugkatastrophe von Kinshasa

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Flugzeugkatastrophe von Kinshasa

Die verunglückte Antonow An-32B im Jahr 1994

Unfall-Zusammenfassung
Unfallart Überschießen der Startbahn
Ort Flughafen N’Dolo, Kinshasa, Zaire
Datum 8. Januar 1996
Todesopfer 2
Überlebende 4
Todesopfer am Boden ca. 297 bis 350
Verletzte am Boden ca. 500
Luftfahrzeug
Luftfahrzeugtyp Antonow An-32B
Betreiber African Air
Kennzeichen RA-26222
Passagiere 0
Besatzung 6
Listen von Luftfahrt-Zwischenfällen

Die Flugzeugkatastrophe von Kinshasa ereignete sich am 8. Januar 1996 um 12:43 Uhr Ortszeit, als eine Antonow An-32B beim Start vom Flughafen Kinshasa-N’Dolo über das Startbahnende hinausschoss und in einen angrenzenden Marktplatz raste. Dieser Unfall ist der bislang schwerste Flugunfall auf dem afrikanischen Festland[1] und nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 der Flugunfall, welcher weltweit die höchste Anzahl von Opfern am Boden forderte.

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die beteiligte Antonow An-32B war eine Frachtmaschine der russischen Gesellschaft Moscow Airways, die auch die sechsköpfige Besatzung stellte. Obwohl das russische Verkehrsministerium dem Unternehmen bereits im September 1995 das Air Operator Certificate aufgrund von Sicherheitsbedenken entzogen hatte, setzte Moscow Airways einige Flugzeuge ohne gültige Betriebserlaubnis weiterhin in Afrika ein.[2][3] Offiziell hatte die auf dem Flughafen Kinshasa-N’Dolo ansässige Frachtfluggesellschaft Scibe Airlift die russische Maschine im Sommer 1995 über ihren in Ostende stationierten Verkaufsleiter angemietet.[4] Das Flugzeug wurde aber primär von der ebenfalls in Kinshasa-N’Dolo ansässigen Gesellschaft African Air genutzt. African Air war ein Scheinunternehmen, das Jean-Pierre Bemba (der Geschäftsführer von Scibe Airlift) gemeinsam mit einem Sohn des Staatspräsidenten Mobutu gegründet hatte.[5] Obwohl African Air kein eigenes Air Operator Certificate besaß, setzte das Unternehmen die Antonow mehrfach für Frachttransporte in das vom Bürgerkrieg zerrüttete Nachbarland Angola ein. Für die internationalen Flüge nutzte sie das Betreiberzeugnis der Scibe Airlift. Nachdem man auf dem Flughafen Kinshasa de Ndjili eine für die UNITA bestimmte Waffenladung an Bord eines Scibe-Flugzeugs entdeckt hatte, kam der Verdacht auf, dass auch die verunglückte Antonow mit militärischen Gütern beladen war.[4][6] Dies wurde von den russischen Piloten weder bestätigt noch dementiert.[7] Nach Angaben der Organisation Human Rights Watch bestand die Ladung der Maschine aus brennbaren Flüssigkeiten, die ebenso wie Waffen unter das UN-Embargo fielen.[8] Es konnte nicht abschließend geklärt werden, welche Fracht das Flugzeug befördert hatte.

Hergang und Ursache[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die voll betankte Unfallmaschine sollte von der 1686 Meter langen Startbahn 26 des Flughafens Kinshasa-N’Dolo in westlicher Richtung starten. Nach Zeugenaussagen erreichte die Maschine trotz voller Triebwerksleistung nicht die zum Abheben erforderliche Geschwindigkeit.

Die Besatzung leitete den Startabbruch zu spät ein. Das Flugzeug schoss über die Startbahn hinaus, querte eine Straße und raste in einen Gemüsemarkt, der auf dem unmittelbar angrenzenden Gelände unter freiem Himmel abgehalten wurde. Die Antonow kollidierte mit mehreren Fahrzeugen und Marktständen, ging in Flammen auf und schlug eine rund 100 Meter lange Schneise durch den Marktbereich. Der Unfall ereignete sich zur Hauptgeschäftszeit. Unter den Opfern befanden sich überwiegend Frauen und Kinder.[7]

Der Unfall ist auf eine Überladung der Maschine zurückzuführen. Nach unbestätigten Berichten wurde das maximale Startgewicht um 270 Kilogramm (bzw. 595 Pound) überschritten.[9] Die Piloten gaben in der Gerichtsverhandlung an, dass auf ihren Ladepapieren nur 2 Tonnen Fracht ausgewiesen waren, die Maschine aber tatsächlich mit 11 Tonnen Fracht beladen wurde.[7]

Opferzahl[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die russischen Piloten wurden wegen der Tötung von 225 Menschen angeklagt. Es ist jedoch fraglich, ob die im Prozess genannte Opferzahl der tatsächlichen Zahl an Getöteten entspricht. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz berichtete, dass mehr als 260 Personen ums Leben kamen.[10] Die britische Civil Aviation Authority, die Nachrichtenagentur Associated Press und weitere Medien geben übereinstimmend 297 Todesopfer an.[11][12][13] Andere Quellen berichten von 350 und mehr Toten.[14][15][3]

Die drei städtischen Krankenhäuser waren mit der medizinischen Versorgung der ca. 500 Verletzten überfordert, da neben Blutkonserven und Arzneimitteln auch einfache Dinge wie Verbandsmaterial und Einweghandschuhe fehlten. Es blieb unklar, wie viele Personen ihren Verletzungen erlegen sind.[7] Nach Angaben der Universitätsklinik Kinshasa starben bei dem Unfall und infolge von Verletzungen insgesamt 348 Personen.[16]

Zudem liegen widersprüchliche Angaben über die Zahl der getöteten Besatzungsmitglieder vor. Mehrheitlich wird angegeben, dass zwei der sechs Crewmitglieder ums Leben kamen.[17][18][2] Einige Quellen berichten dagegen, dass die gesamte sechsköpfige Besatzung den Unfall überlebt hat.[9]

Urteile[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die beiden Piloten Nikolai Kasarin und Andrei Guskow wurden in Kinshasa wegen fahrlässiger Tötung in 225 Fällen zu je zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Laut Anklage haben die Piloten zu langsam reagiert und den Startabbruch zu spät eingeleitet, weil sie unter Alkoholeinfluss standen.[19]

Die Fluggesellschaften Scibe Airlift und African Air wurden verurteilt, den Verletzten und Hinterbliebenen insgesamt 1,4 Millionen US-Dollar Entschädigung zu zahlen.[7]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Der bislang schwerste Flugunfall auf dem afrikanischen Kontinent ereignete sich auf den Kanarischen Inseln, siehe Flugzeugkatastrophe von Teneriffa.
  2. a b Russian Aviation, Airfax Newsletter vom 12. Januar 1996 aeroweb.lucia.it (Memento des Originals vom 16. Juli 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/aeroweb.lucia.it
  3. a b Chaos am Himmel über Afrika. In: Die Zeit, Nr. 5/1996
  4. a b Washington Post, 21. März 1997
  5. Johan Peleman: The logistics of sanctions busting: the airborne component. S. 300, iss.co.za (Memento des Originals vom 7. März 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.iss.co.za (PDF)
  6. SIPRI, Scibe Airlift sipri.org (Memento des Originals vom 13. Mai 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sipri.org
  7. a b c d e The Forgotten Disaster in Zaire, William Henry, 2006 The Forgotten Disaster in Zaire (Memento vom 24. Januar 2016 im Internet Archive)
  8. Human Rights Watch, Arms Trade and Embargo hrw.org
  9. a b aviation-safety.net 8. Januar 1996
  10. ICRC, 8. Januar 1996 icrc.org
  11. Aviation Safety Review 1990–1999. (Memento des Originals vom 11. April 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.caa.co.uk (PDF) Civil Aviation Authority
  12. Death Toll in Zaire Crash Rises to 297. In: The New York Times. 10. Januar 1996, abgerufen am 8. Januar 2016 (englisch).
  13. Abstürze. In: Berliner Zeitung, 1. November 1999
  14. CNN, World News Brief, 10. Januar 1996 edition.cnn.com
  15. polity.org.za 5. Oktober 2007 (Memento des Originals vom 16. Juli 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.polity.org.za
  16. Prehospital and Disaster Medicine pdm.medicine.wisc.edu (Memento des Originals vom 28. Februar 2001 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/pdm.medicine.wisc.edu
  17. airdisaster.com 8. Januar 1996 (Memento des Originals vom 7. Januar 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.airdisaster.com
  18. planecrashinfo.com 8. Januar 1996
  19. Tina Susman: No relief for victims or accused in Zaire airport disaster. 5. Januar 1997, tinasusman.com (Memento des Originals vom 18. Februar 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tinasusman.com

Koordinaten: 4° 19′ 47,8″ S, 15° 19′ 8,3″ O